Nachmittagssitzung.

[377] MR. BIDDLE: Als Sie von dem schriftlichen Vertrag zwischen den Führern der Einsatzgruppen und der Armee sprachen, wissen Sie, ob die Aufgaben und Ziele der Einsatzgruppen in diesem Vertrage beschrieben wurden? Sagte dieser Vertrag, was die Gruppen zu tun hätten?

OHLENDORF: Das kann ich nicht mehr sagen; auf keinen Fall die Aufgabe der Liquidation.


MR. BIDDLE: Haben Sie die Frage verstanden?


OHLENDORF: Jawohl. Ich habe nicht mehr recht in Erinnerung, ob etwa ein allgemeiner Satz in dem Vertrag gestanden hat über die sicherheitspolizeiliche Aufgabe und Tätigkeit in dem Operationsraum; aber ich bin sicher, daß über die Aufgabe der Liquidierung nichts drin gestanden hat.


MR. BIDDLE: Sie erklärten, daß ein allgemeiner Befehl ergangen sei, der sich auf die Liquidierung aller Juden bezog? War dieser Befehl schriftlich?


OHLENDORF: Nein.


MR. BIDDLE: Wissen Sie, wer den Befehl gab?


OHLENDORF: Ist die Frage in Bezug auf die Tätigkeit der Einsatzgruppen gerichtet?


MR. BIDDLE: Ja.


OHLENDORF: In Bezug auf die Einsatzgruppen ist der Befehl zum erstenmal über Himmler, Heydrich, Streckenbach an die Einsatzgruppen gegeben und zum zweitenmal von Himmler persönlich wiederholt.


MR. BIDDLE: Wurde ein ähnlicher Befehl an die Armee geschickt?


OHLENDORF: In dieser Form ist mir ein solcher Befehl an die Armee nicht bekannt.


VORSITZENDER: Hat irgendein Verteidiger den Wunsch, mit diesem Zeugen ein Kreuzverhör anzustellen?


DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Zeuge, Sie haben gesagt, daß einige Wochen vor Beginn des Rußland-Feldzugs Verhandlungen stattfanden über die Aufgaben der Einsatzgruppen und der Einsatzkommandos. Waren Sie bei diesen Verhandlungen persönlich zugegen?


OHLENDORF: Darf ich vorher kurz insofern berichtigen, als der Hauptgegenstand nicht die Aufgaben, sondern die Einrichtung im Rahmen des Operationsraums...


[377] VORSITZENDER: Einen Augenblick! Wiederholen Sie bitte.


OHLENDORF: Darf ich insofern berichtigen, als nach meiner Erinnerung das Hauptthema nicht die Aufgaben der Einsatzgruppen waren, sondern die Einrichtung dieser mobilen Organisationen für eine Tätigkeit im Rahmen der operierenden Heeresteile.


DR. NELTE: Es handelte sich also um Aufgaben im Bereich des Heeres.


OHLENDORF: Jawohl.


DR. NELTE: Sie haben ausgesagt, daß das schriftliche Abkommen zwischen RSHA einerseits und OKW und OKH andererseits abgeschlossen worden sei. Ist Ihnen der befehlsmäßige Unterschied zwischen OKW und OKH bekannt?


OHLENDORF: Jawohl.


DR. NELTE: Wer vom OKW war bei diesen Verhandlungen zugegen?


OHLENDORF: Ich kann keinen Namen sagen, da ich selbst bei diesen Verhandlungen nicht zugegen gewesen bin, sondern die Verhandlungen wurden geführt einerseits von Heydrich und andererseits von seinem Beauftragten Schellenberg.


DR. NELTE: Schellenberg hat in einer eidesstattlichen Erklärung, die hier vorgelegt worden ist, auch über diese Frage gesprochen, hierbei aber den Generalquartiermeister Wagner genannt als diejenige Stelle, mit der er zu verhandeln hatte. Ist Ihnen jetzt vielleicht erinnerlich, ob dies auch bei diesen Verhandlungen der Fall war, von denen Sie sprechen?


OHLENDORF: Mir ist jedenfalls der Generalquartiermeister Wagner, einer der wenigen Namen, die mir überhaupt aus diesen Verhandlungen noch in Erinnerung sind, als einer der genannten Namen bekannt.


DR. NELTE: Es ist Ihnen bekannt, daß Generalquartiermeister Wagner mit dem OKW als Institution nichts zu tun hatte?


OHLENDORF: Jawohl.


DR. NELTE: Sie können uns also keine Persönlichkeit benennen, die als Repräsentant des OKW anzusehen wäre?


OHLENDORF: Nein, kann ich Ihnen nicht nennen. Ich habe auch nur gesagt, daß ich mich erinnert habe, und zwar habe ich den Briefkopf OKW – OKH optisch noch in Erinnerung und habe mir diesen doppelten Titel auch dadurch erklärt, daß wahrscheinlich wesentliche Verhandlungen mit Canaris gepflogen wurden und daher Vereinbarungen mit Canaris mit in diesen Vertrag einbezogen worden sind und auf diese Weise der auch für mich ungewöhnliche Briefkopf OKH plus OKW zustande kam, während an sich, materiell, [378] das OKH natürlich die für Marsch und Verpflegung zuständige Dienststelle ist.


DR. NELTE: Einen gemeinsamen Briefkopf OKW – OKH hat es in natura natürlich nicht gegeben. Es kann sich also dann in Ihrem Fall lediglich um irgendeine Schreibmaschinenabschrift wohl gehandelt haben?


OHLENDORF: Ich habe einen im Abzugsverfahren hergestellten Bogen im Kopf.


DR. NELTE: Wissen Sie, welche Unterschriften dieses Schriftstück trug, das Sie in optischer Erinnerung haben?


OHLENDORF: Kann ich mich leider nicht mehr erinnern.


DR. NELTE: Ein Herr Richter hat schon die Frage gestellt, daß sich naturgemäß aus einem solchen Abkommen Befehle entwickeln müssen. Ist in einem solchen Befehl vielleicht der Name OKW erwähnt oder die Unterschrift?


OHLENDORF: Ich verstehe jetzt nicht, was für Befehle Sie meinen.

DR. NELTE: Wenn ein Abkommen zwischen zwei verschiedenen Institutionen erfolgt, wie Reichssicherheitshauptamt einerseits und, sagen wir, OKH andererseits, so muß die Stelle, die nachher das, was da verabredet ist, durchführen soll, in einer Form Kenntnis erlangen, die militärisch Befehl genannt wird. Ist ein solcher vom OKW ausgehender Befehl Ihnen bekannt?


OHLENDORF: Es sind ja Befehle von seiten des Heeres oder des OKW nicht an mich gekommen, sondern ich kriegte ja nur Befehle oder Wünsche ausgesprochen von der Armee.


DR. NELTE: Von der Armee oder von Ihrer vorgesetzten Dienststelle?


OHLENDORF: Nein, ich meine jetzt von... also, wenn ich an das Heer denke...


DR. NELTE: Also, es bestanden zwischen Ihnen als Leiter der Einsatzgruppe und dem OKW als Institution keinerlei Beziehungen?


OHLENDORF: Keine unmittelbare Verbindung. Mir ist wohl bekannt, daß einzelne Berichte auf dem Dienstwege bis zum OKW hinaufgegangen sind.


DR. NELTE: Wenn Sie das wissen, können Sie mir sagen, an welche Stelle, da das OKW deren ja viele hatte.


OHLENDORF: Ich möchte annehmen, daß das auch wieder an Canaris letzten Endes gelangt ist.


DR. NELTE: Ich danke.


[379] DR. EGON KUBUSCHOK, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON PAPEN, VERTEIDIGER FÜR DIE REICHSREGIERUNG: In Ihrer Stellung als Chef des SD werden Sie, Herr Zeuge, sich auch ein Bild machen können über die Vertrauenswürdigkeit der Mitglieder des Reichskabinetts und über die Geheimhaltung wichtigster Dinge. Ich bitte, mir die Frage zu beantworten, ob der Befehl, der heute hier erörtert worden ist, bezüglich der Liquidierungen, nach Ihrer Ansicht im Reichskabinett geboren und, ob dieser Befehl nach Ihrer Ansicht auch den einzelnen Reichskabinettsmitgliedern mitgeteilt worden ist?


OHLENDORF: Ich bin überzeugt, daß beide Fragen mit »nein« zu beantworten sind.


DR. KUBUSCHOK: Weiterhin möchte ich einige Fragen an den Zeugen richten, für den Angeklagten Speer, da der Verteidiger des Angeklagten Speer abwesend ist, und ich diese Aufgabe kollegialiter übernommen habe.

Ist Ihnen, Herr Zeuge, bekannt, daß der Angeklagte Speer im Gegensatz zu Anordnungen Hitlers Maß nahmen getroffen hat zur Verhinderung der Zerstörung industrieller oder sonstiger Anlagen?


OHLENDORF: Jawohl.


DR. KUBUSCHOK: Daß sich diese Maßnahmen auch erstreckt haben über das Inland hinaus auf das damals noch besetzte Gebiet von Oberschlesien und so weiter.


OHLENDORF: Ich glaube, daß der Zeitraum, in dem mir dies bekannt gewesen ist, so spät war, daß, abgesehen von geringen Gebieten im Westen, ein Ostraum nicht mehr dafür in Frage kam.


DR. KUBUSCHOK: Eine weitere Frage, die Sie vielleicht wissen könnten. Wissen Sie, daß der Angeklagte Speer Mitte Februar dieses Jahres ein Attentat gegen Hitler vorbereitet hat?


OHLENDORF: Nein.


DR. KUBUSCHOK: Wissen Sie, daß Speer es unternommen hat, Himmler den Alliierten auszuliefern, damit er sich verantworten könne und eventuell Nichtschuldige klarlegen könnte?


OHLENDORF: Nein.


DR. KUBUSCHOK: Diese Frage wird dann eventuell durch einen anderen Zeugen bestätigt werden.

Sind Sie über die Vorgänge des 20. Juli eingehend im Bilde?


OHLENDORF: Zu einem erheblichen Teil.


DR. KUBUSCHOK: Ist Ihnen bekannt, daß auch in den Kreisen der Attentäter des 20. Juli der Angeklagte Speer für die Fortführung seines Ministeriums in Aussicht genommen war?


[380] OHLENDORF: Jawohl.


DR. KUBUSCHOK: Ist Ihnen etwas Näheres darüber bekannt?


OHLENDORF: Von seiten der am 20. Juli Beteiligten ist mir nur bekannt, daß sie ihn auf einem Organisationsschema für die Weiterführung des Rüstungsministeriums vorgesehen hatten.


DR. KUBUSCHOK: Glauben Sie, Herr Zeuge, daß dieser Plan der Attentäter des 20. Juli darauf zurückzuführen war, daß der Angeklagte Speer nach seiner Tätigkeit nicht nur in diesen Kreisen, sondern auch sonst als ein reiner Fachmann und nicht Politiker angesehen wurde?


OHLENDORF: Die Frage ist sehr schwer zu beantworten. Es ist sehr schwer, als nicht politisch zu gelten, wenn man in einer so engen Beziehung zur letzten politischen Entscheidungsstelle des Reiches gestanden hat und vielleicht der wesentlichste Faktor gewesen ist, aus dessen Anregungen und Vorschlägen die Entscheidungen kamen; andererseits war bekannt oder galt Minister Speer nicht als ein ausgesprochen politischer Mensch.


DR. RUDOLF MERKEL, VERTEIDIGER FÜR DIE GESTAPO: Herr Zeuge, wissen Sie, daß im April 1933 die Gestapo in Preußen errichtet worden ist?


OHLENDORF: Mir ist der Monat nicht bekannt, aber das Jahr ist mir bekannt.


DR. MERKEL: Wissen Sie, was der Zweck der Errichtung dieser Einrichtung war?


OHLENDORF: Die Bekämpfung des politischen Gegners, der staatsgefährlich werden konnte.


DR. MERKEL: Ist Ihnen etwas darüber bekannt, wie diese Einrichtung, die also ursprünglich nur für Preußen gedacht war, auf das übrige Reichsgebiet ausgedehnt wurde?


OHLENDORF: Es wurden entweder im Jahre 33 oder im Jahre 34 in allen Ländern politische Polizeien als Einrichtungen geschaffen. Diese politischen Polizeien wurden 1934 nach meiner Erinnerung dem Reichsführer-SS als politischem Polizeikommandeur der Länder befehlsmäßig unterstellt. Die erste zusammenfassende Kommandostelle war das Preußische Geheime Staatspolizeiamt. Nach Schaffung des Hauptamtes »Sicherheitspolizei« wurden diese Führungsaufgaben von Himmler an Heydrich weiter delegiert, der sie mit dem Hauptamt »Sicherheitspolizei« durchführte.


DR. MERKEL: Wer hat in den einzelnen Ländern die Staatspolizei geschaffen und eingerichtet?


OHLENDORF: Das kann ich Ihnen nicht beantworten.


[381] DR. MERKEL: Wissen Sie etwas darüber, ob schon vor 1933 im ehemaligen Reichsgebiet eine ähnliche Einrichtung, eine politische Polizei, bestanden hat?


OHLENDORF: Ja, die hat bestanden. Soweit ich mich erinnere, zum Beispiel beim Polizeipräsidium in Berlin, und, glaube ich, Ia. Jedenfalls gab es Einrichtungen der politischen Polizei.


DR. MERKEL: Wissen Sie etwas über den Aufgabenkreis dieser Einrichtung, die vor 1933 bestand?


OHLENDORF: Ja, dieselben; jedenfalls im Grunde dieselben Aufgaben.


DR. MERKEL: Wissen Sie etwas darüber, wie der Personalbestand der Gestapo geschaffen wurde, die also doch im großen und ganzen eine Neueinrichtung war, also nicht etwa nur durch Übernahme bereits bestehenden Personals geschaffen wurde.


OHLENDORF: Als ich die Staatspolizei kennengelernt habe, war es sicherlich so, daß der Grundstock der sachbearbeitenden Kräfte aus der Kriminalpolizei übernommen war, und daß die führenden Männer in den Staatspolizeistellen, das heißt also, in den regionalen Dienststellen der Staatspolizei, zum überwiegenden Teil aus der inneren Verwaltung, eventuell auch aus den Länderpolizeiverwaltungen berufsmäßig erwachsen waren, zu einem Teil sogar abkommandiert waren aus dieser inneren Verwaltung. Dasselbe traf auch für die Sachbearbeiter innerhalb des Amtes IV beziehungsweise des Geheimen Staatspolizeiamtes zu.


DR. MERKEL: Sie sagen, die Beamten wurden zum größten Teil kommandiert.


OHLENDORF: Zum größten Teil kommandiert habe ich nicht gesagt, sondern zum Teil.


DR. MERKEL: Zum Teil kommandiert. Bestand für einzelne dieser Mitglieder der Gestapo die Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, oder nicht in die Gestapo übernommen zu werden, wenn sie es nicht wünschten?


OHLENDORF: Ein absolutes Wehren würde ich nicht bejahen. Es wird einzelnen gelungen sein, sich sehr geschickt eventuell davor zu bewahren, wenn er es nicht wollte. Aber, wenn er innerhalb der inneren Verwaltung zu einer solchen Dienststelle abkommandiert wurde, dann mußte er eben als Beamter folgen. Er mußte als Beamter...


DR. MERKEL: Die Mitglieder der Gestapo waren offenbar fast ausschließlich oder ausschließlich Beamte? Wissen Sie darüber Bescheid?


[382] OHLENDORF: Im Kriege sicherlich auch nicht mehr. Aber in der Regel sollte man davon ausgehen, daß sie, soweit sie Sachbearbeiter waren, Beamte sind. Aber sie waren natürlich zum Teil in der Ausbildung noch nicht Beamte, und sie waren auch zum Teil übernommen als Angestellte, vor allen Dingen als Hilfskräfte.


DR. MERKEL: Können Sie etwas über die ungefähre Anzahl der Mitglieder der Gestapo gegen Ende des Krieges angeben?


OHLENDORF: Ich schätze den Gesamtapparat der Staatspolizei, einschließlich der Regionalstellen und einschließlich der besetzten Gebiete, auf etwa 30000.


DR. MERKEL: Es gab also innerhalb der Gestapo auch einen erheblichen Prozentsatz von Beamten, die lediglich Verwaltungsbeamte waren und mit der Exekutive also nichts zu tun hatten?


OHLENDORF: Selbstverständlich.


DR. MERKEL: Wie groß ist der Prozentsatz dieser Verwaltungsbeamten, die reine Verwaltungstätigkeit ausübten?


OHLENDORF: Da muß man ja vorweg auch noch einmal dabei betrachten, daß in dieser Zahl auch die Hilfskräfte einschließlich der Mädchen einbegriffen waren; es ist mir also nicht ohne weiteres möglich, hier eine Verhältniszahl sofort herauszubringen; aber sicherlich ist eine Zahl, ein Sachbearbeiter zu drei bis vier, nicht in der Exekutive tätigen Personen, nicht zu hoch gegriffen.


DR. MERKEL: Wissen sie etwas darüber, wer für die Führung und Verwaltung der Konzentrationslager verantwortlich war?


OHLENDORF: Der Obergruppenführer Pohl.


DR. MERKEL: Hatte die Gestapo irgendetwas mit der Führung und Verwaltung der Konzentrationslager zu tun oder nicht?


OHLENDORF: Nach meinem Wissen nichts.


DR. MERKEL: Es waren also auch bei den Konzentrationslagern keine Gestapoleute tätig oder irgendwie bei den Maßnahmen, die in den Konzentrationslagern vorkamen, befaßt?


OHLENDORF: So weit ich von der Peripherie her Einblick bekommen habe, waren in den Konzentrationslagern von der Staatspolizei nur Vernehmungsbeamte tätig.


DR. MERKEL: War die Gestapo in irgendeiner Form an den Massenhinrichtungen. Ihrer Einsatzgruppe, die Sie heute früh geschildert haben, beteiligt?


OHLENDORF: Nur so wie andere Leute, die in der Einsatzgruppe vorhanden waren.


DR. MERKEL: Ich bitte das Gericht, mir nach der Rückkehr des Angeklagten Kaltenbrunner noch die Möglichkeit zu geben, weitere [383] Fragen an den Zeugen zu richten, da ich ja lediglich auf die Informationen angewiesen bin, die ich von Kaltenbrunner bekommen habe.


VORSITZENDER: Ich glaube, daß der Gerichtshof bereit sein wird, Ihnen die Möglichkeit zu geben, weitere Fragen später zu stellen.


DR. MERKEL: Ich danke Ihnen.


PROFESSOR DR. FRANZ EXNER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOM MANDO: Herr Zeuge, Sie haben von den Verhandlungen gesprochen, die im OKW stattgefunden haben, und die dann zu einer Vereinbarung geführt haben zwischen OKW und OKH einerseits und dem Reichssicherheitshauptamt auf der anderen Seite, und da würde mich interessieren: Können Sie behaupten, daß bei diesen Verhandlungen über die Vereinbarung die Rede war von Ausrottung und Tötung von Juden?


OHLENDORF: Ich kann zwar nichts Konkretes darüber sagen, aber ich glaube es nicht.


PROF. DR. EXNER: Sie glauben es nicht?


OHLENDORF: Nein.


PROF. DR. EXNER: Ferner, Sie haben erzählt, daß der Oberbefehlshaber der 11. Armee von den Liquidierungen wußte; da möchte ich zunächst einmal fragen: Wissen Sie etwas bezüglich der anderen Armee-Oberbefehlshaber?


OHLENDORF: Im allgemeinen müssen sie ja informiert gewesen sein durch die Ansprache des Führers vor dem Ausbruch des Russen-Feldzugs.


PROF. DR. EXNER: Das ist ein Schluß, den Sie ziehen?


OHLENDORF: Jawohl; nein, es ist nicht ein Schluß, den ich ziehe, sondern es ist lediglich die Wiedergabe des Inhalts der Ansprache, die, nach den Ausführungen von Himmler, der Führer den Oberbefehlshabern gegeben hat.


PROF. DR. EXNER: Ach so! Nun, Sie haben von Weisungen gesprochen, welche der Armee-Oberbefehlshaber von der 11. Armee gegeben hat. Welcher Art waren die Weisungen?


OHLENDORF: Ich habe einmal vom Oberbefehlshaber gesprochen im Fall Nikolajew, und zwar wurde damals die Weisung gegeben, daß die Liquidationen 200 km weit vom Sitz des Oberkommandos der Armee entfernt durchgeführt werden sollen. Ich habe zum zweiten Male nicht vom Armee-Oberbefehlshaber, sondern vom Armee-Oberkommando gesprochen, nämlich in Simferopol, und zwar deshalb, weil ich nicht mit Bestimmtheit sagen kann, von wem [384] diese Bitte, die Liquidation zu beschleunigen, an das in Simferopol zuständige Einsatzkommando gegeben worden ist.


PROF. DR. EXNER: Ja, das ist ja die Frage, die ich an Sie richten wollte: Mit welcher Person von der 11. Armee haben Sie seinerzeit verhandelt?


OHLENDORF: Ich persönlich habe überhaupt darüber nicht verhandelt, weil ich mit diesen Fragen ja nicht unmittelbar zu tun hatte, sondern das Armee- Oberkommando hat mit dem örtlich zuständigen Einsatzkommando darüber verhandelt, und zwar entweder über die zuständige Stelle der Armee, die auch sonst mit dem Einsatzkommando dauernd in Verbindung stand, nämlich der I-C oder der I-CAO, oder es ist vom OQ-Stab behandelt worden.


PROF. DR. EXNER: Wer gab Ihnen Anweisungen für den Marsch?


OHLENDORF: Die Anweisungen für den Marsch kamen in der Regel vom Chef des Stabes.


PROF. DR. EXNER: Vom Chef des Stabes. Armee-Oberkommandant war damals in der Zeit, von der wir sprechen, von Manstein. Haben Sie je einen Befehl in Ihrer Angelegenheit bekommen, der von Manstein unterschrieben war?


OHLENDORF: Ich kann mich an keinen solchen Befehl erinnern; aber es sind beim Marsch, bei der Besprechung des Marsches, entschuldigen Sie, aber es sind mündliche Besprechungen mit Manstein und dem Chef des Stabes und mir gepflogen worden.


PROF. DR. EXNER: Bei der Besprechung des Marsches?


OHLENDORF: Jawohl.


PROF. DR. EXNER: Sie sagten, die Armee sei gegen diese Liquidierungen gewesen. Können Sie etwas darüber sagen, inwiefern das in Erscheinung getreten ist?


OHLENDORF: Nicht die Armee, sondern die führenden Personen waren innerlich gegen die Liquidationen eingestellt.


PROF. DR. EXNER: Ja, aber ich meine, inwiefern haben Sie das erkannt?


OHLENDORF: In gemeinsamen Gesprächen; denn es waren ja nicht nur die führenden Personen der Armee gegen diese Liquidationen eingestellt, sondern der überwiegende Teil derjenigen, die diese Liquidationen durchführen mußten.


PROF. DR. EXNER: Ich danke Ihnen.


PROFESSOR DR. HERBERT KRAUS, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Kennen Sie die [385] in Ihrer Abteilung geführten Personalakten über Reichsbankpräsident Schacht?


OHLENDORF: Nein.


PROF. DR. KRAUS: Nein. Ist Ihnen bekannt, warum der frühere Reichsbankpräsident Schacht nach dem 20. Juli 44 verhaftet und in ein Konzentrationslager verbracht wurde?


OHLENDORF: Wahrscheinlich war die Gelegenheit des 20. Juli günstig, den als parteifeindlich bekannten Reichsbankpräsidenten Schacht jetzt eventuell auch zu überführen, indem er durch Zeugen oder sonstwie auch im Zusammenhang mit dem 20. Juli hätte belangt werden können.


