Die September-Tage

[228] Die September-Tage. Unter die schrecklichen Epochen der Französischen Revolution, in denen Einzelne oder auch ganze Rotten von Ungeheuern Tausende von Unschuldigen, unter entsetzlichen körperlichen und Seelenmartern, eines langsamen Todes sterben ließen, und Schandthaten begingen, vor denen die Menschheit zurückschaudert – unter diesen Epochen, die man leider nur zu oft der Französischen Nation zur Last legt, behaupten die Tage des 2. bis 10. und des 14. 16. und 17. Semptembers im Jahre 1792 eine vorzügliche Stelle. Diese kannibalischen Scenen begannen am 2. Septbr. in der Wiege aller Revolutionsgräuel, in Paris, wo sie bis zum 7. Septbr. fortgesetzt, dann aber zu Versailles, Meaux, Gisors, Lyon und Orleaus zwar zum Theil mit noch größerer Grausamkeit wiederhohlt wurden, jedoch bei weitem weniger diutig waren, als in der Hauptstadt. – Da selbst Französische Schriftsteller, die Augenzeugen dieser Vorfälle waren, sogar die Anzahl der Schlachtopfer dieser Tage ganz auffallend verschieden angeben; da die eigentlichen Stifter dieser Blutscenen größten Theils in der Stille wirkten, und bei den vom Ende des Jahres 1792 an ausbrechenden Kämpfen der verschiedenen Parteien der Nationalconvention bald diese bald jene Mitglieder diese Ermordungen sich gegenseitig zur Last legten; da die Vollzieher dieser Gräuelthaten größten Theils aus der Hefe des Pöbels bestanden, und das rächende Schicksal die in die Veranlassung und Geheimnisse dieser Tage wirklich Eingeweihten wohl größten Theils vertilgt hat: so bleibt über dieselben noch manches Dunkel übrig. Daß jedoch Marat, Danton (damahls Justizminister), Robespierre, Panis und Billaud Varennes (welcher Letztere sogar bei diesen Gräuelscenen selbst erschien und diese so genannte Volksjustiz billigte) unter [228] den Anstiftern dieser Tage den vorzüglichsten Antheil hatten, ist außer Zweifel und zum Theil durch Urkunden erwiesen. Auch fallen diese Blutscenen in gewisser Hinsicht der gesetzgebenden oder zweiten Nationalversammlung zur Last, indem sie, sobald sie solche erfuhr, ihnen Einhalt thun konnte: allein die Kühnheit und das Ansehen eines Marat, Dankon und Anderer, die mit den Mördern einverstanden waren, erhielt unstreitig die vom Anfange bis zum Ende ihrer Regierung kraftlose Versammlung in Unthätigkeit; und jene Mitverschwornen vermehrten, wie man vermuthen muß, die Furchtsamkeit der Versammlung, indem sie die Anzahl der Mörder, die sich in der That nur auf einige hundert belaufen haben soll, überaus vergrößerten. Nur Rolland, dem Minister des Innern (s. diesen Art.), gebührt das Lob, sich laut wider diese Gräuel erklärt zu haben. – Nach diesen wohl nicht ganz überflüssigen Vorerinnerungen zur Geschichte der Sep tember-Tage selbst. Die Festung Longwy hatte sich am 23. Aug. 1792 dem Herzoge von Braunschweig ergeben. Thionville wurde seit dem 24. vom Prinzen von Hohenlohe, Verdün seit dem 30. vom Herzoge von Braunschweig belagert. Bereits am 28. Aug. hatte Danton die Pariser Bürger aufgefordert, sich gegen den Feind zu bewaffnen; jetzt trafen am 2. Sept. die obigen Nachrichten von dessen Fortschritten in Paris ein: Nachmittags um 2 Uhr wurden deßhalb die Sturmglocken gelautet, die Lärmkanonen abgefeuert; und die Bürger eilten, sich in die Listen der Soldaten eintragen zu lassen: ganz Paris gerieth in Aufruhr, zumahl da dieser Tag gerade auf einen Sonntag fiel. Unter der allenthalben herbeiströmenden Volksmenge befanden sich, nach den glaubwürdigsten Nachrichten, eine Anzahl Bösewichter, die zu Ermordung der gefangenen Priester und anderer auserwählten Schlachtopfer gedungen waren, und welche unter den Bürgern die Furcht verbreiteten, daß in Paris selbst die gefährlichsten Feinde der Stadt sich befänden, die sich mit den auswärtigen Feinden vereinigen würden, nehmlich die in den Gefängnissen befindlichen Staatsgefangenen und ungeschwornen Priester; diese würden von ihren Anhängern befreit, und durch sie die gutgesinnten Bürger und die Ihrigen ermordet werden: das Volk müsse daher, weil der [229] Rechtsgang in Ansehung dieser Gefangenen zu langsam wäre, sich selbst Recht sprechen und solche nicht langer am Leben lassen. Diese und ähnliche Aeußerungen verbreiteten sich augenblicklich auf allen Straßen; ja man hatte sogar ausgesprengt, daß zwölftausend Mann sich in den Gefängnissen bewaffnet hätten. Eben waren vier Wagen mit sechzehn Gefangenen nach der Abtei mit Bedeckung unterwegs. Es entsteht unter dem Volke eine Bewegung; einer der Gefangenen schlägt mit seinem Stocke aus dem Wagen einen von der Escorte auf den Kopf, der ihm deßhalb den Säbel in die Brust stößt. Dieß wird das Signal zur Blutscene; nur drei Personen von diesen sechzehn kommen lebendig in die Abtei und werden gerettet. Die Mörder rotten sich zusammen und eilen auf Maillards1 Vorschlag nach der Carmeliterkirche, in der eine Anzahl ungeschworner Priester bis zur Deportation verwahrt wurde, die alle ermordet werden. Sie gehen hierauf zur Abtei zurück, wo die vom Gemetzel des 10. Augusts übrig gebliebenen Schweizer und Andere, wegen Verrätherei gegen die Nation an diesem Tage in Verhaft genommene, sich befanden, sprengen das Thor, lassen sich das Verzeichniß der Gefangenen geben; und Maillard bildet mit ungefähr eilf Personen sogleich einen Ausschuß, um über die Gefangenen zu richten, zu dessen Präsidenten er ernannt wird. Es wird beschlossen, die Gefangenen kurz zu verhören und, um allen gewaltsamen Auftritten in den Gefängnissen vorzubeugen, in Gegenwart der zum Tode verurtheilten nicht das Wort [230] Tod auszusprechen, sondern bloß: nach la Force. Man nimmt den Schlachtopfern zuerst ihre Portefeuillen, Uhren, Dosen, Diamanten und Assignaten ab, die man ihnen in dem vorgegebenen Gefängniß wieder zu geben verspricht, und führt sie dann vor die Thüre des Gefängnisses, wo sie unter den Säbelhieben der sie erwartenden Mörder unter desto größern Martern fallen, je mehr sie sich den gegen sie gerichteten Piken und Säbeln zu entziehen suchen. Eben so verfahren die Mörder in den übrigen Pariser Gefängnissen, nur daß die Todesformel nach dem Gefängnisse abgeändert wird, z. B. den im Gefängniß la Force Verurtheilten rief man zu: nach der Abtei. Die Freigesprochenen werden unter dem Ruf: es lebe die Nation, zwischen den Mördern von ihren Errettern, und sogar in Begleitung und unter dem Schutze einiger von jenen, zu Hause gebracht. Prüdbomme2, der die Ermordeten bis auf einige wenige namentlich auführt, setzt die Totalsumme der vom 2. bis 7. Septbr. in Paris Ermordeten auf 1433. – So wenig übrigens geläugnet werden kann, daß unter diesen Schlachtopfern sich mehrere wirkliche Verbrecher befanden, so stehen sie doch – der gänzlichen Incompetenz ihrer Richter nicht zu erwähnen – mit den unschuldig Ermordeten in gar keinem Verhältniß; und mehrere von jenen verloren vielleicht ihr Leben, um dadurch bei dem Volke die Meinung von der Gerechtigkeit dieses Bluttribunals und die Vermuthung der Strafbarkeit der unschuldig Ermordeten zu erregen. Eben so erhielten mehrere wirkliche Verbrecher durch die Freunde, die sie unter den Mördern hatten, Leben und Freiheit; da hingegen nur wenige Unschuldige, und unter ihnen Männer von anerkanntem [231] Verdienst, wie Cazotte (s. diesen Art.), Sombreuil, beide durch das unermüdete Flehen ihrer heldenmüthigen Töchter3, und, leider! nur auf kurze Zeit, Sicard (s. dies. Art.) und einige Andere durch den Muth ihrer Freunde, oder ihre eigne Standhaftigkeit, wie Jourgniac St. Meard4, ihr Leben retteten.


Fußnoten

1 Dieses Ungeheuer, eigentlich ein Hüissier oder Gerichtsdiener zu Paris, zeichnete sich zuerst bei Stürmung der Bastille aus, indem er die von den Belagerten ausgesteckte schriftliche Capitulation den Stürmenden herbei hohlte. Kurz darauf war er der Anführer des Pariser weiblichen Pöbels, der in der Nacht vom 5. auf den 6. Octbr. 1789 nach Versailles zog, und mit Anbruch des Tages den König mit seiner Familie nöthigte, sich nach Paris zu begeben. Als Präsident bei diesen September-Tagen zog er sich durch sein heftiges Schreien eine bleibende Heiserkeit zu, die ihn überall kenntlich machte, und erhielt seitdem den Namen Tappe-dur.


2 Von dessen Werke wir folgende Deutsche Uebersetzung von Aschenberg haben: Allgemeine und unparteiische Geschichte der Irrthümer, Fehler und Verbrechen, welche im Laufe der Französischen Revolution sind begangen worden. Düsseldorf, 1801, 2 Thle. gr. 8. bei welcher aber die zwei ersten Theile des Originals, die ein alphabetisches Verzeichniß aller vom Anfange der Revolution an bis zu Robespierreʼs Sturz hingerichteten Personen enthalten, fehlen.


3 Ich kann mich nicht enthalten, die Leser, die mehrere Edle dieser Art kennen zu lernen wünschen, auf folgenden interessanten Aufsatz: Züge von weiblichem Heldenmuth, weiblicher Seelengröße und Edelsinn, als Mütter, Gattinnen, Geliebte, Geschwister, Freundinnen, in den Stürmen der Revolution, im Kriegs-und Friedens-Almanach von 1804 (Gottingen, b. Dietrich), S. 4–51, zu verweisen, dessen Rubrik schon sagt, was er enthält. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß dieser Aufsatz, schon seiner genauern Angaben nach, nur bloße Erdichtungen enthalten sollte.


4 Man sehe: Meine acht und dreißigstündige Todesangst, von Jourgniac St. Meard (in den Friedenspräliminarien B. IV. S. 352–392) und mit einigen angehängten Anekdoten unter dem Titel: Wichtiger Beitrag zur Geschichte des zweiten und folgenden Septembers. Frankf. u. Leipz. 1793. 8. (eine Schrift, durch die man das Verfahren des Bluttribunals der September-Mörder weitläuftiger kennen lernt.)

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 228-232.
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