II

[148] In demselben Jahre benutzte ich die Ferien des Bundestages zu einem Jagdausflug nach Dänemark und Schweden. In Kopenhagen hatte ich am 6. August eine Audienz bei dem König Friedrich VII.[148] Er empfing mich in Uniform, den Helm auf dem Kopfe, und unterhielt mich mit übertriebenen Schilderungen seiner Erlebnisse bei verschiedenen Gefechten und Belagerungen, bei denen er gar nicht zugegen gewesen war. Auf meine Sondirung, ob er glaube, daß die (zweite gemeinschaftliche vom 2. October 1855 datirte) Verfassung halten werde, erwiderte er, er habe seinem Vater auf dem Todtenbette zugeschworen, sie zu halten, wobei er vergaß, daß diese Verfassung beim Tode seines Vaters (1848) noch nicht vorhanden war. Während der Unterhaltung sah ich in einer anstoßenden Gallerie einen weiblichen Schatten an der Wand; der König hatte nicht für mich, sondern für die Gräfin Danner geredet, über deren Verkehrsformen mit Sr. Majestät ich sonderbare Anekdoten hörte. Auch mit angesehenen Schleswig-Holsteinern hatte ich Gelegenheit, mich zu besprechen. Sie wollten von einem deutschen Kleinstaate nichts wissen; »da sei ihnen das Bischen Europäerthum in Kopenhagen noch lieber«.

In Schweden stürzte ich bei der Jagd auf eine Felskante und erlitt eine ernste Verletzung des Schienbeins, die ich leider vernachlässigte, um nach Kurland auf die Elchjagd zu gehen. Auf der Rückreise traf ich in Berlin am 3. September gerade noch zur Zeit ein, um eine große Revue mitzumachen, auf der ich zum ersten Male die eben eingeführte weiße Uniform des damaligen »schweren Reiter«-Regiments trug.

Am 8. Juli hatte der König dem Kaiser von Oesterreich von Marienbad aus einen Besuch in Schönbrunn gemacht. Auf dem Rückwege war er am 13. Juli zum Besuch des Königs von Sachsen in Pillnitz eingetroffen, wo er an demselben Tage von »einem Unwohlsein« befallen wurde, was in den Bulletins der Leibärzte aus der bei großer Hitze zurückgelegten Reise erklärt wurde und die Abreise um mehrere Tage verzögerte. Nachdem der König am 17. nach Sanssouci zurückgekehrt war, bemerkte seine Umgebung Symptome einer geistigen Ermüdung, namentlich Edwin Manteuffel, der ängstlich bemüht war, jede Unterhaltung des Königs mit Andern zu hindern oder zu unterbrechen. Die politischen Eindrücke, welche der König bei seinen Verwandten in Schönbrunn und Pillnitz erfahren, hatten auf sein Gemüth deprimirend, die Discussionen angreifend eingewirkt. Bei dem Exerciren am 17. September neben ihm reitend, hatte ich im Gespräch den Eindruck des Versiegens der Gedanken und Anlaß, in die Lenkung seines Pferdes im Schritt einzugreifen.

Der Zustand wurde dadurch verschlimmert, daß der König am[149] 14. [September] den Kaiser von Rußland, einen starken Raucher, von dem Niederschlesisch-Märkischen Bahnhofe in dem kaiserlichen geschlossenen Salonwagen begleitet hatte, in Tabaksdampf, der ihm ebenso unerträglich war wie der Geruch des Siegellacks. Daß auch seine eigenhändigen Schreiben nicht in seiner Gegenwart gesiegelt wurden, hatte seine sehr bedenkliche Seite.

Es folgte, wie bekannt, ein Schlaganfall. In hohen militärischen Kreisen war die Vorstellung verbreitet, daß ein ähnlicher Zustand ihn schon in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 befallen habe. Die Aerzte beriethen, ob sie einen Aderlaß machen sollten oder nicht, wovon sie im ersten Falle Störungen im Gehirn, im zweiten Tod befürchteten, und entschieden sich erst nach mehreren Tagen für den Aderlaß, der den König wieder zum Bewußtsein brachte.

Während dieser Tage, also mit der Möglichkeit eines sofortigen Regierungsantritts vor Augen, machte der Prinz von Preußen mit mir einen langen Spaziergang durch die neuen Anlagen und sprach mit mir darüber, ob er, wenn er zur Regierung komme, die Verfassung unverändert annehmen oder zuvor eine Revision derselben fordern solle. Ich sagte, die Ablehnung der Verfassung würde sich juristisch rechtfertigen lassen, aus dem Lehnrecht, nach welchem ein Erbe zwar an Verfügungen des Vaters, aber nicht des Bruders gebunden sei. Aus Gründen der Politik aber riethe ich, nicht an der Sache zu rühren, nicht die mit einer, wenn auch bedingten Ablehnung verbundene Unsicherheit unsrer staatlichen Zustände herbeizuführen. Man dürfe nicht die Befürchtung der Möglichkeit des Systemwechsels bei jedem Thronwechsel hervorrufen. Preußens Ansehen in Deutschland und seine europäische Aktionsfähigkeit würden durch einen Zwist zwischen der Krone und dem Landtage gemindert werden, die Parteinahme gegen den beabsichtigten Schritt in dem liberalen Deutschland eine allgemeine sein. Bei meiner Schilderung der zu befürchtenden Folgen ging ich von demselben Gedanken aus, den ich ihm 1866, als es sich um die Indemnität handelte, zu entwickeln hatte: daß Verfassungsfragen den Bedürfnissen des Landes und seiner politischen Lage in Deutschland untergeordnet wären, ein zwingendes Bedürfniß, an der unsrigen zu rühren, jetzt nicht vorliege; daß für jetzt die Machtfrage und innere Geschlossenheit die Hauptsache sei.

Als ich nach Sanssouci zurückkam, fand ich Edwin Manteuffel besorglich erregt über meine lange Unterhaltung mit dem Prinzen und die Möglichkeit weiterer Einmischung meinerseits. Er fragte[150] mich, weshalb ich nicht auf meinen Posten ginge, wo ich in der gegenwärtigen Situation sehr nöthig sein würde. Ich erwiderte: »Ich bin hier viel nöthiger«.

Durch Allerhöchsten Erlaß vom 23. October wurde der Prinz von Preußen zunächst auf drei Monate mit der Stellvertretung des Königs beauftragt, die dann noch dreimal auf je drei Monate verlängert wurde und ohne nochmalige Verlängerung im October 1858 abgelaufen wäre. Im Sommer war ein ernster Versuch im Werke, die Königin zu veranlassen, die Unterschrift des Königs zu einem Briefe an seinen Bruder zu beschaffen, in welchem zu sagen sei, daß er sich wieder wohl genug fühle, um die Regierung zu übernehmen, und dem Prinzen für die geführte Stellvertretung danke. Die letztere war durch einen Brief des Königs eingeleitet worden, konnte also, so argumentirte man, durch einen solchen wieder aufgehoben werden. Die Regierung würde dann, unter Controlle der königlichen Unterschrift durch Ihre Majestät die Königin, von den dazu berufenen oder sich darbietenden Herrn vom Hofe geführt werden. Zu diesem Plan wurde mündlich auch meine Mitwirkung in Anspruch genommen, die ich in der Form ablehnte, das würde eine Haremsregierung werden. Ich wurde von Frankfurt nach Baden-Baden gerufen und setzte dort den Prinzen von dem Plane in Kenntniß, ohne die Urheber zu nennen. »Dann nehme ich meinen Abschied!« rief der Prinz. Ich stellte ihm vor, daß das Ausscheiden aus seinen militärischen Aemtern nichts helfen, sondern die Sache schlimmer machen würde. Der Plan sei nur ausführbar, wenn das Staatsministerium dazu stille hielte. Ich rieth daher, den Minister Manteuffel, der auf seinem Gute den Erfolg des ihm bekannten Plans abwartete, telegraphisch zu citiren und durch geeignete Weisungen den Faden der Intrige zu zerschneiden. Der Prinz ging darauf ein. Nach Frankfurt zurückgekehrt, erhielt ich folgenden Brief Manteuffels:


»Berlin, den 20. Juli 1858


Ew. benachrichtige ich ergebenst, daß es meine Absicht ist, nächsten Donnerstag, den 22. ds. M., Morgens früh 7 Uhr von hier nach Frankfurt zu gehen und am folgenden Morgen so zeitig als möglich nach Baden-Baden mich zu begeben. Es würde mir angenehm sein, wenn es Ew. convenirte, mich zu begleiten. Wahrscheinlich werden mich meine Frau und mein Sohn begleiten, welche zur Zeit noch auf dem Lande sind, aber morgen hier ankommen.

Ich wünsche nicht, daß in Frankfurt von meiner Durchreise vorher[151] gesprochen werde, wollte mir aber doch erlauben, Ew. durch diese Zeilen ein kleines Aviso zu geben.«


Der weitere Verlauf der Stellvertretungsfrage erhellt aus folgendem Briefe Manteuffels:


»Berlin, den 12. October 1858


Unsre große Haupt- und Staatsaktion ist inmittelst wenigstens im ersten Akt erledigt. Die Sache hat mir viel Sorge, Unannehmlichkeit und unverdienten Verdruß gemacht. Noch gestern habe ich darüber von Gerlach einen ganz empfindlichen Brief erhalten. Er glaubt, daß damit die Souveränetät halb zum Fenster hinausgeworfen sei. Ich kann das beim besten Willen nicht erkennen, meine Vorstellung von der Sache ist folgende:

Wir haben einen dispositionsfähigen, aber regierungsunfähigen König; derselbe sagt sich selbst und muß sich sagen, daß er seit länger als Jahresfrist nicht hat regieren können, daß die Aerzte und er selbst anerkennen müssen, der Zeitpunkt, wo er wieder werde selbst regieren können, lasse sich auch entfernt nicht angeben, daß eine unnatürliche Verlängerung der bisherigen Vollmachts-Ertheilung nicht am Orte und dem Staate eine sich selbst allein verantwortliche Spitze nothwendig sei; aus allen diesen Erwägungen gibt der König dem zunächst zur Krone Berufenen den Befehl, das zu thun, was für solchen Fall in der Landesverfassung vorgeschrieben ist. Die Bestimmungen der letzteren, welche gerade in diesem Punkte correct und monarchisch abgefaßt sind, werden demnächst zur Anwendung gebracht und das, wenn auch nach der Erklärung des Königs überflüssige, immerhin aber in der Verfassung mit gutem Grunde vorgeschriebene Landtagsvotum wird eingeholt, aber streng auf Beantwortung der Frage beschränkt: Ist die Einsetzung einer Regentschaft nothwendig? mit andern Worten: Ist der König mit genügendem Grund von den Geschäften entfernt? Wie man diese Frage verneinen will, ist mir nicht ersichtlich; immerhin wird es noch manche, namentlich formale Schwierigkeit zu überwinden geben. Namentlich fehlt es für die in der Verfassung vorgesehene gemeinschaftliche Sitzung an einer Geschäftsordnung. Diese wird man improvisiren müssen, indessen hoffe ich doch, daß man in etwa fünf Tagen mit der Beschlußfassung zu Stande sein wird, so daß dann der Prinz den Eid leisten und die Versammlung schließen können wird. Andre Vorlagen, namentlich solche, welche auf Geldbewilligungen sich beziehen, werden natürlich für diese Sitzung[152] gar nicht beabsichtigt. Wenn Ihre Geschäfte es erlauben, so würde ich wünschen, daß Sie Sich zum Landtage hier einfinden und womöglich vor dessen Eröffnung hier sind. Ich höre von wunderbaren Anträgen der äußersten Rechten, die man vielleicht im allgemeinen Interesse, sowie in demjenigen dieser Herren verhindern könnte.

Westphalen's Entlassung gerade im gegenwärtigen Momente ist mir sehr unerwünscht gewesen. Einmal schon hatte ich, als er selbige verlangte, sie gehindert. Jetzt wollte der Prinz sie ihm aus ganz freier Entschließung und ohne seinen Antrag ertheilen und schickte mir ein darauf bezügliches Privatschreiben an Westphalen mit dem Befehle, sofort die Ausfertigung vorzulegen. Ich that letzteres indeß nicht und sandte auch das eigenhändige Schreiben nicht ab, sondern machte bei dem Prinzen Gegenvorstellungen bezüglich der Opportunität des Momentes, Gegenvorstellungen, welche nach nicht geringer Mühe auch durchschlugen. Ich ward ermächtigt, die Maßregel wenigstens aufzuhalten und den Brief bei mir liegen zu lassen. Da schrieb Westphalen am 8. d. Mts. an den Prinzen sowohl wie an mich ein ganz wunderbares Schreiben, worin er mit Zurücknahme früherer Erklärungen seine Contrasignatur der zu erlassenden und bereits festgestellten Ordres davon abhängig machte, daß auch noch die vom Prinzen zu erlassenden Ordres speciell dem Könige zur Genehmigung vorgelegt würden, ein Verlangen, welches in der That mit Rücksicht auf den in den letzten Tagen verschlimmerten geistigen Zustand des Königs an Widersinnigkeit grenzte. Da verlor der Prinz die Geduld und machte mir Vorwürfe, nicht sogleich sein Schreiben abgeschickt zu haben, und die Sache war nun nicht mehr zu halten. Flottwells Wahl ist ohne all' mein Zuthun aus dem Prinzen selbstständig hervorgegangen, sie hat, wie Manches gegen sich, so auch Manches für sich.«

Ich stellte mich zu dem Landtage ein und trat in einer Fractionssitzung gegen die Herren, von welchen der Versuch ausging, sich der verfassungsmäßigen Votirung der Regentschaft zu widersetzen, mit Entschiedenheit für die Annahme der Regentschaft ein, die denn auch stattfand.

Nachdem am 9. Oktober der Prinz von Preußen die Regentschaft übernommen hatte, fragte Manteuffel mich, was er thun solle, um eine unfreiwillige Verabschiedung zu vermeiden, und gab mir auf mein Verlangen seine letzte Correspondenz mit dem Regenten zu lesen. Meine Antwort, es sei ganz klar, daß der Prinz ihm[153] den Abschied geben wolle, hielt er für unaufrichtig, vielleicht für ehrgeizig. Am 6. November wurde er entlassen. Es folgte ihm der Fürst von Hohenzollern mit dem Ministerium der »Neuen Aera«.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 148-154.
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