Die Vehm-Gerichte

[304] Die Vehm-GerichteWestphälische, heimliche Gerichte, Freistühle, Frei-Gerichte – waren die in dem Mittelalter in Westphalen und Niedersachsen entstandenen gerichtlichen Anstalten, durch welche man der peinlichen, damahls sehr mangelhaften, Justiz aufhelfen, und vorzüglich Gewalt und Mordthaten bestrafen wollte. Woher die Benennung Vehm-Gericht rührt, ist noch nicht ganz ausgemacht. (Fehm oder Vehm heißt überhaupt Blutbann, oder peinliche Gerichtsbarkeit; verfehmen, verfaimen heißt, nach einer alten Glosse, mit Recht um böse Sachen verurtheilen, oder, verbannen, verweisen, verstoßen, ein Verfehmter, Verfaimter, der um arge und böse Missethat verurtheilet ist etc.) Den Ursprung derselben setzt man [304] in die Zeiten Carls des Großen, oder wohl richtiger Heinrichs IV. Allmählich bildeten sie sich mehr aus, und gewannen seit dem Falle Heinrichs des Löwen ihre Stärke und ihr furchtbares Ansehen. Das Geheimniß, in dessen Schleier sie ihre Justiz verhüllten, und weßhalb sie eben auch heimliche Gerichte hießen, trugen sehr viel dazu bei. Ueber ihre ganze Einrichtung und die Art, dieß Gericht zu halten, ist sehr viel geschrieben, gemuthmaßt, erdichtet worden; und die Dichter haben bekannter Maßen es nicht fehlen lassen, das Ganze nach ihrer Fantasie romantisch genug auszumahlen. – Die Vehmrichter – so viel weiß man mit Gewißheit – versammelten sich meistentheils in abgelegenen Wäldern, unterirdischen Gewölben etc. und trieben ganz unbekannt ihr Wesen, hatten aber allenthalben ihre Spione, so daß sie von jedem Verbrechen sogleich unterrichtet wurden. Wer von ihnen vorgefodert wurde – es geschah dieß meistentheils durch Anschlagung eines Zettels an des Beklagten Haus, oder auch an Scheidewegen, an Bäumen, oder Pfählen, nach allen vier Gegenden, jedoch allemahl des Nachts –, mußte sich stellen, wenn er nicht befürchten wollte, erdolcht zu werden. Oefters wurde auch der Angeklagte sofort selbst durch die vermummten und ganz unkenntlichen Richter abgethan. So wohlthätig nun auch anfangs diese Anstalt für die Nation war, so sehr artete sie doch nachher in Mißbrauch und eine Art von Ketzerinquisition aus. Oft verurtheilten sie ungehört, und begingen schreckliche Grausamkeiten; ja, sie suchten nach und nach ihre Gewalt über den größten Theil Deutschlands zu erstrecken, so daß sie sogar in die Rechte der Reichsstände eingriffen. Kein Wunder daher, daß man ernstlich auf ihre allmählige Aufhebung von Reichs wegen bedacht war. Schon die Kaiser Rupert, Sigismund und Albert machten wenigstens mit Umformung derselben den Anfang. Friedrich III. arbeitete noch ernstlicher daran, und ertheilte sogar Privilegien gegen diese Gerichte. Maximilian I. that dieß noch nachdrücklicher; und so fanden sie endlich ihren völligen Untergang. Unstreitig haben noch mehrere Gebräuche bei Hegung des so genannten peinlichen Gerichts ihren ersten Ursprung in jenen Gerichten zu suchen.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 304-306.
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