24. Der politische Zelotismus der Schule Schammaïs.

[797] Die aufgestellte Ansicht, daß die Schammaïten Zeloten waren, gehört nicht zu jenen Tatsachen, die sich mit bestimmten und vollen Zitaten belegen lassen, hat darum aber doch mehr Wahrscheinlichkeit als manche Annahme, die auf dem Buchstaben einer sagenhaften Notiz beruht. Man hat mir diesen Punkt streitig gemacht, obwohl er in sich selbst so viel Gewißheit trägt, daß alle diejenigen, welche mit den talmudischen Nachrichten von dem »Hause Schammaïs« vertraut sind, ihn sofort zugeben sollten. Ich bin daher genötigt, die Beweise dafür heranzubringen, die hoffentlich alle diejenigen, welche in den geschichtlichen Urkunden zwischen den Zeilen zu lesen verstehen, überzeugen werden.

1. Die Zeloten Juda b. Zippori und Matthia b. Margol oder Margalot, welche die Jugend in ihren Lehrhäusern gegen den römischen Adler an dem Frontispiz des Tempels aufgestachelt haben, waren Pharisäer, Ausleger des Gesetzes τῶν πατρίων ἐξƞγƞταὶ νόμων (Jos. Altert. XVII, 6, 2-4; jüd. Krieg I, 33, 2-3). Gehörten sie vielleicht zu den Hilleliten, zu jenen Friedenspredigern, zu jenen םיבולעו םיחונ, welche persönliche und politische Beleidigungen mit Gleichmut annahmen, und nicht vielmehr zu jenen heftigen Schammaïten, die ihre Ansicht durch Gewaltmittel zur Geltung brachten? Oder will man sich lieber eine dritte Gattung Pharisäer denken, welche von den Hilleliten und Schammaïten verschieden waren, um nur nicht einen realen Boden für geschichtliche Verhältnisse annehmen zu müssen? Man könnte sogar in Josephus' Worten, daß die beiden pharisäischen Aufwiegler am peinlichsten in den väterlichen Gesetzen waren: μάλιστα δοκοῠντες ἀκριβοῠν τὰ πατρία (jüd. Krieg 1. c.) die Schammaïten wiedererkennen. Sämtliche Pharisäer waren δοκοῠντες μετὰ ἀκριβείας ἐξƞγεῖσϑαι τὰ νόμιμα (o. S. 694); aber die Schammaïten waren es am meisten, μάλιστα, sie waren die םירימחמ, die Erschwerenden, Rigorosen. Zu diesen gehörten eben die Aufwiegler.

2. Noch bestimmter ergibt sich der zelotische Charakter eines Teils der Pharisäer aus einer Relation bei Josephus, deren Tragweite er selbst nicht verstanden hat. Er erzählt: Herodes, welcher vom ganzen Volke den Eid der Treue erzwungen und die Widerstrebenden hart gezüchtigt, habe Pollion und Sameas und die meisten ihrer Anhänger (τῶν ἐκείνοις συνδιατριβόντων πλείστους) wegen ihrer Eidverweigerung aus Rücksicht auf Pollion nicht den übrigen gleich bestraft (Ant. XV, 10, 4). An einer anderen Stelle (das.[797] XVII, 2, 4) berichtet er, daß mehr als 6000 Pharisäer, welche den Eid verweigert hatten, in Geldstrafe verfielen. Die Strafgelder habe Pheroras' Frau, die ihnen anhänglich gewesen, für sie erlegt. Im Eingang zu dieser Erzählung gibt Josephus zu verstehen, daß diese 6000 Pharisäer eine eigene Klasse gebildet haben, welche das väterliche Gesetz mit besonderer Genauigkeit beobachtete: καὶ ἦν γὰρ μόριόν τι Ἰουδαϊκῶν ἀνϑρώπων ἐπ᾽ ἀκριβώσει μέγα φρονοῠν τοῠ πατρίου νόμου, οἷς χαίρειν τὸ ϑεῖσν προςποιουμένων ὑπῆκτο ἡ γυναικωνῖτις. Schon aus dieser Schilderung ist eine Klasse der Pharisäer zu erkennen, welche es noch skrupulöser mit dem Gesetze nahm. Die darauffolgende Schilderung weist aber geradezu auf ihre zelotische Gesinnung mit Fingern: »Sie werden Pharisäer genannt, sie haben den Königen, so viel sie vermochten, ganz besonders entgegengehandelt, vorsorglich und offen erhoben sie sich, Krieg zu führen und Schaden zuzufügen (nämlich den Königen und Kaisern). Φαρισαῖοι καλοῠνται, βασιλεῠσι δυνάμενοι μάλιστα ἀντιπράσσειν, προμƞϑεῖς καὶ ἐκ τοῠ προὔπτου εἰς τὸ πολεμεῖν τε καὶ βλάπτειν ἐπςρμένοι«. Das will doch nichts anderes sagen, als daß ein Teil der Pharisäer, damals 6000 stark, zu den Zeloten gehörte, den Königen und Kaisern kräftigen Widerstand geleistet und dem Herodes den Eid verweigert hat und deswegen in Strafe genommen worden ist. Was Josephus noch von diesen Pharisäern erzählt, paßt nur auf Schammaïten. Die dem Hofe nahestehenden Weiber waren ihnen anhänglich. Dazu gehörte Pheroras' Frau und Schwiegermutter. Sie waren ihnen anhänglich, weil sie glaubten, daß sie wegen ihrer rigorosen Frömmigkeit ganz besonders bei Gott beliebt seien und die Zukunft zu erschauen vermöchten. Einige dieser Pharisäer hatten Pheroras' Frau vorgeredet, Herodes und seine Nachkommen würden untergehen, und die Herrschaft werde ihr und ihren Kindern zufallen. Deswegen hat sie für sämtliche Pharisäer dieser Observanz die Strafgelder wegen Eidesverweigerung erlegt. Auch mit andern Höflingen haben sie Intriguen angeknüpft. Einem Eunuchen Bagoas, einem Liebling Herodes', verhießen sie Manneskraft, Kinder und Herrschaft. Allerdings haben nicht sämtliche 6000 Pharisäer diese schwindelhaften Intriguen eingefädelt, sondern nur einige von ihnen, und die schuldig Befundenen ließ Herodes hinrichten. Aber diese Schwindeleien haben sie doch nur aus ingrimmigem Haß gegen Herodes, d.h. aus politischem Zelotismus, getrieben, und sie fanden nur Glauben wegen ihrer übertriebenen Frömmigkeit.

So weit wir die Schule Hillels und ihre Äußerungen kennen, können sich die Jünger derselben unmöglich in ein solches unwürdiges Spiel eingelassen haben. Folglich können es nur Anhänger des Hauses Scham maï gewesen sein. Tertium non datur.

3. Den Mitstifter der Zelotenpartei nennt Josephus den Pharisäer Sadduk (Alterth. XVIII, 1, 1). Er und Juda, der Gaulanite oder der Galiläer aus Gamala, haben zuerst das Volk gegen den Zensus aufgewiegelt. Die Identität dieses Sadduk mit dem קודצ 'ר יאמש דימלת (Jebamot 15 b) dahingestellt, so war er doch sicherlich kein Hillelite, mithin viel eher als Schammaïte zu denken.

4. Von den Zeloten berichtet Josephus, sie hätten den Sabbat unter allen am strengsten beobachtet, und dennoch hat sie der Eifer getrieben, die Religion zu verletzen, am Sabbat zu kämpfen und Cestius' Heer am Sabbat mit Ungestüm zum Weichen zu bringen (jüd. Krieg II, 19, 2): ἦν γὰρ δὴ τὸ μάλιστα παρ᾽ αὐτοῖς ϑρƞσκευόμενον σάββατον. Ο δὲ ἐκσείσας αὐτοὺς τῆς εὐσεβείας ϑυμὸς ἐποίƞσε πλεονεκτῆσαι καὶ κατὰ τὴν μάχƞν. Welche [798] Schule hat die strengen Sabbatgesetze eingeführt? Die Schammaïten; man vgl. den ersten Abschnitt des Traktats Sabbat. Ihre Strenge ging soweit, daß sie für unerlaubt hielten, am Sabbat Almosen zu bestimmen, selbst zur Verlobung von Waisen, und für einen Kranken ein Gebet um Genesung zu verrichten: הקדצ ןיקסופ ןיא םירמוא יאמש תיב שיא ןיב ןיכדשמ ןיאו המותיו םותי אישהל וליפא תבשב םיינעל תבשב הלוחה לע ןיללפתמ ןיאו ותשאל (Tossefta Sabbat c. 17; Sabbat 12a). Also die Zeloten waren die μάλιστα ϑρƞσκεύοντες σάββατον, d.h. Schammaïten. Und nun denke man an den Gegensatz. Dieselbe Schule, welche verbietet, nicht nur am Sabbat das Geringste zu tun und zu sprechen, was einen wochentäglichen Anstrich hat, sondern auch vor Sabbat eine Arbeit einzuleiten, die am Sabbat fertig werden könnte, dieselbe Schule hielt es für erlaubt, ja für eine Pflicht, am Sabbat Krieg zu führen, nicht bloß zur Notwehr, nein zum Angriff, zur Belagerung einer Stadt! היה ןכו תבשב וליפא התדר דע רמוא ןקזה יאמש (Sabbat 19a)233. Ist das nicht politischer Zelotismus? Der richtige Takt für geschichtliche Verhältnisse muß von diesem Beweise vollständig überzeugt sein.

5. Über das Kriegführen am Sabbat ist noch ein Wort zu bemerken. Nach Josephus (Alterth. XIV, 4, 2) und Dio Cassius (37, 16) hat Pompejus die Eroberung Jerusalems leicht ausführen können, weil die Belagerten an den Sabbaten die Gegenwehr unterließen. Die kasuistische Auslegung, daß am Sabbat Abwehr erlaubt, sonst aber alles andere verboten sei, wodurch Josephus das Verhalten der Belagerten motivieren will, scheint erklügelt zu sein. Der König Agrippa II. macht unter den Gründen zur geduldigen Unterwerfung unter Rom auch den geltend, daß die Judäer nicht imstande sein würden, den Krieg gegen die Römer mit Energie durchzuführen, da sie bei strenger Beobachtung des Sabbats die Waffen an diesem Tage würden ruhen lassen müssen, wie es ihnen unter Pompejus erging (Τƞροῠντες μέν γε τὰ τῶν ἑβδομάδων ἔϑƞ, καὶ πρὸς μƞδεμίαν πρᾶξιν κινούμενοι, ῥᾳδίως ἁλώσεσϑε, καϑάπερ οἱ πρόγονοι Πομπƞΐῳ (jüd. Krieg II, 16, 4; Haverc. II, 190). So wenig war damals die Erlaubnis der Kriegführung am Sabbat durchgedrungen. Nur die Zeloten setzten sich über die Bedenklichkeit hinweg und kämpften ohne Skrupel am Sabbat wie an den Werktagen; doch wohl aus keinem andern Grunde, als weil sie nach der schammaïtischen Regel jede Art von Kampf, Angriff wie Verteidigung, für gestattet hielten! Auch dieses Moment würde den Schammaïtismus der Zeloten oder den Zelotismus der Schammaïten beweisen. Wenn es aber im ersten Makkabb. heißt (2, 41), Matthatias und seine Freunde hätten beschlossen, am Sabbat zu kämpfen, so war dieser Beschluß nur auf äußerste Notwehr beschränkt.

Der Zelotismus der Schammaïten, oder daß sie sich an dem Hasse gegen die Herodianer und Römer mit religiösem Patriotismus beteiligt haben, dürfte aus allen diesen Momenten hinlänglich erwiesen sein, und ist nicht, wie man mir zum Vorwurf machte, aus der Luft gegriffen. Vergl. noch Note 28.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1906, Band 3.2, S. 797-800.
Lizenz:
Faksimiles:
797 | 798 | 799 | 800
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon