[307] Als es darauf ankam, zu dem Telegramm Napoleons vom 4. Juli Stellung zu nehmen, hatte der König die Friedensbedingungen so skizzirt: Bundesreform unter preußischer Leitung, Erwerb Schleswig-Holsteins, Oesterreichisch-Schlesiens, eines böhmischen Grenzstrichs, Ostfrieslands, Ersetzung der feindlichen Souveräne von Hannover, Kurhessen, Meiningen, Nassau durch ihre Thronfolger. Später traten andre Wünsche hervor, die theils in dem Könige selbst entstanden, theils durch äußere Einflüsse erzeugt waren. Der König wollte Theile von Sachsen, Hannover, Hessen annectiren, besonders aber Ansbach und Bayreuth wieder an sein Haus bringen. Seinem starken und berechtigten Familiengefühl lag der Rückerwerb der fränkischen Fürstenthümer nahe.
Ich erinnere mich, auf einem der ersten Hoffeste, denen ich in den 30er Jahren beiwohnte, einem Costümballe bei dem damaligen Prinzen Wilhelm, denselben in der Tracht des Kurfürsten Friedrich I. gesehen zu haben. Die Wahl des Costüms außerhalb der Richtung der übrigen war der Ausdruck des Familiengefühls, der Abstammung, und selten wird dieses Costüm natürlicher und kleidsamer getragen worden sein, als von dem damals etwa 37 Jahre alten Prinzen Wilhelm, dessen Bild darin mir stets gegenwärtig geblieben ist. Der starke dynastische Familiensinn war vielleicht in[307] Kaiser Friedrich III. noch schärfer ausgeprägt, aber gewiß ist, daß 1866 der König auf Ansbach und Bayreuth noch schwerer verzichtete als auf Oesterreichisch-Schlesien, Deutsch-Böhmen und Theile von Sachsen. Ich legte an Erwerbungen von Oesterreich und Bayern den Maßstab der Frage, ob die Einwohner in etwaigen Kriegen bei einem Rückzuge der preußischen Behörden und Truppen dem Könige von Preußen noch treu bleiben, Befehle von ihnen [ihm] annehmen würden, und ich hatte nicht den Eindruck, daß die Bevölkerung der Fürstenthümer, die in die bayrischen Verhältnisse eingelebt ist, in ihrer Gesinnung den hohenzollernschen Neigungen entgegenkommen würde. Das alte Stammland der Brandenburger im Süden und Osten von Nürnberg etwa zu einer preußischen Provinz mit Nürnberg als Hauptstadt gemacht, wäre kaum ein Landestheil gewesen, welchen Preußen in Kriegsfällen von Streitkräften entblößen und unter den Schutz seiner dynastischen Anhänglichkeit hätte stellen können. Die letztere hat während der kurzen Zeit des preußischen Besitzes keine tiefen Wurzeln geschlagen, trotz der geschickten Verwaltung durch Hardenberg, und war seither in der bayrischen Zeit vergessen, so weit sie nicht durch confessionelle Vorgänge in Erinnerung gebracht wurde, was selten und vorübergehend der Fall war. Wenn auch gelegentlich das Gefühl der bayrischen Protestanten verletzt wurde, so hat sich die Empfindlichkeit darüber niemals in Gestalt einer Erinnerung an Preußen geäußert. Uebrigens wäre auch nach einer solchen Beschneidung der bayrische Stamm von den Alpen bis zur Oberpfalz in der Verbitterung, in welche die Verstümmelung des Königreichs denselben versetzt haben würde, immer als ein schwer zu versöhnendes und nach der ihm innewohnenden Stärke gefährliches Element für die zukünftige Einigkeit zu betrachten gewesen. Es gelang mir jedoch in Nikolsburg nicht, dem Könige meine Ansichten über den zu schließenden Frieden annehmbar zu machen. Ich mußte daher Herrn von der Pfordten, der am 24. [Juli] dorthin gekommen war, unverrichteter Sache abreisen lassen und mich mit einer Kritik seines Verhaltens vor dem Kriege begnügen. Er war ängstlich, die österreichische Anlehnung vollständig aufzugeben, obgleich er sich auch dem Wiener Einfluß gern entzogen hätte, wenn es ohne Gefahr möglich; aber Rheinbunds-Velleitäten, Reminiscenzen an die Stellung, welche die deutschen Kleinstaaten unter französischem Schutze von 1806 bis 1814 gehabt hatten, waren bei ihm nicht vorhanden – ein ehrlicher und gelehrter, aber politisch nicht geschickter deutscher Professor.[308]
