4. Kapitel. Verfängliche Disputationen und Scheiterhaufen für den Talmud. (1236-1270.)

[83] Überhandnehmende Verfolgung der Juden. Papst Gregors IX. Milde gegen die Juden um Geldbestechung. Kaiser Friedrich II. und seine jüdischen Hofgelehrten, Jehuda Ibn-Matka und Jakob Anatoli. Seine Engherzigkeit gegen Juden. Das Judenstatut Friedrichs von Österreich. Die Märtyrer von Fulda und des Kaisers Dekret. Die Märtyrer von Aquitanien und der Papst Gregor IX. Judenfeindlichkeit des französischen Königs Ludwig des Heiligen. Verschwörung gegen den Talmud. Der Apostat Nikolaus Donin. Verurteilung des Talmuds. Disputation am französischen Hofe zwischen R. Jechiel von Paris und Nikolaus Donin. Der erste Scheiterhaufen für den Talmud in Paris. Die Reue des Jona Gerundi. Juden und Mongolen. Die Märtyrer von Frankfurt a.M. Die Rabbinersynode. Die Kirche gegen die Praxis der jüdischen Ärzte. Mose Ibn-Tibbon und Schem-Tob Tortosi. Die päpstliche Bulle zugunsten der Juden gegen die Blutanklagen. Neue Verurteilung des Talmuds. Vertreibung der Juden aus einem Teile Frankreichs und ihre Rückkehr. Die letzten französischen Tossafisten, Samuel von Falaise, Eliëser von Touques, Mose von Evreux, Isaak und Perez von Corbeil. Die Juden Englands. Die Großrabbinen; das jüdische Parlament. Die Juden in Spanien. Die Gemeinde von Sevilla. Meïr de Malea und seine Söhne. Alfonso der Weise. Die jüdischen Astronomen Don Juda Kohen und Don Zag Ibn-Said an seinem Hofe. Seine judenfeindlichen Gesetze. Die Juden in Aragonien. Der Dominikaner-General de Penjaforte und der Apostat Pablo Christiani. Nachmani und die Religionsdisputation in Barcelona. Pablo Christianis Missionsreisen und neue Anklagen gegen den Talmud. Die erste Talmud-Zensur. Nachmani veröffentlicht den Vorgang bei der Disputation und wird vom Papst und König verfolgt. Seine Auswanderung nach Palästina. Die Mongolen und ihre Verheerungen im heiligen Lande. Nachmanis Trauer über die Verödung. Seine letzten Leistungen, sein Einfluß und sein Tod. Tanchum von Jerusalem. Die Karäer. Der Fürst Abulfadhel Salomo und Aaron ben Jehuda aus Konstantinopel.


Während der Spaltung im Innern ging die vom Papsttum ausgestreute Giftsaat wucherisch auf. Judenverfolgungen, welche bis zu dieser Zeit nur vereinzelt vorkamen, häuften sich von jetzt an, wälzten sich von Ort zu Ort wie eine ansteckende Seuche und wurden von Jahr [83] zu Jahr blutiger und allgemeiner. Es ist wahr, Innocenz III. beabsichtigte keineswegs den Tod der Juden, sondern nur ihre Demütigung. Er wollte sie bloß unter die ländlichen Leibeigenen herabdrücken, so daß die ganze Wucht des Gesellschaftsgebäudes im Mittelalter, Fürsten und niederer Adel, die Geistlichkeit aller Grade, Bürger, Bauern auf ihnen laste und sie zu Jammergestalten zusammenpresse. Aber dem niederen Volke, das froh war, eine Menschenklasse noch tief unter sich zu sehen, an der es seinen plumpen Witz und seine ungeschlachten Fäuste üben könne, ihm genügte die Entwürdigung der Juden keineswegs. Die von der Kirche und der Gesellschaft Gebrandmarkten galten dem verdummten Volke als Auswürflinge, die man ohne Gewissensbisse wie räudige Hunde totschlagen dürfe. Allerlei Verbrechen wurden den Juden angedichtet und fanden Glauben. Hetzereien gegen Juden wegen Kindermordes wiederholten sich von Zeit zu Zeit, bald hier, bald dort1, mit einer solchen Selbstgewißheit, daß selbst gutgesinnte Christen irre wurden und dem Lügengewebe Glauben schenkten. Zwischen Lauda und Bischofsheim (im Badischen) wurde die Leiche eines Christen gefunden. Wer war der Mörder gewesen? Natürlich Juden. Auf diese durch nichts erwiesene Anschuldigung hin wurden in diesen beiden Städten jüdische Männer, Frauen und Kinder ohne Prozeß vom Pöbel und der Geistlichkeit überfallen und getötet. Dann erst machte man acht gelehrten und frommen Männern den Prozeß wegen Meuchelmordes an einem Christen (2. und 3. Januar 1235); sie wurden gefoltert und wahrscheinlich infolge ihres durch die Tortur erpreßten Geständnisses hingerichtet2. Die Plünderung jüdischer Häuser war die stete Begleiterin solcher Metzeleien. Die Juden der Nachbarschaft wandten sich hierauf flehend an den Papst Gregor IX. und ersuchten ihn, ihnen ein Privilegium zu erteilen, welches sie vor der Willkür des mordsüchtigen Pöbels und wahnbetörter Richter schützen sollte. Er ging auf ihr Gesuch ein und erließ eine Bulle an die Christenheit (vom 3. Mai 1235), welche Konstitution des Papstes Innocenz III. wiederholte und bestätigte (o. S. 5). Einige meinten, der Statthalter Christi habe sich durch eine bedeutende Geldsumme von seiten der Juden zur Erteilung der Bulle gewinnen lassen3; so wenig Rechtsgefühl war damals vorhanden. Indessen gleichviel, ob aus freien Stücken [84] oder aus Habgier erteilt, diese päpstliche Bulle blieb wie viele frühere zugunsten der Juden ohne Wirkung. Der Geist der Unduldsamkeit und des Judenhasses, der in den Schulen gelehrt und auf den Kanzeln von den Dominikanern gepredigt wurde, ging in das Blut über, und die edelsten Naturen konnten sich nicht frei davon halten. Was frommte es den Juden, daß sie verhältnismäßig die zahlreichsten Pfleger der Wissenschaft stellten und diese, sei es durch Übersetzungen und Erklärungen fremdsprachlicher belehrender Schriften, sei es durch Bearbeitungen – namentlich in der Arzneikunde – erst den Christen zugänglich machten, was frommte es ihnen, daß sie, wie die Handelsplätze mit Waren, so den Büchermarkt mit Geisteserzeugnissen versahen? Die Christen wußten ihnen keinen Dank dafür oder schlugen ihnen zum Lohne die Schädel ein.

Als ein lautsprechendes Zeugnis von dem Verhalten des Mittelalters in betreff der Juden kann das Benehmen des größten und gebildetsten deutschen Kaisers gegen sie angeführt werden. Friedrich II., der letzte Hohenstaufenkaiser, war der genialste und vorurteilsfreieste Monarch in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts. Mehr Sizilianer als Deutscher, liebte er die Wissenschaft und unterstützte die Männer des Wissens mit fürstlicher Freigebigkeit. Er ließ es sich angelegen sein, philosophische und astronomische Schriften aus dem Arabischen übersetzen zu lassen, und bediente sich auch kundiger Juden dazu. Der Kaiser stand in einem Briefwechsel mit einem jungen jüdischen Gelehrten, Jehuda ben Salomo Kohen-Ibn-Matka aus Toledo (geb. um 1215, schriftstellerte 1247)4. Obwohl Jehuda [85] Ibn-Matka ein Schüler des dem Maimuni so feindlichen Meïr Abulafia (o. S. 30) war und eine Neigung für die damals aufgekommene Kabbala hatte, so regte ihn doch Maimunis »Führer« zu philosophischen Studien an, und sie beschäftigten seinen Geist ernstlich. Freilich brachte er es zu keiner Selbständigkeit in den Wissenschaften und hat nur Verdienst als geschickter Übersetzer. Trotzdem imponierte sein Wissen dem Kaiser Friedrich so sehr, daß er ihm wissenschaftliche Fragen vorlegte, sich an seinen Antworten erfreute und ihn wahrscheinlich bewog, nach Italien (Toskana) auszuwandern. Jehuda Ibn-Matka hatte Zutritt zum kaiserlichen Hofe, vielleicht wegen seiner Kenntnisse in der Astrologie, der der Kaiser ergeben war.

Einen anderen jüdischen Gelehrten, Jakob Anatoli (Anatolio), ließ der Kaiser aus der Provence nach Neapel kommen und setzte ihm einen Jahrgehalt aus, damit er in Muße der Verdolmetschung arabischer Werke wissenschaftlichen Inhalts obliegen sollte5. Dieser Mann, mit seinem vollen Namen Jakob ben Abba-Mari ben Simon oder Simson (blühte um 1200-1250), war der Schwiegersohn des fruchtbaren Übersetzers, aber unfruchtbaren Schriftstellers Samuel Ibn-Tibbon, den die Maimunisten gesegnet und die Stocktalmudisten verwünscht haben. Anatoli war ihm wie ein Sohn seinem Vater ähnlich und gewissermaßen dessen Fortsetzer. Er hatte wie dieser keinen schöpferischen Geist, sondern war sozusagen ein Handwerker der Philosophie und beschränkte sich darauf, Schriften dieses Inhaltes aus dem Arabischen ins Hebräische zu übertragen. Er hatte sich dazu unter der Leitung seines Schwiegervaters und seines christlichen Freundes Michael Scotus6 befähigt. Für Maimuni hatte er eine so hohe Verehrung, daß er ihn den Propheten gleichstellte, war natürlich gegen dessen Verketzerer voller Entrüstung und meinte, die boshaften Frömmler würden auch David und Assaf verdammt haben, lebten sie [86] in dieser Zeit7. Mit den philosophischen Schlagwörtern deutete er die heilige Schrift in maimunischem Geiste, suchte die Wunder so viel wie möglich auf natürliche Vorgänge zurückzuführen, war mit einem Worte einer von denen, welche das Judentum verflachten. In diesem Sinne hielt er öffentliche Vorträge an Sabbaten und Festtagen und sammelte sie zu einem Werke (Malmed)8, das trotz seiner Mittelmäßigkeit ein Lieblingsbuch der Denkgläubigen der provenzalischen Gemeinden wurde.

Während des lebhaften Streites in der Provence um Maimuni war Anatoli indes vom Schauplatz entfernt und weilte in Neapel, wohin ihn der Kaiser Friedrich aus Marseille berufen hatte. Friedrich II. verwendete ihn, die aristotelischen Schriften mit den bis dahin in der Christenheit noch unbekannten Kommentarien des arabischen Philosophen Averroes (Ibn-Roschd) zu übertragen. Ein christlicher Gelehrter, wahrscheinlich des Kaisers Hofastrolog Michael Scotus, übersetzte diese Schriften, wahrscheinlich unter Anatolis Anleitung, ins Lateinische9.

[87] Man sollte nun erwarten, daß Kaiser Friedrich eine günstige Stimmung für die Juden hätte hegen sollen. War er doch nicht allzu gläubig gegen die Glaubenslehren des Christentums. Wenn auch nur ein Teil von den Anklagen begründet war, welche die Zeitgenossen gegen seine Rechtgläubigkeit erhoben, so war er von der Wahrheit des Christentums keineswegs überzeugt: Der Papst Gregor IX., allerdings sein Todfeind, warf ihm geradezu vor, der Kaiser habe geäußert, die Welt sei von drei großen Betrügern, Mose, Jesus und Mohammed, getäuscht worden, von denen zwei rühmlich gestorben, der dritte aber am Kreuze geendet habe. Der Kaiser habe ferner gesagt, nur Dummköpfe könnten glauben, der Geist des Himmels und der Erde sei durch den Leib einer Jungfrau zur Welt gekommen10. An dem Unglauben der Juden konnte er also nicht allzu sehr Anstoß genommen haben. Und dennoch war der Kaiser Friedrich fast nicht minder judenfeindlich als sein Gegenfüßler, der bigotte Ludwig der Heilige von Frankreich. Ein Todfeind des Papsttums, das seinen Unternehmungen auf allen Wegen hinderlich war, führte er doch in seinen Staaten den kanonischen Beschluß durch, die Juden von öffentlichen Ämtern auszuschließen11, mit Ausnahme eines jüdischen Münzschreibers in Messina. In seiner Hauptstadt Palermo wies er die Juden in ein Ghetto12, eine Unduldsamkeit, welche sogar die der Päpste damaliger Zeit übertraf. In Österreich wurden die Juden damals unter den Babenbergischen Landesfürsten zu Ämtern zugelassen. Der Erzherzog Friedrich I., der Streitbare, welcher den Welthandel zwischen dem Morgenlande, Venedig und Europa überhaupt durch sein Land zu leiten bestrebt war, erkannte den Wert der Juden als Förderer des Reichtums, ließ seine Finanzen von jüdischen Beamten verwalten13 und erteilte ihnen Ehrentitel. Zwei Brüder Lublin und Nekelo nannten sich [88] offiziell Kammergrafen des Herzogs von Österreich14. Der Kaiser Friedrich II. erteilte freilich der Gemeinde von Wien eine Art Schutzprivilegium (1238). Was enthielt dieses Privilegium, welches aussagt, daß der Kaiser die Juden in seine Gunst genommen habe? Zunächst daß sie Kammerknechte sind, und daß sie gegen Totschlag und gewaltsame Taufe sichergestellt sein sollen. Dagegen enthält es kein Wort von Freiheit der Juden, nicht einmal, daß sie christliche Dienstboten und Arbeiter halten dürften15. Der intolerante Sinn dieses Kaisers tritt recht grell hervor, wenn man mit seinem Privilegium das Rechtsstatut vergleicht, welches der Erzherzog Friedrich sechs Jahre später (1244) den Juden seines Landes erteilte, das von Gerechtigkeitsliebe und Menschlichkeit eingegeben scheint und Muster für solche Fürsten wurde, welche ihre Juden vor Unbill und Mißhandlungen schützen wollten. Dieses aus dreißig Paragraphen bestehende Statut16 sollte zunächst die jüdischen Bewohner Österreichs vor Totschlag und Verwundung sicherstellen. Der Christ, der einen Juden tötet, sollte dem Tode, und der einen ver wundet, einer hohen Geldstrafe verfallen oder seine Hand verlieren. Wenn der Mörder eines Juden nicht durch Beweismittel des Verbrechens überführt werden könne, aber verdächtige Anzeichen sprächen gegen ihn, so dürften die Verwandten oder Freunde des Juden einen Zweikämpfer gegen den Angeschuldigten stellen. Ein Christ, der an eine Jüdin Hand anlege, sollte sie verlieren. Schwere Anklagen gegen Personen oder Eigentum eines Juden sollten nicht durch christliche Zeugen allein entschieden werden, wenn nicht ein jüdischer Mitzeuge das Vergehen bestätigt. Ein Christ, der ein jüdisches Kind entführe (zur gewaltsamen Taufe), sei wie ein Dieb zu bestrafen. Das Statut Friedrichs des Streitbaren bewilligte den Juden auch eigene Gerichtsbarkeit, so daß den Landesrichtern keine Gewalt über sie zustände. Die Bethäuser und Begräbnisplätze der Juden sollten auch von Christen geachtet werden, und schwere Strafen wurden gegen Angriffe darauf verhängt. Das Statut gewährte ferner allen Juden freien Durchzug und Handel durchs Land, auch das Vorrecht, Geldgeschäfte gegen Unterpfand zu betreiben. Der Wucher wurde zwar [89] beschränkt, aber doch hoch genug zugelassen. Das Pfandrecht jüdischer Gläubiger schützte dieses Statut mit besonderer Sorgfalt wie den Augapfel, als wenn es für die Juden und den Herzog das Allerwichtigste gewesen wäre. Selbst das Führen jüdischer Leichen von Ort zu Ort wollte dieses Gesetz gegen Gelderpressungen von seiten der Christen sicherstellen. Der Erzherzog Friedrich bemerkte dabei, daß er den Juden diese Rechte einräume, damit auch sie »seiner Gnade und seines Wohlwollens teilhaftig werden sollten«17. Dieses Statut kam auch den Juden anderer Länder zustatten, denn schon in zwei Jahrzehnten wurde es in Ungarn, Böhmen, Großpolen, Meißen und Thüringen und später auch in Schlesien eingeführt18.

Ein kleiner Herzog gab das Beispiel, die Juden durch Gesetze gegen Willkür zu schützen. Der mächtige Kaiser Friedrich II. dagegen verbot Friedrich dem Streitbaren seine Judenfreundlichkeit und erließ ein Gesetz, er, der aus der Kirche ausgestoßen war, daß die Juden Österreichs von allen Ämtern ferngehalten werden sollten, damit sie, welche zur ewigen Knechtschaft verdammt seien, nicht durch ihre Amtsgewalt die Christen unterdrückten19. Mit besonderer Befriedigung betonte er den Satz, daß die Juden, wo sie sich immer befinden möchten, Kammerknechte des Kaisers seien20. Er hielt sich so streng an die kanonischen Gesetze des Laterankonzils gegen sie, daß er, eifriger als die spanischen Könige, das Tragen besonderer Abzeichen für die Juden seiner Erblande einschärfte21. Diese bedrückte er überhaupt durch hohe Steuern. Er erlaubte zwar denen, welche wegen des Fanatismus der Almohaden von Afrika nach Sizilien ausgewandert waren, sich daselbst niederzulassen; aber während er anderen Ansiedlern zehnjährige Steuerfreiheit bewilligte, belastete er die jüdischen Ankömmlinge sogleich mit Besteuerungen und beschränkte sie auf den Ackerbau22. [90] Er sagte zwar seinen Kammerknechten besonderen Schutz zu. Nichtsdestoweniger behandelte er die Juden wie eine verachtete Menschenklasse.

Friedrichs vorurteilsvolle Denkweise in betreff der Juden beleuchtet besonders ein trauriger Vorfall in Fulda. Fünf junge Söhne eines Müllers waren Weihnachten (1235) außerhalb der Stadt erschlagen worden, während die Eltern in der Stadt waren. Der Verdacht fiel auf zwei Juden, und der unglückselige Argwohn fügte gleich hinzu, sie hätten den Kindern das Blut abgezapft und es in gewichsten Säcken gesammelt, um es für das Passahfest aufzubewahren. Man weiß nicht, ob man mehr die Wahnbetörten oder die Schlachtopfer bedauern soll. Durch diesen Verdacht angetrieben, überfielen die angesammelten Kreuzfahrer und Bürger die Gemeinde von Fulda (28. Dezember)23, töteten vierunddreißig Männer und Frauen und darunter auch mehrere, welche aus Frankreich zur Zeit der Vertreibung unter Philipp August eingewandert waren. Hätten sich nicht einige menschlich gesinnte Bürger und der Magistrat ihrer angenommen, so wären noch mehrere Märtyrer gefallen. Die Juden beklagten sich darüber beim Kaiser, und dieser, welcher sich seiner Kammerknechte, die ihm Geld einbrachten, annehmen mußte, machte den Abt Konrad de Mulcoz dafür verantwortlich. Der Abt wollte die Mörder entschuldigen und ließ die Leichname der Knaben vor das Angesicht des Kaisers nach Hagenau bringen. Da nun die Juden über Gewalttätigkeit der Christen und die Christen von Fulda über Meuchelmord der Juden klagten, so sah sich der Kaiser veranlaßt, eine Untersuchungskommission von gelehrten Männern zusammentreten zu lassen, welche die Frage beantworten sollten, ob die Juden wirklich, wie das Gerücht verlautet, Christenblut zu ihrem Passahmahle gebrauchten. In diesem Falle wollte er sämtliche Juden seines Reiches vertilgen. Das Schicksal der deutschen und italienischen Gemeinden hing also von der Unparteilichkeit der Richter ab. Und sie entschieden unparteiisch. Der Spruch lautete, sie könnten nichts Gewisses darüber entscheiden, ob die Juden wirklich Christenblut tränken. So beruhigte sich der Zorn des Kaisers. Dennoch zog er von den Juden bedeutende Summen als Strafgelder24 dafür ein, daß das unschuldige Blut ihrer Brüder vergossen worden war. Die Totenfeier der deutschen Gemeinden hatte neue Märtyrer, die von Fulda, zu den alten nachzutragen. Lasset nur viel Raum in euren Memorpergamenten, denn ihr werdet noch viele, viele darin einzuzeichnen haben! Die blutigsten Jahrhunderte für das arme Haus [91] Jakob sind erst im Anzuge. Die drei Mächte der Christenheit, die Fürsten der Kirche und das Volk vereinigten sich fortan, das schwächste der Völker zu verderben.

