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[27] VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Verteidigung ersucht, der heutigen Sitzung beizuwohnen, da er wünscht, daß sie sich mit der Art des Verfahrens, das der Gerichtshof während des Prozesses anzuwenden gedenkt, vollkommen vertraut macht. Das Gericht ist sich bewußt, daß das im Statut festgelegte Verfahren sich in gewisser Hinsicht von dem Verfahren unterscheidet, an das die Verteidigung gewöhnt ist. Der Gerichtshof wünscht daher, daß die Verteidigung sich über das Verfahren, das wir einschlagen werden, in keinem Mißverständnis befinden soll.
Artikel 24 des Statuts sieht die Verlesung der Anklageschrift im Gerichtshof vor. Aber in Anbetracht der Länge der Anklageschrift und der Tatsache, daß der Inhalt jetzt wohl bekannt ist, ist es möglich, daß die Verteidiger eine vollständige Verlesung nicht für notwendig halten werden.
Die Eröffnung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft wird notwendigerweise eine lange Zeit in Anspruch nehmen, und während dieser Zeit werden die Verteidiger die Möglichkeit haben, ihre Vorbereitungen für die Verteidigung zu beenden.
Wenn Zeugen für die Staatsanwaltschaft aufgerufen werden, dann müssen die Verteidiger verstehen, daß es ihre Aufgabe ist, die Zeugen unter Kreuzverhör zu nehmen. Es ist nicht die Absicht des Gerichtshofs, die Zeugen selbst ins Kreuzverhör zu nehmen.
Der Gerichtshof wird erst dann die Verteidigung auffordern, ihre Beweisanträge zu stellen, wenn die Anklage abgeschlossen ist.
Wie die Verteidigung bereits weiß, macht der Generalsekretär des Gerichtshofs jede Anstrengung, alles Beweismaterial zu stellen – sei es durch Zeugenaussagen, sei es durch Dokumente –, das von der Verteidigung gefordert und vom Gerichtshof genehmigt wird.
Der Generalsekretär stellt Wohnung, Verpflegung und Transportmittel für die Verteidiger und für die Zeugen während ihres Aufenthalts in Nürnberg zur Verfügung. Und sollten diese Lebensbedingungen auch nicht die besten sein, so wird die Verteidigung doch verstehen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen große Schwierigkeiten bestehen, und daß jede Anstrengung gemacht werden wird, um alle billigen Forderungen zu erfüllen.
Der Verteidigung sind ein Dokumentenzimmer und ein Auskunftsbüro zur Verfügung gestellt worden, wo sie die ins Deutsche übersetzten Dokumente vorfinden wird – unter Einhaltung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen. Es ist wichtig, daß die Verteidigung den Generalsekretär so früh wie möglich – und im allgemeinen [27] mindestens drei Wochen im voraus – von den von ihr benötigten Zeugen oder Dokumenten in Kenntnis setzt.
Die Dienste, die die Verteidiger erfüllen, sind wichtige öffentliche Dienste im Interesse der Gerechtigkeit, und die Verteidiger werden den Schutz des Gerichtshofs in der Erfüllung ihrer Aufgaben genießen.
Damit das Verfahren nicht unnötig in die Länge gezogen wird, wäre es wünschenswert, daß die Verteidigung sich darüber verständigt, in welcher Reihenfolge sie die Zeugen für die Anklagevertretung ins Kreuzverhör zu nehmen und ihre Verteidigung vorzubringen wünscht, und daß sie ihre diesbezüglichen Wünsche dem Generalsekretär mitteilt.
Ich hoffe, daß das jetzt Gesagte der Verteidigung in der Vorbereitung ihres Falles helfen wird. Sollten Sie im Zusammenhang mit meinen Ausführungen irgendwelche Fragen zu stellen haben, so werde ich mich bemühen, sie zu beantworten.
DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Herr Vorsitzender!...
VORSITZENDER: Wollen Sie bitte zum Stand vortreten, Ihren Namen sagen und angeben, wen Sie verteidigen.
