[217] Erst die inneren Kämpfe, welche der Regent und spätere König durchzumachen hatte, erst die Ueberzeugung, daß seine Minister der neuen Aera nicht nur nicht im Stande waren, seine Unterthanen glücklich und zufrieden zu machen aber im Gehorsam zu erhalten, die von ihm erstrebte und gehoffte Zufriedenheit im Lande herzustellen und in den Wahlen und Parlamenten zum Ausdruck zu bringen, erst die Schwierigkeiten, welche den König 1862 zu dem Entschlusse der Abdication brachten, übten auf das Gemüth und das gesunde Urtheil des Königs den nöthigen Einfluß, um seine monarchischen Auffassungen von 1859 über die Brücke der dänischen Frage zu dem Standpunkte von 1866 überzuleiten, vom Reden zum Handeln, von der Phrase zur That.
Die Leitung der auswärtigen Politik in den an sich schwierigen europäischen Situationen wurde für einen Minister, welcher kühle und praktische Politik ohne dynastische Sentimentalität und ohne höfischen Byzantinismus treiben wollte, durch mächtige Querwirkungen sehr erschwert, welche am stärksten und wirksamsten von der Königin Augusta und deren Minister Schleinitz geübt wurden, und durch andre fürstliche Einflüsse und Familien-Correspondenzen neben den Insinuationen feindlicher Elemente am Hofe, von den jesuitischen Organen (Nesselrode, Stillfried etc.), von Itriguanten und befähigten Rivalen, wie Goltz und Harry Arnim, und unbefähigten, wie früheren Ministern, und Parlamentariern, die es werden wollten. Es gehörte die ganze ehrliche und vornehme Treue des Königs für seinen ersten Diener dazu, daß er in seinem Vertrauen zu mir nicht wankend wurde.[217]
In den ersten Tagen des Octobers fuhr ich dem Könige, der sich zum 30. September, dem Geburtstage seiner Gemahlin, nach Baden-Baden begeben hatte, bis Jüterbog entgegen und erwartete ihn in dem noch unfertigen, von Reisenden dritter Classe und Handwerkern gefüllten Bahnhofe, im Dunkeln auf einer umgestürzten Schiebkarre sitzend. Meine Absicht, indem ich die Gelegenheit zu einer Unterredung suchte, war, Se. Majestät über eine Aufsehen erregende Aeußerung zu beruhigen, welche ich am 30. September in der Budget-Commission gethan hatte und die zwar nicht stenographirt, aber in den Zeitungen ziemlich getreu wiedergegeben war.
Ich hatte für Leute, die weniger erbittert und von Ehrgeiz verblendet, deutlich genug gesagt, wo ich hinaus wollte. Wir könnten – das war der Sinn meiner Rede – wie schon ein Blick auf die Karte zeigte, mit unsrem schmalen langgestreckten Leibe Preußen die Rüstung, deren Deutschland zu seiner Sicherheit bedürfe, allein nicht länger tragen; dieselbe müsse sich auf alle Deutschen gleichmäßig vertheilen. Dem Ziele würden wir nicht durch Reden, Vereine, Majoritätsbeschlüsse näher kommen, sondern es werde ein ernster Kampf nicht zu vermeiden sein, ein Kampf, der nur durch Blut und Eisen erledigt werden könne. Um uns darin Erfolg zu sichern, müßten die Abgeordneten das möglichst große Gewicht von Blut und Eisen in die Hand des Königs von Preußen legen, damit er es nach seinem Ermessen in die eine oder die andre Wagschale werfen könne. Ich hatte demselben Gedanken schon im Abgeordnetenhause 1849 Kinkel gegenüber auf der Tribüne Ausdruck gegeben bei Gelegenheit einer Amnestie-Debatte.
Roon, der zugegen war, sprach beim Nachhausegehen seine Unzufriedenheit mit meinen Aeußerungen aus, sagte u.A., er hielte dergleichen »geistreiche Excurse« unsrer Sache nicht für förderlich. Meine eignen Gedanken bewegten sich zwischen dem Wunsche, Abgeordnete für eine energische nationale Politik zu gewinnen, und der Gefahr, den König in seiner vorsichtigen und gewaltsame Mittel scheuenden Veranlagung mißtrauisch gegen mich und meine Absichten zu machen. Um dem vermuthlichen Eindruck der Presse auf ihn bei Zeiten entgegen zu wirken, fuhr ich ihm nach Jüterbog entgegen.
