Die Neuplatoniker

[247] Die Neuplatoniker, eine philosophische Secte, die im dritten Jahrhundert nach Chr. Geb. in Alexandrien, einer blühenden, aber an Gauklern und Phantasten immer sehr reichen Stadt Egyptens, entstand, und sich mit großer Schnelligkeit über Griechenland und [247] Italien verbreitete. Ammonius, Plotinus, Porphyrius, Jamblichus und in spätern Zeiten Pralus haben sich in dieser Schule am berühmtesten gemacht. Ihr System bestand in einem Gewebe geheimnißvoller Lehren, wobei zwar die meisten Lehrsätze des Plato zum Grunde lagen, die aber durch die Beimischung der Philosophemen des Pythagoras und andrer Weltweisen ganz entstellt wurden. Ueberhaupt wollten die Neuplatoniker alle Arten der Gottesverehrungen verschiedener Völker vereinigen, und daraus entstand ein sonderbares Gemisch von Wahrscheinlichkeit und Träumerei. Sie vermehrten die Anzahl der Götter, schufen sich gewisse Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen, die sie Dämonen, Archonten, nannten, und verhießen ihren Schülern einen unmittelbaren Umgang mit den himmlischen Geistern. Unverständliche Gebete an die Gottheit, dunkle Auslegungen alter Mythen, enthusiastische Vorliebe für Magie, Theurgie und unglaubliche Wunder waren die Hauptgegenstände ihrer Lehre. In einem andern Zeitalter würden sie schwerlich Beifall gefunden haben: aber in diesem, wo das große Römische Reich, welches damahls doch nur allein in Betracht kam, an einer gänzlichen Ermattung kränkelte und seiner Auflosung nahe war, konnten sie auf zahlreiche Schuler rechnen. Schon seit dem zweiten Jahrhunderte war Aberglaube und Verehrung der Götter fremder Völker in Rom herrschend; bald gesellte sich träge Weichlichkeit, Sittenverderbniß und Hang zu den unnatürlichsten Lüsten dazu. Wie hätte in einem so ungesunden Boden die wahre Philosophie einen glücklichen Fortgang haben können? und wie willkommen mußte daher den Römern ein neues System sein, das ihren Hang zum Aberglauben durch eine geheimnißvolle Geisterlehre befriedigte und dabei Müssigang und Einsamkeit begünstigte! – Mit dem gänzlichen Verfall der Wissenschaften und Künste im 5. und 6. Jahrhundert verfiel auch die Schule der Neuplatoniker, und wurde nicht eher wieder erweckt, als zum Ausgange des 15. und im Anfange des 16. Jahrh. Zum Glück für die Wahrheit fanden aber die Gelehrten, welche sich damit beschäftigten, nicht allgemeinen Beifall; und seitdem hat diese Philosophie mit den Geheimnissen der Cabbala gleiches Schicksal gehabt, und ist [248] nur für Theosophen und Freunde der Hieroglyphen ein Gegenstand der Bewunderung worden. Indessen kann nicht abgeläugnet werden, daß die noch übrigen Schriften der Philosophen dieser Secte ungemein wichtig zur Aufklärung ihres Zeitalters sind, und daher von Alterthumsfreunden und Geschichtsforschern nicht übergangen werden dürfen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 247-249.
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