DR. THOMA: Ich bin Dr. Thoma, Verteidiger des Angeklagten Rosenberg.
VORSITZENDER: Ja.
DR. THOMA: Ich möchte die Frage stellen, ob der Verteidigung sofort die Stenogramme über die Vernehmung der Zeugen ausgehändigt werden können.
VORSITZENDER: Exemplare der Anklageschrift? Die sind ja den Angeklagten zugestellt worden. Verstehe ich Sie richtig, daß Sie noch zusätzliche Exemplare für die Verwendung der Verteidiger haben wollen?
DR. THOMA: Ich möchte meine Frage genauer stellen. Ich nehme an, daß alle Aussagen der Angeklagten mitstenographiert werden und möchte fragen, ob diese dann in die deutsche Sprache übersetzt werden und dann der Verteidigung ausgehändigt werden, und zwar möglichst bald.
VORSITZENDER: Wenn Sie eine Niederschrift des dem Gerichtshof vorgelegten Materials meinen, so wird das laufend aufgenommen; und wenn es in einer anderen als der deutschen Sprache vorgelegt wird, wird es ins Deutsche übersetzt und der Verteidigung zur Verfügung gestellt werden. Wenn das Beweismaterial in deutscher Sprache ist, so werden Sie es in deutscher Sprache erhalten.
DR. THOMA: Werden wir alle Abschriften über die Vernehmung der Zeugen bekommen?
[28] VORSITZENDER: Ja. Das habe ich mit Niederschrift des dem Gerichtshof vorgelegten Beweismaterials gemeint. Eine Abschrift des Beweismaterials in deutscher Sprache für jeden Zeugen wird Ihnen zur Verfügung gestellt werden.
DR. THOMA: Ich danke schön.
DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Eure Lordschaft, meine Herren Richter! Ich habe den ehrenvollen Auftrag meiner Herren Kollegen auf der Verteidigerbank erhalten, Eurer Lordschaft für die Worte, die Eure Lordschaft jetzt an die Verteidiger gerichtet haben, zu danken. Wir Verteidiger fühlen uns als Gehilfen des Gerichts bei der Findung eines gerechten Urteils und vertrauen uns in der Verhandlungsführung der weisen, lebenserfahrenen Verhandlungsführung Eurer Lordschaft vertrauensvoll an. Eure Lordschaft kann überzeugt sein, daß wir ganz im Sinne der eben von mir skizzierten Aufgabe mitwirken werden bei der schwierigen Aufgabe für dieses Gericht, gerade in diesem Falle ein gerechtes Urteil zu fällen.
VORSITZENDER: Ich nehme an, daß die Verteidigung im jetzigen Stadium der Verhandlungen keine weiteren Fragen zu stellen wünscht. Sie wird verstehen, daß, wenn sie zu einem künftigen Zeitpunkt irgendwelche Fragen zu stellen wünscht, diese an den Generalsekretär zu richten sind.
Das Gericht wird sich bis 2 Uhr vertagen, wenn über den Antrag in Sachen des Angeklagten Streicher verhandelt werden wird.
[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
VORSITZENDER: Ich glaube, daß einige Verteidiger heute anwesend sind, die gestern nicht hier waren und die vielleicht nicht verstehen, wie die Wählscheibe und die Kopfhörer zu gebrauchen sind. Deshalb möchte ich Ihnen erklären, daß Nr. 1 auf der Wählscheibe es Ihnen ermöglicht, alle Reden der Beweisführung in der Originalsprache zu hören; Nr. 2 in der englischen, Nr. 3 in der russischen, Nr. 4 in der französischen und Nr. 5 in der deutschen Sprache.
Ich werde jetzt die Entscheidung des Gerichtshofs über den Antrag des Verteidigers für Gustav Krupp von Bohlen und Halbach auf Vertagung des Verfahrens gegen den Angeklagten verlesen.
Der Verteidiger von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach hat den Antrag auf eine Vertagung des Verfahrens gegen diesen Angeklagten gestellt mit der Begründung, er sei körperlich und geistig nicht fähig, der Verhandlung zu folgen und Beweise für seine Verteidigung vorzubringen.
[29] Am 5. November hat der Gerichtshof einen Ärzteausschuß ernannt, der sich. aus den folgenden Ärzten zusammensetzt:
R. E. Tunbridge, Brigadier, O. B. E., M. D. M. Sc., F. R. C. P. Beratender Arzt, Britische Rheinarmee
Dr. med. René Piedelievre, D., Professor der Medizinischen Fakultät, Paris; Gerichtsspezialist
Dr. med. Nicholas Kurshakow, D., Professor der Medizin; Medizinisches Institut Moskau; Haupt- Internist im Kommissariat für Volksgesundheit, USSR
Dr. med. Eugene Sepp, D., Professor Emeritus der Neurologie; Medizinisches Institut Moskau; Mitglied des Wissenschaftlichen Instituts, USSR
Dr. med. Eugene Krasnushkin, D., Professor der Psychiatrie; Medizinisches Institut, Moskau
Major Bertram Schaffner, Neuro-Psychiater; Sanitätskorps der Amerikanischen Armee.
Der Ausschuß hat dem Gerichtshof berichtet, daß er übereinstimmend der Meinung ist, daß Gustav Krupp von Bohlen an seniler Gehirnerweichung leidet, daß sein geistiger Zustand derartig ist, daß er nicht imstande ist, der Gerichtsverhandlung oder den Zeugenverhören zu folgen und an den letzteren teilzunehmen. Sein Gesundheitszustand ist derartig, daß er nicht ohne Lebensgefahr transportiert werden kann, und sein Zustand wird sich wahrscheinlich nicht bessern, sondern eher verschlechtern.
Der Gerichtshof nimmt diese Beschlüsse des Ausschusses an, und weder von der Anklagebehörde noch von der Verteidigung werden Bedenken dagegen erhoben.
Artikel 12 des Statuts berechtigt den Gerichtshof, gegen einen Angeklagten in absentia ein Verfahren durchzuführen, falls dies im »Interesse der Gerechtigkeit« für erforderlich gehalten wird.
Es ist die Ansicht der Hauptanklagevertretung, daß im Interesse der Gerechtigkeit über Gustav Krupp von Bohlen in absentia verhandelt werden soll, trotz seines körperlichen und geistigen Zustandes.
Es ist die Entscheidung des Gerichtshofs, daß es unter Berücksichtigung der erwähnten Tatsachen im Interesse der Gerechtigkeit nicht erforderlich ist, daß das Verfahren gegen Gustav Krupp von Bohlen in absentia durchzuführen ist.
Das Statut des Gerichtshofs sieht eine gerechte Gerichtsverhandlung vor, in der die Hauptanklagevertretung die Beweise zur Unterstützung der Anklage vorbringen kann, und in der die Angeklagten die Verteidigungsmomente vorbringen können, die sie für vorhanden erachten.
[30] Wo Natur und nicht Flucht oder Versäumnis ein solches Verfahren unmöglich gemacht hat, da ist es nicht im Einklang mit der Gerechtigkeit, daß das Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wird.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof angeordnet:
1. Dem Antrag auf Vertagung des Verfahrens gegen Gustav Krupp von Bohlen wird stattgegeben.
2. Die in der Anklageschrift gegen Krupp von Bohlen gerichteten Anklagen werden zwecks späterer Verhandlung gegen den Angeklagten aufrechterhalten, falls sein körperlicher und geistiger Gesundheitszustand eine spätere Verhandlung möglich machen wird.
Weitere von der Hauptanklagevertretung aufgeworfene Fragen, einschließlich der Frage der Hinzufügung eines weiteren Namens zu der Anklageschrift, werden später in Betracht gezogen werden.
Der Gerichtshof wird jetzt den Antrag in Sachen des Angeklagten Streicher hören.
Will der Anwalt des Angeklagten Streicher seinen Namen angeben?
DR. HANS MARX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN STREICHER: Hoher Gerichtshof! Ich habe mir als Verteidiger des Angeklagten Julius Streicher vor einiger Zeit erlaubt, um eine Verschiebung des Termins zum Beginn der Hauptverhandlung nachzusuchen, da mir die zur Verfügung stehende Zeit zur Vorbereitung im Hinblick auf die Wichtigkeit der Angelegenheit und dieses Falles als nicht ausreichend erschienen war.
Heute morgen nun hat der Herr Präsident des Gerichtshofs dargelegt, in welcher Weise das Verfahren sich abwickeln wird, und es ist daraus ohne weiteres zu ersehen, daß der Verteidigung genügend Zeit zur Verfügung steht, nach der Eröffnung der Verhandlung die Verteidigung für den Klienten noch weiter vorzubereiten. Etwa bestehende Bedenken meinerseits sind dadurch weggeräumt, und ich ziehe daher meinen Antrag als gegenstandslos hiermit zurück.
Hoher Gerichtshof! Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir eine Anregung erlauben, welche ebenfalls die Verteidigung des Angeklagten Streicher betrifft.
Bei der besonderen Natur dieses Falles und der Schwierigkeiten, die dem Verteidiger bei der Behandlung dieses Falles entgegentreten, möchte ich mir die Anregung gestatten zu erwägen, ob nicht eine psychiatrische Untersuchung des Angeklagten Streicher vorzunehmen ist. Der Verteidiger muß, um sich selbst eine Meinung bilden zu können, alle Beweismittel heranziehen über Wesensart, Persönlichkeit und die Motive eines Angeklagten, die erforderlich erscheinen, um sich ein Urteil über die Person bilden zu können, [31] die er zu verteidigen hat. Das gleiche gilt aber auch für den Gerichtshof. Zu meiner eigenen Sicherung halte ich es für geboten, daß eine derartige Untersuchung von Amts wegen durch den Gerichtshof erfolgt. Ich lege besonders Wert darauf, daß dies nicht als ein formeller Antrag, sondern als ein Vorschlag erscheint. Ich benötige das zu meiner eigenen Deckung, weil mein Klient nicht wünscht, daß eine solche psychiatrische Untersuchung vorgenommen wird, weil er der Meinung ist, daß er geistig vollkommen normal ist. Ich selbst kann das nicht feststellen; das ist Sache eines psychiatrischen Sachverständigen. Ich bitte daher den Hohen Gerichtshof, diese Anregung zu erwägen und, wenn Ihnen meine Anregung als den Umständen nach notwendig und geboten erscheint, einen Sachverständigen von Autorität nach Ihrer Wahl mit der Vornahme dieser Untersuchung beauftragen zu wollen. Das ist das, was ich mir zur Vorbereitung der Hauptverhandlung in Anregung zu bringen erlauben wollte.
VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte. Es scheint dem Gerichtshof, daß Vorschläge, wie die von Ihnen soeben gemachten, in der Form eines formellen Antrages oder Gesuches gemacht werden sollten, und daß dies schriftlich geschehen soll. Wenn, wie Sie sagen, der Angeklagte Streicher es nicht will oder nicht bereit ist, sich einer solchen Untersuchung zu unterziehen, soll Ihr Antrag schriftlich erklären, daß der Angeklagte sich weigert, dieses Gesuch zu unterschreiben.
Wenn Sie einen solchen Antrag stellen wollen, dann steht es Ihnen frei, es schriftlich zu machen.
DR. MARX: Ich bitte um Erlaubnis, darauf kurz zu erwidern, Herr Präsident! Es ist gerade, weil der Angeklagte mir gegenüber es ablehnt, daß ich als Verteidiger ein solches Gesuch stellen kann, und daher ich es als geboten erachte, den Hohen Gerichtshof hier, und zwar in aller Öffentlichkeit, zu bitten und ihn davon zu verständigen, weil ich eben durch die Haltung meines Klienten gebunden bin und gar nicht in der Lage bin, eine derartige schriftliche Anregung zu geben. Ich kann ohne Erlaubnis meines Klienten eine derartige schriftliche Anregung gar nicht geben, und ich bin daher gezwungen, diesen Schritt öffentlich zu tun, um mich auch in dieser Richtung zu decken.
VORSITZENDER: Aus dem, was ich soeben sagte, verstehen Sie aber doch, daß, wenn Sie einen solchen Vorschlag machen wollen, Sie diesen Vorschlag schriftlich niederlegen müssen, und Sie in dieser Erklärung erwähnen können, daß der Angeklagte Streicher sich weigert, eine solche Erklärung zu unterschreiben.
DR. MARX: Darf ich noch etwas sagen? Ich danke dem Herrn Vorsitzenden für seine Erklärung und werde nicht verfehlen, in diesem Sinne zu handeln.
[32] VORSITZENDER: Wollen die Hauptanklagevertreter eine Erklärung abgeben?
OBERST ROBERT G. STOREY, ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Ich möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß die Haltung des Angeklagten Streicher einen Vorschlag betont, der schon heute früh von der Anklagevertretung gemacht worden ist, nämlich, daß alle Anträge und Gesuche der Verteidigung erst schriftlich gemacht werden, bevor sie dem Gerichtshof unterbreitet werden; und die schriftlichen Anträge wurden seit der Sitzung heute morgen dem Generalsekretär übergeben.
Da ich jetzt hier das Wort habe, möchte ich eine kurze Erklärung im Zusammenhang mit den Bemühungen abgeben, die von der Anklagebehörde unternommen wurden, um der Verteidigung Beweismaterial und Dokumente, die sie interessieren, verfügbar zu machen, falls ich die Erlaubnis des Gerichtshofs habe.
VORSITZENDER: Ja.
OBERST STOREY: Bezüglich des zweiten Punktes, den der Verteidiger Streichers in seinem Antrag aufwarf, nämlich, daß die Ankläger gewisse Dokumente zur Verfügung stellen müssen, möchte ich sagen, daß dies bereits geschehen ist und auch in Zukunft geschehen wird.
Zweitens, bezüglich des Films über Konzentrationslager, von dem er wünscht, daß er der Verteidigung zugänglich gemacht werde, bevor der Film gezeigt wird, wird diesem Gesuche seitens der Ankläger ebenfalls stattgegeben werden.
Weiterhin möchte ich zur Information der Verteidigungsanwälte sagen, daß im Zimmer 54 in diesem Gerichtsgebäude ein sogenanntes Informationszentrum für die Verteidigung eingerichtet worden ist, das von den vier Hauptanklägern gemeinsam geleitet wird. In diesem Zimmer befindet sich eine Liste der Dokumente, auf die sich die Anklagevertretung stützt.
Drittens, wenn weitere Dokumente für die Ankläger benutzt werden, und bevor diese Dokumente im Gericht als Beweismaterial vorgebracht werden, werden der Verteidigung Listen von solchen Dokumenten zur Verfügung gestellt und ihnen Gelegenheit gegeben werden, Exemplare dieser Dokumente in ihrer eigenen Sprache zu sehen.
Außerdem möchte ich hinzufügen, daß fast alle Verteidiger sich dieser Einrichtung bedient haben, und diejenigen, die es nicht taten, sind davon benachrichtigt worden, und von heute ab machen sie alle Gebrauch von diesen Einrichtungen, welche ein Arbeitszimmer, Schreibmaschinen und, wenn notwendig, an dere Hilfe einschließen.
VORSITZENDER: Ich glaube, daß der russische Hauptanklagevertreter dem Gerichtshof etwas vorzubringen hat.
[33] OBERST POKROWSKI: Im Zusammenhang mit der dem Gerichtshof soeben von dem Verteidiger für den Angeklagten Streicher unterbreiteten Beweisführung halte ich es für meine Pflicht, dem Hohen Gerichtshof folgendes mitzuteilen:
Der Angeklagte Streicher, der, wie in Punkten 1 und 4 der Anklageschrift angeführt ist, besonders der Verhetzung zu Judenverfolgungen beschuldigt ist, hat während der letzten Vernehmung durch die Delegation der Sowjetunion die Erklärung abgegeben, daß er vom Standpunkt des Zionismus her gesprochen hätte.
Diese Erklärung, oder genauer gesagt, diese Beweisführung hat bei uns sogleich einige Zweifel über die volle Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten hervorgerufen.
Es ist dies nicht das erste Mal, daß Personen, die hier angeklagt sind, uns über ihren Geisteszustand zu täuschen versuchen. Ich beziehe mich besonders auf den Angeklagten Heß. Was Heß betrifft, so besitzt der Gerichtshof, soviel ich weiß...
VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte. Wir haben jetzt weder über einen Antrag bezüglich Streichers Geisteszustand zu entscheiden, noch über einen solchen bezüglich Heß. Wir haben nur dem Verteidiger des Angeklagten Streicher gesagt, daß er jeden Antrag, den er bezüglich des Geisteszustandes seines Klienten stellen will, schriftlich vorlegen muß. Wenn er einen solchen Antrag schriftlich macht, daran werden Sie jede Möglichkeit haben, diesem Antrag entgegenzutreten.
OBERST POKROWSKI: Was ich beabsichtige, ist nicht über die Schlüsse und den Antrag der Verteidigung ein Urteil abzugeben, aber ich möchte den Gerichtshof von einer Tatsache in Kenntnis setzen, die viele Schwierigkeiten hervorrufen kann, wenn wir nicht sofort Schritte unternehmen. Da dem Gericht jetzt eine Anzahl ärztlicher Autoritäten zur Verfügung steht, scheint es mir höchst wünschenswert, daß diese Spezialisten vom Gerichtshof aufgefordert werden, den Angeklagten Streicher auf seinen Geisteszustand hin zu untersuchen und zu einem bestimmten Urteil darüber zu kommen, ob Streicher geistig vollkommen normal ist oder nicht.
Denn, wenn wir das jetzt nicht tun, dann kann sich eine solche Notwendigkeit während des Prozesses ergeben. Sollte Streichers Geisteszustand nach Beginn des Verfahrens in Frage gestellt werden, würde das unsere Arbeit aufhalten.
Sollte der Gerichtshof meinen Vorschlag annehmen, dann hätten wir noch genügend Zeit, den Ausschuß von Spezialisten um eine Erklärung über seinen Geisteszustand zu bitten, bevor der Prozeß beginnt.
VORSITZENDER: Einen Augenblick! Wenn ich den Hauptanklagevertreter der Sowjetunion richtig verstanden habe, sagte er folgendes:
[34] Falls der Geisteszustand des Angeklagten Streicher in Frage gestellt wird, wäre es gut, wenn er jetzt sofort untersucht würde, während die Ärzte der Sowjetunion noch hier in Nürnberg sind. Wenn dem so ist, dann ist das statthaft. Falls es angenehm wäre, daß Streicher im Hinblick auf die Anwesenheit der hervorragenden Ärzte der Sowjetunion in Nürnberg jetzt untersucht würde, so steht es Ihnen frei, einen diesbezüglichen schriftlichen Antrag an den Gerichtshof zu stellen.
Wollen die anderen Herren Hauptanklagevertreter zum Gerichtshof sprechen?
[Keine Antwort!]
Dann wird sich der Gerichtshof mit dem Gesuch des Angeklagten Streicher wie folgt befassen:
Der in seinem schriftlichen Antrag mit Nr. 1 numerierte Antrag auf Vertagung ist zurückgezogen worden. Seinen anderen zwei Anträgen, die die Nummern 2 und 3 tragen und die von der Hauptanklagevertre tung angenommen wurden, wurde vom Gerichtshof stattgegeben.
[Das Gericht vertagt sich bis
17. November 1945, 10.00 Uhr.]
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