PROF. DR. KRAUS: Also ist der Angeklagte Schacht bei Ihnen als parteifeindlich bekannt gewesen?


OHLENDORF: Jawohl, und zwar mindestens seit dem Jahre 37/38.


PROF. DR. KRAUS: Im Jahre 1937 oder 1938? Sie haben ihn auch im Verdacht gehabt, daß er an Putschen beteiligt war?


OHLENDORF: Ich persönlich nicht, denn ich habe mit diesen Fragen nichts zu tun gehabt; er stand erst einmal wegen seiner bekannten Feindlichkeit im Verdacht; soweit ich orientiert bin, hat sich dieser Verdacht aber nicht erhärtet.


PROF. DR. KRAUS: Können Sie mir ferner sagen, wer die Verhaftung Schachts veranlaßt hat?


OHLENDORF: Das kann ich nicht sagen.


PROF. DR. KRAUS: Also, Sie wissen auch nicht, ob diese Verhaftung vom Führer oder von Himmler oder von einer niederen Stelle kam?


OHLENDORF: Von einer niederen Stelle halte ich für ausgeschlossen.


PROF. DR. KRAUS: Also, Sie nehmen an vom Führer?


OHLENDORF: Zum mindesten von Himmler.


DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Herr Zeuge, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, es wurde Anfang 1933 nach der Machtübernahme durch Hitler in Preußen die Gestapo geschaffen; es bestand aber schon eine Einrichtung mit gleichen Aufgaben in Preußen, zum Beispiel beim Polizeipräsidium in Berlin, mit der Abteilung Ia, nur war die gegen den Nationalsozialismus gerichtet, während es jetzt umgekehrt ist; aber sie hatten also auch die Aufgabe, politische Gegner zu überwachen und eventuell festzusetzen, also den Staat gegen diese politischen Gegner zu sichern.


OHLENDORF: Ja.


[386] DR. STAHMER: Sie sagten ferner, es sei dann 1933, nach der Machtübernahme, auch in allen anderen Ländern, außer Preußen, eine politische Polizei mit gleichen Aufgaben geschaffen worden?

OHLENDORF: Ja, im Laufe der Jahre 33/34.


DR. STAHMER: Es hat dann – diese in den verschiedenen Ländern bestehenden politischen Polizeien wurden dann 1934 zusammengefaßt, und Himmler wurde die Führung übertragen.


OHLENDORF: Zuerst wurden sie nicht zusammengefaßt, sondern Himmler wurde Chef aller Länder-Polizeien.


DR. STAHMER: Nun, noch eine Frage. War die preußische Gestapo 1933 schon führend für die anderen Länder oder erst, nachdem 1934 Himmler die Führung übernommen hat?


OHLENDORF: Ich glaube nicht, daß die preußische Staatspolizei, die ja von Reichsmarschall Göring geführt wurde, unter seiner Führung auch für die übrigen Länder zuständig geworden ist.


FLOTTENRICHTER OTTO KRANZBÜHLER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN DÖNITZ: Ich spreche als Vertreter des Verteidigers für den Angeklagten Großadmiral Raeder. Herr Zeuge, Sie erwähnten eben eine Ansprache des Führers vor den Oberbefehlshabern, in der der Führer die Oberbefehlshaber unterrichtet haben soll über die Liquidierung der Juden. Welche Besprechung meinen Sie dabei?

OHLENDORF: Eine Besprechung, die kurz vor dem Rußland-Feldzug mit den Oberbefehlshabern der Heeresgruppen und der Armeen stattgefunden haben muß, beim Führer.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Waren die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile nicht dabei?


OHLENDORF: Ist mir nicht bekannt.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Waren Sie selbst bei der Besprechung zugegen?


OHLENDORF: Nein. Ich habe diese Besprechung wiedergegeben aus einem Gespräch mit Himmler.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Fand dieses Gespräch mit Himmler vor einem größeren Kreise statt, oder war es ein persönliches?


OHLENDORF: Es war ein persönliches Gespräch.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Hatten Sie den Eindruck, daß Himmler Tatsachen wiedergab, oder halten Sie es für möglich, daß er Ihnen für Ihre schwierige Aufgabe eine Rückenstärkung geben wollte?


[387] OHLENDORF: Nein, sondern das Gespräch hat erst viel, viel später stattgefunden und kam nicht aus solchen Motiven, sondern aus der Verbitterung über die Haltung einzelner Wehrmachtsgenerale, und Himmler wollte zum Ausdruck bringen, daß diese Wehrmachtsgenerale sich von dem Geschehen nicht absetzen könnten, weil sie genau dieselbe Verantwortung mitgetragen hätten wie alle übrigen.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wann fand diese Unterhaltung statt mit Himmler?


OHLENDORF: Im Mai, in Flensburg, dieses Jahres, 1945.


FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Danke schön.


DR. ROBERT SERVATIUS, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Zeuge, bezüglich des Befehlsapparats, den das Reichssicherheitshauptamt hatte, um seine Maßnahmen durchzusetzen, die Befehle durchzugeben an die taktischen Stellen, SD und an die KZ, bestand da ein eigener Befehlsapparat oder wurde der Befehlsapparat der Organisation der Politischen Leiter benutzt; das heißt, gingen diese Befehle über die Gauleitung und über die Kreisleitung?


OHLENDORF: Davon ist mir nichts bekannt. Das halte ich für ausgeschlossen.


DR. SERVATIUS: Sie halten es für ausgeschlossen, daß die Gau- und Kreisleitung darüber unterrichtet war? Wie war es ungefähr...


OHLENDORF: Augenblick. Sie haben mich gefragt, ob der Befehlsweg darüber ging; Sie haben mich nicht gefragt, ob sie unterrichtet gewesen wären.


DR. SERVATIUS: Wurden diese Stellen unterrichtet über diese Befehle?


OHLENDORF: Entweder die Inspekteure oder Gestapoleiter oder SD-Führer galten als polizeiliche oder politische Referenten des Gauleiters beziehungsweise Reichsstatthalters, und diese Dienststellenleiter waren verpflichtet, dem Gauleiter über ihr Tätigkeitsgebiet Bericht zu erstatten. Wie intensiv das geschehen ist, kann ich nicht übersehen, sondern hängt ab von der Aktivität und der Art der Zusammenarbeit des Gauleiters mit diesen Dienststellen; jedenfalls ist es undenkbar, daß etwa die Staatspolizei auf die Dauer in einem solchen Raum diese ihre Tätigkeit ohne Kenntnis der verantwortlichen Parteiorgane hätte ausüben können.


DR. SERVATIUS: Bezog sich dies auch auf die Berichterstattung, die von unten nach oben ging, also auf die Tätigkeit der KZ?


[388] OHLENDORF: Die KZ standen ja außerhalb der Staatspolizei; da bin ich überzeugt, weil es sich um reine Reichsangelegenheiten handelte, daß hier eine solche intensive Berührung der Gauleiter mit den KZ, wie zwischen den Gauleitern und der dauernden Tätigkeit der Staatspolizei, nicht wird stattgefunden haben.


DR. SERVATIUS: Ich vertrete auch den Angeklagten Sauckel. Sind Sie unterrichtet über den Einsatz von Fremdarbeitern, der durch die SS erfolgte, der Fremdarbeiter, die letzten Endes aus dem KZ kamen?


OHLENDORF: Nur oberflächlich.


RA. BABEL: Herr Zeuge, Sie haben heute Vormittag Zahlen genannt, und zwar von 8000 und 30000 des Sicherheitsdienstes. Ich möchte nun feststellen, wie diese Zahlen zu verstehen sind. Sind die 3000 Mitglieder des Sicherheitsdienstes, von denen Sie heute Vormittag gesprochen haben, der gesamte Bestand des Sicherheitsdienstes im damaligen Zeitpunkt gewesen, oder sind das nur die Teile gewesen, die bei den mobilen Verbänden, von denen Sie auch gesprochen haben, im Felde verwendet wurden?


OHLENDORF: Nein, sondern insgesamt, der gesamte Bestand, und zwar einschließlich der Angestellten und der weiblichen Hilfskräfte.


RA. BABEL: Einschließlich der Angestellten und der weiblichen Hilfskräfte. Und die 30000, von denen wir weiter gesprochen haben, das waren also ehrenamtliche Mitarbeiter, die nur in Deutschland verwendet worden sind, im Inland?


OHLENDORF: Jawohl, in der Regel jedenfalls.


RA. BABEL: Ja, und die zu einem erheblichen Teil nicht SS-Angehörige und auch nicht Parteiangehörige waren?


OHLENDORF: Jawohl.


RA. BABEL: Wie groß war nun der Bestand der mobilen Verbände, die bei solchen Exekutionen verwendet worden sind, des SD?


OHLENDORF: Der SD hatte gar keine mobilen Verbände, sondern es waren lediglich einzelne Angehörige des SD zu den Dienststellen draußen abkommandiert. Ein SD ist als eigene Dienststelle nirgendwo tätig geworden.


RA. BABEL: Wie groß war nun der Bestand an solchen Abgeordneten wohl, nach Ihrer Beobachtung und Ihren Erfahrungen?


OHLENDORF: Der war ganz gering.


RA. BABEL: Na, ungefähr?


OHLENDORF: Ich schätze, daß im Einsatzkommando durchschnittlich zwei bis drei SD-Sachbearbeiter waren.


[389] RA. BABEL: Nun möchte ich auch Auskunft, oder wünsche ich Auskunft über den Bestand der SS im gesamten. Haben Sie darüber Kenntnis?


OHLENDORF: Nein, ich habe keinerlei Vorstellung.


RA. BABEL: Gar keine. Waren bei diesen Einsatzgruppen auch irgendwelche Teile der Waffen-SS oder der anderen untergeordneten Gruppen der SS irgendwie beteiligt?


OHLENDORF: Wie ich heute Vormittag schon gesagt habe, war jeder Einsatzgruppe oder sollte jeder Einsatzgruppe eine Kompanie Waffen-SS beigegeben sein.


RA. BABEL: Eine Kompanie. Wie groß ist der Bestand einer Kompanie damals gewesen?


OHLENDORF: Das weiß ich nicht, wie stark die Waffen-SS bei den anderen Einsatzgruppen gewesen ist. Ich schätze, daß bei mir etwa 100 Mann gewesen sind.


RA. BABEL: Waren Totenkopf-Verbände auch beteiligt?


OHLENDORF: Nein.


RA. BABEL: War die Leibstandarte »Adolf Hitler« irgendwie beteiligt?


OHLENDORF: Das ist ganz zufällig gewesen. Ich kann Ihnen nicht eine Formation sagen, aus der diese Waffen-SS genommen war.


RA. BABEL: Dann eine weitere Frage, die heute Vormittag auch schon gestreift worden ist. Wann ist der Sicherheitsdienst entstanden, und was waren zunächst seine Aufgaben?


OHLENDORF: Der Sicherheitsdienst ist meines Wissens 1932 entstanden.


RA. BABEL: Und die Aufgaben desselben, damals?


OHLENDORF: Er war sozusagen der I-C Apparat der Partei, das heißt, er sollte über den Gegner unterrichten und den Gegner, wenn notwendig, täuschen.


RA. BABEL: Haben sich diese Aufgaben im Laufe der Zeit verändert und wann?


OHLENDORF: Ja, nach der Machtübernahme hat zuerst die Bekämpfung des Gegners mit im Vordergrund gestanden auf einigen Gebieten und die Personalauskunft als Hauptbestandteil gegolten. Damals konnte man aber von einer echten Nachrichtenorganisation noch nicht sprechen. Die eigentliche Entwicklung des SD-Apparates im Inland-Nachrichtendienst ist erst ab 1936/37 erfolgt. Ab dieser Zeit hat sich die Arbeit immer mehr aus der Personalbearbeitung in die Sachbearbeitung umgewandelt. Mit der [390] Umorganisation 1939, bei Auflösung des SD-Hauptamtes, wurde die Behandlung des Gegners aus der SD-Arbeit völlig eliminiert und die SD-Arbeit auf Sacharbeit eingestellt. Die Aufgabe bestand darin, die Maßnahmen, die die Führungsstellen des Reiches und der Länder durchführten, auf ihre Wirkungen hin zu beobachten und festzustellen, wie die betroffenen Kreise darauf reagieren; außerdem festzustellen, wie die Stimmung und Haltung des Volkes und seiner einzelnen Schichten im Laufe des Kriegsgeschehens sich gestaltete. Es war tatsächlich die einzige kritische Stelle innerhalb des Reiches, die nach objektiven Sachgesichtspunkten Tatbestände bis in die Spitzen hineinbrachte. Es ist darauf hinzuweisen, daß die Partei diese Arbeit in keinem Stadium bis 1945 hin legitimiert hat, sondern die einzige Legitimation für diese kritische Arbeit von Reichsmarschall Göring kam, und zwar nach Beginn des Krieges, da er auf diese Weise bei den Sitzungen des Reichsverteidigungsrates die Möglichkeit hatte, die anderen Ressorts auf fehlerhafte Entwicklungen hinzuweisen. Diese sachliche kritische Arbeit ist tatsächlich nach 1939 der überwiegende und hauptsächliche Inhalt der SD-Inlands-Nachrichtenarbeit gewesen.


RA. BABEL: Eine weitere Frage. Inwieweit sind Teile des Sicherheitsdienstes in Konzentrationslagern zum Einsatz gekommen?


OHLENDORF: Ich muß bitten, daß Sie jetzt immer unterscheiden zwischen SD-Inland mit der Führungsstelle des Amtes III und dem SD-Ausland. Für den SD-Ausland kann ich keine Auskunft geben, aber der Chef des Amtes, Schellenberg, ist ja im Justizpalast anwesend. Vom Amt III aus ist mir kein einziger Fall bekannt, daß der SD-Inland Vertreter oder überhaupt irgendetwas mit den Konzentrationslagern zu tun gehabt hätte.


RA. BABEL: Nun noch eine persönliche Frage, die Sie persönlich betrifft. Von wem haben Sie die Befehle zu Liquidierungen der Juden und so weiter erhalten, und in welcher Form?


OHLENDORF: Meine Aufgabe war nicht die Aufgabe der Liquidierung, sondern ich hatte den Stab, der die Einsatzkommandos draußen zu führen hatte, und die Einsatzkommandos selbst haben bereits in Berlin diesen Befehl im Auftrag von Himmler-Heydrich-von Streckenbach bekommen. Und dieser Befehl wurde von Himmler erneut in Nikolajew gegeben.


RA. BABEL: Sie hatten also selbst mit der Ausführung dieser Befehle an sich nichts zu tun?


OHLENDORF: Insofern, als ich die Einsatzgruppe führte, hatte ich die Aufgabe, zu sehen, wie die Einsatzkommandos diese ihnen gegebenen Befehle durchführten.


RA. BABEL: Hatten Sie nun keine Bedenken dagegen, daß diese Befehle ausgeführt wurden?


[391] OHLENDORF: Selbstverständlich.


RA. BABEL: Und warum wurden diese Befehle trotzdem ausgeführt?


OHLENDORF: Weil es mir undenkbar erscheint, daß ein untergeordneter Führer Befehle, die die Staatsführung gibt, nicht durchführt.


RA. BABEL: Diese Ansicht haben Sie für sich. Nun wird dieselbe Einstellung – das wird ja nicht nur Ihre Einstellung gewesen sein, sondern die Einstellung des größten Teiles der Beteiligten. Ist nicht aus den Kreisen der Männer, die diese Befehle ausführen mußten, an Sie das Ansinnen gestellt worden, sie von solchen Aufgaben zu entbinden?


OHLENDORF: Da kann ich mich keines konkreten Falles erinnern. Ich habe einige ausgeschlossen, die mir nervenmäßig für die Aufgabe nicht geeignet erschienen und habe sie auch zum Teil nach Haus geschickt.


RA. BABEL: Wurde den Leuten die Rechtmäßigkeit dieser Befehle vorgetäuscht?


OHLENDORF: Ich verstehe Ihre Frage nicht, denn der Befehl war von dem Vorgesetzten gegeben, so daß für die einzelnen Personen die Frage der Rechtmäßigkeit gar nicht kommen konnte; denn sie hatten ja denjenigen, die diesen Befehl gaben, den Eid des Gehorsams geleistet.


RA. BABEL: Konnte sich der einzelne Mann der Ausführung dieser Befehle mit Aussicht auf Erfolg widersetzen?


OHLENDORF: Nein, denn der Erfolg wäre Kriegsgericht mit entsprechendem Urteil gewesen.


VORSITZENDER: Ja, Herr Oberst Amen. Wollen Sie ein Rückkreuzverhör anstellen?


OBERST AMEN: Ich habe nur einige wenige Fragen zu stellen, Herr Vorsitzender.


[Zu dem Zeugen gewandt]:


Welche Organisation hatte die Einsatzgruppen zu versorgen?


OHLENDORF: Die Ausrüstung wurde vom Reichssicherheitshauptamt gestellt.


OBERST AMEN: Welche Organisation lieferte Waffen an die Einsatzgruppen?


OHLENDORF: Auch die Waffen wurden über das Reichssicherheitshauptamt angeliefert.


OBERST AMEN: Welche Organisation bestimmte das Personal für die Einsatzgruppen?


[392] OHLENDORF: Das Organisations- und Personalamt des Reichssicherheitshauptamtes.


OBERST AMEN: Und alle diese Tätigkeiten der Versorgung erforderten wiederum Personal außer den aktiven Mitgliedern?


OHLENDORF: Jawohl.


OBERST AMEN: Ich habe keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Das ist alles, danke.


OBERST AMEN: Der nächste Zeuge, der von der Anklagevertretung verhört werden soll, ist Dieter Wisliceny. Dieser Zeuge wird von Oberstleutnant Smith W. Brookhart, Junior verhört werden.


[Der Zeuge Wisliceny betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE DIETER WISLICENY: Dieter Wisliceny.

VORSITZENDER: Bitte, wiederholen Sie den Eid. Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sprechen Sie bitte langsam und machen Sie zwischen den Fragen und Antworten Pausen.

OBERSTLEUTNANT SMITH W. BROOKHART, JR. HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Wie alt sind Sie?


WISLICENY: Ich bin 34 Jahre alt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wo sind Sie geboren?


WISLICENY: Ich bin geboren in Regulowken in Ostpreußen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Waren Sie ein Mitglied der NSDAP?


WISLICENY: Ja, ich war ein Mitglied der NSDAP.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Seit welchem Jahre?

WISLICENY: Ich bin zuerst 1931 in die NSDAP eingetreten, wurde dann von der Mitgliedsliste gestrichen und bin nach 1933 endgültig in die NSDAP eingetreten.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Waren Sie ein Mitglied der SS?


WISLICENY: Ja, ich bin 1934 in die SS eingetreten.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Waren Sie ein Mitglied der Gestapo?


WISLICENY: Ich bin 1934 in den SD eingetreten.


[393] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Welchen Rang erreichten Sie?


WISLICENY: Ich bin 1940 zum SS-Hauptsturmführer befördert worden.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Kennen Sie Adolf Eichmann?


WISLICENY: Ja, ich kenne Eichmann seit 1934.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wann und wo haben Sie ihn kennengelernt?


WISLICENY: Wir sind ungefähr zur selben Zeit 1934 in den SD eingetreten. Bis 1937 waren wir in der gleichen Abteilung zusammen.

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Kannten Sie Eichmann persönlich gut?


WISLICENY: Wir kannten uns ausgezeichnet. Eichmann und ich duzten uns, und ich kannte auch seine Familie sehr gut.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was war seine Position?


WISLICENY: Eichmann war im Reichssicherheitshauptamt Abteilungsleiter im Amt IV, in der Gestapo.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wollen Sie damit sagen, Abteilung IV oder eine Unterabteilung, in letzterem Falle welche Unterabteilung?


WISLICENY: Er leitete die Abteilung IV-A-4. Diese Abteilung umfaßte zwei Referate, das Kirchenreferat und das Referat für jüdische Angelegenheiten.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Sie haben vor sich ein Diagramm, das die Stellung der Unterabteilung IV-A-4-b des RSHA zeigt. Haben Sie dieses Diagramm selbst angefertigt?


WISLICENY: Ja, ich habe dieses Diagramm selbst gezeichnet.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Stellt es in richtiger Weise das Organisationsschema und die Abteilung dar, die sich mit der Judenfrage beschäftigen?


WISLICENY: Ja; das war ungefähr die Abteilung, zu Beginn des Jahres 1944, in ihrem Personalbestand.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Waren Sie mit Bezug auf dieses Diagramm und die Liste der leitenden Persönlichkeiten, wie sie im unteren Teil der Aufstellung verzeichnet sind, persönlich mit jedem der darin Angeführten bekannt?


WISLICENY: Ja, ich habe alle selbst gekannt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Welches war die spezielle Aufgabe der Abteilung IV-A-4-b des RSHA?


[394] WISLICENY: Die Abteilung IV-A-4-b hatte sich mit der Judenfrage für das RSHA zu beschäftigen. Eichmann hatte besondere Vollmachten vom Gruppenführer Müller, dem Chef des Amtes IV, und vom Chef der Sicherheitspolizei. Er war verantwortlich für die sogenannte Lösung der Judenfrage in Deutschland und allen von Deutschland besetzten Gebieten.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Gab es bestimmte Zeitabschnitte für die Tätigkeit gegen die Juden?


WISLICENY: Ja.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Können Sie dem Gerichtshof die ungefähren Perioden nennen und die verschiedenen Arten der Aktionen beschreiben?


WISLICENY: Ja; bis zum Jahr 1940 waren die allgemeinen Richtlinien innerhalb des Referats, die Judenfrage in Deutschland und den von Deutschland besetzten Gebieten durch eine planmäßige Auswanderung zu regeln. Als zweite Phase kam von diesem Zeitpunkt ab die Konzentrierung aller Juden in Polen und in übrigen von Deutschland besetzten Gebieten des Ostens, und zwar in Form von Ghettos. Diese Periode dauerte ungefähr bis zu Beginn des Jahres 1942. Als dritte Periode kam die sogenannte Endlösung der Judenfrage, das heißt, die planmäßige Ausrottung und Vernichtung des jüdischen Volkes. Diese Periode dauerte bis zum Oktober 1944, bis Himmler den Befehl gab, diese Vernichtung einzustellen.


[Das Gericht setzt die Verhandlung für

10 Minuten aus.]


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wann traten Sie zum erstenmal mit der Abteilung IV-A-4 des RSHA in Verbindung?

WISLICENY: Das geschah 1940; ich traf Eichmann zufällig...

OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was war Ihre Stellung?


WISLICENY: Eichmann machte mir den Vorschlag, nach Bratislava zu gehen, um dort als Berater bei der Slowakischen Regierung für die Judenfrage zu fungieren.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wie lange bekleideten Sie nachher diese Stellung?


WISLICENY: Ich war bis zum Frühjahr 1943 in Bratislava; dann fast ein Jahr in Griechenland, und dann vom März 1944 bis zum Dezember 1944 bei Eichmann in Ungarn. Im Januar 1945 bin ich dann aus Eichmanns Abteilung ausgeschieden.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Hörten Sie in Ihrer dienstlichen Stellung als Angestellter der Abteilung IV-A-4 von irgendwelchen Befehlen, die Anweisung zur Ausrottung der Juden gaben?


[395] WISLICENY: Ja, ich habe einen solchen Befehl zum erstenmal von Eichmann im Sommer 1942 erfahren.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Schildern Sie nun dem Gerichtshof, unter welchen Umständen dies geschah und welches der wesentliche Inhalt des Befehls war.