Als der Papst Gregor IX. wiederum einen Kreuzzug predigen ließ, überfielen die in Aquitanien angesammelten heiligen Krieger die jüdischen Gemeinden in Anjou, Poitou, in Bordeaux, Angoulème, Saints und anderen Städten, um sie zur Annahme der Taufe zu zwingen. Da aber die Juden in ihrem Glauben standhaft blieben, so verfuhren die Kreuzfahrer mit unerhörter Grausamkeit gegen sie, zertraten viele von ihnen unter Rosses Hufen, schonten weder Kinder noch Schwangere, ließen ihre Leichen unbegraben zum Fraß für wilde Tiere und Vögel liegen, zerstörten heilige Schriften, verbrannten die Häuser der Juden und bemächtigten sich deren Habe. Mehr als dreitausend kamen bei dieser Gelegenheit um (Sommer 1236), mehr als fünfhundert gingen indes zum Christentum über. Wiederum beklagten sich die übriggebliebenen Juden über die erlittene Grausamkeit beim Papste. Dieser sah sich veranlaßt, ein Sendschreiben an die Kirchenfürsten von Bordeaux, Angoulème und anderen Bistümern und auch an den König Ludwig IX. von Frankreich darüber zu erlassen (Sept. 1236), die Vorfälle zu beklagen und sie zu bedeuten, daß die Kirche weder die Vertilgung der Juden, noch ihre gewaltsame Taufe wünsche25. Was vermochten aber solche gelegentliche Ermahnungsschreiben gegen den von der Kirche gehegten Abscheu wider die Juden! Der sonst edle und gutmütige König Ludwig IX. war von diesem Abscheu so sehr beherrscht, daß er keinen Juden ansehen mochte. Er begünstigte die Bekehrung der Juden auf jede Weise und ließ die Kinder der bekehrten Väter dem Herzen der dem Judentume treu gebliebenen Mütter entreißen26. Die Juden hatten nur ein einziges Mittel, um die gegen sie aufgestachelte Wut zu beschwichtigen – das Geld. Damit gewannen die von England den König Heinrich III., in seinen Ländern durch Herolde bekannt machen zu lassen, daß niemand den Juden etwas zuleide tun sollte. Aber dieses Mittel war ein zweischneidiges Schwert, daß sich gegen diejenigen kehrte, denen es zugute kommen sollte. Um viele Gelder zu erschwingen, waren die Juden genötigt, übermäßigen Zins zu nehmen, auch wohl zu übervorteilen. Dadurch zogen sie sich aber den Haß der Bevölkerung zu und setzten sich wiederum Mißhandlungen aus. Die öfteren Klagen über ihren Wucher veranlaßten Ludwig IX., diesen zu beschränken und öfter [92] einen Teil der Schulden zu kassieren. Als aber derselbe König Ernst machte, dem Wucher zu steuern, behaupteten die zur Beratung berufenen Barone, daß die Bauern und Kaufleute das Anleihen von Juden nicht entbehren könnten, und es sei besser, jüdische Wucherer zu dulden als christliche, welche die christlichen Schuldner mit noch drückenderen Wucherzinsen quälten27.

Bei allen diesen vielen Quälereien, Gehässigkeiten und Verfolgungen gab es noch einen Winkel, wo die Juden in fast seliger Stimmung sich frei fühlten und der Leiden vergessen konnten. Das Lehrhaus, wo sich alt und jung zum Talmudstudium versammelte, war eine Friedensstätte für sie. In der Vertiefung in den Gedankenstoff vergaßen die Talmudbeflissenen die Außenwelt mit ihrem giftigen Hasse, mit ihren hämischen Gesetzen, mit ihren Folterqualen. Hier waren sie Königssöhne, die Majestät des Gedankens umstrahlte ihre Stirn, die Freudigkeit geistiger Tätigkeit verklärte ihre Züge. Eine Schwierigkeit im Talmud zu lösen, eine Dunkelheit aufzuhellen, etwas Neues, was den Vorgängern entgangen war, zu finden, machte ihre Seligkeit aus. Nicht Amt und Würden erwarteten sie für ihre Gedankenanstrengung, keinen greifbaren Lohn erhielten sie für ihre Nachtwachen. Sie wollten nur ihren Wissensdrang befriedigen, ihrer religiösen Pflicht genügen und allenfalls sich der himmlischen Belohnung vergewissern. Das allerwichtigste Geschäft für alle war das Lernen, und die Blüte der Gelehrsamkeit war der Talmud. Sobald das Kind nur lallen konnte, wurde es am Wochenfeste des Morgens zuerst, mit verhülltem Gesichte, damit sein Auge nicht das Unheilige treffen sollte, aus dem Hause in die Synagoge oder in die »Schule« geführt. Dort wurde ihm das hebräische Alphabet in gerader und umgekehrter Ordnung und passende Verse vorgesprochen. Ein Honigkuchen und ein Ei, beide mit Schriftversen beschrieben, waren seine Belohnung28. Der Tag, an dem das Kind der Lehre zugeführt wurde, war ein Freudentag für die Eltern und die ganze Gemeinde. War ein Kind nicht ganz stumpf, so wurde es von der Bibel zum Talmud angeleitet. Der geachtetste Stand war der der Talmudbeflissenen. Ehrlosigkeit war das Los der Unwissenden (Am ha-Arez). Der geweckte Jüngling brachte viele Jahre, ja bis zu seiner Verheiratung, im Lehrhause zu, und bis ans Lebensende war der Broterwerb Nebensache, das Talmudstudium [93] Hauptzweck des Lebens. Diese verzehrende Beschäftigung mit dem Talmud war allerdings einseitig, aber sie hatte etwas Ideales. In dieses innere Heiligtum der Juden hatte bisher die feindliche Hand nicht eingegriffen. Die weltliche Macht kümmerte sich nicht darum, die Geistlichkeit hatte keine Gewalt über die inneren Angelegenheiten der Juden, hier prallte ihr Bannstrahl wirkungslos ab.

Dieser innere Frieden der Juden sollte aber ebenfalls gestört werden, auch aus dem Gedankenasyl sollten sie vertrieben werden. Die Anregung dazu ging von einem getauften Juden aus, der Weltliche und Geistliche gegen seine ehemaligen Glaubensgenossen aufreizte. Ein Mann namens Donin (oder Dunin), ein Talmudkundiger aus La Rochelle in Nordfrankreich, war in seinem Denken dahin gelangt, die Gültigkeit des Talmuds und der mündlichen Lehre überhaupt zu bezweifeln. Dafür wurde er von den französischen Rabbinen in den Bann getan. Ohne Anhalt in jüdischen und christlichen Kreisen entschloß sich Donin, die Taufe zu empfangen, und nahm den Namen Nikolaus an. Von Haß gegen die Rabbinen und den Talmud erfüllt, gedachte der Apostat, sich an beiden zu rächen. Wahrscheinlich von Geistlichen dazu aufgestachelt, hetzte er den großen Haufen gegen die Juden und ihre Schriften und veranlaßte die blutigen Verfolgungen in Anjou und Poitou durch die Kreuzfahrer29. Damit war aber sein Rachegefühl noch nicht befriedigt. Er begab sich zum Papst Gregor IX. und trat als Kläger gegen den Talmud auf, daß dieser das Wort der heiligen Schrift verdrehe, in den agadischen Partieen unwürdige Vorstellungen von Gott enthalte, nichtsdestoweniger von den Rabbinen noch höher geachtet sei, als die heilige Schrift und daß er endlich voll Schmähungen gegen den Stifter der christlichen Religion und gegen dessen Mutter sei. Nikolaus Donin bewies dem Papste, daß der Talmud allein die Juden in ihrer Halsstarrigkeit gegen die Annahme des Christentums bestärke; ohne denselben würden sie ihren Unglauben fahren lassen. Der leidenschaftliche Gregor ging bereitwillig auf die Anklage ein, ohne zu bedenken, daß Apostaten keine unparteiischen Zeugen gegen ihre ehemaligen Glaubensgenossen sein können. Er erließ sofort Handschreiben an die Kirchenfürsten von Frankreich, England, Kastilien, Aragonien und Portugal, setzte ihnen in fünfundzwanzig Artikeln die von Nikolaus erhobenen Anklagepunkte auseinander und befahl ihnen, am ersten Sonnabend der Fastenzeit des Morgens, wenn die Juden zum Frühgottesdienst in ihren Synagogen versammelt sein würden, [94] sämtliche Talmudexemplare zu konfiszieren und sie den Dominikanern und Franziskanern zu übergeben. An die Könige dieser Länder schrieb er ebenfalls und forderte sie auf, die Geistlichen mit dem weltlichen Arm zu unterstützen. Die Provinzialen der beiden Mönchsorden, welche die Inquisition über Bücher und Überzeugungen hatten, ermahnte der Papst, den Inhalt der talmudischen Schriften untersuchen zu lassen, und wenn sich Nikolaus Donins Anklagen bestätigen sollten, die Talmudexemplare öffentlich zu verbrennen (Mai bis Juni 1239)30. So war denn ein neuer Vernichtungsstreich gegen das Judentum im Anzuge; denn wenn dieser päpstliche Befehl konsequent durchgeführt worden wäre, so wäre das geistige Leben der Juden, damals einzig und allein auf dem Talmud beruhend, in seinem Innersten gefährdet worden. Der Papst übergab Nikolaus ein besonderes Schreiben an Wilhelm, Bischof von Paris, mit dem Bedeuten, in Frankreich, dem Hauptsitze der Talmudgelehrsamkeit, in der Urheimat der Tossafisten, mit Entschiedenheit gegen den Talmud aufzutreten.

Bei der Ausführung des päpstlichen Befehles zeigte es sich aber, daß der angebliche Stellvertreter Gottes auf Erden, selbst im Scheitelpunkt seiner Machtstellung, denn doch nicht so allmächtig war, als es den Anschein hatte. Nur da, wo Interessen und Leidenschaften im Spiele waren, gaben sich die Fürsten zu Werkzeugen päpstlicher Gewalttätigkeit her; sonst aber, wenn sie nicht besonders bigott waren, gingen sie auch im Mittelalter über päpstliche Dekrete mit Stillschweigen hinweg. In Spanien und England wurden die Befehle Gregors, den Talmud zu konfiszieren, gar nicht beachtet, wenigstens verlautet gar nichts von einem feindseligen Akt gegen denselben in diesen Ländern. Nur in Frankreich, wo der von Geistlichen beherrschte und verdummte Ludwig IX. eben scheinbar als mündiger König zu regieren anfing, wurde mit der Konfiszierung der Talmudexemplare Ernst gemacht. Ein Dominikaner Heinrich aus Cöln betrieb diese Angelegenheit mit dem seinem Orden eigenen Eifer. Die Juden wurden unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, die Exemplare herauszugeben. Dann wurde dem Talmud der Prozeß gemacht. Ein Tribunal wurde dazu eingesetzt von Walther (Gautier), Erzbischof von Sens, dem Bischof Wilhelm von Paris, dem Dominikaner Géoffroy von Bellvello, königlichem Kaplan, und anderen weltlichen wie Klostergeistlichen. Freilich verstanden die christlichen Theologen damals vom Talmud gerade so viel, wie von dem neuen Testament in der Ursprache. [95] Wie sollten sie sich durch selbständige Einsicht von der Verderblichkeit des Talmuds überzeugen? Sie luden also einige Rabbinen vor, legten ihnen die von Nikolaus Donin ausgezogenen und angeschuldigten Sätze vor und fragten sie, ob diese wirklich im Talmud enthalten seien. Die Rabbinen gestanden manches zu, verteidigten anderes und behaupteten namentlich, daß der Talmud ein heiliges, göttliches Buch sei, durch das das Verständnis und die Anwendbarkeit der heiligen Schrift und namentlich der Thora (des Pentateuchs) erst ermöglicht werde. Der Talmud wurde hierauf von dem Zensurtribunal zum Feuer verurteilt. Aber es fehlte noch viel, bis das Urteil vollstreckt wurde. Die Juden wußten nämlich einen Erzbischof, der dem König Ludwig nahe stand, zu erbitten – eine christliche Quelle sagt, durch eine Geldsumme zu bestechen – das Urteil zu kassieren und die Talmudexemplare ihren Besitzern wieder auszuliefern. Die französischen Juden, erfreut über den unerwartet günstigen Ausgang der ihrem Herzen so wichtigen Angelegenheit, setzten den Tag, an dem der Talmud dem Feuer entgangen war, als festlichen Gedenktag ein. Aber sie jubelten zu früh.

Der bigotte Sinn des Königs wurde nämlich durch ein zufälliges Ereignis wieder gegen den Talmud aufgestachelt. Derselbe Erzbischof, welcher sich für den Talmud verwendet hatte, starb in Gegenwart des Königs plötzlich unter den heftigsten Schmerzen. Der Beichtvater des Königs wird wohl nicht verfehlt haben, dem gedankenarmen Ludwig die Hölle heiß zu machen, daß jener Prälat für seine fluchwürdige Begünstigung der Juden seine Strafe erlitten habe. Der Dominikaner Heinrich und der Apostat Nikolaus Donin entwickelten eine unermüdliche Tätigkeit, den Befehl des Papstes zur Ausführung zu bringen. Der König ernannte darauf eine neue Kommission, in der auch der Kanzler der Pariser Universität Odo, Sitz hatte, und veranstaltete eine Disputation zwischen Nikolaus und vier französischen Rabbinen, um die Anklagepunkte noch einmal zu erhärten.

Diese vier Rabbinen, welche dazu berufen waren, als Anwälte für den Talmud zu fungieren, waren R. Jechiel aus Paris, R. Mose aus Coucy, welcher von seiner Missionsreise in Spanien zurückgekehrt war (o. S. 58), R. Jehuda ben David aus Melun und R. Samuel ben Salomo aus Château-Thierry. R. Jechiel wurde zum Sprecher erwählt, weil er redegewandter als seine Genossen war31. Die Disputation fand am königlichen Hofe [96] (Montag, 20. Tammus = 24. Juni 1240) in Gegenwart der klugen Königin-Mutter Blanche statt, welche tatsächlich die Regierungsgeschäfte leitete. Anfangs wollte R. Jechiel gar nicht Rede stehen. Er berief sich auf die Konstitution der Päpste, daß den Juden in ihren inneren Angelegenheiten Unabhängigkeit zugesichert sei. Er bemerkte, daß der Talmud ihr Lebenselement sei, für den sämtliche Juden zu sterben bereit seien. Die Königin beruhigte ihn aber, daß ihrem Leben keine Gefahr drohe; sie werde sie schützen, nur möge er auf alle an ihn gerichteten Fragen antworten. Als Nikolaus verlangte, daß R. Jechiel einen Eid ablegen sollte, nach bestem Wissen und Gewissen zu antworten, sonst sei zu befürchten, daß er durch Deuteleien und Ausflüchte der Wahrheit aus dem Wege gehen würde, verweigerte R. Jechiel den Eid. Er bemerkte nämlich, daß er in seinem Leben noch nicht geschworen habe und daß er den Namen Gottes nicht unnötig anrufen wolle. Darauf befreite ihn die Königin vom Eide. Die Disputation, die nun vor sich ging, drehte sich um die beiden Punkte, ob anstößige Stellen gegen die Gottheit und das sittliche Gefühl im Talmud vorkämen, und ob der Talmud Schmähungen gegen Jesus enthalte. Die Anschuldigungen wegen angeblich gotteslästerlicher und unsittlicher Äußerungen suchte R. Jechiel zu entkräften. In betreff des letzten Punktes behauptete er, daß allerdings im Talmud Gehässiges von einem Jesus, dem Sohne Pantheras, erzählt werde, daß dieses sich aber nicht auf Jesus von Nazareth beziehe, sondern auf einen Namensverwandten, der lange vorher gelebt habe. Er versicherte dieses ernstlich an Eidesstatt, weil ihn die Sage und die talmudische Chronologie irregeführt hatten, daß der im Talmud vorkommende Jesus nicht identisch mit dem Stifter des Christentums sei. R. Jechiel machte auch unter anderem geltend, daß der Kirchenvater Hieronymus und andere Kirchenlehrer, welche den Talmud gekannt hätten, nicht behauptet hätten, er enthalte Feindseligkeiten gegen das Christentum. Erst Nikolaus sei diese falsche Anklage vorbehalten geblieben, weil er Bosheit und Rachegefühl gegen seine ehemaligen Glaubensgenossen atme, die ihn wegen seines Unglaubens aus der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen hätten.

Der Ausgang dieser Disputation ist nicht bekannt; nur so viel weiß man, daß die Zensurkommission nichtsdestoweniger den Talmud zum Scheiterhaufen verdammte. Er wurde aber auffallenderweise erst einige Jahre später angezündet. Aus allen Teilen Frankreichs wurden wiederum auf eifrigen Antrieb des Mönches Heinrich die Talmudexemplare und verwandte Schriften aufgesucht, den Besitzern [97] mit Gewalt genommen, vierundzwanzig32 Wagen voll davon auf einem Platze in Paris zusammengebracht und an einem Tage (Freitag, Tammus = Juni 1242)33 den Flammen übergeben. Zwei junge Männer, eine Provenzale und ein Deutscher, Abraham Bedaresi und Meïr aus Rothenburg, dichteten Klagelieder34 auf diese Begebenheit. Ludwig erließ dabei ein Dekret, daß überall, wo noch Talmudexemplare gefunden würden, diese zu verbrennen seien, und die Juden, welche sie nicht herausgeben wollten, ausgetrieben werden sollten35. Der Schmerz der französischen Juden wegen dieser Vorfälle war groß. Es war, als wenn ihnen das Herz herausgerissen worden wäre. Die Frommen pflegten alljährlich den Tag des Brandes durch Fasten zu begehen.

Eine einzige gute Wirkung hatte der Scheiterhaufen für den Talmud; er entwaffnete nämlich zum Teil die Gegner der Maimunisten und beschwichtigte die heftigen Leidenschaften der feindlichen Parteien im Innern für den Augenblick. Von den Hauptgegnern der maimunistischen Richtung war nur noch Jona Gerundi am Leben, der erst jüngsthin (man sagte 40 Tage vor dem Verbrennen des Talmuds) die maimunischen Schriften durch die Hand der Dominikaner und Franziskaner in Paris hatte in Rauch aufgehen lassen. Als nun Jona die Gehässigkeit des inquisitorischen Mönchsordens gegen den von ihm hochverehrten Talmud gewahrte, bereute er es aus tiefstem Herzen, sie zu Werkzeugen seines Hasses gegen Maimuni gebraucht zu haben, und sah in dem Brande des Talmuds eine göttliche Strafe für das von ihm veranlaßte Verbrennen der maimunischen Schriften. Er war so sehr von seinem Unrechte durchdrungen, daß er seine Reue öffentlich in der Synagoge aussprach und seinen Entschluß zu erkennen gab, zu Maimunis Grab zu wallfahrten, dort sich trauerverhüllt niederzuwerfen und den Schatten des großen, frommen Mannes in Gegenwart von zehn Personen um Verzeihung zu bitten. Zu diesem Zwecke trat er sofort die Reise an, verließ Paris und berührte Montpellier wo er ebenfalls in der Synagoge seine Reue wegen seines Verfahrens[98] gegen Maimuni öffentlich aussprach36. Dieser Schritt versöhnte die Gemüter. Die Gegner ließen ihren Groll fahren und erkannten sich wieder als Brüder. Jona Gerundi konnte aber seinen Plan nicht ausführen, da er auf seiner Reise nach Palästina zuerst von der Barcelonaer Gemeinde und dann von der Toledaner inständigst angegangen wurde, in ihrer Mitte zu weilen und den so schwer bedrohten Talmud in Spanien zu lehren; er blieb. In seinen Vorträgen nannte er geflissentlich Maimunis Namen stets mit Ehrfurcht, wie den eines Heiligen. Diese Bekehrung fiel umsomehr ins Gewicht, als Jona eine rabbinische Autorität war und mehrere talmudische Schriften, die in großem Ansehen standen, verfaßte. Auch in diesen Schriften gab er seine Verehrung für Maimuni zu erkennen. Da er die Wirkung der Reue am tiefsten empfunden hatte, so verfaßte er zwei verschiedene Schriften über Reue und Buße nach talmudischer Norm37. Selbst Jonas Tod trug dazu bei, die Gemüter zu versöhnen. Er hatte nämlich seine Reise zu Maimunis Grab stets hinausgeschoben, und als er plötzlich an einer seltenen Krankheit starb, so waren selbst seine Freunde und Jünger überzeugt, daß ihn eine Strafe vom Himmel wegen seines unerfüllt gebliebenen Gelübdes getroffen habe. Infolge von Jonas reumütigem Verhalten gegen Maimuni wurde dessen Autorität immer mehr auch von französischen Rabbinen anerkannt, Maimunis Ansichten wohl noch wissenschaftlich angefochten, aber nicht mehr verdammt und verketzert.