Dieselbe Erwägung, wie in Betreff der fränkischen Fürstenthümer, machte ich Sr. Majestät gegenüber geltend in Betreff Oesterreichisch-Schlesiens, welches eine der kaisertreuesten Provinzen, überdies vorwiegend slavisch bevölkert ist, und in Betreff der böhmischen Gebiete, welche der König auf Andringen des Prinzen Friedrich Karl als Glacis vor den sächsischen Bergen behalten wollte, Reichenberg, das Egerthal, Karlsbad. Es kam später hinzu, daß Karolyi jede Landabtretung kategorisch ablehnte, selbst die von mir ihm gegenüber berührte des kleinen Gebietes von Braunau, dessen Besitz für uns ein Eisenbahninteresse hatte. Ich zog vor, auch darauf zu verzichten, sobald das Festhalten den Abschluß zu verschleppen und die Gefahr französischer Einmischung zu verschärfen drohte.
Der Wunsch des Königs, Westsachsen, Leipzig, Zwickau und Chemnitz zur Herstellung der Verbindung mit Bayreuth zu behalten, stieß auf die Erklärung Karolyi's, daß er die Integrität Sachsens als conditio sine qua non der Friedensbedingungen festhalten müsse. Dieser Unterschied in der Behandlung der Bundesgenossen beruhte auf den persönlichen Beziehungen zum Könige von Sachsen und auf dem Verhalten der sächsischen Truppen nach der Schlacht bei Königgrätz, welche bei dem Rückzuge den festesten und intactesten militärischen Körper gebildet hatten. Die andern deutschen Truppen hatten sich tapfer geschlagen, wo sie in's Gefecht kamen, aber spät und ohne praktische Erfolge, und es waltete in Wien der den Umständen nach unberechtigte Eindruck vor, von den Bundesgenossen, namentlich von Bayern und Württemberg, unzulänglich unterstützt zu sein.
Das Generalstabswerk sagt unter dem 21. Juli:
»In Nikolsburg hatten seit mehreren Tagen Verhandlungen Statt gefunden, deren nächstes Ziel eine fünftägige Waffenruhe war. Vor Allem galt es, für die Diplomatie Zeit zu gewinnen. (Die Diplomatie hatte aber Angesichts der französischen Einmischung weniger Zeit zu verlieren als die Heeresleitung.) Jetzt, wo das preußische Heer das Marchfeld betrat, stand eine neue Schlacht unmittelbar bevor.«
Ich fragte Moltke, ob er unser Unternehmen bei Preßburg für gefährlich oder für unbedenklich halte. Bis jetzt hätten wir keinen Flecken auf der weißen Weste. Sei mit Sicherheit auf einen guten Ausgang zu rechnen, so müßten wir die Schlacht sich vollziehen, die Waffenruhe einen halben Tag später beginnen lassen; der Sieg würde unsre Stellung in der Verhandlung natürlich stärken. Im[309] andern Fall wäre besser auf das Unternehmen zu verzichten. Er gab mir die Antwort, daß er den Ausgang für zweifelhaft und die Operation für eine gewagte halte; aber im Kriege sei alles gefährlich. Dies bestimmte mich, die Verabredung über die Waffenruhe Sr. M. in der Art zu empfehlen, daß Sonntag den 22. Mittags die Feindseligkeiten eingestellt und nicht vor Mittags den 27. wieder aufgenommen werden sollten. Der General von Fransecky erhielt am 22. Morgens 71/2 Uhr die Nachricht von der an demselben Tage eintretenden Waffenruhe und die Weisung, damit sein Verhalten in Einklang zu bringen. Der Kampf, in welchem er bei Blumenau stand, mußte daher um 12 Uhr abgebrochen werden.
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