Ich hatte einige Mühe, durch Erkundigungen bei kurz angebundenen Schaffnern des fahrplanmäßigen Zuges den Wagen zu ermitteln, in welchem der König allein in einem gewöhnlichen Coupé erster Klasse saß. Er war unter der Nachwirkung des Verkehrs[218] mit seiner Gemahlin sichtlich in gedrückter Stimmung, und als ich um die Erlaubniß bat, die Vorgänge während seiner Abwesenheit darzulegen, unterbrach er mich mit den Worten:
»Ich sehe ganz genau voraus, wie das Alles endigen wird. Da vor dem Opernplatz, unter meinen Fenstern, wird man Ihnen den Kopf abschlagen und etwas später mir.«
Ich errieth, und es ist mir später von Zeugen bestätigt worden, daß er während des achttägigen Aufenthalts in Baden mit Variationen über das Thema Polignac, Strafford, Ludwig XVI. bearbeitet worden war. Als er schwieg, antwortete ich mit der kurzen Phrase »Et après, sire?« – »Ja, après, dann sind wir todt!« erwiderte der König. »Ja,« fuhr ich fort, »dann sind wir todt, aber sterben müssen wir früher oder später doch, und können wir anständiger umkommen? Ich selbst im Kampfe für die Sache meines Königs, und Ew. Majestät, indem Sie Ihre königlichen Rechte von Gottes Gnaden mit dem eignen Blute besiegeln, ob auf dem Schaffot oder auf dem Schlachtfelde, ändert nichts an dem rühmlichen Einsetzen von Leib und Leben für die von Gottes Gnaden verliehenen Rechte. Ew. Majestät müssen nicht an Ludwig XVI. denken; der lebte und starb in einer schwächlichen Gemüthsverfassung und macht kein gutes Bild in der Geschichte. Karl I. dagegen, wird er nicht immer eine vornehme historische Erscheinung bleiben, wie er, nachdem er für sein Recht das Schwert gezogen, die Schlacht verloren hatte, ungebeugt seihe königliche Gesinnung mit seinem Blute bekräftigte? Ew. Majestät sind in der Nothwendigkeit zu fechten. Sie können nicht kapituliren, Sie müssen, und wenn es mit körperlicher Gefahr wäre, der Vergewaltigung entgegentreten.«
Je länger ich in diesem Sinne sprach, desto mehr belebte sich der König und fühlte sich in die Rolle des für Königthum und Vaterland kämpfenden Offiziers hinein. Er war äußern und persönlichen Gefahren gegenüber von einer seltenen und ihm absolut natürlichen Furchtlosigkeit, auf dem Schlachtfelde wie Attentaten gegenüber; seine Haltung in jeder äußern Gefahr hatte etwas Herzerhebendes und Begeisterndes. Der ideale Typus des preußischen Offiziers, der dem sichern Tode im Dienst mit dem einfachen Worte »Zu Befehl« selbstlos und furchtlos entgegengeht, der aber, wenn er auf eigne Verantwortung handeln soll, die Kritik des Vorgesetzten oder der Welt mehr als den Tod und dergestalt fürchtet, daß die Energie und Richtigkeit seiner Entschließung durch die Furcht vor Verweis und Tadel beeinträchtigt wird, dieser Typus war in ihm im höchsten Grade ausgebildet. Er hatte sich bis dahin auf seiner Fahrt[219] nur gefragt, ob er vor der überlegenen Kritik seiner Frau Gemahlin und ob er vor der öffentlichen Meinung in Preußen mit dem Wege, den er mit mir einschlug, würde bestehen können. Dem gegenüber war die Wirkung unsrer Unterredung in dem dunklen Coupé, daß er die ihm nach der Situation zufallende Rolle mehr vom Standpunkt des Offiziers auffaßte. Er fühlte sich bei dem Porte-d'épée gefaßt und in der Lage eines Offiziers, der die Aufgabe hat, einen bestimmten Posten auf Tod und Leben zu behaupten, gleichviel, ob er auf demselben umkommt oder nicht. Damit war er auf einen seinem ganzen Gedankengange vertrauten Weg gestellt und fand in wenigen Minuten die Sicherheit wieder, um die er in Baden gebracht worden war, und selbst seine Heiterkeit. Das Leben für König und Vaterland einzusetzen, war die Pflicht des preußischen Offiziers, um so mehr die des Königs als des ersten Offiziers im Lande. Sobald er seine Stellung unter dem Gesichtspunkte der Offiziersehre betrachtete, hatte dieselbe für ihn ebenso wenig Bedenkliches wie für jeden normalen preußischen Offizier die instructionsmäßige Vertheidigung eines vielleicht verlorenen Postens. Er war der Sorge vor der »Manöverkritik«, welche von der öffentlichen Meinung, der Geschichte und der Gemahlin an seinem politischen Manöver geübt werden könnte, überhoben. Er fühlte sich ganz in der Aufgabe des ersten Offiziers der Preußischen Monarchie, für den der Untergang im Dienste derselben ein ehrenvoller Abschluß der ihm gestellten Aufgabe ist. Der Beweis der Richtigkeit meiner Beurtheilung ergab sich darin, daß der König, den ich in Jüterbog matt, niedergeschlagen und entmuthigt gefunden hatte, schon vor der Ankunft in Berlin in eine heitere, man kann sagen, fröhliche und kampflustige Stimmung gerieth, die sich den empfangenden Ministern und Beamten gegenüber auf das Unzweideutigste erkennbar machte.
Wenn auch die abschreckenden geschichtlichen Reminiscenzen, welche man dem Könige in Baden als Beweise beschränkter Ungeschicklichkeit vorgehalten hatte, auf unsre Verhältnisse nur eine unehrliche oder phantastische Anwendung finden konnten, so war unsre Situation doch ernst genug. Einzelne fortschrittliche Zeitungen hofften, mich zum Besten des Staates Wolle spinnen zu sehen, und am 17. Februar 1863 erklärte das Abgeordnetenhaus mit 274 gegen 45 Stimmen die Minister für verfassungswidrige Ausgaben mit ihrer Person und ihrem Vermögen haftbar. Mir wurde der Plan suggerirt, meinen Grundbesitz, um ihn zu retten, auf meinen Bruder zu übertragen; ich stand aber davon ab, weil mein Sitz im[220] Herrenhause an den selben geknüpft war. Die Cession an meinen Bruder, um das Object der bei einem Thronwechsel nicht absolut unmöglichen Confiscation meines Vermögens zu entziehen, hätte einen Eindruck von Aengstlichkeit und Geldsorge gemacht, der mir widerstrebte.
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