Obwohl die Argusaugen der französischen Geistlichen darauf gerichtet waren, daß die Juden keine Talmudexemplare besitzen sollten38, so wußten diese doch sie ihrer Wachsamkeit zu entziehen, und vertieften sich nach wie vor in sie; sie konnten nicht davon lassen, es war ihr Lebensodem. Sicherlich kostete es ihnen viel Geld, im Geheimen dem Talmud obliegen zu können. Es wurde aber dem Papste Innocenz IV. verraten, daß die Juden sich heimlich der von der Kirche gebrandmarkten Schriften bedienten, und er, der mächtigste Fürst, hatte nichts Angelegentlicheres zu tun, als den König von Frankreich zu ermahnen, mit Strenge zu verfahren und die Exemplare aufsuchen zu lassen39. Bei Gelegenheit frischte er wieder das Haß atmende Gesetz auf, daß christliche Ammen kein jüdisches Kind nähren sollten.

[99] Solche beschränkende Gesetze wechselten mit blutigen Verfolgungen der Juden ab und wiederholten sich von jetzt an jahraus jahrein, bald hier bald dort, meistens jedoch in Deutschland, dessen von Natur sanftes Volk die unduldsame Kirche zu Tigern gemacht hatte. Als die Mongolen und Tataren, die wilden Krieger G'enkis-Chans, unter seinen Enkeln von China aus erobernde Einfälle in Europa machten, Rußland und Polen verheerten, sich bis zu den deutschslawischen Grenzen wälzten, Breslau verbrannten und in das Herz Deutschlands einzudringen Miene machten, klagte man die Juden an, daß sie diesen Feinden der Christenheit heimlich Unterstützung gewährten. Statt Anklage gegen den Kaiser Friedrich II. und den Papst zu erheben, welche wegen ihres hartnäckigen Haders das Vordringen der wilden Eroberer mit ansahen, schleuderte der Volkswahn auf nichts gegründete Anschuldigungen gegen die Juden Deutschlands. Es waren allerdings auch jüdische Krieger unter den Mongolen, die unabhängigen Stämme vom Lande Chorasan, oder, wie die Sage ging, Reste der Zehnstämme, welche in den kaspischen Gebirgen eingeschlossen waren. Möglich auch, daß einige tatarische und kumanische Stämme sich zum Judentum bekannt hatten. Wußten die deutschen Juden von ihren Stammesgenossen unter den mongolischen Horden? Standen sie gar mit ihnen in heimlichem Einverständnis? In Deutschland hieß es, die Juden hätten den Mongolen, unter dem Vorwande ihnen vergiftete Speisen zu liefern, Waffen aller Art in verschlossenen Fässern zustellen wollen. Ein strenger Grenzwächter, der darauf bestanden, die Fässer zu öffnen, habe den Verrat entdeckt. Daraufhin sind viele Juden in Deutschland zu strenger Strafe gezogen worden40.

In Frankfurt am Main, das unter allen rheinischen Städten am spätesten eine jüdische Gemeinde erhielt41 – wohl erst gegen Ende des zwölften Jahrhunderts, als sich die von Philipp August Ausgewiesenen nach einer neuen Heimat umsahen – brach ein Streit zwischen Juden und Christen aus, weil ein unmündiger jüdischer Knabe zum Christentum übergehen und die Eltern desselben es verhindern wollten (24. Mai 1241)42. Es kam infolgedessen zum Handgemenge zwischen [100] den jüdischen und christlichen Bewohnern der Stadt, wobei einige Christen und 180 Juden ums Leben kamen. Die letzteren hatten an ihre eigenen Häuser Feuer gelegt, wodurch fast die halbe Stadt ein Raub der Flammen wurde. Die noch übriggebliebenen Juden sahen sich stets vom Tode bedroht; darum ging ein Teil von ihnen (vierundzwanzig) zum Christentum über, darunter soll auch ein Rabbiner gewesen sein. Ein anderer Teil wandte sich an den deutschen König Konrad, Sohn des Kaisers Friedrich II., der die Tatsache nicht gleichgültig hinnahm, nicht weil unschuldiges Blut vergossen wurde, sondern weil das Reich viele steuerzahlende Kammerknechte eingebüßt hatte. Es wurde ein Prozeß eingeleitet, der damit endete, daß Konrad mehrere Jahre später den Frankfurter Bürgern für die dem kaiserlichen Hause geleisteten Dienste Amnestie erteilte und deren Bestätigung von seiten des Kaisers verhieß43.

Die gewaltsam Getauften nahmen natürlich jede Gelegenheit wahr, zum Judentum zurückzukehren Ein jüdisches Mädchen aus Frankfurt, welches als Braut mit ihrer Schwester getauft wurde, kehrte in den Schoß ihrer Religion zurück. Ihr Bräutigam hatte sich aber inzwischen in Würzburg anderweitig verheiratet. Als die Braut ihr Anrecht geltend machen wollte, brach ein Streit darüber unter den deutschen Rabbinen aus. Mehrere von ihnen, David ben Schaltiel, Meschullam ben David und Jehuda ben Mose Kohen aus der Rheingegend sprachen sich zugunsten der Braut aus, daß sie, als gewaltsam Getaufte, ihre Würdigkeit zu einer jüdischgesetzlichen Ehe keineswegs eingebüßt habe. Ihr ehemaliger Bräutigam müsse sich daher von seiner Frau scheiden und jene ehelichen. Die angesehenste rabbinische Autorität jener Zeit, Isaak ben Mose Or-Sarua44 aus Böhmen (ein Jünger des Jehuda Sir Leon von Paris), welcher die tossafistische Lehrweise nach dem deutschen Osten verpflanzt hat, war entgegengesetzter Ansicht. Er verfocht sie mit rabbinischen Gründen, daß eine Getaufte einer Geschändeten [101] gleich zu achten sei, die zu einer jüdischen Ehe nicht mehr zugelassen werden dürfe45. – Zwei Jahre nach der Frankfurter Metzelei wurden mehrere Juden in Kitzingen (Bayern) zuerst gefoltert und dann hingerichtet, aus unbekannter Veranlassung – wahrscheinlich wegen einer Anklage des Blutgebrauches beim Passahmahle – darunter manche vom schwachen Geschlechte (1243, 17. Tammus = 5. August)46. Die Leichname der Märtyrer blieben vierzehn Tage aufs Rad geflochten, und erst nach Verlauf dieser Zeit durften sie in Würzburg bestattet werden. – Ein Jahr darauf wurden mehrere Juden von Pforzheim dahin gebracht, sich selbst zu entleiben (20. Tammus 1244 = 28. Juni)47. Auch sie wurden nach dem Tode aufs Rad geflochten.

Trotz aller dieser grausigen Verfolgungen ließen die deutschen Rabbinen den Mut nicht sinken, ihren Pflichten obzuliegen und heilsame Verordnungen zu erlassen. Die von Speyer, Mainz und Worms, David ben Schaltiel und seine zwei Genossen, ferner Isaak ben Abraham und Joseph ben Mose Kohen, ein Vorsänger, traten zu einer Synode (in einer der drei Städte) zusammen (um 1245), erneuerten ältere Bestimmungen aus der Zeit des R'Gerschom, R'Tam und der Mainzer Synode vor zwanzig Jahren, und fügten neue hinzu, daß weder der Rabbiner ohne Zustimmung der Gemeinde, noch diese ohne jenen befugt sei, einen Bann über jemanden auszusprechen. Selbst wenn mehrere auswärtige Rabbinen einem Stadtrabbinen zu einem Banne zustimmen sollten, habe dieser keine Gültigkeit, solange die Gemeinde nicht damit einverstanden sei48. Welch ein tiefer Abstand zwischen der Synagoge und der Kirche! Hier galt die Gemeinde gar nichts, sie war nur gehorsame Sklavin der Geistlichen, dort war sie mit dem geistlichen Führer gleichberechtigt.

[102] Als hätten die Vertreter der Kirche den Juden noch nicht genug genommen, gingen sie darauf aus, ihnen noch die letzte einflußreiche Stellung in der christlichen Gesellschaft zu entreißen. Die Arzneikunde wurde meistens von Juden ausgeübt, fast jeder Fürst und Große hatte seinen jüdischen Leibarzt, der mehr oder weniger Einfluß auf das Gemüt desjenigen hatte, dessen Leib seiner Behandlung anvertraut war. Darum mochten eben die Vertreter der Kirche, welche selten sanft wie die Tauben, aber oft klug wie die Schlangen waren, diesen Einfluß der Juden auf die Machthaben nicht dulden. Die Kirchenversammlung zu Beziers faßte zuerst diesen Punkt ins Auge, die Juden von der Ausübung der Arzneikunde an Christen auszuschließen. Unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Narbonne erneuerte dieses Konzil – das auch allerhand Plackereien über die albigensischen Ketzer verhängte – sämtliche älteren Beschränkungen, daß die Juden nicht übermäßigen Wucher treiben, nicht christliche Dienstboten und Ammen halten, daß sie nicht zu Ämtern zugelassen werden, daß sie in der Karwoche nicht ausgehen, daß sie an die Kirchen jährlich sechs Denar auf die Familie zahlen, daß sie besondere Abzeichen (das Zeichen eines Rades) auf der Brust tragen, daß sie den Fleischverkauf nicht öffentlich halten sollten, und fügte eine neue kanonische Verordnung hinzu, bei Androhung der Exkommunikation, daß Christen sich nicht von jüdischen Ärzten behandeln lassen dürften (Mai 1246)49. Diese Beschränkung wurde auf einem anderen südfranzösischen Konzil wiederholt. Die Juden hatten die Arzneiwissenschaft in Südfrankreich in Flor gebracht. Die Tibboniden, Großvater, Sohn und Enkel, waren Lehrer der christlichen Ärzte, und nun sollte der dritte Tibbonide, Mose (blühte um 1245 bis 1275)50, der Übersetzer philosophischer und medizinischer Schriften, seine Kunst für christliche Kranke einstellen! Ein anderer medizinischer Schriftsteller und praktischer Arzt, Schem-Tob ben Isaak aus Tortosa (geb. 1206, schrieb um 1261 bis 1264)51, war Lehrer der Arzneikunde in Marseille für christliche Zuhörer und machte diese mit den Ergebnissen [103] der arabischen Schule bekannt. Dieser Arzt bietet ein lehrreiches Beispiel von dem Lerneifer der Juden. In der Jugend lediglich zum Talmudstudium angehalten, gab er es später auf, um Handelsgeschäfte zu betreiben, machte zu diesem Zwecke weite, überseeische Reisen und gelangte bis zu dem letzten Rest des ehemals christlichen Königreiches von Jerusalem, bis nach Jean d'Acre (Akko). Hier machte ihm ein Glaubensgenosse, der sich mit Mathematik beschäftigte, Vorwürfe darüber, daß er die Wissenschaft dem Broterwerb nachsetze. Schem-Tob Tortosi, obwohl bereits ein Dreißiger, änderte infolgedessen seinen Lebensplan, eilte von Akko nach Barcelona, machte das Studium zum Hauptgeschäft und den Broterwerb zur Nebensache, erlernte die Medizin und brachte es dahin, daß er die Schriften der besten arabischen Mediziner, Razi und Zaharawi, übertragen und über Arzneikunde überhaupt Vorträge halten konnte. Diese und mehrere andere jüdische Ärzte sollten nun infolge des Konzilbeschlusses von Beziers aus dem Tempel der Heilkunde gewiesen werden, zu dem sie in der Christenheit fast allein den Schlüssel hatten!

Indessen, wenn die Kirche auch die Seelen der Gläubigen gefangen und umnebelt hielt, deren Leib blieb stets ein Rebell gegen sie und ihre Satzungen. Dieses kanonische Gesetz konnte daher lange nicht Platz greifen. In der Krankheit suchte auch der bigotteste Christ den geschickten jüdischen Arzt auf. Als der Bruder des fanatischen Königs Ludwigs IX., unter dessen Schirm die judenfeindliche Kirchenversammlung zu Beziers und Alby getagt hatte, namens Alfonso, Graf von Poitou und Toulouse, an einem Augenübel litt, mußte er die Hilfe eines geschickten jüdischen Augenarztes, Abraham von Aragonien fast erbetteln. Der Herr von Lünel mußte sich viele Mühe geben und seinen jüdischen Hofagenten ins Mittel ziehen, um nur von dem reichen und unabhängigen jüdischen Arzte das Versprechen zu erhalten. [104] daß er den französischen Prinzen behandeln werde52. In Montpellier, wo eine berühmte medizinische Hochschule bestand, wurden jüdische Ärzte noch lange zur Prüfung, Praxis und sogar zur Lehrkanzel zugelassen53.

Die seit einem Jahrzehnt so häufig vorgekommenen Judenmetzeleien in Deutschland und Frankreich, meistens unter dem nichtigen Vorwande des Christenkindermordes, bewog die deutschen und französischen Gemeinden, sich an den Papst Innocenz IV. um Schutz zu wenden und ihm auseinanderzusetzen, wie alle Anschuldigungen gegen sie, daß sie Menschenblut und Menschenherzen genössen, eine lügenhafte Erfindung sei, lediglich erdacht, um Gelegenheit zum Morden und Plündern zu haben. Innocenz lebte damals halb im Exile in Lyon, wohin ihn sein Streit mit dem Kaiser Friedrich II. gebracht hatte. Er ging auf das Gesuch der Juden ein, sei es, daß es ihm in der Spannung mit fast allen weltlichen Mächten notwendig erschien, gerecht zu scheinen, oder daß die Juden ihm die Mittel geliefert hatten, nach denen er so sehr geizte, um seine erbitterten Gegner zu besiegen. Auf seine Geldgier wurde nämlich eine beißende Satire gedichtet54, wie die Göttin Pecunia die Welt regiert; ihr verschließt die Kirche nie ihren Schoß, und der Papst öffnet ihr willig seine Arme. Innocenz IV. erließ nun von Lyon aus (5. Juli 1247)55 an die Kirchenfürsten von Frankreich und Deutschland eine Bulle, worin zuallererst [105] offiziell die wiederholten unsinnigen und teuflischen Anschuldigungen gegen die Juden widerlegt werden. »Einige Geistliche und Fürsten, Edle und Mächtige eurer Länder erdenken, um das Vermögen der Juden ungerechterweise an sich zu reißen und sich anzueignen, gegen sie gottlose Ratschläge und erfinden Anlässe. ... Sie dichten ihnen fälschlich an, als wenn sie zur Passahzeit das Herz eines ermordeten Knaben untereinander teilten. Die Christen glauben, daß das Gesetz der Juden ihnen solches vorschreibe, während im Gesetze das Gegenteil offen liege. Ja, sie werfen den Juden boshafterweise einen irgendwo gefundenen Leichnam zu. Und auf Grund solcher und anderer Erdichtungen wüten sie gegen dieselben, berauben sie ihrer Güter, ohne förmliche Anklage, ohne Geständnis, ohne Überführung. Im Widerspruch mit den ihnen vom apostolischen Stuhl gnädig gewährten Privilegien, gegen Gott und seine Gerechtigkeit, bedrücken sie durch Nahrungsentziehung, Kerkerhaft, andere Quälereien und Drangsale die Juden, legen ihnen allerhand Strafen auf und verdammen sie zuweilen sogar zum Tode, so daß die Juden, obgleich unter christlichen Fürsten lebend, noch schlimmer daran sind, als ihre Vorfahren in Ägypten unter den Pharaonen. Sie werden gezwungen, das Land im Elend zu verlassen, in welchem ihre Vorfahren seit Menschengedenken wohnten. Da wir sie nicht gequält wissen wollen, so befehlen wir, daß ihr euch ihnen freundlich und günstig zeiget. Wo ihr ungerechte Angriffe gegen sie wahrnehmet, so stellet sie ab und gebt nicht zu, daß sie in Zukunft durch solche und ähnliche Bedrückungen heimgesucht werden. Die Bedrücker der Juden sollen mit dem Kirchenbann belegt werden.« Mit einer so entschiedenen Verurteilung der Blutanklage gegen die Juden, sollte man meinen, hätte der Wahnglauben ein für allemal abgetan sein sollen. Aber das Papsttum hatte bereits den Judenhaß so fest in die Herzen eingeimpft, daß ein milder [106] Ausspruch von Seiten des einen oder des andern Papstes wie ein Hauch in die Winde verflog.

Die günstige Stimmung des Papstes Innocenz gegen die Juden wollten die französischen Juden benutzen, um auch die Inquisition gegen den Talmud aufheben und die ihnen entrissenen Exemplare sich zurückerstatten zu lassen. Sie machten in einem Gesuche an den Papst wiederum dabei geltend, daß sie ohne den Talmud die Bibel nicht auslegen und ihre Religionsgesetze nicht ausüben könnten. Innocenz ging, im Widerspruch mit seinem früheren Verhalten, auch auf dieses Gesuch ein und schrieb an den Kanzler und Kardinal-Legaten Odo von Paris vorsichtig, er möge die talmudischen Schriften noch einmal prüfen lassen, und in so weit es ohne Verletzung der christlichen Religion geschehen könnte, sie dulden und den Eigentümern zurückgeben. Odo setzte infolgedessen neuerdings eine Kommission zusammen, bestehend aus mehr als vierzig Zensoren, darunter auch der Dominikaner Albertus der Große, welcher der jüdischen Wissenschaft so viel zu verdanken hatte. Nicht nur durch die Übersetzung arabisch-philosophischer Schriften, sondern auch durch eigene Arbeiten hatten ihn jüdische Denker in den Stand gesetzt, der christlich-scholastischen Philosophie eine neue Bahn zu eröffnen. Isaak Israeli, Gebirol (Avicebron) und namentlich Maimuni56, hatten ihm die Augen geöffnet, so weit natürlich die Binde seines blinden Kirchenglaubens sie ihm nicht beschattete. Dennoch waren dem Dominikaner Albert die Juden und der Talmud in tiefster Seele verhaßt. Es versteht sich von selbst, daß die hochwürdigen Mitglieder der Prüfungskommission, Albert der Große mit eingeschlossen, vom Talmud auch nicht ein Jota verstanden. Nichtsdestoweniger verdammten sie ihn als ein Buch, das voller Irrtümer, Unglauben, Lästerlichkeit und Albernheit sei. Der Kanzler Odo zeigte darauf Innocenz das Ergebnis der Prüfung an, erinnerte ihn an die Vorgänge unter Gregor IX., der sich so eifrig für die Verurteilung des Talmud interessiert hätte, gab ihm leise zu verstehen, daß er, der Papst, sich habe von den Juden verstricken lassen, und erließ als Kardinal-Legat ein Dekret, den Talmud keineswegs zu dulden und die konfiszierten Exemplare den Eigentümern nicht zurückzuerstatten (Mai 1248)57. Ohne Zweifel wurde zur selben Zeit wieder ein Scheiterhaufen für den Talmud angezündet.

[107] Überhaupt hatten die französischen Juden während Ludwigs IX. Regierung einen schweren Stand. Sein schwacher Geist ließ sich zu allen fanatischen Feindseligkeiten gegen Juden und Judentum gebrauchen. Er war in diesem Punkte buchstäblich noch päpstlicher als der Papst. Am meisten empört war er über den Wucherzins, den manche reiche Juden nahmen, nicht etwa weil die Bevölkerung dagegen war oder dabei Schaden erlitt, sondern weil die Kirche die Zinsnahme theoretisch verdammte, obwohl sie tatsächlich nicht selten Wucherer privilegierte. Als Ludwig den abenteuerlichen Einfall hatte, einen neuen Kreuzzug zu unternehmen, ließ er die Güter einiger Juden konfiszieren, um Geld zum Krieg zu haben. Als er zum Behufe des Kreuzzuges in Ägypten Krieg führte und in Gefangenschaft geriet (April–Mai 1250), und ihn die Mohammedaner neckten, daß er, der allerchristlichste König, die Feinde des Christentums in seinen Staaten duldete, erließ er einen Befehl, sämtliche Juden mit Ausnahme der Gewerbetreibenden, aus seinem Erblande zu verbannen58. Indessen hat seine kluge Mutter, die Königin Blanche, wohl schwerlich diesen unsinnigen Befehl ausgeführt. Nach dem Tode seiner Mutter und nach seiner Rückkehr (Dezember 1254) machte er aber mit der Austreibung der Juden Ernst59. Ihre liegenden Gründe, Synagogen und Begräbnisplätze wurden eingezogen. Was Philipp August aus scheinbarem Staatsinteresse, tat Ludwig, der kirchlich Heilige, aus Fanatismus. Aber auch damals, wie das erste Mal, war die Vertreibung der Juden weder ausgedehnt, noch von langer Dauer. Sie betraf wohl wiederum nur die in des Königs eigenem Gebiete Wohnenden, wovon noch diejenigen ausgenommen waren, welche von ihrer Hände Arbeit lebten. Wenige Jahre später ward den Ausgewiesenen gestattet, wieder zurückzukehren, und ihre Synagogen und Begräbnisplätze wurden ihnen wieder eingeräumt60.

Eine merkwürdige Erscheinung bleibt es, daß die innere Tätigkeit der französischen Juden, die scharfsinnige tossafistische Erläuterung des Talmuds, durch diese Plackereien keineswegs aufgehört, sondern, als ließe sie sich von nichts anfechten, noch eine Zeitlang fortgedauert hat. Der Talmud wurde verbrannt, die Lehre desselben neuerdings [108] von Ludwig verboten, und doch verfaßte gerade in dieser Zeit der fromme Wanderprediger R' Mose aus Coucy sein großes Gesetzeswerk (Sefer Mizwot Gadol)61, worin er die talmudischen Elemente in klarer Übersichtlichkeit mit Anschluß an die biblischen Religionsvorschriften und mit Zugrundelegung des maimunischen Religionskodex auseinandersetzte. Ein anderer bedeutender Talmudist, Samuel ben Salomo Sir Morel aus Falaise, veranstaltete in dieser Zeit der Talmudächtung (1242 bis 59)62 eine neue Tossafot-Sammlung (die zum Teil in die gangbare Sammlung aufgenommen wurde), obwohl er kein Talmudexemplar besaß63, weil es ihm die Häscher der Dominikaner genommen hatten, und er sich auf sein Gedächtnis verlassen mußte. Noch hatte R' Jechiel von Paris in seinem Lehrhause dreihundert Talmudjünger64, denen er, wahrscheinlich aus dem Gedächtnisse, Vorträge hielt. – Indessen konnte diese Tätigkeit nicht allzulange fortgesetzt werden, es waren der Hindernisse zu viele. Die französischen Gemeinden waren durch die häufigen Gelderpressungen und Güterkonfiskationen verarmt. Während sonst von Frankreich aus Gelder zur Unterstützung der asiatischen Juden gespendet worden waren, sah sich R' Jechiel genötigt, einen Sendboten nach Palästina und den Nachbarländern auszusenden, um Gelder zur Unterhaltung seines Lehrhauses sammeln zu lassen65. R' Jechiel selbst sah sich auch gezwungen, sein Geburtsland zu verlassen und nach Palästina (Jean d'Acre) auszuwandern (nach 1259)66. Er war einer der letzten Vertreter der französischen Tossafisten. Diese Schule, welche so viel Scharfsinn und kritischen Geist entwickelt hatte, ging indes doch allmählich ihrem Verfalle entgegen. Es war der Kirche gelungen, den talmudischen Geist in Frankreich, wo er seine Hauptstätte hatte, zu ersticken. Die [109] letzten Ausläufer der Tossafistenschule in Frankreich waren nur noch Sammler, um die Ergebnisse der vorangegangenen Leistungen unter Dach und Fach zu bringen. Von der Tatsache durchdrungen, daß das Talmudstudium abnahm, und die Rabbinen selbst nicht recht Bescheid wußten, verfaßte Isaak ben Joseph aus Corbeil, Jünger und Schwiegersohn des R' Jechiel aus Paris, ein kurzgefaßtes Handbuch für solche religiöse Pflichten, welche noch in der Zerstreuung praktische Geltung haben (Amude Gola Semak)67. Er gab sich Mühe, sein Buch so populär und bequem als möglich zu machen, weil er nicht mehr auf allgemeines, leichtes Verständnis rechnen konnte, und erließ ein Sendschreiben an die Gemeinden Frankreichs und Deutschlands, für Abschriften und Verbreitung seiner Schrift Sorge zu tragen. R'Mose aus Evreux, R' Elieser aus Touques (Normandie) R. Perez ben Elia aus Corbeil und andere legten ebenfalls, Tossafot-Sammlungen an68, ohne wesentlich Neues hinzuzufügen. Die tossafistische Richtung in Frankreich ging durch den Fanatismus der Bettelmönche und die Bigotterie des Königs Ludwig IX. unter.

Fast noch trostloser war die Lage der Juden in England in derselben Zeitepoche unter dem lange regierenden König Heinrich III. (1216-1272). Heinrich war zwar kein Tyrann, wie sein Vater Johann ohne Land, und war auch anfangs mild und freundlich gegen die Juden. So lange er unmündig war und der Regent Graf Marescall die Zügel führte, wurden sie mit voller Schonung behandelt. Erlasse gingen an die Scherifs, sie gegen Unbill von seiten des Pöbels zu schützen; die Geistlichen wurden eindringlich bedeutet, daß ihnen keine Gewalt über die Juden zustände69. Den auswärtigen Juden gestattete Heinrich oder der Regent volle Freizügigkeit für das ganze englische Gebiet, und den einheimischen verwehrte er – wohl nicht aus besonderer Zärtlichkeit – nach einem anderen Lande auszuwandern70. Wie sein Vater, so ernannte auch Heinrich einen Oberrabbiner für sämtliche jüdische Gemeinden (presbyter Judaeorum), zuerst einen Joceus (Jose?), dann Aaron von York und zuletzt Elias von [110] London71 – und zwar auf Lebensdauer. Der englische Großrabbiner hatte eine sehr bedeutende Machtbefugnis über die Gemeindeglieder. Er war zugleich königlicher Fiskal (justitiarius) über die Einkünfte des Königs von seiten der Juden. Er mußte mit einigen jüdischen oder christlichen Kollegen für das Eintragen der Besitztümer der englischen Juden in Rollen (rotuli), für die Ablieferung der Judensteuer an den Schatz (exchequer of the Jews) und für die Einziehung der dem königlichen Fiskus heimfallenden Güter solcher, die ohne Erben starben, Sorge tragen. Wollte sich der Oberrabbiner nicht mit Geldangelegenheiten befassen, so durfte er einen bevollmächtigten Stellvertreter ernennen72. Er hatte endlich die Befugnis, den Bann über solche Gemeindeglieder auszusprechen, welche sich seinen Anordnungen nicht fügen oder ihre Beiträge zu den Gemeindelasten nicht leisten wollten73. – Der Unduldsamkeit der Geistlichen steuerte Heinrich III. anfangs nachdrücklich. Als der Erzbischof von Canterbury einst, um den Umgang der Christen und Juden zu verhindern, ein Dekret erließ, bei Androhung des Kirchenbanns den Juden keinerlei Speise zu verkaufen, ließ der König das Interdikt aufheben74. Als die französischen Juden von den angesammelten Kreuzfahrern geplündert und niedergemetzelt wurden, sorgte er dafür, daß sich dieser Fanatismus nicht über sein Gebiet verbreite75.

Indessen dauerte diese rücksichtsvolle Behandlung der Juden nicht lange. Heinrichs III. sorgloser Leichtsinn, Verschwendung und Hingebung an Freunde, die ihn aussogen, namentlich an die zur Ausbeutung des reichen Landes vom Papste gesandten Legaten und Säckelträger wirkten auf England ebenso verderblich, wie eine anhaltende Plage und erzeugten Aufregung und Bürgerkriege. Auf einer Seite machte sich bei ihm das Bedürfnis nach Geld, nach recht viel Geld geltend, und auf der andern Seite stieg der Einfluß der Geistlichkeit auf den Staat immer mehr. Heinrich legte, um seine stets geleerte Kasse wieder zu füllen, den Juden auf, daß jeder derselben, selbst von dem neugeborenen Kinde, einen Leibzoll zu zahlen habe76. Von jeder Schuld, die zwischen Juden und Christen kontrahiert wurde, mußte ein Teil an den königlichen Schatz abgeliefert werden. Die Schuldverschreibungen an Juden wurden daher mit argwöhnischer [111] Überwachung kontrolliert, damit der König nicht um Summen geprellt werde. Sie mußten von mehreren Zeugen unterschrieben sein und Abschriften davon in das städtische Archiv niedergelegt werden77. – Aber die regelmäßigen Judensteuern genügten dem tief verschuldeten und verschwenderischen König lange nicht. Von den Gemeinden wurden daher bald unter dieser, bald unter jener Form bedeutende Summen erpreßt. Für Gelegenheit sorgte die Geistlichkeit. Bald wurde ihnen angedichtet, daß sie getaufte Juden bei seite gebracht, bald daß sie Christenknaben beschnitten hätten. Auf solche Anklagen hin wurden einzelne oder ganze Gemeinden eingekerkert und erst um hohes Lösegeld losgelassen78. Das alles war nicht neu. Originell ist aber, daß dieser König ein jüdisches Parlament zusammen berief. Er erließ nämlich an sämtliche englische Gemeinden einen Befehl, daß von jeder größeren je sechs angesehene Gemeindeglieder und von jeder kleineren je zwei sich Sonntag vor den Fasten in Worcester vor dem Könige einzufinden hätten. Das jüdische Parlament von Worcester zählte über hundert Deputierte. Der König hatte in seiner Botschaft an dasselbe angegeben, daß sie zu ihrem und seinem Nutzen Beratungen pflegen sollten. Aber die Juden haben sich wohl schwerlich der Täuschung überlassen, daß er ihnen Freiheiten einräumen werde. Heinrich pflegte sein Landesparlament nur zusammenzuberufen, wenn er in gar zu arger Geldverlegenheit war. Auch dem jüdischen Parlamente ließ er eröffnen, daß sie große Summen für ihn aufbringen sollten. Was sollten die Juden dagegen einwenden? Das Parlament wählte schließlich Vertrauensmänner, welche die Summen auf die Gemeinden verteilen und sie einziehen sollten. Die Sammler wurden verantwortlich gemacht und mit Kerkerstrafe für ihre Person, für ihre Weiber und Kinder bedroht, die aufgelegte Summe einzutreiben79. Als Heinrich die Juden genug ausgesogen hatte, und sein Schamgefühl ihn hinderte, von ihnen wieder Gelder zu erpressen, so verpfändete er sie seinem Bruder Richard, der noch weniger Rücksicht kannte80.

Dazu kam noch die Geistlichkeit mit ihren kanonischen Schindereien. Sie setzte es beim König, der ihr Spielball war, durch, daß die Juden kein neues Bethaus erbauen, in ihren Synagogen nicht laut beten, ganz besonders das Judenzeichen an ihren Kleidern tragen sollten81 und anderes mehr. Das Leben wurde ihnen durch diese [112] doppelte weltliche und geistliche Tyrannei so unerträglich, daß ihr Oberrabbiner mit andern Kollegen im Namen der Gemeinden zweimal erklärte, sie könnten den ihnen stets zugemuteten Leistungen nicht genügen, der König möge daher ihnen gestatten auszuwandern82. Wie traurig auch für sie die Auswanderung aus ihrem Geburtslande, von Haus und Hof sei, so zögen sie dies doch dem elenden Zustande vor, in dem sie sich befänden. Es half ihnen nichts. Die Juden mußten wider ihren Willen in England bleiben, mußten den letzten Pfennig hergeben und mußten wuchern, um den stets ausgepreßten Schwamm wieder zu füllen. Eine erhaltene Urkunde gibt eine Vorstellung von den Gelderpressungen, welchen Heinrich III. die Juden unterwarf. In sieben Jahren hatten sie 422000 Pfund Sterling, (beinahe neun Millionen Mark) aufbringen müssen83. Ein einziger Jude, Aaron von York, hatte dem König in sieben Jahren 30000 Mark Silbers und außerdem der Königin 200 Mark Goldes leisten müssen84. Weil der Oberrabbiner Elia von London die Gemeindeglieder nicht genug im Interesse des Königs schinden mochte, entsetzte ihn Heinrich seines Amtes und stellte es den Juden frei – für eine Summe – sich ihren Geistlichen selbst zu wählen85.

Inzwischen wurden in England wie überall Anschuldigungen wegen Christenkindermordes gegen die Juden erhoben. Die Dominikaner eiferten mit ihrer giftigen Beredsamkeit für Bestrafung derselben. Mehrere Juden wurden in den Kerker geworfen; aber die Franziskaner befreiten sie daraus. Der boshafte, zeitgenössische Mönch Matthäus Paris bemerkt dabei, die böse Welt meinte, die Minoritenmönche hätten sich ihre Freundlichkeit gegen die Juden bezahlen lassen86. Allein dieses beweist nicht die Schuld der Juden an Kindermord, sondern nur, daß die Franziskaner sich auch einmal für eine gerechte Sache gewinnen ließen. Die Wühlereien der fanatischen Dominikaner gegen die Juden hatten dem Volke einen so tiefen Haß gegen den jüdischen Stamm beigebracht, daß, als es in England zuerst gesetzlich als dritte Macht im Staate auftrat und sich gegen die königlichen Anmaßungen erhob, es zugleich über die Juden in London herfiel, ihre [113] Schätze raubte und 1500 derselben totschlug (Osterwoche 1264)87. Die übrigen Juden retteten sich nach dem Tower, wo sie der König schützen ließ; aber ihre Häuser fielen den räuberischen Baronen zu. Die Juden verarmten dadurch so sehr, daß sie ihre regelmäßigen Steuern nicht leisten konnten, und Heinrich mußte ihnen, um sie nicht ganz verarmen zu lassen, eine dreijährige Nachsicht gewähren (1268)88. König und Parlament verboten ihnen noch dazu, Lehnsgüter und überhaupt Häuser von christlichen Besitzern zu kaufen (1270)89. Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß die englischen Juden es zu keinerlei literarischer Tätigkeit gebracht haben. Ein Schriftsteller, Mose, Sohn Isaaks (Sohn des Fürsten?) aus England oder London, welcher um diese Zeit eine hebräische Grammatik geschrieben und ein hebräisches Lexikon hinterlassen hat (Sepher ha-Schoham)90, war ohne Zweifel aus Frankreich, da er die Wörter der Bibel in französischer Sprache erklärt hat.

Oberflächlich betrachtet und verglichen mit der Lage ihrer Brüder in England, Frankreich und Deutschland, lebten die Juden in Spanien in dieser Zeit wie in einem Paradiese. In Kastilien regierte damals ein König, den schon seine Zeitgenossen den Weisen nannten, Alfonso X. (1252-1284), der in der Tat die Wissenschaft liebte und förderte und nach dem Ruhme seiner mohammedanischen Vorgänger Abderrahman III. und Alhakem geizte. Wiewohl sein Vater, Ferdinand der Heilige – was immer so viel sagen will als der Unduldsame – den Juden nicht besonders hold war, so schien sein Sohn, der überhaupt mit ihm nicht stimmte, doch eine andere Richtung einschlagen zu wollen. Bei dem Kriegszuge gegen Sevilla, den er noch als Kronprinz leitete, waren auch jüdische Krieger unter seinem Heere. Bei der Einnahme dieser Stadt und bei der Verteilung der Ländereien an die Kämpfer bedachte der Infant Alfonso auch die Juden. Er wies ihnen Äcker zu, die ihnen in einem eigenen jüdischen Dorfe (Aldea de los Judios) ganz allein gehören sollten. Den Juden von Sevilla, die seiner Eroberung wahrscheinlich Vorschub leisteten, weil sie unter den Almohaden als Scheinmohammedaner [114] ein trübseliges Dasein führten, räumte er drei Moscheen ein, die sie in Synagogen verwandelten. Ein großer Stadtteil, durch eine Mauer von der übrigen Stadt getrennt, gehörte ihnen (unter dem Namen parternilla de los Judios)91. Aus Dankbarkeit überreichte die Gemeinde von Sevilla dem Sieger einen kostbaren, künstlich gearbeiteten Schlüssel mit einer hebräischen und spanischen Insprift: »Der König der Könige öffnet, der König des Landes wird einziehen«92. Als Alfonso zur Regierung gelangte, vertraute er Juden wichtige Ämter an. Ein gebildeter und talmudkundiger Mann, Don Meïr de Malea, wurde Schatzmeister dieses Königs und führte den Titel Almoxarif93. Er muß dieses Amt so gewissenhaft verwaltet haben, daß es auf seinen Sohn Don Zag (Isaak) überging. Es blieb eine ganz geraume Zeit stehende Sitte in Kastilien, Juden das Schatzmeisteramt anzuvertrauen, nicht bloß weil sie das Finanzwesen gut und besser als die Haudegen von spanischen Rittern verstanden, sondern auch weil sie es treuer und gewissenhafter verwalteten. Auch andere Juden hatten Zutritt zu Alfonsos Hofe. Er hatte einen jüdischen Leibarzt, Don Juda ben Mose (nicht Mosca) Kohen, der zugleich sein Astronom und Astrolog war. Der König, welcher auf Astrologie und Goldmacherkunst sehr viel gab, ließ von kundigen Juden astronomische Werke und eine Schrift über die Eigenschaften mancher Steine aus dem Arabischen ins Kastilianische übersetzen94. Christliche, des Arabischen kundige Gelehrte, obwohl von Arabern umgeben, gab es da mals so wenig, wie in früherer Zeit, und Juden mußten auch hier wie überall die Vermittler machen. Kleriker, wenn sie ihr Latein nicht vergessen hatten, übersetzten dann die kastilianische Übersetzung der Juden in die Kirchensprache. – Der König nannte sogar einen Synagogenvorbeter [115] von Toledo »seinen Weisen«. Es war dies Don Zag (Isaak) Ibn-Sid, einer der bedeutendsten Astronomen seiner Zeit. Alfonso beauftragte diesen Vorbeter Don Zag, astronomische Tafeln anzulegen, welche des Königs Namen berühmter machten als seine Kriegstaten und seine staatsmännische Weisheit. Bis zu den astronomischen Entdeckungen der neuen Zeit bedienten sich die Fachmänner der »Alfonsinischen Tafeln«, welche gebührend die Zagscheu oder Sidischen heißen sollten. Es gab auch einen dritten jüdischen Naturforscher an Alfonsos Hofe, Samuel Halevi (Abulafia Alawi?), dessen Name sich an eine kunstreiche Wasseruhr knüpft, die er im Auftrage des Königs anfertigen ließ. Die Vorliebe Alfonsos für Sternkunde und für die Männer, welche im Besitze solcher Kenntnisse waren, schmückte die Sage so einleuchtend aus, daß sie in der Geschichte als eine unbestreitbare Tatsache auftrat. Es wurde erzählt95, der König habe einen astronomischen Kongreß zusammenberufen, der fünf Jahre hintereinander getagt habe. Mehr als fünfzig Astronomen, Christen, Juden und Mohammedaner, wären Mitglieder desselben gewesen, wobei auch Jehuda Kohen und Samuel Halevi namhaft gemacht werden. Unter dem Vorsitz des Königs oder eines Stellvertreters in seiner Abwesenheit wären auf diesem Kongresse die schwierigsten astronomischen Probleme verhandelt und zum Abschlusse gebracht worden. Der König sei mit den Arbeiten seiner Astronomen so sehr zufrieden gewesen, daß er sie und ihre Nachkommen von allen Staatsabgaben befreit hätte. Diese ganze Erzählung beruht auf einer Erfindung, die ein Unwissender, der etwas von arabischen und jüdischen Astronomen und von der Vorliebe Alfonsos für diese Wissenschaft verlauten gehört, sich zurecht gelegt hat. Alfonso soll auch in dem Bestreben, die spanische Sprache, welche durch ihr Gemisch von romanischen und arabischen Elementen einen kauderwelschen Charakter hatte, zu reinigen und zu veredeln, unter anderen Übersetzungen auch das alte Testament von Juden aus der Ursprache ins Kastilianische haben übertragen lassen. Indessen entbehrt diese Nachricht jeder tatsächlichen Begründung96. Die Anstellung von Juden bei Hofämtern [116] unter Alfonso war natürlich den Vertretern der Kirche in der Seele zuwider, und der Papst Nikolaus III. stellte ihn in einem langen, von Selbstsucht und Anmaßung zeugenden Sündenregister darüber zu Rede, daß viele Übel dadurch erwachsen, wenn Juden vielfach Christen vorgezogen werden97.

Indessen so sehr auch Alfonso gebildete und tüchtige Juden an seinen Hof zog und ihre Talente sozusagen ausbeutete, so war die Lage der Juden Kastiliens unter seiner Regierung keineswegs so günstig, als man auf den ersten Blick erwarten sollte. Denn auch er war nicht von Vorurteilen der Zeit gegen sie frei; der Geist des Judenhasses, von Innocenz III. angeregt, hatte auch ihn befangen gemacht, wie den Kaiser Friedrich II., zu dessen Nachfolger ihn eine Partei in Deutschland erwählt hatte. Alfonso hat auch den Ehrentitel »der Weise« nur in eingeschränktem Sinne verdient, denn er handelte in politischen Geschäften sehr unweise und war in kirchlicher Beziehung lange nicht so aufgeklärt wie Friedrich II. Alfonso war vielmehr ein Romantiker, der sich in den Tatsachen seiner Zeit nicht zurecht finden konnte, chimärischen Phantasien nachjagte und sich eine eigene Welt in Gedanken aufbaute, die zu verwirklichen ihm die Kraft fehlte. Der weise Alfonso war eigentlich ein Träumer und ein Schwächling, der nebelhafte Bestrebungen hatte, aber keinen festen Willen. Als ihn eine herrschsüchtige Partei unter den deutschen Fürsten zum deutschen Kaiser erwählt hatte, vernachlässigte er die heimischen Angelegenheiten, ohne jedoch die Tatkraft zu besitzen, von Deutschland Besitz zu nehmen. Er begnügte sich, kleine Intrigen mit den Geistlichen und den Päpsten spielen zu lassen, um zum Ziele zu gelangen, und wurde natürlich von diesen Klügeren überlistet und am Gängelbande geführt. Dem Klerus zu Liebe oder auch aus bigottem Sinn beschränkte er die Juden auf dem Wege der Gesetzgebung vielfach und wies sie in eine niedrige Stellung, wenn es auch zweifelhaft ist, ob die westgotische Gesetzsammlung (Forum Judicum, fuero juzgo) von ihm oder seinem Vater ins Kastilianische übersetzt wurde – eine Sammlung, in welche die zwei Titel der gegen die Juden gehässigsten Gesetze, welche die Könige von Reccared bis Egica erlassen hatten, mit aufgenommen wurden und aus der die Spanier ihren unvertilgbaren Judenhaß gesogen haben – wenn seine Schuld daran auch zweifelhaft ist, so ist es doch gewiß, daß Alfonso in einer von ihm selbst ausgegangenen Gesetzgebung die Juden zu erniedrigen trachtete.

[117] Er hat nämlich einen weitläufigen Kodex für sämtliche Völker seines Reiches in sieben großen Gruppen in kastilianischer Sprache angelegt (1257-1266)98, warin auch von den Juden gehandelt wird, ja, ein ganzer Titel in dieser Gesetzgebung beschäftigt sich mit ihnen99. Es heißt darin: »Obwohl die Juden Christus verleugnen, werden sie in allen christlichen Ländern nur deswegen geduldet, damit sie allen in Erinnerung rufen, daß sie von demjenigen Stamm sind, der Jesus gekreuzigt hat. Da sie nur geduldet sind, so sollen sie sich still und geräuschlos verhalten, sollen das Judentum nicht öffentlich predigen und keine Bekehrungen zu ihrer Religion versuchen.« Das alfonsische Gesetz verhängte sogar Todesstrafe wegen Bekehrung der Christen zum Judentum. Früher war der jüdische Stamm geehrt und das Volk Gottes genannt, heißt es darin weiter, aber seit ihrer Untat gegen Jesus habe es diesen Vorzug verwirkt, und kein Jude solle irgendeine Ehre oder ein öffentliches Amt in Spanien haben100. Alle Beschränkungen, welche der menschenfeindliche Fanatismus gegen die Juden ausgeklügelt hatte, nahm Alfonso in seine Gesetzsammlung auf. Sie sollten keine neue Synagoge bauen, keine christlichen Dienstboten halten und noch weniger sich mit Christen vermischen. Juden und Jüdinnen sollten besondere Abzeichen an der Kopfbedeckung tragen; wer ohne ein solches betroffen würde, sollte zehn Gold-Maravedis (Dukaten) zahlen oder, wenn er arm wäre, zehn Geißelhiebe öffentlich empfangen101. Juden und Christen sollten weder zusammen speisen, noch zusammen baden102. Alfonso nahm auch die Beschränkung auf, daß die Juden am Charfreitag sich nicht öffentlich zeigen dürften103. Der weise Alfonso schenkte der lügenhaften Fabel Glauben, daß die Juden alljährlich am Charfreitag ein Christenkind kreuzigten, und bestimmte durch ein Gesetz, wer sich solches zu Schulden kommen ließe oder eine Wachsfigur an diesem Tage kreuzige, sollte dem Tode verfallen104. Vergebens hat der Papst Innocenz IV. die Lügenhaftigkeit dieser Beschuldigung anerkannt und für die Unschuld der Juden gezeugt (o. S. 105 f.). Wo die päpstliche Stimme zugunsten der Juden sprach, glaubte man ihrer Unfehlbarkeit nicht, nicht einmal ein ziemlich unterrichteter König, der mit Juden verkehrte. Kaum sollte man es glauben, daß der König, welcher einen jüdischen Leibarzt hatte, ein Gesetz erlassen haben sollte, daß ein Christ kein Heilmittel, das von [118] der Hand eines Juden bereitet wurde, einnehmen dürfte105. Es war noch viel, daß Alfonsos Gesetzgebung den Juden so viel einräumte, daß ihre Synagogen nicht geschändet, daß sie selbst nicht mit Gewalt zur Taufe geschleppt, nicht an ihren Feiertagen vor Gericht gezogen werden dürften, und daß sie nur einen einfachen Eid auf die Thora ohne jene erniedrigende Zeremonie, zu leisten haben sollten106.

Alfonsos Judengesetze hatten zwar für den Augenblick keine praktische Bedeutung; denn sein Kodex erlangte erst viel später Gesetzeskraft, indem die Städte und Cortes an ihren Lokalgewohnheiten mit vieler Zähigkeit festhielten. Alfonso selbst übertrat die von ihm aufgestellten Judengesetze, indem er Juden Ämter anvertraute. Allein nichtsdestoweniger war seine siebenteilige Gesetzsammlung von der traurigsten Wirkung für die spanischen Juden, indem sie diese mit dem kirchlich-kanonischen Maßstabe maß und dazu beitrug, deren Paradies in eine Hölle zu verwandeln. Die alfonsischen Gesetze waren bis in die neueste Zeit in dem spanischen Amerika zu Recht bestehend, während seine astronomischen Tafeln vergessen sind.

Das Königreich Aragonien behandelte seine Juden noch viel schlimmer. Zwei Einflüsse machten sich hier geltend, um ihre Stellung zu verschlimmern. Der lange regierende König Jayme (Jakob I.) hatte Besitzungen in Südfrankreich und kam mit dem bigotten König Ludwig dem Heiligen und dessen Räten öfter zusammen. Von diesen entlehnte er die Theorie der Behandlung der Juden. Auch er erklärte sie mit allen ihren Gütern als Eigentum des Königs, gewissermaßen als seine Kammerknechte. Es sei daher keinem Juden gestattet, sich in den Schutz eines Edelmanns zu begeben. Diese Anschauung hatte zwar auch ihre gute Seite, indem die Juden dadurch der Gerichtsbarkeit der Geistlichen entzogen wurden. Auch bemerkte ein von Jayme erlassenes Gesetz ausdrücklich, daß die Juden keineswegs als Gefangene oder Knechte zu behandeln seien107. Allein sie waren darum nicht minder der Willkür des jedesmaligen Herrschers preisgegeben, die von keinem Gesetz oder Herkommen beschränkt war. Der andere nachteilige Einfluß kam von seiten der Kirche und von ihren blinden Eiferern. Der Dominikanergeneral Raymund von Penja forte, der Sammler der päpstlichen Dekretalen, dessen ganzes [119] Denken dahin ging, die Macht des Papsttums und der unfehlbaren Kirche über die der weltlichen Herrscher zu erheben, der Vorläufer der Vicente Ferrer, der Capistrano und der Torquemada, dieser finstere Mönch war Beichtvater des Königs Jayme. Der König von Aragonien hatte viel geliebt und viel gesündigt, brauchte daher stets seinen Beichtvater und war von ihm abhängig, und wenn er ihm auch nicht immer zu Willen handelte, in Betreff der Juden und Mohammedaner machte er ihm gern Zugeständnisse. Penjafortes Augenmerk war stets dahin gerichtet, Juden und Mohammedaner zu bekehren. In den von Dominikanern geleiteten höheren Schulen ließ Penjaforte auch Hebräisch und Arabisch lehren, damit die Predigermönche in diesen Sprachen ein Mittel haben möchten, Bekehrungen wirksam zu unternehmen.

Ein Jünger dieses Ordens, Pablo Christiani aus Montpellier, ein getaufter Jude108, war der erste Missionsprediger zur Bekehrung der Juden. In Südfrankreich und anderwärts reiste er umher, forderte Juden zur Disputation auf und wollte ihnen beweisen, daß Jesu Messianität und Göttlichkeit in Bibel und Talmud bestätigt sei. Da seine Mission aber von geringem oder gar keinem Erfolge gekrönt war, so fiel de Penjaforte auf den Gedanken, ein öffentliches Religionsgespräch am königlichen Hofe über Judentum und Christentum zwischen Pablo Christiani und dem berühmtesten Rabbinen Spaniens, Mose Nachmani, zu veranstalten, in dem Wahne, wenn dieser bekehrt würde, so könne es nicht fehlen, daß sämtliche Gemeinden zum Christentum übertreten würden. Nachmani erhielt darauf vom König Jayme ein Einladungsschreiben, sich in Barcelona zu einer feierlichen Disputation einzufinden (1263).

[120] Nachmani erschien und mußte sich widerwillig zur Disputation bereit erklären. Er tat es aber mit Würde und vertrat das Judentum vor einem christlichen König ebenso ehrenhaft, wie zwölf Jahrhunderte vorher Philo aus Alexandrien vor einem heidnischen Kaiser. Nachmani erklärte von vorn herein vor Jayme und dem Beichtvater de Penjaforte, daß er sich nur unter der Bedingung vollständiger Redefreiheit zum Disput herbeilassen werde, um vor seinem Gegner nicht zurückzustehen. Der König bewilligte diese Bedingung. Als de Penjaforte dabei bemerkte, er möge nur diese Freiheit nicht zu Lästerungen auf das Christentum mißbrauchen, erwiderte er mit Würde, auch er kenne die Regeln des Anstandes. Die Disputation zwischen Nachmani und Pablo Christiani veranschaulicht, wenn man sie mit der zwischen R. Jechiel und Nikolaus Donin (o. S. 96) vergleicht, den bedeutenden Vorsprung, den die spanischen Juden vor ihren nordfranzösischen Brüdern hatten. Der Rabbiner von Paris und der Dominikaner Donin kämpften wie zwei rohe Boxer, die mit derben von Schimpfworten begleiteten Faustschlägen aufeinander losgehen; der Rabbiner von Gerona und der Dominikaner Pablo dagegen traten wie zwei feingebildete Edelleute auf, welche ihre Hiebe mit Höflichkeit unter der Beobachtung der feinen Sitte austeilten.

Vier Tage dauerte diese Disputation von Barcelona (vom 20. Juli an)109 im Palaste des Königs und im Beisein des ganzen Hofes, vieler hoher Geistlichen, Ritter und Männer des Volkes. Auch viele Juden mußten als Zuhörer erscheinen. Nachmani steckte gleich von vorn herein das Feld des Streites genau ab. Die Differenzpunkte zwischen Judentum und Christentum seien so zahlreich, meinte er, daß es geraten sei, lediglich die wesentlichsten ins Auge zu fassen. Es sei nun zuerst zu erörtern, ob der Messias bereits erschienen sei oder nicht; dann ob der Messias nach der biblischen Prophezeiung als Gott oder als ein von Eltern geborener Mensch zu betrachten sei, und endlich, [121] ob die Juden oder die Christen den rechten Glauben hätten. Mit diesem Vorschlag zeigten sich der König und sämtliche Beteiligten einverstanden. Eigentümlich ist es, daß, während Nikolaus Donin den Talmud anklagte, er enthalte Schmähungen auf Jesus und die Christen, Pablo Christiani das Entgegengesetzte behauptete, der Talmud erkenne Jesu Messiani tät an, was für Nachmani sehr leicht zu widerlegen war. Pablos Hauptbeweis beruhte auf agadischen (allegorisch-homiletischen) Stellen, die Nachmani von vorn herein dadurch erschütterte, daß er geradezu erklärte, er glaube an diese und andere Agadas nicht. Der Dominikaner legte nun dem Rabbiner ein solches Geständnis als Ketzerei aus, als wollte er besser zu beurteilen wissen, was im Judentum Rechtgläubigkeit und was Unglaube sei. Sein jüdischer Gegner ließ sich aber dadurch nicht irre machen und rechtfertigte seinen Ausspruch, daß der Jude nur an die Wahrheit der Bibel und an die talmudische Auslegung, so weit sie die religiöse Praxis betrifft, zu glauben habe, die agadische Deutung dagegen dürfte er getrost, wie Predigten (sermones), ebenso gut verwerflich wie annehmbar finden, jenachdem sie seinem Geiste widersteht oder zusagt. Einen andern kühn hingeworfenen Ausspruch, daß der christliche König ihm werter sei als der Messias, rechtfertigte Nachmani durch folgende Bemerkung, es sei für ihn, wie für die Juden überhaupt, mehr Verdienst, wenn sie unter einem christlichen Herrscher, im Exile, unter Demütigungen und Schmähungen das Gesetz des Judentums erfüllten, als wenn sie es unter einem mächtigen jüdischen Könige in Wohlstand und in Freiheit täten. Denn der Messias sei nur als König von Fleisch und Blut zu betrachten. – Einen schlagenden Einwurf gegen Jesu Messia nität, der schon von älteren Polemikern geltend gemacht wurde, ließ Nachmani nicht unberücksichtigt. Sämtliche Propheten verkündeten, daß zur Messiaszeit eine sittliche Gehobenheit unter den Menschen allgemein herrschen, und daß namentlich Krieg und Blutvergießen aufhören würden. Aber seit Jesu Erscheinen sei die Welt erst recht von Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit voll geworden. Die Christen seien unter allen Völkern am kriegerischsten gesinnt, d.h. Blutvergießer. Und sich an den König wendend, bemerkte Nachmani: »Es dürfte dir, o König, und deinen Rittern schwer fallen, das Kriegshandwerk aufzugeben, wie es das Eintreten der messianischen Zeit erfordert!«

Da sich Nachmani in den ersten drei Tagen mit Freimut, wenn auch würdevoll, über das Christentum geäußert hatte, so bat ihn die Barcelonaer Judenschaft, das Disputieren einzustellen, weil sie Verfolgung [122] von seiten der Dominikaner fürchtete. Auch Ritter und Geistliche warnten ihn, sich nicht von seinem Freimut hinreißen zu lassen. Ein angesehener Franziskanermönch, Fray de Genova, neidisch auf den Einfluß der Dominikaner auf den König, redete ihm ebenfalls zu, die Disputation abzubrechen. Auch die christliche Bürgerschaft von Barcelona interessierte sich für die Juden und wollte die Aufreizung gemieden wissen. Nachmani teilte diese Tatsache dem Könige mit, und da dieser auf die Fortsetzung der Disputation bestand, so wurde das geistige Turnier fortgesetzt. Nachmani ging zuletzt siegreich hervor, denn Pablo war dessen schlagfertiger Widerlegung nicht gewachsen. Der König bemerkte am Ende in einer Privataudienz gegen Nachmani, er habe noch nie eine so ungerechte Sache so geistvoll verteidigen gehört. Die Dominikaner suchten aber zu verbreiten, Pablo Christiani habe seinen Gegner so sehr in die Enge getrieben, daß er, tief beschämt, heimlich entflohen sei. Nachmani hatte sich aber so wenig entfernt, daß er sich vielmehr noch acht Tage in Barcelona aufhielt, weil er hier und da davon sprechen hörte, der König und die Dominikaner wollten am darauffolgenden Sonnabend die Synagoge besuchen. In der Tat erschienen sie auch, und de Penjaforte nahm in der Synagoge das Disputieren wieder auf. Er verdeutlichte die Dreieinigkeit durch den Wein, welcher Farbe, Geschmack und Geruch habe und doch eine Einheit bilde. Solche und andere hinkende Gleichnisse konnte Nachmani leicht widerlegen und zwang den Beichtvater des Königs zu dem verfänglichen Geständnis, die Dreieinigkeit sei ein so tiefes Mysterium, daß selbst die Engel es nicht begriffen. Dazu bemerkte Nachmani zum Schluß, wenn dem so sei, so dürfe die Menschen kein Vorwurf treffen, wenn sie sich nicht über die Engel erheben könnten. – Vor seiner Abreise wurde Nachmani noch einmal vom König zu einer Audienz zugelassen und freundlich verabschiedet. Er erhielt von ihm ein Ehrengeschenk von dreihundert Maravedis110.

So harmlos waren aber die Folgen dieser Barcelonaer Disputation keineswegs. De Penjaforte war auf Judenbekehrungen versessen und ließ sich durch nichts davon abbringen. Er erwirkte gleich darauf für seinen Schützling Pablo Christiani einen Schutzbrief für weitere Missionsreisen (vom 29. August 1263) vom König Jayme, wodurch die [123] Juden der Willkür des jüdischen Dominikaners preisgegeben waren. Was in Barcelona mit einem Gegner wie Nachmani mißlang, das könnte vielleicht anderswo mit minder fähigen Gegnern gelingen. Die Gemeinden Aragoniens und der dazu gehörigen Striche in Südfrankreich wurden aufs Strengste angewiesen, auf die Aufforderung des Pablo Christiani mit ihm zu disputieren, sei es in den Synagogen oder sonstwo sich einzufinden, ihn ruhig anzuhören, ihm demütig auf seine Fragen zu antworten und ihm die Bücher zu liefern, deren er für seine Beweisführung bedürfe. Die Missionskosten desselben sollten die Juden bestreiten, sie allenfalls von ihren Abgaben an den König abziehen. Sämtliche Beamte wurden angewiesen, dem Dominikaner-Missionar beizustehen und die widersetzlichen Juden zu bestrafen111. Man kann sich die Verzweiflung der Juden gegenüber solchen Zumutungen denken. Siegend oder besiegt waren sie Plackereien ausgesetzt.

Da nun Pablo Christiani trotz des königlichen Schutzes wohl keine gute Aufnahme bei seinen ehemaligen Glaubensgenossen fand, trat er in die Fußstapfen des Nikolaus Donin, den Talmud zu denunzieren, daß er feindselige Stellen gegen Jesus und Maria enthalte. Er begab sich zum Papste Clemens IV., wiederholte dort die Anschuldigungen gegen den Talmud und veranlaßte diesen, eine Bulle (vom Jahre 1264)112 an den Bischof von Tarragona zu erlassen, daß die Talmudexemplare konfisziert, von den Dominikanern und Franziskanern untersucht und, wenn lästerlich befunden, verbrannt werden sollten. Der Überbringer der talmudfeindlichen Bulle war der Apostat Pablo Christiani selbst. Darauf erließ der König Jayme einen Befehl (1264), daß der Talmud untersucht und die schmähenden Aussprüche darin gestrichen werden sollten. Die Zensurkommission war zusammengesetzt aus dem Bischof von Barcelona, de Penjaforte und noch drei anderen Dominikanern, Arnoldus de Sigarra, Petrus de Janua und Raymund Martin, der als Christ in der Dominikanerschule Hebräisch, Chaldäisch und Arabisch ziemlich gründlich erlernt hatte und seine Gelehrsamkeit zur Anfeindung des Judentums und des Islams verwertete. Pablo Christiani wurde auch noch zugezogen. Die Kommission bezeichnete die Stellen, welche im Talmud gestrichen werden sollten. Das war die erste Zensur der Dominikaner gegen den Talmud in Spanien. [124] Sie fiel jedenfalls in Aragonien milder aus als in Frankreich, wo der ganze Talmud zum Scheiterhaufen verdammt worden war. Der Grund dieser verhältnismäßigen Milde war, daß selbst der gelehrte Dominikaner Raymund Martin, welcher später zwei judenfeindliche Schriften verfaßte, überzeugt war, manche Stellen im Talmud legten Zeugnis von der Wahrheit des Christentums ab und seien wohl wirklich von Mose überliefert worden; darum dürfe der Talmud nicht ganz und gar vernichtet werden.113

Damit waren aber die nachteiligen Wirkungen der Nachmanischen Disputation nicht zu Ende. Sie trafen den Mann selbst, welcher gewissermaßen den Mittelpunkt der spanischen Judenheit in der nachmanischen Zeit bildete. Nachmani sah sich nämlich veranlaßt, gegenüber den missionarischen Machinationen des Pablo Christiani und der entstellenden Ruhmredigkeit der Dominikaner von dem Siege, den sie bei der am Hofe gehaltenen Disputation errungen hätten, seinerseits für seine Glaubensgenossen eine treue, wahrheitsgemäße Darstellung der Vorgänge in Barcelona zu veröffentlichen.

Er tat nicht heimlich damit, sondern übergab dem Bischof von Gerona auf dessen Verlangen eine Abschrift davon. Abschriften dieser Disputation wurden in verschiedene Länder, wo Juden wohnten, versendet (um 1264). Selbstverständlich hat er dadurch den Haß der Sanftmütigen nur noch mehr auf sich geladen. Pablo Christiani, dem das Disputationssendschreiben in die Hände gekommen war, und der Hebräisch verstand, las daraus die gröblichsten Lästerungen gegen das Christentum heraus, machte seinem Vorgesetzten, dem ehemaligen Dominikanergeneral de Penjaforte114, Anzeige davon, und dieser im Vereine mit einem Ordensgenossen machte ein Kapitalverbrechen daraus und erhob beim Könige eine förmliche Anklage gegen Verfasser und Schrift. Don Jayme mußte auf die Klage eingehen; allein als traute er einem aus Dominikanern zusammengesetzten Gericht nicht, berief er eine außerordentliche Kommission, bestehend aus dem Bischof von Barcelona und noch anderen Geistlichen und auch Juristen, lud Nachmani oder Bonastrüc de Porta115 ein, sich zu verteidigen und ließ die Verhandlung in seiner Gegenwart [125] aufnehmen. Nachmani war in einer sehr unangenehmen Lage, aber seine Wahrhaftigkeit verleugnete er nicht. Er gestand zu, daß er in seiner Disputationsschrift manches gegen das Christentum vorgebracht habe, aber nicht mehr und nichts anderes, als er in der Disputation in Gegenwart des Königs geltend gemacht habe, und dazu habe er sich von diesem und von de Penjaforte die Freiheit ausgebeten und auch ausdrücklich erhalten. Er dürfe also nicht für schriftliche Äußerungen verantwortlich gemacht und angeschuldigt werden, die in seiner mündlichen Verteidigung unbeanstandet geblieben wären.

Der König und die Kommission erkannten die Richtigkeit seiner Rechtfertigung an; indes um den Dominikanerorden oder de Penjaforte nicht zu reizen, wurde Nachmani doch zu zweijährigem Exile aus seinem Geburtslande und seine Schrift zum Scheiterhaufen verurteilt. Die Inquisition war noch nicht allmächtig. Die Dominikaner aber waren mit diesem verhältnismäßig milden Urteilsspruche keineswegs einverstanden, sie hatten eine härtere Strafe erwartet. Wie es scheint, beabsichtigten sie Nachmani vor ihr eigenes Tribunal vorzuladen und ohne Zweifel den Stab über ihn zu brechen. Diesem Ansinnen widersetzte sich der König Jayme mit Energie. Er übergab ihm eine Art Freibrief des Inhalts, daß Nachmani in dieser Angelegenheit lediglich in Gegenwart des Königs angeklagt werden dürfe (April 1265). Die Dominikaner waren selbstverständlich wütend über die Milde des Königs und den scheinbaren Eingriff in ihre Gerechtsame, über Leben und Tod zu entscheiden. Sie appellierten an den Papst Clemens IV., daß der König den Verfasser einer das Christentum schmähenden Schrift ungeahndet gelassen habe. Der Papst, welcher zur selben Zeit andere Beschwerden gegen den König von Aragonien auf dem Herzen hatte, sandte ihm ein sehr strenges Breve zu, hielt ihm ein Sündenregister vor, worin auch die Punkte vorkamen, daß er jüdische Beamte ihrer Würde entkleiden und jenen argen Bösewicht streng bestrafen solle, welcher, nachdem er ein Religionsgespräch gehalten, eine Schrift veröffentlicht habe, gewissermaßen um dem Irrtum eine Trophäe zu weihen (1266). Ob sich der König den Zumutungen des Papstes in bezug auf Nachmani gefügt hat, und wie weit dieser bestraft wurde, ist unbekannt geblieben. Eine Strafe ist jedenfalls über ihn verhängt worden, nur wie es scheint, Verbannung aus seinem Lande. Nachmani verließ nämlich als Siebziger Vaterland, zwei Söhne, Lehrhaus, Freunde und Verehrer und ging in die Verbannung. Er wandte sich nach dem heiligen Lande, nach dem er dieselbe glühende Sehnsucht hatte, wie sein Gesinnungsgenosse Jehuda Halevi. Er ging freilich noch weiter darin und behauptete, es sei jedes Juden [126] religiöse Pflicht, in Judäa zu wohnen116. So hatte ihm das Geschick den Gefallen getan, ihm zur Erfüllung eines Gebotes und zur Stillung seiner Sehnsucht behilflich zu sein. Auf einem Schiffe wanderte er aus und landete in Jean d'Acre (1267), das damals noch in den Händen der Christen war. Von da beeilte er sich nach Jerusalem zu gehen (9. Ellul = 12. August)117.

Tief schmerzlich waren Nachmanis Empfindungen über den Zustand des heiligen Landes und der heiligen Stadt. Er fand seine Hoffnungen noch mehr getäuscht als Jehuda Halevi. Die Mongolen oder Tataren hatten daselbst unter dem Sultan Hulagu einige Jahre vorher (1260) grausige Verwüstungen angerichtet. – Die erstaunlich raschen Eroberungen der Mongolen hatten die Völker Asiens und Europas förmlich betäubt. Während diese ihre Kräfte in kleinen Kriegen und arglistigen Verhandlungen lähmten, hatten jene ein Reich gegründet, das an Ausdehnung seines Gleichen noch nicht hatte, und sie drangen immer weiter vor. Fromme Christen, welche die Spaltung der Christenheit infolge der Fehden zwischen Kaiser und Papst tief beklagten, sahen die Mongolen als Zuchtmeister für ihre schweren Sünden an. Einige erblickten in ihnen den Antichrist mit den Völkern Gog und Magog, welche dem Wiedererscheinen Jesu vorangehen sollten. Der Großkhan Hulagu hatte Bagdad eingenommen, dem abassidischen Kalifat ein Ende gemacht und ein neues Reich, das persische oder iranische Khanat gegründet. Er richtete sein Augenmerk auf das ägyptische Sultanat, eroberte die Euphratfestungen Damaskus, Haleb, Baalbek, drang nach Palästina vor, nahm Nablus (Sichem) mit Sturm und kam über Hebron und Beit-G'ebrin (Bet-Gabrin) bis Gaza. Jerusalem wurde in einen Trümmerhaufen verwandelt, sämtliche Bewohner hatten es verlassen (1260). Die Juden hatten ebenfalls an diese außerordentlichen Ereignisse messianische Hoffnungen geknüpft. Die »häßlichen Männer von Osten«, welche zugleich die beiden Bedrücker Israels, die Anhänger Jesu und Mahommeds, demütigten, könnten für Israel die Stunde der Erlösung bringen. Ein Schwärmer ließ den von der Geheimlehre so oft heraufbeschworenen Simon ben Jochaï von neuem eine Offenbarung verkünden, daß die Verwüstungen der Mongolen die Leiden seien, welche dem Messias vorangehen müßten118. Indessen ist diese Hoffnung, wie viele andere, nicht in [127] Erfüllung gegangen. Obwohl die morgenländischen Juden meistens auf seiten der Mongolen standen oder mindestens ihnen keinen Widerstand geleistet hatten, so wurden sie doch von dem schonungslosen Verfahren der Sieger hart betroffen.

Nachmani, der einige Jahre später in Palästina eintraf, als die Mongolen bereits von dem ägyptischen Sultan aus Palästina vertrieben worden waren, fand noch viel Ruinen daselbst und beschreibt sie mit beredten Worten: »Je geheiligter eine Stätte ist, desto größer ist ihre Verödung; Jerusalem mehr als das übrige Juda, und dieses mehr als Galiläa.« Die Gemeindeglieder der heiligen Stadt waren teils getötet, teils zersprengt worden, und die Thorarollen hatten Flüchtlinge nach Sichem gerettet. Es hatten sich zwar wie der 2000 Mohammedaner und 300 Christen in Jerusalem eingefunden, aber von Juden wohnten, als Nachmani es besuchte, nur eine oder zwei Familien darin, welche noch immer die Färberei pachtweise inne hatten. Marmorwölbungen und Baumaterialien aus der Zeit der Kreuzzüge waren herrenlos geworden. Die jüdischen Pilger, welche aus Syrien dahin gekommen waren, erbauten auf Nachmanis Anregung daraus eine Synagoge. Auf dem Ölberge, gegenüber den Ruinen des einstigen Tempels, hauchte Nachmani sein tiefes Weh über die Verödung der heiligen Stadt aus; aber es war keine Zionide, die seinem bewegten Gemüt entströmte. Die Poesie, welche Einöden zu bevölkern, zerstörte Reiche wieder aufzubauen, die Trauer zu mildern und den Schmerz zu verklären vermag, dieses Gnadengeschenk Gottes, die Poesie Jehuda Halevis, war Nachmani nicht zu Teil geworden. Er klagte in Versen von anderen Dichtern119.

Wie der Verbannte aus Spanien in dem Lande, das längst seine ideale Heimat war, Synagogen baute und Gemeinden organisierte, so gründete er in ihr auch eine Stätte für die jüdische Wissenschaft, welche seit der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer von dort entwichen war. Ein Kreis von Jüngern sammelte sich um ihn, und selbst aus der Euphratgegend strömten ihm Zuhörer zu120. Sogar Karäer sollen zu seinen Füßen gesessen haben, so der später berühmt gewordene Aaron ben Joseph der Ältere121. Wiewohl er kein Freund der freien Wissenschaft war und vollständig im talmudischen Judentum steckte, so hatte doch Nachmani, als Sohn Spaniens, so viel allgemein Wissenschaftliches aufgenommen, daß er damit die Öde der morgenländischen Juden befruchten [128] konnte. Selbst seine kabbalistische Theorie, die er zuerst nach Palästina verpflanzte, wo sie dann fortwucherte, stellte wenigstens gedankliche Gesichtspunkte auf, von denen seine dortigen, in Unwissenheit oder talmudischer Einseitigkeit befangenen Glaubensgenossen keine Ahnung hatten. Strebte er doch auch, das Unvernünftige vernünftig zu erklären, und damit arbeitete er der Gedankenlosigkeit und dem Stumpfsinn entgegen. Namentlich weckte er den Sinn für biblische Exegese, wofür die orientalischen Juden ganz abgestumpft waren. Zu diesem Zwecke arbeitete Nachmani seine Kommentarien zur Bibel und namentlich sein Hauptwerk, die Erklärung zum Pentateuch, aus122. In diese Arbeit legte er seinen eigentümlichen Geist, sein warmes und weiches Gemüt, seine hellen Gedanken und seine mystischen Träume nieder. Wie Unzählige vor ihm und nach ihm fand er nämlich seine Weltanschauung in diesem Buche der Bücher wieder und erläuterte es von diesem Gesichtspunkte aus. Nachmanis Pentateuch-Kommentar unterscheidet sich aber wesentlich von allen vorangegangenen Arbeiten derselben Gattung. Ihm war es nicht um einzelnes, um Wort- und Sacherklärung zu tun; Grammatik und schlichte Erklärung, für andere ein Hauptzweck, waren für ihn nur Nebendinge, nur Mittel für eine höhere Auffassungsweise. Ihm kam es lediglich auf das große Ganze, auf einheitlichen Zusammenhang an. Jedem Buche des Pentateuchs schickte er eine kurze, zusammenfassende Inhaltsangabe voraus, damit der Leser seine Aufmerksamkeit stets auf das Ganze richten und sich nicht in Einzelheiten verlieren sollte. Er setzte sich in seinem Kommentar zur Aufgabe, die überschwängliche Weisheit des Judentums, wie er sie sich dachte, in jedem Satze und Worte, ja in jeder Silbe nachzuweisen. Nachmani wollte dem schlichten Wortsinn einer nüchternen Exegese keinen Abbruch tun und doch damit die talmudische Gesetzauslegung, seine eigene und eigentümliche Offenbarungstheorie und noch dazu kabbalistische Wunderlichkeiten in Einklang bringen. Seine Überzeugung war, daß der heilige Text zugleich Äußerliches und Innerliches, Einfaches und Höheres, allgemein Verständliches und Mystisches widerspiegele. Beides sei wahr, und man dürfe nicht das eine vor dem andern verdrängen wollen. Nachmani wollte Unmögliches leisten.

Das Kapitel von der Schöpfungsgeschichte war namentlich für ihn eine Fundgrube alles menschlichen und göttlichen Wissens, oberflächlich ein schöner Wasserspiegel, auf dessen Grunde das Kerngold einer unerforschlichen Weisheit ruhe, wogegen die stolze Philosophie wie ein [129] nichtssagender Gemeinplatz erscheine. »In der Genesis habe Gott seinem Propheten Mose die neunundvierzig Pforten des Wissens erschlossen, von der Natur der Metalle und der Pflanzenwelt an bis zur Sphäre des Seelenlebens, der Dämonen und Engel, und nur die Pforte der Erkenntnis von der Gotteswesenheit selbst bliebe ihm verschlossen.« Alle diese Kenntnisse von der Mannigfaltigkeit des Weltalls seien in der Thora enthalten, entweder deutlich oder angedeutet in Worten, Zahlen, Figuren und Krönchen der Buchstaben123. Die Thora verkünde eindringlicher die Größe, Macht und Majestät Gottes als die Himmel. Seien doch die Religionen und die Gesittung der gebildeten Völker nur eine Frucht der Thora, deren die barbarischen Völkerschaften, Türken, Tataren und Zabier, beraubt seien, weil der offenbarte Lichtstrahl ihnen noch nicht zugekommen sei; darum glichen sie den Tieren und hätten sich noch nicht vermenschlicht124. Die sechs Schöpfungstage bedeuteten die geschichtliche Entfaltung der Menschheit in sechs Jahrtausenden, gefördert durch die Offenbarung der Thora, welche ihre treibende Sonne sei. Im Anfang des sechsten Jahrtausends (vom Jahre 1358 abgezählt) beginne die höhere Entwickelung der Menschheit durch die größere Beteiligung der Völker an der göttlichen Offenbarung und damit zugleich die messianische Zeit125. Die Thora gebe aber nicht allein Aufschlüsse über diese Punkte, sondern auch über unbekannte naturwissenschaftliche Fragen, z.B. über das Wesen des tierischen Lebens, worauf sich die Speiseverbote gründeten126. Sie deute ferner das Vorhandensein eines Paradieses für die lauteren Seelen und einer Hölle mit einem feinen, selbst den ätherischen Stoff der Seele verzehrenden Feuer an, in welchem die Ungerechten und Gesetzesübertreter ihre Strafe erlitten und Strafengel ihre Wirksamkeit ausübten127. Endlich lehre die Thora eine geheime Weisheit die auf den Buchstaben des heiligen Textes beruhe. Die Buchstaben hätten nämlich nicht bloß in ihrer schlichten Wortfügung einen einfachen Sinn, sondern auch, wenn in anderer Reihenfolge gelesen, eine höhere kabbalistische Bedeutung. Darum werde auf die Buchstaben soviel Gewicht gelegt, so daß ein geringer Fehler eine Thorarolle unbrauchbar für die öffentliche Vorlesung mache. Selbst die Krönchen der Buchstaben, ihre Figuren und ihre jeweilige unregelmäßige [130] Bildung hätten ihre tiefe Bedeutung128. Nachmani kam durch seine Überschwänglichkeit zu Alfanzereien, die einen trüben Schein auf seine Größe werfen. Auf die Kabbala ging er zwar in seinen Kommentarien nicht tief ein, sondern streifte sie lediglich leise. Allein eben dadurch hat er sie noch mehr gehoben. Beschränkte schwärmerische Köpfe suchten um so mehr etwas hinter diesen Andeutungen und beuteten diese kabbalistischen Winke mehr aus, als die hellen Gedanken, die er darin niedergelegt hat. Nachmanis Erklärungsweise entging allerdings dem Tadel seiner Zeitgenossen nicht, zumal er im Kommentar Ausfälle auf Maimuni und noch heftigere auf Ibn-Esra gemacht hatte. Ein Verehrer der Philosophie und ihrer zwei schwärmerischen Jünger schrieb eine Widerlegung gegen ihn und schickte ihr eine Satire voraus, in der er namentlich Nachmanis Mystik lächerlich machte129. Die Frommen verehrten ihn dagegen als den ganz besonders gläubigen Rabbinen, und wie seine talmudischen Arbeiten fleißig gelesen und benutzt wurden, ebenso wurde sein Kommentar ein Lieblingsstudium der Mystiker130.

Nachmani, der noch über drei Jahre in Palästina lebte, unterhielt Verbindungen mit seinem Geburtslande, wodurch Judäa und Spanien einander näher rückten. Er schickte seinen Söhnen und Freunden seine Werke ein und gab ihnen in Briefen Aufschluß über die Lage des stets vom Elend verfolgten Stammlandes131. Er erweckte dadurch wieder die Sehnsucht nach dem heiligen Lande, welche einige Männer von schwärmerischer Gemütsart dahin zog. Nachmani starb als ein Siebziger (um 1270), und seine Gebeine wurden in Chaifa beigesetzt neben seinem Schicksals genossen R' Jechiel aus Paris, der vor ihm ausgewandert war. Es wäre ein Wunder, wenn sich nicht an den wundergläubigen Nachmani eine wunderbare Sage geknüpft hätte. Sie erzählt, seine Jünger, die [131] ihm bei seiner Auswanderung das Ehrengeleite gegeben, hätten von ihm ein Zeichen verlangt, wodurch ihnen sein Todestag kund würde. Darauf habe er ihnen folgendes gegeben, der Leichenstein seiner Mutter werde sich an seinem Todestage spalten. Drei Jahre nach seiner Auswanderung hätten seine Jünger das Denkmal gespalten gefunden132. Nachmani hat noch mehr durch seine Persönlichkeit, als durch seine Schriften auf seine Zeitgenossen und die Folgezeit eingewirkt. Seine zahlreichen Jünger, darunter der bedeutendste Salomo Ben-Adret, haben die nachmanische Geistesrichtung innerhalb der spanischen Judenheit maßgebend gemacht. Begeisterte und unerschütterliche Anhänglichkeit an das Judentum, Hochachtung vor dem Talmud und völlige Hingebung an denselben, dilettantenhafte Kunde von der Zeitbildung und der Philosophie, Anerkennung der Geheimlehre als einer uralten, mit Scheu zu behandelnden Überlieferung, ohne sich darin zu vertiefen, diese Merkmale finden sich durchschnittlich an den spanischen Rabbinen und Vertretern des Judentums in der Folgezeit. Fortan beschäftigte sich selten ein spanischer Rabbiner eingehend mit Philosophie oder mit irgendeinem Fache der Wissenschaft, nicht einmal mit Bibelexegese. Dem Talmud war ihr Denken ausschließlich zugewendet, die Wissenschaften fanden nur noch in außerrabbinischen Kreisen Pflege. Die einfache Bibelerklärung in der Art, wie sie Ibn-Esra und Kimchi betrieben, wurde überhaupt vernachlässigt.

Die Literaturgeschichte kennt nur einen einzigen Bibelexegeten dieser Zeit, einer Jerusalemer Tanchum133, Sohn eines gelehrten [132] Vaters Joseph Joschua, der wohl durch Nachmani zur Bibelforschung angeregt wurde (um 1265 bis 1280). Tanchum aus Jerusalem erklärte die ganze heilige Schrift in arabischer Sprache für seine arabisch redenden Stammesgenossen des Morgenlandes in schlichter ungekünstelter Weise. Seine wortgetreuen Kommentarien beruhen auf strenger Grammatik und haben im Anfange kurzgefaßte Einleitungen in derselben Art wie Nachmanis Kommentar zum Pentateuch. Tanchum berücksichtigte auch, wie wenige seiner Vorgänger, die biblische Zeitrechnung; er hatte also eine Ahnung von einer wissenschaftlichen und gründlichen Behandlung der Bibelexegese. Auch sonst war er schriftstellerisch tätig, hat aber so wenig Einfluß geübt, daß sein Name mehrere Jahrhunderte hindurch verschollen war.

Die Karäer, die pflichtschuldigst die Schrifterklärung zum Mittelpunkt ihrer geistigen Tätigkeit neh men sollten, haben in diesem Jahrhunderte so gut wie gar nichts darin geleistet. Ihre Verknöcherung nahm überhaupt immer mehr zu. Seit Jehuda Hadassi und Jephet ben Saïd (VI3, 159, 257) ist keine Persönlichkeit von irgendeiner Bedeutung unter ihnen aufgetreten. Die Ehrgeizigen unter ihnen ließen sich um weltlicher Vorteile willen vom Islam anlocken, und die Denker gingen zu den Rabbaniten über134, da ihre Lehre längst allen Boden verloren hatte und keinen Aufschwung der Geister mehr erregen konnte. Trotz der Schreibseligkeit in der Zeit seiner Blüte hat das Karäertum kein Lehrbuch der religiösen Pflichten erzeugt, das den Gelehrten genügen [133] und auch den Ungelehrten zugänglich sein könnte. Die Streitpunkte, welche die Karäer spalteten, über den Umfang der Verwandtschaftsgrade für die Ehe, über den Anfang des Monats und der Feste und andere, waren noch immer nicht geschlichtet. Zwei karäische Lehrer, der eine Vorsteher der Gemeinden in Ägypten und der andere derer in Konstantinopel, beide von geringem Rufe, gerieten in dieser Zeitepoche wieder in Streit über gewisse Verwandtschaftsgrade. Abulfadhel Salomo (ben David), der den Titel »Fürst« (Nazi al Raïs) führte (blühte um 1250 bis 1270)135 und in Kahira lebte, verhandelte zum hundertsten Male mit einem noch weniger bekannten karäischen Lehrer Aaron ben Jehuda in Konstantinopel über diesen Punkt. Der erstere verfaßte ein Werk über verbotene Ehen und über das Schlachtritual und der letztere Predigten. Beider Schriften müssen aber von so geringem Werte gewesen sein, daß sie sich nicht einmal unter den Bekenntnisgenossen erhalten haben.


Fußnoten

1 Judengemetzel 1221 in Erfurt, 1225 Mecklenburg, 1226 Breslau, 1235 Lauda, 1236 Fulda, 1241 Frankfurt a.M., 1243 Belitz. Vgl. darüber die vortreffliche Schrift Stobbe, Juden in Deutschland, S. 281 ff.


2 Vgl. Note 4.


3 Baronius (Raynaldus) annales ecclesiastici ad annum 1235. No. 20.


4 Verfasser des wissenschaftlichen Werkes שרדמ המכחה zuerst arabisch, dann von ihm selbst ins Hebräische übersetzt, auch eines astrologischen Werkes םיבכוכה יטפשמ. Vgl. über ihn de Rossi, Codex No. 421: Sub initio responsi ad imperatorem Fredericum narrat Jehuda Coen (Hispanus de urbe Toleti), se ejus quaestionem accepisse in patria sua, respondisse quum esset 18 annorum, deinde vero e Toleto – in Etruriam migrasse; vgl. Ozar Nechmad II, p. 234: ויה דועו יתבושתב דואמ חמש רסיקה ינפל םירבדה וצרהשכו ולגלגתנ םינש רשע ומכ ךכ רחאו תובושתו תובר תולאש וניניב וישעמ תנומת יתיארו רסיק לש תוצראל יתדריו םירבד ילע ינריבחהל םוי לכב ךרבתי לאל ללפתמ ינאו וימכחו וינינעו חמשו (shalew) ולש יצראל. In der Bearbeitung des Albatrongi gibt er das Jahr 1247 an. Vgl. noch Katalog der Leydner hebräischen Ms. Warner No. 20. Das astrologische Werk םיבכוכה יטפשמ, das sich in der Wiener Hofbibliothek befindet (Katalog Goldenthal XXXVII–93), schreibt der Katalogist Charisi zu, es gehört aber Jehuda Ibn-Matka an, wie es das. Bl. 88 lautet: הלוטילוטמ ןהכה המלש רב ןהכה הדוהי רבחמה רמא. Alcharisi dagegen war nicht Kohen. Aus dieser Schrift ergibt sich, daß Jehuda Ibn-Matka von mütterlicher Seite von den Ibn-Schoschan abstammte, und daß er am Stottern litt: (ןושל דבכ תויהל) יב םייקתנ הזו.


5 Am Schluß der Übersetzung eines aristotelischen Buches lautet die Nachschrift: רב יראמ אבא רב בקעי ינא ודסחו יתליפת ריסה אל רשא םיהלא ךורב וילוטנא רב ןושמש ריעב ב"צקתת תנשב ינש רדאב םילשהל יחכ תא ףילחהו יתאמ וקרדירפ רודרפנאה ונינודא בלב ןתנ רשא רזועה תרזעב ... ילופנ העבשל יתוא לכלכלו יתוא ןוזל הישרודו המכחה בהוא. Zu einem anderen Buche, bei de Rossi, Codices No. 771 in der Übersetzung, heißt es: deditque in corde domini imperatoris Frederici ... ut gratiosus esset mihi omniaque praestaret mihi et familiae meae. Jakob ben Machir erzählt von ihm לכב ועמשו ךלמה תיבב לודג היה ךלוה תונידמה (Minchat Kenaot, No. 39, p. 85, vgl. No. 68, p. 139).


6 Zitiert ihn oft in seinem Malmed und in dem Vorworte: ןבא לאומש 'ר ינתוח, תומכחב םירומ ינש קר יל ויה אל ירצונה לאכימ לודגה םכחהו ןובת.

7 Daselbst zu Abschnitt Bo: חורב רבד (םבמרה) אוה יכ ךלה אוה יכ, הלאה םינינעב רבדש המ לכ המכח ךרדבו שדקה ויה וניתורודב ףסאו דוד היה ולאו םיבותכהו םיאיבנה ירבד ךרדב םהש יפל וניבר ברה לע ורבדש המ הלאה םיערה םהילע םירבדמ בל ילד ינב.


8 Die Schrift Malmed (gedruckt Lyck 1866) wurde später Veranlassung zu einem heftigen Streit: Minchat Kenaot No. 39 und 68.


9 Nicht nur Roger Bacon, sondern auch der Zeitgenosse Albertus Magnus behaupten, Michael Scotus habe weder von der Sprache (arabisch) noch von Philosophie viel verstanden. Der erste sagt geradezu, er habe sich von einem Juden helfen lassen: Michael Scotus ignarus quidem et verborum et rerum fere omnia quae sub nomine ejus prodierunt, ab Andrea Judaeo mutuatus est (Jebbi praefatio ad opus majus). Der letztere: Consuevi dicere, quod Nicolaus non fecit librum illum (quaestiones Nicolai peripatetici), sed Michael Scotus qui in rei veritate nescivit Mauros, nec bene intellexit libros Aristotelis (opera T. II, p. 140). Liegt es nicht auf der Hand, daß die unter Scotus' Namen kursierenden lateinischen Übersetzungen von dem mit ihm an demselben Hofe weilenden Anatoli aus dem Arabischen übersetzt wurden, und daß Andreas Judaeus nur eine Verstümmelung des Namens Anatoli sei? Dazu kommt noch, daß Roger Bacon den Anfang von Michaels Tätigkeit ins Jahr 1230 setzt: Tempore Michaelis Scoti qui annis 1230 transactis apparuit, referens librorum Aristotelis partes aliquas etc. (l.c.p. 36). Und gerade in derselben Zeit war Anatoli in Neapel mit Übersetzen beschäftigt. Man wüßte sonst nicht, welchen Dienst Anatoli dem Kaiser hätte leisten sollen, wenn seine hebräischen Übersetzungen nicht sofort ins Lateinische übersetzt worden wären. Renans Behauptung, daß Michael Scotus zwischen 1217 und 1230 seine Übersetzungen angefertigt und daß sie erst im letzten Jahre Einfluß geübt, ist gegen den Wortsinn des Referats von Roger Bacon. Daß Andreas ein getaufter Jude gewesen sei, den M. S. in Toledo kennen gelernt habe, ist ebenfalls gegen den Wortsinn, da Bacon doch sagt: fast alles, was Scotus geschrieben, sei dem Juden entlehnt (Rénan Averroes et l'Averroisme p. 163 ff.). Es scheint, daß Anatoli Maimunis Moré Nebuchim mit Hilfe seines christlichen Mitarbeiters ins Lateinische übertragen hat. Vgl. Perles Monatsschrift XXIV, S. 80 ff.


10 Gregorii IX. epistolae ad omnes principes bei Mansi, Concilia T. XXIII, p. 786 und Raumer, Geschichte der Hohenstaufen, IV, S. 36. Vgl. dagegen Reuter, Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter, Bd. II, S. 275 ff.


11 Raumer a.a.O., S. 450.


12 Jovanni, l'ebraismo in Sicilia, p. 310.


13 Gemeiner, Regensburgische Chronik l. S. 336.


14 Ego Lublinus et frater meus Nekelo, Judaei, comites Camerae illustris ducis Austriae, Quelle bei C. A. Menzel, Geschichte der Deutschen, III, S. 392.


15 Vgl. darüber Stobbe a.a.O., S. 297, wo das Statut in extenso mitgeteilt und beleuchtet ist.


16 Dieses Statut vom 1. Juli 1244 in Rauch, Scriptores rerum Austriacarum I, p. 204 ff. ist besonders abgedruckt und beleuchtet in (J. Wertheimers) Juden in Österreich I, S. 35 ff., auch bei Stobbe das. S. 297 ff.


17 Die Einleitung sagt: quoniam unius cujusque conditio in nostro Dominio commorantis volumus gratiae ac benevolentiae nostrae participes inveniri, Judaeis universis in districtu Austriae constitutis haec jura statuimus.


18 1251 kopierte es der König Bela IV. von Ungarn fast wörtlich, 1254 König Ottokar von Böhmen, 1264 Boleslaus Pius, Herzog von Kalisch und Großpolen, 1265 Heinrich der Erlauchte für Meißen und Thüringen. Die kritische Vergleichung des Hauptstatuts mit den Kopien bei Stobbe a.a.O.


19 Kurz, Österreich unter Ottokar und Albrecht I., Teil II, S. 32. Das Gesetz ist datiert vom Jahre 1237.


20 Peter de Vineis, epistolae Frederici imperatoris IV, No. 12.


21 Chronik des Riccardo da St. Germano: Fredericus II. ordinavit contra Judaeos, ut indifferentia vestium et gestorum a Christianis discernantur; bei Muratori, antiquitates italianae I, p. 152.


22 Raumer a.a.O. 497.


23 Note 4.


24 Note 5.


25 Vgl. Bd. VI3, S. 365.


26 Schmidt, Geschichte von Frankreich I, S. 504.


27 Depping, histoire des Juifs au moyen-âge p. 124 f. Über die Stellung des Thomas von Aquino zur Wucherfrage vgl. Guttmann, das Verhältnis des Thomas von Aquino usw., S. 8 ff.


28 Eleasar von Worms, Rokeach, No. 296.


29 Vgl. A. Lewin in der Monatschrift Jahrg. 1869, S. 101 ff.


30 Note 5.


31 In der disputatio Jechielis cum Nicolao heißt es im Manuskript, wo R'Jechiel spricht: עודי ינממ אלפנהו תאצל וסנ אל ךא םלוכמ ריעצה ינאו ינממ םילודג שי יכ םירחאל ינומכ תוחלגה ינפל אבלו. In der Wagenfeilschen Ausgabe dagegen falsch: םהומכ – – אבלו תאצל יתיסנ אל ךא.


32 Diese Zahl kommt in Schibole Leket vor, bei Quetif und Ekhard dagegen nur 14 Wagen: Collectis igitur auctoritate regia de toto regno Franciae cunctis libris Talmud et Parisiis deductis una die combusti sunt ad quatuordecim quadrigatas et sex alia vice.


33 Siehe Note 5.


34 Abraham Bedaresi Diwan (Ms.) bei Zunz zur Geschichte, S. 462; von Meïr Rothenburg wurde die Zionide הפורש ילאש bei dieser Gelegenheit gedichtet. Vgl. Note 5.


35 Dieselbe Note.


36 Hillel von Verona, Sendschreiben.


37 Iggeret ha-Teschuba und Schaar ha-Teschuba. Vgl. über Jonas Schriften die Bibliographen.


38 Revue des Etudes Juives III, S. 214, No. 26 vom Jahre 1250. S. 216, No. 40 vom Jahre 1269.


39 Note 5.


40 Matthäus Paris, historia major ad annum 1241; Bd. VI3, S. 252, Note.


41 Dr. H. B. Auerbach hat diese Tatsache von der späteren Ansiedelung der Juden in Frankfurt a.M. richtig ermittelt aus Angaben des Elieser ben Nathan in Eben ha-Eser. Nach 1152 haben noch keine Juden daselbst gewohnt. (Berit Abraham. Frankfurt a.M. 1840. S. 26.)


42 Von den beiden Primärquellen über diese Verfolgung, den Erfurter Annalen (in Pertz' Monumenta Germ. XVI, p. 34) und dem Mainzer Memorbuch, berichtet die erste: Eodem anno (1241) – altercatio inter Christianos atque Judaeos in villa regia Frankenvort exorta est 9. Kal. Julii = d.h. 23. Juni. Die andere: ןויסב 'א 'ה ףלאל תחא הנש טרווקנרו יגורה = d.h. 24. Mai. Emendiert man in der ersten Quelle Kal. Junii statt Julii, so trifft es ebenfalls auf den 24. Mai. In dem genannten Memorbuche (Ms. bei Carmoly) führen mehrere Märtyrer von Frankfurt den Beinamen יתפרצ, was beweist, daß sie aus Frankreich dahin ausgewandert waren.


43 Böhmer, Codex Moeno-Frankfurtii I, 76.


44 So genannt von seinem Hauptwerk עורז רוא, welches jetzt gedruckt ist; vgl. weiter über ihn.


45 Respp. Chajim Elieser Or-Sarua (Sohn des Isaak) ed. Leipzig 1860. Nr. 221. Daraus ergibt sich das Zeitalter der im Texte genannten Rabbinen, die anderweitig wenig bekannt sind – es sei denn durch die weiter zu erwähnende Synode – d.h. zur Zeit der Frankfurter Verfolgung in den vierziger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts. David ben Schaltiel kommt noch an zwei anderen Stellen vor (Luzzato, Ozar Nechmad II., p. 10. Respp. Elieser Or-Sarua, Nr. 103). Über Isaak Or-Sarua vgl. Frankel-Graetz, Monatsschrift, Jahrg. 1871, S. 249 ff.


46 Mainzer Memorbuch.


47 Das.


48 In Respp. R'Meïr von Rothenburg gegen Ende und Mose Menz, Nr. 102, p. 153 b heißt es nach der Unterschrift der Synode von 1220 (richtiger 1223 o. S. 21): – – אלש – – םרחה יפ לע וליא תונקת ונשדח ךכ רחאו להקה תושר אלב םדא םוש ברה הדני. Dann folgen die Unterschriften: ןב דוד (?חירה בא) םהרבא ןב קחצי אשמריוו (ץנגעמ) אצנעמ אריפש להק לכו – – – לאיתלאש ומתחו ומיכסה.


49 Mansi concilia T. XXIII, p. 701, canones 37-43.


50 Mose Ibn-Tibbons Übersetzungen tragen als Daten die Jahre von 1244-1274, vgl. die Bibliographen über ihn. Er hat auch einige selbständige hebräische Werke geschrieben, die von geringerer Bedeutung und wenigem Einfluß geblieben sind, unter an dern ein Werk unter dem Titel האפ, worin er die von Christen verlachte Agada in maimunischer Manier zu Ehren bringen wollte; er bemerkte darin יתעדי יכ ינפמ ונילע וגעליו ונתלבק ירבד רוקחל ונל ומכחתה םיוגה ימכח יכ דומלתה ירבחמ םישודקה ונינומדק לעו.


51 Derselbe, der von manchen Bibliographen mit Schem-Tob Ibn Schaprut verwechselt wurde, gibt in seinem handschriftlichen Werke, »Praxis des Zaharawi« Zeitalter und einige biographische Züge von sich an. Das Werk ist verfaßt 1261. הברמ יתייה םדקמ יכ לאשאו וכע תנידמב םיל רבעמ היהאו השביבו םיב ךלוה הרוחסב ןיעמ היה יכ. יב רעגו הכלה רבד לע םלוכמ דבכנ ירבחמ דחא םלועה יחב עבשאו םלכאו (wa–ʼekalem). תרובשתה תמכחב ינאו, םיל רבעמ בושאו, הנש םישלש ןב ינאו, הרות דומלל בושל ןב קחצי 'ר ירומ ינפל ארקאו יקסע לכמ הנפאו הנולצרב ריעב יתחכש יכ – הלילו םוי יארע יקסעו עבק יתרות שעאו ןמז םלשמ רחוב יתייה רשא םימיב יתורוענב יתובא ינודמל רשא ידומלת המכחה לע הרוחסב קסעה. Im Verlaufe sagt er: יתשרפ ינאו האילישרמ ריעב הנה םירצונל. Die Abhandlung von Almansur übersetzte er 1264, im Alter von 58 Jahren. Vgl. über ihn Carmoly, histoire des médecins juifs p. 78 ff. Sein Geburtsjahr ist aber daselbst um 10 Jahre zu früh angesetzt.


52 Vaisette, histoire de Languedoc T. IV. preuves p. 499, No. 302.


53 de Laurière, ordonnances des rois de France T. II, p. 47.


54 Raumer, Geschichte der Hohenstausen IV, S. 157.


55 Baronius, annales ecclesiastici ad annum 1247, No. 84. Da diese lügenhaften Anschuldigungen des Kindermordes und des Genusses von Christenblut am Passah so unzähligemal und noch in unserer Zeit wiederholt wurden, so dürfte es nicht überflüssig sein, die Bulle Innocenz' IV. über diesen Punkt aus dem dreizehnten Jahrhundert in extenso mitzuteilen. Archiepiscopis et episcopis per Alemanniam constitutis. Lacrymabilem Judaeorum Alemanniae recepimus questionem, quod nonnulli tam ecclesiastici, quam saeculares principes ac alii nobiles et potentes vestrarum civitatum et dioecesum, ut eorum bona injuste diripiant et usurpent, adversus ipsos impia consilia cogitantes et fingentes accusationes varias et diversas, non considerato quod quasi ex archivis eorum christianae fidei testimonia prodierunt. Scriptura divina inter alia mandata legis dicente »non occides« ac prohibente, in solemnitate paschali quicquam morticinium non contingere, falso imponunt eisdem, quod in ipsa solemnitate (paschali) de corde pueri communicant interfecti, credentes, id ipsam legem praecipere, cum sit legi contrarium manifeste. Ac eis malitiose obiiciunt hominis cadaver mortui, si contigerit illud alicubi reperiri. Et per haec et alia quam plura figmenta sevientes in ipsos, eos super his non accusatos, non confessos, nec convictos, contra privilegia illis ab Apostolica sede clementer indulta spoliant contra Deum et justitiam omnibus bonis suis; et inedia, carceribus, ac tot molestiis tantisque gravaminibus premunt ipsos, diversis poenarum affligendo generibus, et morte turpissima eorum quamplurimos condemnando, quod iidem Judaei, quasi existentes sub praedictorum principum dominio deterioris conditionis, quam eorum patres sub Pharaone fuerint in Aegypto, coguntur de locis inhabitatis ab eis et suis antecessoribus a tempore, cujus non exstat memoria, miserabiliter exulare. Unde suum exterminium metuentes duxerunt ad apostolicam sedis providentiam recurrendum. Nolentes igitur praefatos Judaecs injuste vexari – – fraternitati vestrae per apostolica scripta mandamus, quatenus eis vos exhibeatis favorabiles et benignos etc. Die Bulle ist auch mitgeteilt Orient 1844, S. 319 f. von Kirchheim aus dem Kölner Stadtarchiv, aber nach einer fehlerhaften Kopie.


56 Daß Albertus Magnus die Schriften jüdischer Philosophen, namentlich Maimunis unter dem Namen Rabb Moyses Aegyptius benutzt hat, ist gegenwärtig eine anerkannte Tatsache. Vgl. o. S. 53 f., Anm. 3.


57 Ausführlich bei Quetif und Ekhard, scriptores ordinis praedicatorum T. I, p. 122 ff. und 166 ff.

58 Vgl. Bd. VI3, Note 1, S. 378, Nr. 29.


59 de Laurière, Ordonnances des rois de France I, p. 75, Nr. 32; Mansi, concilia XXIII, p. 882, Nr. 23. Auch Ibn-Verga hat in seinem Schebet Jehuda eine Nachricht, daß die Juden Frankreichs 5014 = 1244 (ד"י ןמיס) eine partielle Verbannung erlitten hätten (Nr. 32).


60 de Laurière a.a.O., p. 85. Das dort mitgeteilte Dokument soll dem Jahre 1257 oder 1258 angehören.


61 Das Werk, abbreviert ג"מס genannt, wurde zwischen 1245 und 1250 verfaßt.


62 Vgl. über denselben Zunz zur Geschichte, S. 37. Die von ihm verfaßten Tossafot zu Aboda Sara 9 b sind geschrieben nach 5012 = 1252 und vor dem nächsten Erlaßjahre 1259.


63 Respp. Meïr von Rothenburg Nr. 250, welches die Überschrift des Samuel von Falaise trägt, sagt im Eingang: הרבג דשא קיצמחה תמחמ ... יחכ ששתו יחור לזא ליכשהלו ןיבהל רפס ונידיב ןיאו חקל וניניע דמחמו ונ לע ודי.


64 Carmoly, Itinéraires p. 183.


65 Das.


66 Semag Gebote Nr. 184. Daß er auch in Griechenland gewesen sei, beruht auf dem Mißverständnis einer Stelle in Ascheri Jebamot IV, Nr. 6: 'ר הרוה ןכו ןויה ץראמ ל"ז זירפמ ףסוי רב לאיחי, es muß emendiert werden: ןוי ץראמ והולאשש הלאש תבושתב. Vgl. Carmoly, La France Israelite 96 ff.


67 Abgekürzt von ןטק תוצמ רפס, verfaßt 1277, nach de Rossi, Kodex Nr. 803 und andern. Isaak aus Corbeil starb 1280 das. vgl. Carmoly, la France, S. 39 ff.


68 Vgl. Zunz zur Geschichte, S. 38, 39, 41. Nach Mose hieß eine Sammlung die Evreux-Tossafot: הרבוא תופסות und nach Elieser die Touques-Tossafot: ךוט תופסות. Perez ben Elia, gekürzt פ"ר oder פ"רהמ genannt, machte Glossen zu Amude Gola, starb 1300.


69 Urkunde bei Tovey, Anglia judaica p. 77-79 schon vom Jahre 1217.


70 Das. p. 81 vom Jahre 1218.


71 Tovey, p. 55, 61, 137 Elia von London wird auch in rabbinischen Schriften zitiert, Zunz zur Geschichte, S. 98.


72 Das. p. 55.


73 Das. p. 117.


74 Das. p. 81.


75 S. oben S. 92.


76 Tovey p. 148.


77 Viele Urkunden bei Rymer, foedera unter Heinrich III. und bei Tovey.


78 Tovey p. 98, 108, 127 ff.


79 Das. p. 110 f. Urkunde vom Jahre 1241.


80 Das. p. 137, 145, 157.


81 Das. p. 148 vom Jahre 1253.


82 Matthäus Paris, historia major ad anum 1254, p. 887 und ad annum 1255, p. 902.


83 Lord Koke bei Tovey, p. 237 f. Tovey bemerkt zwar, er habe in der Urkunde nur die Zahl quadringenti viginti duo libri gelesen, aber die Tausend müssen ergänzt werden, denn die Zahl 422 ist gar zu gering.


84 Tovey p. 108.


85 Tovey p. 58.


86 Matthäus Paris a.a.O. ad annum 1257, p. 922.


87 Quellen bei Pauli, Geschichte Englands III, S. 764. Diese sprechen zwar nur von 500 getöteten Juden, das Mainzer Memor-Buch hat aber die Zahl 1500: ד"כ תושפנ תואמ ו"ט שירדנול יגורה םיה ייא יגורה יששה ףלאל.

88 Tovey p. 167.


89 Das. p. 188 f.


90 Dukes, jewish Chronicle 1849, p. 296 ff. Renan, Les Rabbins français du commencement du XIV. siècle p. 484 ff. Ein Stück der Einleitung aus dem רפס םהשה Orient, Jahrg. 1844, p. 518.


91 Zu Zuñiga, annales de la ciudad de Sevilla T. 1, p. 136.


92 Dieser Schlüssel, der noch in der Kathedrale von Sevilla aufbewahrt wird, hat die hebräische Inschrift: אובי ץראה לכ ךלמ חתפי םיכלמ ךלמ, und die spanische: Dios abrira, Rey enterara. Abbildung bei Zuñiga, p. 47 und bei Papenbroch, vita St. Ferdinandi; vgl. Amador de los Rios estudios de los Judios en España, p. 33. Die Einnahme von Sevilla fiel 1248.


93 Arrendaron Don Çag (Zag) y su hermano Don Jucef hijos del Almojarif Don Mair – – los tercios de la rentas reales, Landazuri y Romarate historia de la ciudad de Victoria; Kayserling, Geschichte der Juden in Navarra, S. 117. Nachmani nennt ihn: לודגה רשה ודוה םורי (ףירשומלא 1.) ןירשמלא ריאמ’ר םכחה in den pseudonachmanischen Respp. Nr. 284. Da dieses Gutachten (welches echt nachmanisch ist) an R. Jona I. gerichtet ist, und dieser 1263 starb, so ergibt sich daraus, daß D. Meïr schon in den ersten Regierungsjahren Alfonsos das Amt bekleidete.


94 Vgl. über die jüdischen Naturkundigen unter Alfonso Note 6.


95 Higueras hat diese Nachricht zuerst mitgeteilt und will sie im Prologe zu den alfonsinischen Tafeln gefunden haben. Sie ist in verschiedenen Schriften in extenso mitgeteilt. Auch Alexander von Humboldt hat diesen astronomischen Kongreß als ein Faktum behandelt. Die Ungeschichtlichkeit desselben ist gründlich, wenn auch verworren, nachgewiesen in Lehmanns Literatur des Auslandes, Jahrg. 1848, S. 226 f. und 230 f.


96 Ibañes de Segovia, Marquis de Mondejar, memorias historicas del rey Don Alfonso el sabio, p. 451, vgl. dagegen Tiknor, History of the spanish Literature, Neuyorker erste Ausgabe I, p. 45, Note.


97 Baronius (Raynaldus), Annales eccles. ad an. 1279, No. 26: Item Judaeos Christianos praeponit (Alfonsus rex) multipliciter, unde multa mala proveniunt.


98 El Setenario oder las siete partidas.


99 Im siebenten Teil, Titel 24: de los Judios.


100 Siehe partida VII, Titel 24, § 3.


101 Das. § 11.


102 Das. § 8.


103 Das. § 2.


104 Das.


105 Das. und § 8. Ende. Defendemos, que ningun Christiano non reciba medizinamiento, que sea feeho por mano de Judio.


106 Das. und § 4-6; Partida III, Titel 11, § 20.


107 Vgl. die Quellen darüber in Ersch und Grubers Enzyklopädie, T. 27, S. 211, Note 95 ff.


108 Die Hauptquelle für diese Fakta ist das von Nachmani selbst verfaßte ולופ יארפ םע ןבמרה חוכו (disputatio Nachmanidis cum Paulo Christiani) nach der ersten und besten Ausgabe Konstantinopel 1710 (in der Sammelschrift הבוח תמחלמ), die von den Handschriften nur wenig divergiert. Daß diese Schrift echt nachmanisch ist, woran nur die schlechte Wagenseilsche Ausgabe zweifeln machen konnte, ist aus dem ganzen Tenor zu entnehmen. Die Echtheit wird übrigens durch die päpstliche Bulle (Note 2) bestätigt. – Daß Fray Pablo ein Konvertit war, sagt ein Schreiben des Papstes Clemens IV. ausdrücklich: Ad haec autem dilectus filius noster Paulus, dictus Christianus – creditur non modicum profuturus, quia ex Judaeis trahens originem, et inter eos literis Hebraïcis instructus, linguam novit ... et legem et errores illorum, bei Carpzov Einleitung zu pugio fidei. – Nachmani referiert im Eingange, daß Pablo vor der Disputation Bekehrungsreisen in der Provence und anderswo gemacht: יארפ) ךלהש זאמ יכ םיבר תומוקמבו הסניבורפב (ולופ. E. C. Girbal, Los Judios de Gerona 1870. Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 1887.


109 Das Jahresdatum gibt Nachmani in der Schrift genau an: 1195 seit der Tempelzerstörung = 1263 (p. 8 a). Das Tagesdatum gibt eine Quelle in Quetifs und Ekhards scriptores ordinis Praedicatorum I, p. 246: Laudatur solemnis, quam praesente rege, astantibus viris omnium ordinum sapientissimus habuit (Paulus Christianus) cum Moyse Gerundensi Barcione disputatio XX. Julii 1263. Freilich bleibt es unbestimmt, ob hier vom ersten oder letzten Tage der Disputation die Rede ist. Vgl. Denifle, Quellen zur Disputation Pablo Christianis mit Moses Nachmani zu Barcelona 1263, im historischen Jahrbuch der Görresgesellschaft 1887 und dazu Loeb in der Revue d.E. J. XV, S. 1 ff.


110 Nachmani erzählt es selbst in der Disputation, und wenn er, der Mann der strengen Wahrhaftigkeit, behauptet, er habe wissentlich an dem Hergang nichts geändert, so dürfen wir es ihm glauben und den ruhmredigen Bericht der Dominikaner danach beurteilen. Diese erzählten nämlich: Paulus ita clare demonstravit, ut Rabbinus (Moyses Gerundensis) qui ceu oraculum apud suos habebatur, ad infitias redactus ac mutus redditus, clam se subduxerit et aufugerit, bei Quetif a.a.O.


111 Wagenseil, Einleitung zu Nachmanis Disputation aus Lindenbergs Codex legum antiquarum.


112 Carpzovs Einleitung zu Martins pugio fidei, p. 92, 105 f. Das Datum ist nicht ganz sicher. Carpzov setzt es 1265, allein die Bulle trägt das Datum: anno pontificatus nostri tertio, sub anno domini 1267.


113 Raymundi Martini pugio fidei adversus Mauros et Judaeos, zuerst ediert Paris 1651, zweite Edition Leipzig und Frankfurt 1668 mit einer großen judenfeindlichen Einleitung von Carpzov. Vgl. Einleitung zu pugio und II, 14, 8.


114 Penjaforte war seit 1240 nicht mehr Ordensgeneral; vgl. Denifle a.a.O., S. 239.


115 S. Note 2.


116 Zusätze zu Maimunis Sefer ha-Mizwot ed. Berlin, p. 80 a f. Pentateuchkommentar zu Numeri 33, 53 und Deuteronomium 1.


117 Sendschreiben zum Schluß des Pentateuchkom mentares und das Sendschreiben an seinen Sohn Nachman, vgl. Note 7.


118 Dieselbe Note.


119 Sendschreiben an seinen Sohn Nachman.


120 Pentateuchkommentar zur Genesis 11, 28.


121 Elia Baschjazi, Einleitung zu seinem Werke תרדא והילא. Vgl. Perles in Frankels Monatsschrift, Jahrgang 1858, S. 89, Note 2.


122 Pentateuchkommentar Einleitung und zur Genesis 35, 16. Vgl. Perles a.a.O.


123 Das. Einleitung zur Genesis.


124 Abhandlung über die Bedeutung der Thora, die sogenannte Derascha, angeblich vor dem König von Aragonien gehalten, p. 1-5.


125 Pentateuchkommentar, zu 2, 3 und Derascha, p. 31 f.


126 Das. zu Abschnitt Schemini und Achre; Derascha, p. 29 f.


127 Schaar ha-Gemul ed. Vened., p. 87 ff., Derascha, p. 26 ff.


128 Einleitung zum Pentateuchkommentar, Derascha, p. 30 f.

129 Zeitschrift Chaluz II., Ende. Auch Hillel aus Verona, ein jüngerer Zeitgenosse, urteilte von Nachmani, daß seine Widerlegungen maimunischer Lehrsätze geschmacklos seien (Chemda Genusa, p. 20).


130 Todros Levi verfaßte einen Kommentar zu Nachmanis Mysterien um 1300 (vgl. de Rossi. codices, No. 68 und über denselben Note 12), ferner Schem-Tob Ibn-Gaon 1315, Isaak aus Akko um 1330, und noch andere.


131 Außer den zwei bekannten Sendschreiben zum Schluß des Pentateuchkommentars (von denen das letztere auch unter dem Titel רסומה תרגא ediert ist), sind noch zwei handschriftlich vorhanden, von denen das eine angeblich an einen seiner Söhne in Barcelona gerichtet, aber wohl apokryph ist. Das andere, angeblich an seinen Sohn am kastilischen Hofe, ist in der Leydener Bibliothek (Warner 59, 3) mit der Überschrift: לארשי ץראב ותויהב ןבמרה חלשש תרגאה תאזו ךלמה ינפל דמוע ונב תויהב אייליתשקל, dessen Echtheit erst kritisch zu untersuchen ist.


132 Die Sage hat Ibn-Jachja in Schalschelet aufbewahrt. Hält man die drei Jahre fest, so fiele Nachmanis Tod 1270. Von dieser Zahl läßt sich nicht viel abmarkten, da seit 1267 wohl einige Jahre verstrichen sein müssen, bis sich Jünger aus weiter Ferne um ihn gesammelt, und er seine Kommentarien ausgearbeitet hat. Edelmann hat ein Schreiben von N. gesehen, datiert von 1268 (Chemda Genusa XXV, Note). Die Zahl 'כ 'ה bei Zacuto = 1260 für Nachmanis Todesjahr ist jedenfalls ein Korruptel. – Isaak Chelo referiert, daß Nachmani und Jechiel aus Paris mit vielen andern, die in Akko starben, in Chaifa beerdigt wurden (Carmoly, Itinéraires, p. 245).


133 Tanchums Name tauchte erst am Ende des vorigen Jahrhunderts auf, auferweckt durch den Orientalisten Schnurrer, der zuerst etwas von dessen Kommentarien mitgeteilt hat. Seitdem sind seine exegetischen Arbeiten mehr ans Licht gezogen worden, ohne daß man Näheres von seiner Biographie wüßte. Munk setzt Tanchum vor David Kimchi, weil er dessen exegetische Schriften nicht zitiert (Einleitung zu Habakuk, p. 3); allein es ist noch zu beweisen, daß Kimchis Arbeiten im Orient schon so bekannt waren, daß ein später Lebender darauf hätte Rücksicht nehmen müssen. Es folgt im Gegenteil aus einem Passus, den Munk selbst aus Tanchums Morschid zitiert, daß er nach der Invasion der Mongolen in Palästina, also nach Kimchi, schrieb. Der Passus lautet: La décadence des études, causée par les troubles et les malheurs qui affligeaient cette époque, et qui permettaient à peine – qu'on s'occupât de la lecture du texte biblique, et à plus forte raison, d'autres études. Unter diesem Unglücke kann nur die Verheerung Palästinas durch die Mongolen 1260 verstanden werden. Tanchum hat also später geschrieben, aber nicht lange darauf. – Von seinen Kommentarien ןאיבלא באתכ, mit einer längeren Einleitung dazu: תאילכלא, sind bis jetzt ediert: 1. zu Josua, von Haarbrücker, Berlin 1862 (in den wissenschaftl. Bl. aus der Veitel-Heine-Ephraimschen Lehranstalt); 2. zu Richter, cap. 1-12 von Schnurrer, Tübingen 1791, cap. 13 bis Ende von Haarbrücker, Halle 1847; 3. und 4. zu Samuel und Könige von demselben, Leipzig 1844; 5. Habakuk von Munk, Paris 1843; 6. zu Klagelieder von Cureton, London 1843. Das Übrige noch Ms. – Tanchum übersetzte außerdem die Haftarot arabisch und arbeitete ein Glossarium zu Maimunis Mischne Thora aus mit einer Einleitung unter dem Titel יפאכלא רושרמלא, ebenfalls arabisch. (Vgl. Munk, Einleitung zu dessen Habakuk.) – Ein anonymer Kommentator der Bibel, vermutlich ein Karäer, soll (nach Pinsker) Tanchum zitieren. (Likute, Einleitung, p. 226 f.)


134 Über den Übertritt der Karäer zum Islam vgl. Munk in Josts Annalen, Jahrg. 1841, S. 84, über den Übertritt zu den Rabbaniten vgl. weiter.


135 Pinsker in Likute Kadmonijot, Einleitung, S. 233 und Noten S. 178 hat richtig nachgewiesen, daß המלש אישנה mit לצאפלאובא סיירלא identisch ist. Sein Zeitalter folgt daraus, daß ihn zuerst nennen Aaron der Ältere (schrieb 1294) und Israel Dajan Maghrebi (schrieb 1306-1324). Salomo Naßi gehörte also der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts an, und ebenso sein Korrespondent ינידסוק הדוהי ןב ןורהא, der von Mardochaï Luzki (in Dod Mardochai, p. 22 b) לעב תושרדה genannt wird. Vgl. über beide Pinsker a.a.O. und Katalog der hebräischen Bibliothek von Leyden, p. 234 ff.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 7, S. 135.
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