WISLICENY: Im Frühjahr 1942 waren etwa 17000 Juden als Arbeitskräfte aus der Slowakei nach Polen gebracht worden. Es handelte sich um eine Vereinbarung mit der Slowakischen Regierung. Die Slowakische Regierung fragte ferner an, ob die zu diesen Arbeitskräften gehörenden Familienmitglieder nicht ebenfalls nach Polen gebracht werden könnten. Ursprünglich lehnte Eichmann diesen Antrag ab. Im April oder Anfang Mai 1942 teilte er mir dann mit, daß nunmehr auch geschlossene Familien nach Polen gebracht werden könnten. Eichmann war selbst im Mai 1942 in Bratislava und hat mit den verantwortlichen slowakischen Regierungsmitgliedern gesprochen. Er besuchte Minister Mach und den damaligen Ministerpräsidenten Professor Tuka. Er gab damals der Slowakischen Regierung die Versicherung ab, daß diese Juden in den polnischen Ghettos menschlich und anständig behandelt würden. Dies war ein besonderer Wunsch der Slowakischen Regierung. Infolge dieser Zusicherung wurden etwa 35000 Juden aus der Slowakei nach Polen abtransportiert. Die Slowakische Regierung bemühte sich jedoch, daß diese Juden tatsächlich menschlich behandelt wurden, insbesondere war sie bemüht, für die Juden, die die christliche Konfession angenommen hatten, etwas zu tun. Ministerpräsident Tuka hat mich wiederholt zu sich kommen lassen und den Wunsch ausgesprochen, daß eine slowakische Delegation in die Gebiete reisen durfte, in denen sich die slowakischen Juden angeblich befanden. Ich habe diesen Wunsch Tukas an Eichmann weitergeleitet; er ist sogar auch von der Slowakischen Regierung notifiziert worden.

Eichmann gab zunächst einmal eine ausweichende Antwort. Ich bin dann Ende Juli oder Anfang August zu ihm nach Berlin gefahren und habe ihn noch einmal eindringlich gebeten, den Wunsch der Slowakischen Regierung zu erfüllen. Ich habe ihn darauf hingewiesen, daß im Ausland Gerüchte im Umlauf seien, wonach alle Juden in Polen ausgerottet würden. Ich habe darauf hingewiesen, daß von Seiten des Papstes eine Intervention bei der Slowakischen Regierung erfolgt wäre. Ich habe darauf hingewiesen, daß ein solches Vorgehen, wenn es wirklich stimmen sollte, unser Ansehen, das heißt das deutsche Ansehen, im Ausland ungeheuer schädigen würde; aus all diesen Gründen bat ich ihn, er möge diese Besichtigung zulassen; nach einer längeren Diskussion erklärte mir Eichmann, er könnte einen solchen Besuch in den polnischen Ghettos unter gar keinen Umständen genehmigen.

[396] Auf meine Frage, warum, sagte er, daß diese Juden zum größten Teil nicht mehr am Leben seien.

Ich fragte ihn daraufhin, wer einen solchen Befehl gegeben hätte. Er berief sich, es wäre ein Befehl von Himmler. Ich bat ihn daraufhin, er möchte mir einen solchen Befehl zeigen, denn ich könnte mir nicht vorstellen, daß ein solcher Befehl tatsächlich schriftlich existierte. Er hat...


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wo waren Sie zu dem Zeitpunkt, als Sie sich mit Eichmann trafen?


WISLICENY: Dieses Zusammentreffen mit Eichmann fand in Berlin, Kurfürstenstraße 116, in den Amtsräumen Eichmanns statt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Fahren Sie fort in der Beantwortung der vorhergehenden Frage; sprechen Sie weiter über die Unterhaltung mit Eichmann, über die näheren Umstände und über den Befehl!


WISLICENY: Eichmann sagte mir, er könnte mir auch diesen Befehl schriftlich zeigen, wenn es mein persönliches Gewissen beruhigte. Er holte aus seinem Panzerschrank einen schmalen Aktenband, in dem er blätterte, und zeigte mir ein Schreiben Himmlers an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD. In diesem Schreiben stand sinngemäß etwa folgendes:

Der Führer hätte die Endlösung der Judenfrage befohlen. Mit der Durchführung dieser sogenannten Endlösung wurde der Chef der Sicherheitspolizei und des SD und der Inspekteur des Konzentrationslager wesens beauftragt. Es sollten von der sogenannten Endlosung alle arbeitsfähigen Juden weiblichen und männlichen Geschlechts vorläufig zurückgestellt werden, die in den Konzentrationslagern zu Arbeiten verwendet werden sollten. Dieses Schreiben war von Himmler selbst unterzeichnet. Es ist da gar kein Irrtum möglich, denn ich kannte die Unterschrift Himmlers genau. Ich...


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: An wen war dieser Befehl gerichtet?


WISLICENY: An den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, das heißt an die Dienststelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: War dieser Befehl noch an irgendwelche anderen Stellen gerichtet?


WISLICENY: Ja, den Inspekteur des Konzentrationslagerwesens. An beide Dienststellen war dieser Befehl adressiert.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Hatte dieser Befehl irgendeine besondere Anordnung zwecks Geheimhaltung?


WISLICENY: Er war geheime Reichssache.


[397] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Welches war das ungefähre Datum dieses Befehls?


WISLICENY: Dieser Befehl war von April 1942.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Von wem war er unterschrieben?


WISLICENY: Von Himmler persönlich.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Und Sie haben diesen Befehl persönlich in Eichmanns Büro überprüft?


WISLICENY: Ja. Eichmann reichte mir das Aktenstück herüber, und ich habe den Befehl selbst gesehen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wurde von Ihnen wegen der Bedeutung des in dem Befehl gebrauchten Wortes »Endlösung« eine Frage gestellt?


WISLICENY: Eichmann erklärte mir anschließend diesen Begriff. Er sagte mir, daß in diesem Begriff und in dem Worte »Endlösung« sich die planmäßige biologische Vernichtung des Judentums in den Ostgebieten verbarg. Auch in späteren Diskussionen über das gleiche Thema tauchte dieses Wort »Endlösung« immer wieder auf.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Haben Sie irgendetwas zu Eichmann gesagt, das sich auf die ihm in diesem Befehl gegebene Vollmacht bezog?


WISLICENY: Eichmann sagte mir, daß er persönlich mit der Durchführung dieses Befehls innerhalb des Reichssicherheitshauptamtes beauftragt wäre. Er hätte für die Durchführung dieses Befehls alle Vollmachten von seiten des Chefs der Sicherheitspolizei bekommen; er wäre persönlich verantwortlich, daß dieser Befehl durchgeführt würde.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Haben Sie zu Eichmann über diese Vollmacht irgendwelche Bemerkung gemacht?


WISLICENY: Ja. Ich war mir vollkommen darüber klar, daß dieser Befehl ein Todesurteil für Millionen von Menschen bedeutete. Ich habe Eichmann gesagt »Gott gebe es, daß unsere Feinde niemals Gelegenheit hätten, Gleiches dem deutschen Volke zuzufügen«, daraufhin sagte Eichmann, ich sollte nicht sentimental werden; es wäre ein Führerbefehl, und der müßte durchgeführt werden.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wissen Sie, ob dieser Befehl in Kraft blieb, während Eichmann im Amte war?


WISLICENY: Ja.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wie lange?

WISLICENY: Dieser Befehl blieb in Kraft bis zum Oktober 1944. Zu diesem Zeitpunkt gab Himmler einen Gegenbefehl, der die Vernichtung der Juden untersagte.


[398] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wer war der Chef des Reichssicherheitshauptamtes zur Zeit, als dieser Befehl zum erstenmal gegeben wurde?


WISLICENY: Das war Heydrich.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wurde dieses Programm mit der gleichen Strenge unter Kaltenbrunner fortgesetzt?


WISLICENY: Ja. Es hat gar keinerlei Abschwächung oder Änderung erfahren.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Sagen Sie uns, falls es Ihnen bekannt ist, wie lange Kaltenbrunner Eichmann kannte?


WISLICENY: Aus verschiedenen Äußerungen von Eichmann habe ich entnommen, daß Kaltenbrunner und Eichmann sich sehr lange kannten. Beide waren aus Linz, und als Kaltenbrunner zum Chef der Sicherheitspolizei ernannt wurde, gab Eichmann seiner Befriedigung darüber Ausdruck. Er sagte damals zu mir, daß er Kaltenbrunner persönlich gut kenne, daß auch Kaltenbrunner seine Familie aus Linz sehr genau kenne.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Erwähnte Eichmann jemals, daß seine Freundschaft und seine Beziehungen zu Kaltenbrunner für ihn von Nutzen seien?


WISLICENY: Ja, er sagte wiederholt, wenn er irgendwelche ernstlichen Schwierigkeiten hätte, so könnte er jederzeit zu Kaltenbrunner persönlich gehen. Er brauchte aber nicht oft an ihn zu appellieren, da sein Verhältnis zu seinem unmittelbaren Chef, dem Gruppenführer Müller, sehr gut war.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Waren Sie zugegen als Eichmann und Kaltenbrunner sich trafen?


WISLICENY: Ja, einmal habe ich gesehen, daß Kaltenbrunner Eichmann persönlich herzlichst begrüßte. Das war im Februar 1945 in Eichmanns Dienststelle in Berlin. Kaltenbrunner kam jeden Mittag zum Essen nach der Kurfürstenstraße 116. Dort versammelten sich die Chefs der Ämter zum gemeinsamen Mittagessen mit Kaltenbrunner, und bei einer solchen Gelegenheit habe ich selbst gesehen, daß Kaltenbrunner Eichmann herzlich begrüßte und sich nach dem Ergehen seiner Familie in Linz erkundigte.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Ist Ihnen im Hinblick auf die Verwaltung seines Büros bekannt, inwieweit Eichmann seine Angelegenheiten Heydrich und später Kaltenbrunner zur Genehmigung unterbreitete?


WISLICENY: Der normale Dienstweg von Eichmann zu Kaltenbrunner führte über Gruppenführer Müller. Berichte an Kaltenbrunner wurden meines Wissens in regelmäßigen Abständen von Eichmann angefertigt und Kaltenbrunner vorgelegt. Ich weiß auch, [399] daß er im Sommer 1944 persönlich bei Kaltenbrunner zur Berichterstattung war.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Hatten Sie jemals Gelegenheit, Akten im Büro Eichmanns durchzusehen?


WISLICENY: Ja, ich habe öfters in Vorgänge, Akten, in Eichmanns Büro Einsicht nehmen können. Ich weiß, daß Eichmann alle Fragen, die seinen besonderen Auftrag betrafen, alle Akten besonders, vorsichtig behandelte. Er war in allen Dingen ein ausgesprochener Bürokrat; über jede Unterredung, die er mit irgendeinem seiner Vorgesetzten hatte, fertigte er sofort eine Aktennotiz an. Er hat mich immer wieder darauf hingewiesen, daß dies das Wichtigste wäre, damit er jederzeit von oben gedeckt wäre. Er selbst scheute jede eigene Verantwortung und war sehr bemüht, für alle Maßnahmen, die er traf, eine Deckung seiner Verantwortlichkeit seinen Vorgesetzten gegen über, in diesem Falle von Müller und Kaltenbrunner, zu erreichen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Haben Sie jemals die Abschrift eines typischen Berichts, der von Eichmanns Büro durch Müller und Kaltenbrunner zu Himmler kam, in den Akten gesehen?


WISLICENY: Ja, solche Abschriften waren selbstverständlich vielfach in den Akten vorhanden. Der normale Weg war folgendermaßen: Eichmann ließ einen Entwurf durch den Sachbearbeiter anfertigen, oder er fertigte den Entwurf selbst an. Dieser Entwurf ging zu Gruppenführer Müller, seinem Amtschef. Entweder unterzeichnete Müller diesen Entwurf selbst, oder er überließ die Unterzeichnung Eichmann. In den meisten Fällen, wenn es sich um Berichte an Kaltenbrunner oder Himmler handelte, unterzeichnete Müller diese Berichte. Wenn der Bericht ohne Änderung von Müller abgezeichnet war, kam er in Eichmanns Büro zurück, und es wurde eine Reinschrift angefertigt mit einem Durchschlag. Diese Reinschrift ging wieder zu Müller zur Unterschrift, und von da aus wurde sie weiter, entweder an Kaltenbrunner oder an Himmler expediert. In einzelnen Fällen, wo es sich um Berichte an Himmler handelte, hat Kaltenbrunner diese Berichte selbst unterschrieben. Ich habe solche Durchschläge, die Kaltenbrunners Signum trugen, selbst gesehen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wir wollen uns jetzt Gebieten und Ländern zuwenden, in denen antijüdische Maßnahmen getroffen wurden. Wollen Sie uns erklären, von welchen Ländern Sie persönlich Kenntnis haben?


WISLICENY: Zunächst einmal habe ich eine persönliche Kenntnis über alle Maßnahmen, die in der Slowakei getroffen wurden. Ferner weiß ich über die Evakuierung der Juden aus Griechenland nähere Einzelheiten und besonders über die Evakuierung aus Ungarn. Ich weiß ferner noch über gewisse Maßnahmen in Bulgarien und in [400] Kroatien. Von anderen Maßnahmen in anderen Ländern habe ich selbstverständlich gehört, ohne durch eigene Anschauung oder durch genaue Berichte mir ein Bild über die Situation machen zu können.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was die Maßnahmen in der Slowakei angeht, so haben Sie bereits die 17000 Juden erwähnt, die besonders ausgewählt und aus der Slowakei deportiert wurden. Wollen Sie bitte dem Gerichtshof von anderen weiteren Maßnahmen, die sich auf Juden in der Slowakei bezogen, Mitteilung machen?


WISLICENY: Ich erwähnte vorhin schon, daß diesen ersten 17000 Arbeitskräften etwa 35000 Juden, und zwar geschlossene Familien, folgten. Im August oder Anfang September 1942 wurde diese Aktion in der Slowakei eingestellt. Die Gründe dafür waren, daß ein großer Teil der Juden, die noch in der Slowakei vorhanden waren, Ausnahmebewilligungen des Staatspräsidenten oder verschiedener Ministerien zum Verbleiben im Lande hatten; im übrigen wohl auch die ungenügende Antwort, die ich der Slowakischen Regierung auf ihre Bitte um Besichtigung der Judenlager in Polen geben konnte.

Dieser Zustand dauerte bis zum September 1944. Von August 1942 bis September 1944 sind keine Juden aus der Slowakei abtransportiert worden. Es waren noch etwa immerhin 25000 bis 30000 Juden in der Slowakei vorhanden.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was geschah mit der ersten Gruppe von 17000 besonders ausgewählten Arbeitern?


WISLICENY: Diese Gruppe wurde nicht vernichtet, sondern wurde restlos zu Arbeitszwecken in den Konzentrationslagern in Auschwitz und Lublin eingesetzt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Woher wissen Sie das?


WISLICENY: Diese Einzelheit weiß ich, weil der Kommandant von Auschwitz, Höß, 1944 in Ungarn eine solche Bemerkung zu mir machte. Er sagte mir damals, daß diese 17000 Juden seine besten Arbeitskräfte in Auschwitz wären.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wie hieß dieser Kommandant?


WISLICENY: Der Kommandant von Auschwitz hieß Höß.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was geschah mit den ungefähr 35000 Familienangehörigen der jüdischen Arbeiter, die ebenfalls nach Polen deportiert wurden?


WISLICENY: Sie wurden entsprechend dem Befehl behandelt, den mir Eichmann im August 1942 gezeigt hatte. Ein Teil von ihnen blieb am Leben, soweit er zu Arbeitszwecken einzusetzen war. Die anderen wurden getötet.


[401] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Woher wissen Sie das?


WISLICENY: Das weiß ich von Eichmann und auch selbstverständlich von Höß aus den Gesprächen in Ungarn.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviele aus dieser Gruppe blieben am Leben?

WISLICENY: Höß bezifferte damals in einem Gespräch mit Eichmann, bei dem ich Zeuge war, den Anteil der Juden, die am Leben blieben und zur Arbeit eingesetzt wurden, auf etwa 25 bis 30 Prozent.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wissen Sie, was mit den 25000 Juden, die in der Slowakei bis September 1944 zurückblieben, geschehen ist?


WISLICENY: Nach Ausbruch des slowakischen Aufstandes im Herbst 1944 wurde Hauptsturmführer Brunner, einer von Eichmanns Gehilfen, in die Slowakei gesandt. Mein Wunsch, in die Slowakei zu gehen, wurde von Eichmann abgelehnt. Brunner hat dann mit Hilfe von deutschen Polizeikräften und slowakischen Gendarmeriekräften diese Juden in einigen Lagern konzentriert und nach Auschwitz abtransportiert; nach Angaben von Brunner wurden davon etwa 14000 Menschen betroffen. Eine kleine Gruppe, die in dem Lager Szered zurückgeblieben war, wurde meines Wissens im Frühjahr 1945 nach Theresienstadt überführt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was geschah mit diesen Juden, dieser Gruppe von 25000, nachdem sie aus der Slowakei abtransportiert waren?


WISLICENY: Ich nehme an, daß sie ebenfalls noch der sogenannten »Endlösung« zugeführt wurden, da der Befehl Himmlers zum Einstellen dieser Aktion erst einige Wochen später erfolgte.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was nun die Aktionen in Griechenland angeht, von denen Sie persönlich Kenntnis haben, wollen Sie dem Gerichtshof über diese in zeitlicher Reihenfolge Mitteilung machen?


WISLICENY: Im Januar 1943 ließ mich Eichmann nach Berlin kommen und sagte mir, daß ich nach Saloniki gehen sollte, um dort in Verbindung mit der deutschen Militärverwaltung in Mazedonien die Judenfrage in Saloniki zu lösen. Vorher war bereits Eichmanns ständiger Vertreter, Sturmbannführer Rolf Günther, in Saloniki gewesen. Als Zeitpunkt meiner Abreise nach Saloniki war der Februar 1942 vorgesehen. Ende Januar 1942 wurde mir von Eichmann mitgeteilt, daß zur technischen Durchführung aller Aktionen in Griechenland Hauptsturmführer Brunner von ihm bestimmt sei, der mit mir nach Saloniki abreisen würde. Brunner war mir nicht unterstellt, sondern operierte selbständig. Wir sind dann im Februar [402] 1942 nach Saloniki gefahren und haben dort mit der Militärverwaltung Verbindung aufgenommen. Als erste Aktion...


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Mit wem in der Militärverwaltung hatten Sie zu tun?

WISLICENY: Es war Kriegsverwaltungsrat Dr. Merten, der Chef der Militärverwaltung beim Wehrmachtsbefehlshaber Saloniki-Ägäis.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Ich glaube, Sie haben sich ein oder zweimal auf das Jahr 1942 bezogen. Haben Sie jedesmal 1943 sagen wollen, als Sie von Griechenland sprachen?


WISLICENY: Das ist ein Irrtum. Die Ereignisse in Griechenland fanden 1943 statt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Welche Vereinbarungen wurden durch Dr. Merten getroffen, und welche Schritte wurden unternommen?


WISLICENY: In Saloniki wurden zunächst einmal die Juden in bestimmten Stadtvierteln der Stadt konzentriert. In Saloniki lebten etwa 50000 Juden spaniolischer Abkunft. Im Anfang März kam dann, nachdem diese Konzentrierung durchgeführt war, ein Fernschreiben von Eichmann an Brunner, das die sofortige Abtransportierung aller in Saloniki und Mazedonien befindlichen Juden nach Auschwitz befahl. Mit diesem Befehl sind Brunner und ich zur Militärverwaltung gegangen; von seiten der Militärverwaltung wurden keinerlei Ausstände gemacht, und die Maßnahmen wurden vorbereitet und durchgeführt. Brunner selbst hat die ganze Aktion in Saloniki geleitet. Die Zugsgarnituren, die zum Abtransport notwendig waren, wurden bei der Transportkommandantur der Wehrmacht angefordert. Brunner brauchte lediglich anzugeben, wieviel Waggons und zu welchem Zeitpunkt er diese Waggons benötigte.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wurden irgendwelche jüdische Arbeiter auf Verlangen des Dr. Merten oder der Militärverwaltung zurückbehalten?


WISLICENY: Ja, zu Bauarbeiten an Bahnstrecken hatte die Militärverwaltung etwa 3000 männliche jüdische Arbeitskräfte angefordert, die ihr auch übergeben wurden. Nach Beendigung dieser Bahnarbeiten wurden die Juden wieder an Brunner zurückgegeben; sie wurden gleichfalls, wie alle anderen, nach Auschwitz abtransportiert. Diese Arbeiten fanden im Rahmen der Organisation Todt statt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviele jüdische Arbeiter wurden für die Organisation Todt zurückbehalten?


WISLICENY: Etwa 3000 bis 4000.


[403] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Befanden sich unter den zum Abtransport versammelten Juden auch Kranke?


WISLICENY: Im eigentlichen Lager, Konzentrie rungslager, waren keine besonderen Krankheitsfälle zu verzeichnen. Jedoch herrschte in den einzelnen Stadtvierteln, die von Juden bewohnt waren, Flecktyphus und auch andere ansteckende Krankheiten, wie besonders Lungentuberkulose.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Haben Sie wegen dieses Typhus irgendwelche Verbindung mit Eichmann aufgenommen?


WISLICENY: Ich habe Eichmann durch ein Telefongespräch, nachdem das Fernschreiben über den Abtransport aller Juden aus Saloniki eingetroffen war, auf diese Typhusfälle aufmerksam gemacht. Er ist aber nicht auf diesen Einwand eingegangen, sondern befahl die sofortige Aufnahme des Abtransportes.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviele Juden wurden insgesamt in Griechenland erfaßt und abtransportiert?


WISLICENY: Es waren über 50000 Juden; ich glaube etwa 54000 Juden, die aus Saloniki und Mazedonien abtransportiert wurden.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Worauf begründen Sie diese Zahl?


WISLICENY: Ich habe selbst einen umfassenden Bericht, den Brunner nach Beendigung des Abtransportes an Eichmann verfaßte, gelesen. Brunner verließ Saloniki Ende Mai 1943. Ich selbst war von Anfang April bis Ende Mai nicht in Saloniki, so daß Brunner die Aktion allein durchgeführt hat.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviele Transporte wurden für den Abtransport der Juden aus Saloniki benötigt?


WISLICENY: Es waren über 20, etwa zwischen 20 und 25 Transportzüge.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviele wurden in jedem Transport verschickt?


WISLICENY: Die Belegung war mindestens 2000; in manchen Fällen auch zweieinhalbtausend.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Welche Art von Eisenbahnwagen wurde für diese Transporte verwendet?


WISLICENY: Es wurden geschlossene Güterwaggons verwendet; den zu Evakuierenden wurde Verpflegung auf ungefähr zehn Tage mitgegeben, die im wesentlichen aus Brot, Oliven und anderen trockenen Lebensmitteln bestand, außerdem Wasser und verschiedene andere sanitäre Einrichtungen.


[404] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wer stellte diese Eisenbahnwaggons zur Verfügung?

WISLICENY: Das Transportmaterial wurde von der Transportkommandantur der Wehrmacht gestellt, das heißt die Waggons und die Lokomotiven; die Lebensmittel wurden von der Militärverwaltung zur Verfügung gestellt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was hatte die Unterabteilung IV-A-4 zu tun, um diese Transportmittel zu erhalten, und wer in dieser Unterabteilung befaßte sich damit?


VORSITZENDER: Oberstleutnant Brookhart, Sie brauchen auf solche Einzelheiten nicht einzugehen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Herr Vorsitzender, diese spezielle Frage wird meiner Meinung für die Beteiligung der Militärverwaltung von Bedeutung sein, aber ich kann die Besprechung anderer Einzelheiten einschränken.


VORSITZENDER: Gewiß. Sie haben ziemlich viel Zeit verwendet, um zu beschreiben, wieviele von ihnen zusammengetrieben wurden, ob es 60000 waren, oder wieviele für die Organisation Todt zurückbehalten wurden; alle diese Einzelheiten sind wirklich unnötig.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Gewiß, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie müssen nach eigenem Ermessen handeln, wieviel Sie weglassen können. Ich weiß nicht, welche Einzelheiten und welche Tatsachen Sie beweisen wollen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Herr Vorsitzender, dieser Zeuge hat bestätigt, daß er in der Lage ist, über nahezu alle Einzelheiten in diesen Balkanländern auszusagen. Wir wünschen nicht, noch mehr zusätzliches Beweismaterial vorzubringen, aber seine Zeugenaussage gibt ein vollständiges Bild des Verfahrens vom Chef des Reichssicherheitshauptamtes an über die verschiedenen Feldoperationen bis zur »Endlösung«.


VORSITZENDER: Gut, was soll er betreffs dieser 50000 Juden beweisen?


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was endgültig mit ihnen in Auschwitz geschah, soweit es ihm bekannt ist.


VORSITZENDER: Gut, Sie können fortfahren, um darzulegen, was man schließlich mit ihnen getan hat.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Jawohl, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt]:


Welches war der Bestimmungsort dieser Judentransporte aus Griechenland?


WISLICENY: In allen Fällen Auschwitz.


[405] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was geschah letzten Endes mit diesen von Griechenland nach Auschwitz gesandten Juden?


WISLICENY: Sie wurden ausnahmslos der sogenannten »Endlösung« zugeführt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Mußten die Juden während der Zeit vor ihrem Abtransport für ihren eigenen Unterhalt Sorge tragen?


WISLICENY: Ich habe diese Frage nicht genau verstanden.


VORSITZENDER: Oberstleutnant Brookhart, ist dies nicht einerlei, da sie doch der »Endlösung« zugeführt wurden, was meines Wissens nach Tod bedeutet?


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Herr Vorsitzender! Dieser Zeuge wird aussagen, daß 280 Millionen Drachmen in der Griechischen Nationalbank für den Unterhalt dieser Leute hinterlegt wurden, und daß dieser Betrag später von der deutschen Militärverwaltung beschlagnahmt wurde. Das ist alles was ich hoffte, mit dieser Frage beweisen zu können.


[Zum Zeugen gewandt]:


Ist das eine richtige Erklärung Ihrer Aussage?


WISLICENY: Ja. Das Bargeld, das diese Juden besaßen, wurde ihnen abgenommen und auf ein Sammelkonto bei der Bank von Griechenland niedergelegt. Nach Ende des Abtransportes der Juden aus Saloniki wurde dieses Konto von der Militärverwaltung übernommen. Es waren damals etwa 280 Millionen Drachmen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wenn Sie sagten, daß die Juden in Auschwitz der »Endlösung« zugeführt wurden, so wollten Sie damit was sagen?


WISLICENY: Ich meine das damit, was Eichmann mir unter »Endlösung« erklärt hat, daß sie also biologisch vernichtet wurden. Soviel ich aus Gesprächen mit Eichmann entnommen habe, geschah diese Vernichtung in Gaskammern. Die Körper wurden anschließend in Krematorien verbrannt.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Herr Vorsitzender, dieser Zeuge ist in der Lage, über die Aktionen in Ungarn auszusagen, die ungefähr 500000 Juden betroffen haben.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort. Sie müssen nach Ihrem eigenen Ermessen handeln. Ich kann den Fall für Sie nicht vortragen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Ich habe nicht den Wunsch, zusätzliches Beweismaterial vorzubringen.


[Zum Zeugen gewandt]:


Wir wollen uns den Aktionen in Ungarn zuwenden. Wollen Sie die dort vorgenommenen Aktionen und Ihre Teilnahme daran kurz schildern?


[406] WISLICENY: Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Ungarn ging Eichmann persönlich mit einem großen Kommando nach Ungarn herunter. Durch einen Befehl, der vom Chef der Sicherheitspolizei unterzeichnet war, wurde ich zu Eichmanns Kommando bestimmt. Eichmann begann seine Tätigkeit Ende März 1944 in Ungarn. Er nahm Verbindung auf mit Mitgliedern der damaligen Ungarischen Regierung, insbesondere mit Staatssekretär Endre und Staatssekretär von Baky. Die erste Maßnahme, die Eichmann in Verbindung mit diesen ungarischen Regierungsbeamten traf, war eine Konzentrierung der Juden in Ungarn an bestimmten Orten und bestimmten Plätzen. Diese Maßnahmen begannen zonenweise und nahmen ihren Anfang in dem sogenannten Karpa tho-Rußland und in Siebenbürgen. Der Beginn dieser Aktion war Mitte April 1944.

In Karpatho-Rußland wurden über 200000 Juden von diesen Maßnahmen betroffen. Dadurch entstanden in den kleinen Städten und Landgemeinden, in denen die Juden konzentriert wurden, unhaltbare Verhältnisse hinsichtlich ihrer Verpflegung und Unterbringung. Aus dieser Situation herausmachte Eichmann den Ungarn den Vorschlag, diese Juden nach Auschwitz und in andere Lager zu übernehmen. Er bestand jedoch darauf, daß ein entsprechender Antrag der Ungarischen Regierung oder eines ungarischen Regierungsmitglieds bei ihm vorgelegt werde. Dieser Antrag fand durch den Staatssekretär von Baky statt. Die Durchführung der Evakuierung wurde von der ungarischen Gendarmerie durchgeführt.

Eichmann selbst beauftragte mich als Verbindungsoffizier bei Oberstleutnant Ferency, der vom ungarischen Innenministerium mit dieser Aktion beauftragt war. Die Abbeförderung der Juden aus Ungarn begann Anfang Mai 1944, und zwar erfolgte der Abtransport ebenfalls zonenweise, beginnend in Karpatho-Rußland, dann Siebenbürgen, dann Nord-Ungarn, dann Süd-Ungarn und dann West-Ungarn. Budapest sollte Ende Juni von Juden geräumt werden; jedoch unterblieb die Räumung, da der Reichsverweser von Horthy es nicht zuließ. Von dieser Aktion wurden ungefähr 450000 Juden betroffen. Eine zweite Aktion fand dann...


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Bevor Sie hierauf eingehen, wollen Sie bitte dem Gerichtshof mitteilen, was zur Organisierung einer Einsatzgruppe zur Lösung der Judenfrage in Ungarn getan wurde?


WISLICENY: Im Anfang März 1944 wurde eine sogenannte Einsatzgruppe der Sicherheitspolizei und des SD in Mauthausen bei Linz zusammengestellt. Eichmann selbst führte ein sogenanntes Sonder-Einsatzkommando, zu dem er alle Leute, die in seiner Abteilung irgendeine Funktion bekleideten, beorderte. Dieses [407] Sonder-Einsatzkommando sammelte sich ebenfalls in Mauthausen; es war personell dem Führer der Einsatzgruppe, damals Standartenführer Dr. Geschke, unterstellt; in sachlicher Hinsicht jedoch unterstand Eichmann nur dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was bedeutet die Bezeichnung »Sonder-Einsatzkommando Eichmann« in Beziehung zu den Vorgängen in Ungarn?


WISLICENY: Eichmanns Tätigkeit in Ungarn umfaßte alle Angelegenheiten, die mit der Judenfrage in Verbindung standen.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Unter wessen unmittelbarer Aufsicht wurde das »Sondereinsatz-Kommando Eichmann« organisiert?


WISLICENY: Ich sagte schon, daß in allen Personalangelegenheiten und wirtschaftlichen Angelegenheiten Eichmann dem Führer der Einsatzgruppe, Standartenführer Dr. Geschke, unterstellt war. In sachlicher Beziehung konnte Geschke Eichmann keine Vorschriften machen. Eichmann berichtete auch über alle Aktionen, die er unternahm, direkt nach Berlin.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wem?


WISLICENY: Entweder an Gruppenführer Müller, oder in wichtigeren Fällen an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, also an Kaltenbrunner.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wurde während des Zeitraums, in dem die ungarischen Juden erfaßt wurden, eine Verbindung von dem Vertreter Eichmanns mit dem »Joint Distribution Committee on Jewish Affairs« hergestellt?


WISLICENY: Das »Joint Distribution Committee« bemühte sich, mit Eichmann eine Verbindung zu bekommen, um zu versuchen, das Schicksal der ungarischen Juden abzuwenden. Ich selbst habe diese Verbindung mit Eichmann hergestellt, da ich eine Möglichkeit suchen wollte, daß die halbe Million Juden – daß die Juden in Ungarn nicht von den bisherigen Maßnahmen betroffen wurden. Das »Joint Distribution Committee« hat Eichmann Vorschläge gemacht und als Gegenleistung gefordert, daß die Juden in Ungarn verbleiben sollten. Diese Vorschläge waren besonders finanzieller Natur. Eichmann sah sich veranlaßt, äußerst widerwillig diese Vorschläge an Himmler weiterzuleiten. Himmler hat dann mit den weiteren Verhandlungen einen Standartenführer Becher beauftragt. Standartenführer Becher hat dann mit dem Delegierten des Joint, Dr. Kastner, weitere Verhandlungen gehabt. Eichmann aber hat sich von Anfang an bemüht, diese Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Noch ehe ein konkretes Resultat herauskam, wollte er fertige Tatsachen schaffen, das heißt möglichst viele Juden nach Auschwitz abbefördern.


[408] VORSITZENDER: Müssen wir auf all diese Verhandlungen eingehen? Können Sie nicht zum Ende der Sache kommen?


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Der Zeuge neigt dazu, lange Antworten zu geben, das hat sich schon in den vorgerichtlichen Verhören ergeben. Ich werde versuchen...


VORSITZENDER: Sie verhören ihn!


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Jawohl, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt]:


War in der Zusammenkunft zwischen Dr. Kastner und Eichmann von Geld die Rede?


WISLICENY: Ja.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviel?


WISLICENY: In der ersten Besprechung übergab Dr. Kastner etwa drei Millionen Pengö an Eichmann. Wie hoch die Beträge waren, die in späteren Verhandlungen genannt wurden, weiß ich nicht genau.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wem gab Dr. Kastner das Geld, und was geschah damit?


WISLICENY: Es wurde an Eichmann gegeben, der es seinem Geldverwalter übergab, dann wurde dieser Betrag dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Ungarn übergeben.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Die von Ihnen beschriebenen Aktionen betrafen ungefähr 450000 Juden, die aus Ungarn verschleppt wurden. Wurden irgendwelche offizielle Berichte über diese Transporte nach Berlin gesandt?


WISLICENY: Ja. Für jeden abgehenden Transport wurde ein Fernschreiben nach Berlin abgesandt. Eichmann erstattete auch von Zeit zu Zeit Sammelberichte an das Reichssicherheitshauptamt und an den Chef der Sicherheitspolizei.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was geschah mit den in Budapest verbliebenen Juden?


WISLICENY: Nachdem Szalasi die Regierung in Ungarn übernommen hatte....


VORSITZENDER: Oberst Brookhart, wir haben noch nicht gehört, was mit jenen Juden aus Ungarn geschah? Falls es gesagt wurde, dann habe ich es überhört.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Ich werde diese Frage jetzt stellen, Herr Vorsitzender.


[Zum Zeugen gewandt]:


Was geschah mit den Juden, von denen Sie bereits gesprochen haben, ungefähr 450000?


WISLICENY: Sie wurden restlos nach Auschwitz gebracht und dort der »Endlösung« zugeführt.


[409] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Meinen Sie, daß sie getötet wurden?


WISLICENY: Ja, mit Ausnahme von etwa 25 bis 30 Prozent, die zu Arbeitszwecken verwendet wurden. Ich nehme darauf Bezug auf meine Erwähnung einer Unterredung, die zwischen Höß und Eichmann in diesem Zusammenhang in Budapest stattfand.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Was geschah mit den in Budapest verbliebenen Juden?


WISLICENY: Im Oktober, November 1944 wurden von diesen Juden etwa 30000, vielleicht noch ein paar Tausend mehr, herausgenommen und nach Deutschland verbracht. Sie sollten beim Bau des sogenannten Südostwalles, einer Verteidigungsstellung in der Nähe von Wien, als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Es handelte sich meistens dabei um Frauen.

Diese Juden mußten den Weg von Budapest bis zur deutschen Grenze zu Fuß machen, fast 200 km. Sie wurden in Marschgruppen zusammengestellt und gingen in besonders vorgeschriebenen Marschrouten. Ihre Unterbringung und Ernährung während dieses Marsches war außerordentlich schlecht. Die meisten von ihnen wurden von Krankheiten befallen und waren entkräftet. Ich hatte den Auftrag von Eichmann, an der deutschen Grenze diese Gruppen zu übernehmen und sie an die Gauleitung Niederdonau zu Arbeitszwecken weiterzuleiten. Ich habe in vielen Fällen die Übernahme dieser sogenannten Arbeitskräfte abgelehnt, weil die Menschen völlig entkräftet und durch Krankheiten heruntergekommen waren. Eichmann zwang mich jedoch, auch diese Menschen zu übernehmen, indem er in diesem Falle sogar mir androhte, er würde mich Himmler zur Einweisung in ein Konzentrationslager melden, wenn ich ihm weitere politische Schwierigkeiten machen würde. Durch diese Tatsache wurde ich dann auch aus Eichmanns Abteilung entfernt.

Ein großer Teil dieser Menschen ist dann in den sogenannten Arbeitslagern in Niederdonau an Entkräftung und Seuchen gestorben, Ein geringer Prozentsatz, etwa 12000, wurde nach Wien und die Umgebung von Wien gebracht, und ein Transport von ungefähr 3000 ging nach Bergen-Belsen und von da in die Schweiz. Das waren Juden, die im Zuge der Verhandlungen mit dem Joint aus Deutschland herausgelassen wurden.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wenn wir die Länder Griechenland, Ungarn und Slowakei zusammennehmen, wieviele Juden wurden ihrer persönlichen Kenntnis nach von Maßregeln der Gestapo und des SD in diesen Ländern betroffen?


WISLICENY: In der Slowakei waren es ungefähr 66000. In Griechenland waren es ungefähr 64000, in Ungarn war es über eine halbe Million.


[410] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wie viele Juden wurden in den Ländern Kroatien und Bulgarien, über die sie einige Kenntnisse besitzen, von den Maßnahmen betroffen?


WISLICENY: In Bulgarien meines Wissens etwa 8000. Von Kroatien weiß ich nur die Zahl von etwa 3000 Juden, die im Sommer 1942 nach Auschwitz gebracht wurden, und zwar aus Agram.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Haben jene Spezialisten für Judenfragen des Amtes IV a Sitzungen abgehalten, deren Namen auf diesem Papier erscheinen, auf das wir bereits Bezug genommen haben?


WISLICENY: Ja, Eichmann hatte die Gewohnheit, alle Jahre eine große Sitzung seiner Sachbearbeiter in Berlin einzuberufen. Diese Sitzung fand meistens im November statt. An diesen Sitzungen mußten alle Männer, die im Ausland von ihm eingesetzt waren, über ihre Tätigkeit Bericht erstatten. Im Jahre 1944 hat ein solches Treffen meines Wissens nicht stattgefunden, weil Eichmann im November 1944 noch in Ungarn war.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wieviele Juden, über deren Schicksal Sie persönlich Bescheid wissen, wurden der »Endlösung«, also der Tötung, unterworfen?


WISLICENY: Die genaue Zahl läßt sich für mich außerordentlich schlecht feststellen. Ich habe nur einen Anhaltspunkt, und das ist das Gespräch zwischen Eichmann und Höß in Wien, in dem er sagte, daß von den Juden, die aus Griechenland nach Auschwitz gekommen wären, nur sehr wenige Arbeitskräfte dabei gewesen wären. Die Juden aus der Slowakei und aus Ungarn waren etwa 25 bis 30 Prozent arbeitsfähig. Es ist für mich daher sehr schwer, eine gültige Totalsumme genau anzugeben.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Haben Sie in den Besprechungen mit den anderen Spezialisten über Judenfragen und mit Eichmann irgendwelche Kenntnis oder Auskunft über die Gesamtzahl der unter diesem Programm getöteten Juden erhalten?


WISLICENY: Eichmann persönlich sprach immer von mindestens vier Millionen Juden, manchmal nannte er sogar die Zahl von fünf Millionen. Nach meiner persönlichen Schätzung müssen es mindestens vier Millionen Juden gewesen sein, die von der sogenannten »Endlösung« betroffen wurden. Wieviele davon wirklich am Leben geblieben sind, kann ich natürlich nicht angeben.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Wann sahen Sie Eichmann zum letztenmal?


WISLICENY: Ich habe Eichmann zuletzt Ende Februar 1945 in Berlin gesehen. Er äußerte damals, daß, wenn der Krieg verloren wäre, er Selbstmord begehen würde.


[411] OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Sagte er damals irgendetwas über die Zahl der getöteten Juden?


WISLICENY: Ja, er drückte das in einer besonders zynischen Weise aus. Er sagte: Er würde lachend in die Grube springen, denn das Gefühl, daß er fünf Millionen Menschen auf dem Gewissen hätte, wäre für ihn außerordentlich befriedigend.


OBERSTLEUTNANT BROOKHART: Der Zeuge steht den anderen Vertretern zur Verfügung.


VORSITZENDER: Hat irgendein anderer Anklagevertreter den Wunsch, den Zeugen zu verhören?


MR. G D. ROBERTS, ERSTER ANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH VON GROSSBRITANNIEN UND NORDIRLAND: Herr Vorsitzender, ich habe nicht den Wunsch, Fragen an ihn zu stellen.


VORSITZENDER: Wünscht der russische Anklagevertreter Fragen zu stellen?


OBERST POKROWSKI: Die Sowjetunion hat in diesem Augenblick keine Fragen zu stellen.


VORSITZENDER: Hat der französische Anklagevertreter Fragen zu stellen?


[Keine Antwort.]


DR. SERVATIUS: Herr Zeuge, Sie haben über den Einsatz von Juden zur Arbeit gesprochen und zwei Fälle genannt, einmal Einsatz von Juden aus der Slowakei, die nach Auschwitz kamen, wovon die arbeitsfähigen zur Arbeit versandt wurden; dann später von den Juden, die aus Ungarn zum Südostwall kamen. Ist Ihnen bekannt, ob der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Sauckel, mit diesen Aktionen in Verbindung stand, ob es auf seine Anordnung geschehen ist, und ob er sonst mit diesen Sachen zu tun hatte?

WISLICENY: Soweit es die Juden aus der Slowakei betrat, hatte der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz mit diesen Dingen nichts zu tun. Es war eine rein interne Angelegenheit des Inspekteurs des Konzentrationslagerwesens, der diese Juden für seine eigenen Zwecke einsetzte. Soweit der Einsatz von Juden beim Bau des Südostwalls geschah, kann ich diese Frage nicht konkret beantworten. Ich weiß nicht, wie weit der Bau des Südostwalls von dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz gesteuert wurde. Die Juden, die von Ungarn für diesen Bau heraufkamen, wurden der Gauleitung Niederdonau übergeben.


DR. SERVATIUS: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.


VORSITZENDER: Haben andere Verteidiger Fragen zu stellen?


RA. BABEL: Herr Zeuge, Sie haben von Maßnahmen der Sicherheitspolizei und des SD gesprochen, und Sicherheitspolizei und SD [412] in Ihren Aussagen mehrmals erwähnt. Ist diese Bezeichnung lediglich die Amtsbezeichnung, oder ist aus dieser Angabe zu schließen, daß der Sicherheitsdienst, der SD, als solcher irgendwie beteiligt war?


WISLICENY: Die Aktionen, die ich erwähnt habe, wurden vom Amt IV, das heißt der Gestapo, durchgeführt. Wenn ich den Chef der Sicherheitspolizei und des SD erwähnt habe, so habe ich ihn deshalb erwähnt, weil es eine Dienststellenbezeichnung ist, nicht um den SD selbst zu erwähnen.


RA. BABEL: War also der SD bei diesen Judenmaßnahmen, die Sie erwähnt haben, irgendwie beteiligt, erstens zahlenmäßig, zweitens ausführungsmäßig?


WISLICENY: Der SD als Organisation selbst nicht. Einige von den Führern, die bei Eichmann tätig waren, stammten aus dem SD. Ich selbst persönlich auch. Aber wir waren zum Amt IV zur Gestapo kommandiert.


RA. BABEL: Waren nun die früheren Mitglieder der SS oder des SD, die dann später in der Gestapo tätig wurden, noch Mitglieder ihrer ursprünglichen Organisationen, oder waren sie jetzt Mitglieder der Gestapo?


WISLICENY: Nein, sie waren noch beim SD.


RA. BABEL: Und haben also dann als Mitglieder des SD da mitgewirkt oder lediglich in Ausführung von Aufträgen der Gestapo?


WISLICENY: Wir gehörten für die Dauer unserer Kommandierung zur Gestapo. Wir wurden lediglich vom SD noch bezahlt und personalmäßig betreut. Unsere Befehle bekamen wir ausschließlich von der Gestapo, vom Amt IV.


RA. BABEL: In diesem Zusammenhang noch eine Frage. Konnte sich denn ein Fernstehender in diesem Gewirre von Ämtern und so weiter überhaupt auskennen?


WISLICENY: Nein, das war fast unmöglich.


VORSITZENDER: Will irgendein anderer Verteidiger diesen Zeugen ins Kreuzverhör nehmen? Oberst Amen oder Oberst Brookhart, wollen Sie den Zeugen nochmals verhören?


OBERST AMEN: Nein, wir haben keine weiteren Fragen vorzulegen, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sehr gut, das ist alles.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


OBERST AMEN: Es würde zehn Minuten dauern, um den nächsten Zeugen zu holen. Ich hatte nicht erwartet, daß wir so schnell fertig sein würden. Wünschen Sie, daß ich ihn noch heute Nachmittag holen lasse?

[413] VORSITZENDER: Haben Sie in dieser Sache noch weitere Zeugen zu vernehmen?


OBERST AMEN: Nein, in dieser Sache nicht, Herr Vorsitzender. Ich habe noch zwei Zeugen kurz zu verhören. Den ersten über das schriftliche Abkommen zwischen dem OKW und OKH und dem RSHA, über das heute früh Zeugnis abgelegt wurde. Der Zeuge kann die heute Vormittag von Mitgliedern des Gerichtshofs gestellten Fragen sehr kurz beantworten. Der andere Zeuge wird über etwas ganz anderes aussagen.


VORSITZENDER: In welcher Sache soll der andere Zeuge aussagen?


OBERST AMEN: Er wird über die Identifizierung von zwei Angeklagten in einem der Konzentrationslager aussagen. Ich möchte ihre Namen der Verteidigung gegenüber nicht erwähnen, es sei denn, Sie wünschen es ausdrücklich.


VORSITZENDER: Ich bin damit einverstanden; dann werden Sie also die beiden Zeugen morgen aufrufen?


OBERST AMEN: Jawohl, Herr Vorsitzender, ich glaube, keiner der beiden Zeugen wird mehr als 20 Minuten in Anspruch nehmen.


VORSITZENDER: Gut. Dann werden Sie mit der Beweisaufnahme gegen das Oberkommando fortfahren?


OBERST AMEN: Jawohl, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Wir werden uns jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

4. Januar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 4, S. 377-415.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon