Schuppe, Wilhelm

[663] Schuppe, Wilhelm, geb. 1836, emer. Prof. in Greifswald.

S. ist der Hauptvertreter der von Kant, Berkeley u. a. beeinflußten (idealistischen) Immanenzphilosophie. Für diese sind »wirklich« und »bewußt«, »Objekt« und »Vorstellung« identisch, aber die Gesamtheit der wirklichen Dinge ist nicht das Subjekt, sondern das Weltganze. Nach Sch. ist alles Sein dein Bewußtsein immanent, allgemeiner oder individueller Bewußtseinsinhalt, Bewußtsein, auf das Ich oder Subjekt bezogen. »Es gehört zu dem Sein selbst, daß es in sich die beiden Bestandteile, den Ich-Punkt und die Objektenwelt... in dieser Einheit zeigt, daß jedes von ihnen ohne das andere in nichts verschwindet, eines mit dem ändern gesetzt ist.« »Kein Gegenstand außerhalb des Bewußtseins.« »Ein Gegenstand außerhalb des Bewußtseins hieße einen Gegenstand gleichzeitig denken und nicht denken.« Existenz ist Wahrnehmbarkeit. nach festen Gesetzen, also mehr als momentane Empfindung, aber doch nicht An sich-Sein. Zum Sein gehört die absolute Gesetzlichkeit, nach welcher allgemein bestimmte Wahrnehmungsinhalte auftreten müssen; aber alles Objekt-Sein ist ein Bewußt-Sein, hat das Ich zum Korrelat. Subjekt und Objekt sind untrennbar: »Kein Wissen von anderem ohne Wissen von sieh, kein Wissen von sich ohne Wissen von anderem.« Alles Objektive ist Bewußtseinsinhalt, aber, im Unterschiede von den individuell-subjektiven Erlebnissen, ist es an das »Gattungsmäßige« des Bewußtseins geknüpft und so ist das raum-zeitliche Geschehen in der Natur und das fremde Seelenleben unabhängig vom individuellen Ich. Das Objektive ist Inhalt des (abstrakten, nicht gesondert existierenden) Bewußtseins überhaupt, dessen Arten die Einzel-Ichs sind. Dieses Ich, dessen Wesen im »Sich-seiner-bewußt-sein« besteht, ist das; »was nur Subjekt sein, nur Eigenschaften haben, nur Tätigkeiten ausüben kann«. Es kann kein Substrat haben, ist »absoluter Einheitspunkt«, unräumlich; individuell wird es erst durch den Bewußtseinsinhalt, der das empirische Ich darstellt, nur dadurch, daß es diesen räumlich und zeitlich bestimmten Inhalt hat. Das Ich ist gleichzeitig ein konkretes und abstraktes; letzteres, das gattungsmäßige Ich ist unräumlich und nicht-zeitlich, ewig. Das »Bewußtsein überhaupt« ist in allen' Ichs gemeinsam enthalten als allgemeines Subjekt; die Außenwelt nebst dem objektiven Räume und der objektiven- Zeit. sind, als Inhalt dieses allgemeinen Bewußtseins, für alle Einzelsubjekte identisch, während das Subjektive im engeren Sinne ein individueller Ausschnitt aus dem allgemeinen Bewußtseinsinhalt ist. Wirklich ist nur, was »in den Zusammenhang des Weltganzen paßt«, der mit Qualitäten erfüllte Raum- und Zeitteil, sofern er allgemeiner Bewußtseinsinhalt ist oder sein kann. Dieser objektive Idealismus ist zugleich naiver Realismus, da für ihn die Dinge das sind, als was wir sie wahrnehmen und denken.[663]

Die Psychologie ist die Wissenschaft vom individuellen Subjekt und dessen Erlebnissen. Die Seele ist keine Substanz hinter dem Bewußtsein, sondern nur »Substanz«, sofern das Ich als Subjekt eine solche ist. Die Seele ist nicht ein immaterielles Konkretum als etwas Selbständiges gegenüber den Körpern, dem Leibe, sondern es gehört zu ihr ein (als Leib sich darstellender) raum-zeitlicher Bewußtseinsinhalt. Die Erkenntnistheorie ist nicht Psychologie. Sie fragt: »Was ist das Denken? Was ist das wirkliche Sein, welches sein Objekt werden soll?« Das Denken muß in seiner Arbeit belauscht werden. Die Logik (zugleich Erkenntnislehre) lehrt aber nicht eine subjektive Verfahrungsweise des bloßen Denkens ohne Objekte, sondern gibt inhaltliche Erkenntnisse vom Seienden überhaupt und seinen obersten Arten; sie ist die »Wissenschaft von dem objektiv gültigen, d. i. dein aus dem Wesen des Bewußtseins überhaupt notwendigen Denken, d. i. von dem ins Bewußtsein aufgenommenen oder bewußt gewordenen wirklichen Sein«. Das Denken ist ein Im-Bewußtsein-haben ohne subjektives Tun; es besteht im Urteilen, d.h. es nennt die Art des Zusammenseins der Daten. Die Kategorien (Identität und Kausalität) bestehen von vornherein nur als Bestimmungen von Gegebenem und haben daher dieselbe Objektivität wie dieses; sie gehören, wie die Anschauungsformen (Raum und Zeit), zum Bewußtsein überhaupt und konstituieren erst die wirkliche Welt als den notwendig gemeinsamen Teil der Bewußtseinsinhalte.

Ethik und Rechtsphilosophie setzen einander voraus; beiden liegt die richtige Wertschätzung zugrunde. Diese beruht auf dem Gefühle; die Lust bat nicht Wert, sondern ist der Wert einer Sache. Das absolut Wertvolle ist das Bewußtsein. Die absolute Wertschätzung ist die »Lust am Bewußtsein«, an der bewußten Existenz, sie ist das an sich Gute. Das Recht entspringt aus der ursprünglichen Wertschätzung und dem aus ihr fließenden, auf die Selbstbejahung aller gerichteten Willen.

SCHRIFTEN: Das menschliche Denken, 1870. – Erkenntnistheoretische Logik, 1878. – Grundzuge der Ethik und Rechtsphilosophie, 1882. – Das metaphys. Motiv und die Geschichte der Philosophie im Umrisse, 1882. – Der Begriff des subjektiven Rechts, 1887. – Das Gewohnheitsrecht, 1890. – Das Recht des Besitzes, 1891. – Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, 1894. – Begriff und Grenzen der Psychologie, Zeitschr. für immanente Philos. I, 1896. – Die immanente Philosophie, 1897. – Der Solipsismus, 1898. – Das System der Wissenschaften und das des Seienden, 1898. – Psychologismus und Normcharakter der Logik, 1901 (Archiv für systemat. Philos. VII), – Was ist Bildung? 1900. – Der Zusammenhang von Leib und Seele,. 1902, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 663-664.
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