Nachmittagssitzung.

[742] VORSITZENDER: Bei der Prüfung der Fragen, die heute früh vorgebracht wurden, hat der Gerichtshof die Notwendigkeit eines billigen und gleichzeitig beschleunigten Verfahrens im Auge gehabt. Er hat entschieden, daß für den Augenblick das Verfahren unter den bisher mitgeteilten Regeln fortgesetzt werden wird, das heißt:

Erstens: Dokumente, die in vier Sprachen übersetzt wurden, können vorgelegt werden, ohne verlesen zu werden; aber bei ihrer Vorlage kann der Vertreter eine Zusammenfassung geben oder sonst die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf ihre Erheblichkeit lenken und jene kurzen Stellen verlesen, die besonders erheblich sind und wichtig erscheinen;

Zweitens: wenn ein Dokument vorgelegt wird, wird der Gerichtshof jeden Einspruch, der dagegen erhoben wird, anhören; in diesem Zusammenhang möchte ich auf die Vorschrift verweisen, die der Gerichtshof am 8. März 1946 erlassen hat und die folgenden Wortlaut hat:

»Um unnötige Übersetzungen zu vermeiden, sollen die Verteidiger der Anklagevertretung die genauen Stellen in allen Dokumenten, die sie zu verwenden beabsichtigen, angeben, so daß die Anklagevertretung die Möglichkeit hat, gegen unerhebli che Stellen Einspruch zu erheben. Im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen Anklagebehörde und Verteidigung über die Bedeutung einer bestimmten Stelle, wird der Gerichtshof entscheiden, welche Stellen genügend bedeutend sind, um übersetzt zu werden. Nur die zitierten Stellen brauchen übersetzt zu werden, es sei denn, daß die Anklagevertretung die Übersetzung des gesamten Dokuments beantragt.«

Der Gerichtshof hat dem Angeklagten Göring, der als erster der Angeklagten im Beweisverfahren vernommen wurde, und der sich als zweithöchster Führer Nazi-Deutschlands verantwortlich erklärt hat, gestattet, seine Aussage ohne jedwede Unterbrechung zu machen; und er hat die gesamte Geschichte des Nazi-Regimes vom Beginn bis zur Niederlage Deutschlands besprochen.

Der Gerichtshof hat nicht die Absicht, irgendeinem der anderen Angeklagten zu gestatten, denselben Gegenstand in seiner Aussage nochmals zu behandeln, es sei denn, daß es für seine eigene Verteidigung notwendig ist.

Die Verteidiger werden dahingehend belehrt, daß der Gerichtshof normalerweise Auszüge aus Büchern oder Artikeln, die die Meinung bestimmter Autoren bezüglich der Ethik, der Geschichte oder bestimmter Ereignisse widerspiegeln, nicht als zulässiges Beweismittel betrachten wird.

[742] Der Gerichtshof wird nun bezüglich der morgigen Tagesordnung in öffentlicher Sitzung tagen, um über zusätzliche Anträge auf Zeugenvernehmung und Dokumentenvorlage zu verhandeln. Nach Schluß dieser öffentlichen Verhandlung wird der Gerichtshof in geschlossener Sitzung weitertagen.

Nun, Dr. Stahmer! Wollen Sie auf das Buch Nummer 1 verweisen. Welches ist Ihr Buch? Oder beziehen Sie sich auf Ihren Schriftsatz?

DR. STAHMER: Herr Präsident, ich beziehe mich auf den Schriftsatz Seite 5. Soweit ich unterrichtet bin, weisen die Übersetzungen dieselben Seitenzahlen auf wie der deutsche Originaltext: Seite 5, Ziffer II. Da ja dieses Buch in die drei Sprachen übersetzt worden ist, und auch das Dokumentenbuch, soweit ich unterrichtet bin, übersetzt ist, kann ich mich wohl ruhig darauf beschränken, nur kurz darauf Bezug zu nehmen und nur das vorzutragen, was ich für wesentlich halte.

Ich hatte am Beginn meines Vortrags aus diesem Buch darauf hingewiesen, daß Deutschland sich von dem Vertrag von Versailles und Locarno losgesagt hatte, daß diese Lossage an sich zu Recht erfolgt war. Nachdem nun diese Lossage erfolgt war, konnte Deutschland zur Wiederaufrüstung und auch zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht schreiten.

Es wurde überdies die Aufrüstung und die Wiedereinführung der Wehrpflicht durch Hitler erst angeordnet, nachdem er bereits wiederholt vorher ohne Erfolg den beteiligten Mächten Abrüstungsangebote unterbreitet hatte. Es kann demnach aus dieser Tatsache allein nicht die Folgerung gezogen werden, daß damals die Absicht bestand, deutsche Angriffskriege vorzubereiten oder zu planen. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß auch im Ausland vom Jahre 1936 ab in erheblichem Umfang aufgerüstet wurde, und ich habe mich zum Beweis für diese Tatsache auf Reden und Aufsätze bezogen, die in dem Buch Churchills »Schritt für Schritt« enthalten sind. Die einzelnen Zitate sind von mir angegeben worden. Ich beziehe mich im einzelnen auf folgendes; auf Seite 5 dieses Buches ist ausgeführt...


VORSITZENDER: Dr. Stahmer, Sie müssen diese Dinge als Beweis vorlegen.


DR. STAHMER: Ja, natürlich, ich habe das Buch hier; ich werde es Ihnen einreichen; habe auch die einzelnen Auszüge hier, die sich in dem Dokumentenbuch befinden. Es ist Dokumentenbuch 2, Seite 44, das erste Zitat im zweiten Dokumentenbuch, Seite 44.


VORSITZENDER: Werden Sie Ihre Beweisstücke irgendwie numerieren?


DR. STAHMER: Ja.

[743] VORSITZENDER: Ich sehe, Sie haben es mit 40 numeriert, ist das richtig?


DR. STAHMER: Ja, es ist die Nummer in diesem Buche. Ich habe diese Bücher durchlaufend numeriert.


VORSITZENDER: Welche Nummer Sie auch immer benutzen wollen, sie muß bei Vorlage des Dokuments angegeben werden, damit sie ins Protokoll aufgenommen wird.


DR. STAHMER: Jawohl, Herr Präsident. Es heißt dort auf Seite 9, Dokumentenbuch 2 in Nummer 40:

»Am 18. Juni wurde das englisch-deutsche Flottenabkommen unterzeichnet, welches Deutschland von den Versailler Flotteneinschränkungen befreite. Das bedeutete im Effekt eine nachträgliche Gutheißung des Bruchs der Militärklauseln.«

Seite 35:

»Die Luftflotte ist in dem Prozeß einer annähernden Verdreifachung begriffen. Hier geht es um eine kolossale Erweiterung, die an unsere Fabrikationsmöglichkeiten die gewaltigsten Ansprüche stellt. Aber ganz abgesehen von diesen unmittelbaren Bedürfnissen besteht die bedeutend größere Aufgabe, die Heimindustrie Englands so zu organisieren, daß sie in den Stand gesetzt wird, die gesamten Ergebnisse ihrer riesigen und elastischen Kapazität in die Kanäle ihrer Kriegsproduktion zu leiten, sobald sich eine ernsthafte Notwendigkeit dazu ergeben sollte.«

Und aus dem Artikel vom 13. November 1936 zitiere ich von Seite 86. Es heißt dort wörtlich in dem Artikel »In den Gewässern des Mittelmeeres«:

»Aber es ist nicht mehr so. England hat begonnen, großzügig aufzurüsten. Sein Reichtum und sein Kredit, die Gediegenheit seiner Einrichtungen, seine gewaltigen Hilfsquellen und Verbindungen, alles trägt zu diesem Wiederaufleben bei. Die britische Flotte ist noch weitaus die mächtigste in Europa. Kolossale jährliche Ausgaben für sie werden für die Zukunft in Betracht gezogen.«

Es soll dann ferner der Beweis geführt werden, daß insbesondere der Angeklagte Göring von der Machtübernahme an zu den verschiedensten Zeiten gleichbleibend seinen ernsten Willen betont hat, den Frieden zu erhalten und einen Krieg zu vermeiden. Er hat auch wiederholt, klar ausgesprochen, daß die von Deutschland getroffenen Maßnahmen nicht Angriffszwecken dienen sollten. Zum Beweis hierfür beziehe ich mich auf mehrere Reden, die der Angeklagte Göring gehalten hat. Ich zitiere zunächst eine Rede vom 4. Dezember 1934, die von ihm in den Krupp-Werken zu Essen [744] gehalten worden ist. Sie befindet sich in dem Buche »Hermann Görings Reden und Aufsätze«, Seite 174/176 und ist wiedergegeben im Dokumentenbuch 1, Seite 18. Ich will aus diesem Zitate nur folgendes vorlesen:

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß der Gerichtsstenograph schon weiß, welche Nummer dieses Beweisstück hat.

DR. STAHMER: Entschuldigung, bitte. Es ist Beweisstück Nummer 6.


VORSITZENDER: Das ist vom 4. Dezember 1944?


DR. STAHMER: 4. Dezember 1934.


VORSITZENDER: 1944?


DR. STAHMER: Nein, 1934. Das muß ein Druckfehler sein. Es heißt da, und es ist der letzte Satz des ersten Absatzes:

»Heute wollen wir diesen Frieden sichern, und das möge die Welt immer wieder wissen: Nur ein Deutschland der Ehre ist ein Garant des Weltfriedens. Nur ein deutsches Volk der Freiheit wird diesen Frieden halten und wird diesen Frieden zu wahren wissen.

Deshalb verlangen wir auch für uns das gleiche Recht, wie es die anderen besitzen.«

Und auf der nächsten Seite der letzte Absatz:

»Wir wollen keinen Krieg, aber wir wollen unsere Ehre. Über die diskutieren wir mit niemandem in der Welt, das steht fest, denn sie ist die Grundlage für den Aufbau der gesamten Nation. Nur wer ein scharfes Schwert an seiner Seite hat, der hat Ruhe, der hat den Frieden.«

Sir Nevile Henderson hat in seinem Buch: »Mißlingen einer Mission« an mehreren Stellen den Friedenswillen Görings hervorgehaben. Die Zitate sind wiedergegeben im Dokumentenbuch 1, Seite 63, und ich überreiche es als Beweisstück Nummer 23. Ich zitiere hier aus Seite 70 im Satze:

»Ich« – das heißt Henderson – »war bis zuletzt geneigt, an die Ernsthaftigkeit seines« – das heißt Görings – »persönlichen Wunsches nach Frieden und guten Beziehungen mit England zu glauben.«

Auf Seite 83 heißt es:

»Ich möchte hier meinem Glauben Ausdruck geben, daß der Feldmarschall, wenn es von ihm abgehangen hätte, nicht um den Preis des Krieges gespielt hätte, wie Hitler es 1939 tat. Wie später zur rechten Zeit erörtert wird, stand er im September 1938 entschieden auf der Seite des Friedens.«

Aus Seite 273 auf der nächsten Seite zitiere ich folgende Sätze:

[745] »Ich sah den polnischen Botschafter um zwei Uhr nachts (am 31. August 1939), gab ihm einen objektiven und bemüht mäßigen Bericht über meine Unterhaltung mit Ribbentrop, erwähnte die Abtretung Danzigs und die Volksabstimmung im Korridor als die zwei Hauptpunkte der deutschen Vorschläge, stellte fest, daß sie, soweit ich überblicken könne, im ganzen nicht zu unvernünftig seien, und schlug ihm vor, seiner Regierung zu empfehlen, daß sie sofort ein Treffen zwischen den Feldmar schällen Rydz-Smygly und Göring vorschlagen solle.«

Aus Seite 274 werde ich folgenden Satz zitieren, den letzten Absatz:

»Gleichwohl schien der Feldmarschall ernst, als er nach einem Abruf ans Telephon zurückkehrte, um uns mitzuteilen, daß Herr Lipski zu seinem Besuch bei Ribbentrop unterwegs sei. Er schien erleichtert und zu hoffen, daß der Krieg trotz allem vermieden werden könne, vorausgesetzt, daß Kontakt überhaupt noch hergestellt würde.«

Im Februar 1937 hielt dann der Angeklagte Göring aus Anlaß des Internationalen Frontkämpfertreffens in Berlin eine Ansprache, die enthalten ist in »Hermann Göring, Werk und Mensch«, Seite 265, und aufgenommen ist im Dokumentenbuch 2, Seite 42, Beweisstück Nummer 39. Ich zitiere hier folgende Sätze:

»Es kann keinen besseren Friedensverteidiger geben als die alten Frontkämpfer. Ich bin überzeugt, daß sie vor allen anderen ein Recht haben, den Frieden zu fordern und ihn zu gestalten. Ich erkenne das Recht der Gestaltung des Lebens der Völker in erster Linie den Männern zu, die mit der Waffe in der Hand durch vier schwere Jahre in die Hölle des Weltkrieges gegangen sind, und ich weiß, daß die Frontkämpfer auch am ehesten darauf bedacht sein werden, ihren Völkern die Segnungen des Friedens zu erhalten.«

Ich lasse dann zwei Sätze aus, und es heißt dann weiter:

»Wir aber wissen, daß es ein furchtbares Ding ist um die letzte Auseinandersetzung zwischen den Völkern. Es ist mein heißer, von Herzen kommender Wunsch, daß dieser Kongreß mit dazu beitragen möge, die Grundlage eines wahrhaften Friedens der Ehre und der Gleichberechtigung für alle Teile zu finden. Sie, meine Kameraden, müssen die Wege dazu ebnen.«

Der gleiche Wille ist erkennbar aus den Antworten, die Lord Halifax auf die ihm gestellten Fragen erteilt hat. Ich verlese aus diesem Fragebogen die folgenden Stellen und überreiche das Original als Beweisstück Nummer 22. Es befindet sich im Dokumentenbuch 1, Seite 59. Die ersten beiden Fragen, glaube ich, kann ich auslassen. Es heißt in der 3. Frage:

[746] »Hat Göring Ihnen bei dieser Besprechung gesagt:

Jede deutsche Regierung würde folgende Fragen:

a) den Anschluß Österreichs und des Sudetenlandes an Deutschland,

b) Rückkehr von Danzig zu Deutschland unter vernünftiger Lösung der Korridorfrage,

als integrierenden Bestandteil ihrer Politik ansehen? Antwort: Ja.

4. Frage: Haben Sie darauf geantwortet: Aber hoffentlich ohne Krieg?

Antwort: Ich sagte, daß Seiner Majestät Regierung wünsche, alle Deutschland und seine Nachbarn berührenden Fragen möchten durch friedliche Methoden gelöst werden. Ich habe sonst diese Fragen nicht diskutiert.

5. Frage: Hat Göring darauf erwidert: Das hänge sehr viel von England ab. England könne viel dazu beitragen, daß diese Frage friedlich gelöst würde. Auch Göring wünsche deshalb keinen Krieg, aber gelöst werden müßten diese Fragen unter allen Umständen?

Antwort: Ja.«

Die nächsten Fragen betreffen die Unterredung mit Dahlerus...

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, ist das der wörtliche Inhalt dessen, was der Angeklagte Göring sagte? Hat er von sich selber in der dritten Person gesprochen: »Göring wünsche keinen Krieg«, meinend: »Ich wünsche keinen Krieg?«

DR. STAHMER: Auch er wünschte keinen Krieg. England könne viel dazu beitragen, daß diese Frage friedlich gelöst würde. Auch er wünsche deshalb keinen Krieg. Auch er, Göring, wünsche keinen Krieg, aber gelöst werden müßten diese Fragen unter allen Umständen.

Es ist ja die indirekte Rede; in der direkten Rede müßte es heißen: »Ich, Göring, wünsche keinen Krieg, aber die Fragen müssen unter allen Umständen gelöst werden.«

Die nächsten Fragen betreffen Dahlerus. Von Bedeutung ist meines Erachtens noch die 15. Frage, die Frage an Halifax:

»Hatten Sie den Eindruck, daß die Bemühungen Görings, den Krieg zu vermeiden, aufrichtig waren?«

Die Antwort von Halifax:

»Ich habe keinen Zweifel, daß Göring es vorgezogen haben würde, wenn er es gekonnt hätte.«

Ende Juni oder Anfang Juli 1938 hat der Angeklagte Göring in Karinhall eine Rede vor den Gauleitern gehalten, die eine ausgesprochene Friedensrede war. Ich beziehe mich auf eine Erklärung [747] von Dr. Uiberreither, vom 27. Februar 1946, die im Original als Beweisstück Nummer 38 überreicht wird und im Dokumentenbuch 2, Seite 37, wiedergegeben ist.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, legen Sie diese Originale vor?

DR. STAHMER: Jawohl.

Es heißt in dieser Erklärung von Dr. Uiberreither vom 27. Februar 1946, Dokumentenbuch 2, Herr Präsident, Seite 38:

»Am 25. Mai 1938« – sagt Dr. Uiberreither –, »und zwar nach der am 10. April 1938 stattgehabten Abstimmung über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, wurde ich zum Gauleiter des Gaues Steiermark ernannt. Eini ge Wochen später – es kann Ende Juni oder Anfang Juli 1938 gewesen sein – berief der ehemalige Feldmarschall Hermann Göring sämtliche Gauleiter des Deutschen Reiches nach Karinhall. Dort hielt er an die Gauleiter eine längere Ansprache, in der er die damalige politische Lage schilderte und sich ferner über den Zweck und die Bedeutung des Vierjahresplanes eingehend aussprach.

Feldmarschall Göring wies zunächst darauf hin, daß das Ausland der politischen Entwicklung Deutschlands wenig Verständnis entgegenbringt, und daß aus diesem Grunde die Gefahr der Einkreisung Deutschlands gegeben sei. Deshalb sei die Führung der Außenpolitik Deutschlands schwierig. Es müsse daher angestrebt werden, Deutschland wirtschaftlich und militärisch zu stärken, damit die Gefahr, daß Deutschland von einer fremden Macht angegriffen werde, verringert werde. Gleichzeitig werde dadurch erreicht, daß Deutschland – wenn es wieder erstarkt sei – wieder in zunehmendem Maße einen maßgebenden Einfluß in der europäischen Politik ausüben könne.

Alsdann kam Feldmarschall Göring auf den Vierjahresplan zu sprechen, hierzu bemerkte er:

Deutschland sei im wesentlichen von den Rohstoffquellen der Erde abgeschnitten und müsse daher durch erhöhte Tätigkeit solche im eigenen Lande erschließen. Das geschehe aber nur, um Deutschland vom Ausland unabhängig zu machen und diene nicht etwa der Vorbereitung eines Angriffskrieges. Er betonte dann mit allem Nachdruck, die Außenpolitik Deutschlands müsse so gelenkt werden, daß es unter gar keinen Umständen zu einem Krieg komme. Der jetzigen Generation liege ein verlorener Weltkrieg noch in den Knochen; ein Kriegsbeginn würde einen Schock im deutschen Volk auslösen. Er sei überdies der Ansicht, daß ein neuer Krieg große Ausmaße annehmen werde und selbst ein Krieg [748] gegen Frankreich allein hinsichtlich seines Ausganges fraglich sei.

Er faßte seine Ausführungen schließlich dahin zusammen, daß alle Kräfte eingesetzt werden müßten, um den Vierjahresplan zum Erfolg zu führen, und daß alle dadurch verursachten Belastungen des Volkes ertragen werden müßten und gerechtfertigt seien, weil durch das Gelingen der Krieg verhindert werden könne.

Ich bemerke, daß ich mich auf alle Einzelheiten dieses Vertrages so genau entsinne, weil ich zum ersten Male von einer führenden Persönlichkeit über die für Deutschland so bedeutsamen Verhältnisse unterrichtet wurde, und weil ich deshalb bis zum Kriegsbeginn nicht daran geglaubt habe, daß es zu einem Kriege kommen werde.«

In der Lösung der Österreich-Frage ist eine aggressive Handlung Deutschlands nicht zu erblicken. Sie erfolgte, um einem Wunsche des überwiegenden Teiles der österreichischen Bevölkerung nach dem Anschluß zu entsprechen. Wie der Angeklagte diese Frage beurteilte, ergibt sich aus dem Ferngespräch, das er mit dem damaligen Außenminister von Ribbentrop am 13. März 1938 führte. Die Niederschrift über dieses Gespräch wurde bereits als 2949-PS, US-76 vorgelegt. Ich zitiere aus diesem Gespräch einige bisher nicht verlesene Stellen. Das Gespräch selbst ist im Dokumentenbuch 1, Seite 55/56 enthalten. Ich will daraus nur folgende Stellen anführen:

»Nun will ich mal eins sagen; wenn man hier sagt« – es ist das Gespräch von Göring –, »wir hätten unter Druck das österreichische Volk, die Unabhängigkeit vergewaltigt, dann kann man höchstens sagen, eine einzige Sache ist vielleicht unter Druck gesetzt worden, aber nicht von uns, das war die ganz winzig kleine Regierung. Das österreichische Volk, das ist jetzt erst frei. Ich würde einfach vorschlagen, den Halifax oder ein paar wirklich erste Leute, denen er vertraut, die soll er doch einfach rüberschicken, damit sie sich das Bild ansehen können. Sie sollen durch das Land reisen, dann sehen sie alles.«

Dann einige Sätze weiter:

»Welcher Staat in der ganzen Welt wird durch unsere Vereinigung geschädigt? Nehmen wir irgendeinem Staat etwas weg?«

Dann heißt es weiter, ich lasse zwei Sätze aus:

»Alle Menschen sind deutsch, alle Menschen sprechen deutsch. Also ist hier kein einziger Staat be teiligt.«

Der Angeklagte Göring – ich verweise auf Seite 11 des Buches, vorletzter Absatz – wollte aber nicht nur den äußeren [749] Frieden erhalten, er trat auch für die Wahrung des Friedens im Innern ein. So erklärte er in einer Rede, die er am 9. April 1933 im Berliner Sportpalast hielt; sie ist in »Hermann Görings Reden und Aufsätze« abgedruckt, und wiedergegeben im Dokumentenbuch 1, Seite 35, und wird überreicht als Beweisstück Nummer 13. Ich zitiere daraus den ersten Satz:

»Auf der anderen Seite aber, Volksgenossen, wollen wir auch großzügig sein. Wir wollen nicht kleinlich Rache üben. Wir sind ja die Sieger. Also seien wir großzügig, erkennen wir, daß auch wir einstmals anders gedacht haben.«

Und dann etwas weiter unten:

»... je stärker und freier wir uns als solche fühlen, desto großzügiger, desto freier können wir auch über Vergangenes hinwegsehen und wirklich aufrichtig die Hand zur Versöhnung hinreichen.«

Ich zitiere weiter aus einer Rede des Angeklagten vom 26. März 1938, Dokumentenbuch 1, Seite 37; es ist ebenfalls ein Zitat aus »Hermann Görings Reden und Aufsätze«, das die Beweisstücknummer 14 hat. Ich zitiere daraus nur den einen Satz:

»Groß wart ihr im Leiden und Erdulden, groß im Standhalten, groß im Kämpfen. Nun zeigt, daß ihr jetzt auch groß in der Güte seid, und zwar gerade gegen all die vielen, die irregeleitet waren.«

Seine Einstellung zur Kirche hat der Angeklagte...

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, können Sie nicht die Beweisstücknummer angeben?

DR. STAHMER: Jawohl, ich glaube, Nummer 13 war es. Ich will soeben nochmals nachsehen. Es war Nummer 14.

Seine Einstellung zur Kirche hat der Angeklagte Göring in mehreren Reden zum Ausdruck gebracht. So hat er am 26. Oktober 1935 dazu folgendes erklärt, das heißt, ich zitiere hier aus »Hermann Görings Reden und Aufsätze«, Dokumentenbuch 1, Seite 39, Beweisstücknummer 15, folgende Sätze:

»Es liegt an der Kirche allein, ob sie den Frieden haben will. Wir, die Bewegung und vor allem die Regierung und der Staat, haben die Kirche niemals angegriffen; wir haben der Kirche Schutz zugesichert und die Kirche weiß, daß sie diesen Schutz auch heute in vollem Umfange besitzt. Es ist also nicht an dem, daß man uns hier irgendeinen Vorwurf machen könnte.«

Und aus einer Rede vom 26. März 1938, die ebenfalls zitiert ist, aus »Hermann Görings Reden und Aufsätze«, Dokumentenbuch 1, Seite 41, Beweisstücknummer 16, zitiere ich den ersten und zweiten Satz:

[750] »Wir wollen keine Kirche vernichten und keinen Glauben und keine Religion zerstören. Wir wollen nur, daß eine klare Scheidung vorgenommen wird. Die Kirche hat ihre bestimmten, sehr wichtigen und sehr notwendigen Aufgaben, und der Staat und die Bewegung haben andere ebenso wichtige und ebenso entscheidende Aufgaben.«

Es wird weiter Bezug genommen auf eine Eingabe eines Pfarrers, Werner Jentsch, die er an den Gerichtshof gerichtet hat, vom 30. Oktober 1945, Dokumentenbuch 1, Seite 44 bis 46, Beweisstücknummer 17. Ich will nur den Absatz 8 zitieren:

»Hermann Göring selbst hat auf eine Eingabe zwecks Einfügung einer hauptamtlichen luftwaffeneigenen Seelsorge mir durch seinen Chefadjutanten antworten lassen, er könne im Augenblick nichts tun, da Adolf Hitler sich in der Religionsfrage noch nicht endgültig entschieden habe. Er wünsche aber volle Glaubensfreiheit in der Luftwaffe, auch für die christlichen Konfessionen, und jeder Angehörige der Luftwaffe könne sich den Heeresgeistlichen oder Zivilpfarrer wählen, welchen er wolle.«

Die eidesstattliche Versicherung des Gauleiters Uiberreither vom 27. Februar 1946 behandelt die Frage, die von mir bereits erwähnt wurde und die im Dokumentenbuch 1, Seite 31 enthalten ist. Sie befaßt sich in Ziffer 2 mit den Vorgängen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 und deren Kenntnis. Es heißt da folgendermaßen:

»Einige Wochen nach dem Vorgehen gegen die Juden in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 – etwa Ende November oder Anfang Dezember 1938 – berief der Feldmarschall Göring wiederum alle Gauleiter nach Berlin.

In scharfen Worten tadelte er bei dieser Zusammenkunft dieses Vorgehen und erklärte, daß es der Würde der Nation nicht entsprochen habe. Im übrigen habe es auch unser Ansehen im Auslande schwer geschädigt. Wenn man in der Ermordung des Legationsrats vom Rath einen Angriff des Judentums gegen das Reich erblicke, so habe das Deutsche Reich andere Möglichkeiten, solchem Angriff zu begegnen, als die niedrigen Instinkte aufzurufen. In einem geordneten Staat dürfe es unter keinen Umständen zu regellosen Aktionen der Straße kommen.«

Und im letzten Absatz unter Ziffer 2 lautet es:

»Er forderte zum Schluß die Gauleiter auf, ihren ganzen Einfluß dahin geltend zu machen, daß in Zukunft derartige, Deutschland schädigende Vorfälle sich nicht wieder ereigneten.«

[751] Seite 16, Ziffer 5, kann ich übergehen, weil soweit schon eine Erklärung abgegeben wurde. Daß Göring es mit seinen Pflichten als Oberster Gerichtsherr besonders ernst genommen hat, zeigt eine eidesstattliche Erklärung des Stabsrichters Dr. Lehmann vom 21. Februar 1946. Ich werde aus dieser Erklärung im er sten Dokumentenband, Seite 106, Beweisstücknummer 27 verlesen. Ich zitiere von Absatz II an:

»II. Ich habe von ihm folgendes Bild:

Der Reichsmarschall stand ursprünglich den Juristen sehr ablehnend gegenüber. Er war offenbar vom Führer beeinflußt. Das hat sich in dem Maße geändert, in dem er sich mit der Justiz der Luftwaffe beschäftigte. Der Reichsmarschall gehörte am Schluß des Krieges zu den hohen Befehlshabern, die sich gern von Juristen beraten ließen. Er hatte besonders für die Luftwaffenjustiz viel übrig und hielt große Stücke auf sie. Er gab ihr schwierige Fälle zur Untersuchung, in denen er den Berichten anderer Stellen nicht recht traute.«

Im nächsten Absatz:

»In den Sachen, in denen ich mit dem Reichsmarschall zu tun hatte, ließ er sich gründlich unterrichten. Er nahm sich für die Dinge ungewöhnlich viel Zeit. Die Besprechungen verliefen, auch wenn erhebliche Meinungsverschiedenheiten da waren, ruhig und sachlich.«

Dann aus Ziffer III:

»III. Der Reichsmarschall hat sich im Bereich der Luftwaffenjustiz sehr viel Sachen zur eigenen Bestätigung des Urteils vorbehalten, darunter alle Todesurteile. Er war bei der Beurteilung des Einzelfalles – bei aller Härte, die der Führer von allen Gerichtsherren verlangte – doch sehr gern einmal zur Milde geneigt. Von schonungsloser Strenge war er bei Verrat und besonders bei Sittlichkeits verbrechen. Aus den Niederschriften weiß ich, daß er öfters bei schweren Notzuchtfällen Urteile aufgehoben hat, weil er ein Todesurteil für notwendig hielt. Dabei macht er keinen Unterschied, ob es sich um eine Frau in Deutschland oder in den besetzten Gebieten handelte. Ich glaube mich aus den Niederschriften mindestens eines Falles zu entsinnen, wo er sogar die gewöhnliche Vollstreckungsart änderte und befahl, daß der Soldat in dem russischen Dorf, in dem er die Notzucht begangen hatte, zu erhängen sei.

IV. Als Vorsitzender in der Verhandlung war der Reichsmarschall sehr lebhaft aber wohlwollend, auch in den Gnadenvorschlägen an den Führer.

[752] V. In seinen eigenen Entscheidungen hat der Reichsmarschall zweifellos oft gegen Gedankengänge und Forderungen des Führers bewußt verstoßen, besonders bei politischen Sachen, die er viel milder und bei Ausschreitungen gegen Landeseinwohner, die er viel härter beurteilte als der Führer.

VI. Mit dem Rechtsberater des Reichsmarschalls, einem sehr erfahrenen, ruhigen, gewissenhaften Juristen, habe ich häufig über den Reichsmarschall gesprochen, auch mit dem durch die gleichen Eigenschaften ausgezeichneten Oberreichskriegsanwalt, der oft bei ihm war. Wir waren über den Reichsmarschall einer Meinung.«

Es ist hier im Laufe des Prozesses wiederholt von der Anklagebehörde auf die sogenannte »Grüne Mappe« Bezug genommen worden, die vorgelegt worden ist unter 1743-PS. Diese ist nicht, wie die Anklagebehörde behauptet, eine Vorschrift zur Ausplünderung und Vernichtung der Bevölkerung. Sie hatte vielmehr zum Gegenstand die wirtschaftliche Mobilmachung und die Inganghaltung der Wirtschaft, Beschaffung und regelmäßige Verwendung der Vorräte, der Verkehrseinrichtungen der durch Kriegsmaßnahmen zu besetzenden Gebiete unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, daß in Rußland keine Privatwirtschaft vorhanden war, sondern nur eine straff von der Zentrale geregelte Staatswirtschaft. Dazu kommt, daß man beim russischen Verhalten mit weitgehenden Zerstörungen rechnen mußte. Sie enthält nirgends einen Befehl oder Hinweis, daß Bevölkerungsgruppen über die Notwendigkeiten hinaus, die durch den Krieg verursacht werden, in Anspruch zu nehmen sind.

Ich habe aus dieser »Grünen Mappe« eine ganze Reihe von Stellen zitiert, die diese von mir vorgetragenen Behauptungen beweisen sollen. Ich kann mich nicht im einzelnen darauf beziehen. Ich will nur auf eine hinweisen, die besonders charakteristisch ist, und zwar auf Seite 94 der »Grünen Mappe«, 2. Absatz:

»Zwischen der einheimischen Bevölkerung, das heißt in diesem Fall den Arbeitern und Angestellten, soll ein möglichst gutes Verhältnis hergestellt werden.«

Etwas weiter auf derselben Seite:

»Mit der Bevölkerung ist ein gutes Verhältnis anzustreben, im besonderen mit den Arbeitern in der Landwirtschaft.«

Ich komme jetzt zu dem nächsten Absatz: Die Deutsche Wehrmacht trat in den Krieg unter voller Wahrung der internationalen Vereinbarungen.

VORSITZENDER: Wo steht dieser Teil?

[753] DR. STAHMER: Seite 23, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Welcher Band?


DR. STAHMER: Im Schriftsatz.


VORSITZENDER: Wir scheinen nur 22 Seiten in unserem Schriftsatz zu besitzen. Sind zwei Bände vorhanden?


DR. STAHMER: Ja, ich glaube im zweiten Schriftsatz. Es ist mit Rücksicht auf die Schnelligkeit der Übersetzung geteilt worden, damals. Darf ich fortsetzen?

Die Deutsche Wehrmacht trat in den Krieg ein, unter voller Wahrung der internationalen Vereinbarungen. Keinerlei Übergriffe größeren Umfanges seitens deutscher Soldaten wurden bekannt. Einzelverfehlungen wurden streng bestraft. Alsbald nach Beginn der Feindseligkeiten erfolgten indessen Meldungen und Berichte über Grausamkeiten, die gegen deutsche Soldaten begangen wurden. Diese Meldungen wurden sorgfältig untersucht. Das Ergebnis wurde niedergelegt durch das deutsche Auswärtige Amt in Weißbüchern, die nach Genf gesandt wurden. So kam unter anderem das Weißbuch zustande, das sich mit den von russischen Soldaten gegen Kriegsrecht und Menschlichkeit begangenen Verbrechen befaßt.


GENERAL RUDENKO: Meine Herren Richter! Der Verteidiger des Angeklagten Göring, Dr. Stahmer, beabsichtigt, dem Gerichtshof Auszüge des sogenannten von der Hitler-Regierung im Jahre 1941 veröffentlichten Weißbuches bezüglich der angeblich stattgefundenen Verletzungen gegenüber deutschen Kriegsgefangenen, zwecks Aufnahme ins Protokoll vorzulegen. Meiner Meinung nach können diese Auszüge weder vorgelegt, noch zur Aufnahme in das Protokoll verlesen werden, und zwar aus den folgenden Gründen:

Es können nur Tatsachen unter Beweis gestellt werden, die sich auf diese Verhandlungen beziehen. Der Gerichtshof befaßt sich mit den Angelegenheiten, die sich auf die von den deutschen Hauptkriegsverbrechern begangenen Verbrechen beziehen.

Das Weißbuch besteht aus einer Reihe erfundener Dokumente bezüglich Vergehen, die nicht vom faschistischen Deutschland, sondern von anderen Staaten begangen wurden. Daher können die im Weißbuch enthaltenen Angaben nicht als Beweismaterial in diesem Falle dienen. Diese Schlußfolgerung ist sehr wohl begründet, denn das Weißbuch ist eine Veröffentlichung zum Zwecke faschistischer Propaganda, die von Erfindungen und Fälschungen strotzt, um die von den Faschisten begangenen Verbrechen zu verbergen. Daher ersuche ich den Gerichtshof, die Vorlage und Verlesung von Auszügen aus dem sogenannten Weißbuch zur Aufnahme ins Protokoll zurückzuweisen.


VORSITZENDER: Mit welcher Begründung rechtfertigen Sie die Vorlage dieses Beweismaterials, Herr Dr. Stahmer?


[754] DR. STAHMER: Die Frage, ob es möglich und zulässig sei, in diesem Verfahren zum Zwecke des Beweises auf dieses Weißbuch Bezug zu nehmen, ist ja schon wiederholt erörtert worden. Insbesondere ist es Diskussionsgegenstand gewesen, als es sich darum handelte, ob ich mich auf dieses Weißbuch zum Beweis beziehen könne. Es ist ja, soviel ich weiß, vorläufig als Beweismittel zugelassen. Und es ist schon damals in der Erörterung, die aus Anlaß dieses Beweisthemas durchgeführt wurde, darauf hingewiesen worden, daß insofern es auf die Beweisführung ankomme, es bei der Prüfung des Motives von Bedeutung ist.

Ich habe schon damals darauf hingewiesen, daß die Handlungen, die gegenüber den deutschen Kriegsgefangenen vorgekommen sind, von Bedeutung sind, um Verständnis zu haben für die Maßnahmen, die auf deutscher Seite getroffen worden sind. Man kann die innere Einstellung der Männer, die die Taten veranlaßten oder selbst ausführten, nicht würdigen, wenn man nicht den Hintergrund betrachtet, vor dem sich ihre Handlungen abspielten, und die Motive untersucht, die sie verursachten, diese Taten zu begehen.

Und aus der Wichtigkeit dieses Motives heraus, um die Kenntnis zu haben über die Anschuldigungen, die von den Deutschen erhoben worden sind, ist meines Erachtens die Bezugnahme auf diese Urkunde unbedingt nötig.


VORSITZENDER: Haben Sie beendet?


DR. STAHMER: Jawohl.


VORSITZENDER: Wir sind hier, um über die Hauptkriegsverbrecher zu Gericht zu sitzen; nicht aber über die Signatarmächte. Deshalb müssen Sie die Vorlage von Beweismaterial gegen die Signatarmächte in gesetzmäßiger Form begründen.


DR. STAHMER: Die Vorlage erfolgt aus folgenden Gründen, wenn ich wiederholen darf:

Es wird den Angeklagten hier vorgeworfen, daß unter ihrer Führung gegen fremde Wehrmachtsangehörige Verbrechen und Taten begangen worden sind, die sich mit der Genfer Konvention nicht in Einklang bringen lassen. Diesseits wird geltend gemacht, wenn es zu Härten und Ausschreitungen auf deutscher Seite gekommen ist, diese veranlaßt wurden dadurch, daß auch auf der anderen Seite in gleicher Weise verstoßen worden ist, und daß daher aus diesem Grunde die Taten anders und milder zu beurteilen sind, als wenn sich die Gegenseite korrekt verhalten hätte. Für die Beurteilung des Motivs sind diese Tatsachen jedenfalls von Bedeutung.


VORSITZENDER: Versuchen Sie, die Einführung dieses Beweismaterials auf Grund von Repressalien zu rechtfertigen?


DR. STAHMER: Nicht allein auf Grund der Repressalien, sondern auch vom Gesichtspunkt des Motivs der Tat heraus.


[755] VORSITZENDER: Sie bitten uns um Zulassung eines Dokuments, eines deutschen Regierungsdokuments. Wir sind nach dem Statut angewiesen, Schriftstücke, Regierungsurkunden und Berichte der Vereinten Nationen entgegenzunehmen; aber es ist nirgends gesagt, daß uns anheimgestellt ist, von der Deutschen Regierung herausgegebene Dokumente zuzulassen. Wir können nicht feststellen, ob diese Schriftstücke beglaubigte Tatsachen enthalten oder nicht.


DR. STAHMER: In den Dokumentenbüchern sind enthalten gerichtliche Protokollaufnahmen von gerichtlichen Untersuchungen. Diese Untersuchungen müssen jedenfalls auch einen Beweiswert in gleicher Weise wie offizielle Dokumente haben. Es sind gerichtliche Protokolle, auf die im Weißbuch Bezug genommen wird.


GENERAL RUDENKO: Ich möchte den Gerichtshof auf eine Sache besonders aufmerksam machen. Der Verteidiger Dr. Stahmer versucht, diese Schriftstücke vorzulegen, um, wie er sagt, die Gründe für die deutschen Verbrechen erklären zu können. Ich möchte betonen, daß aus Dokumenten, welche seitens der Anklagebehörde hier vorgelegt und zugelassen wurden und dem Angeklagten Göring zur Einsicht übergeben wurden, hervorgeht, daß die auf Kriegsverbrechen bezüglichen Urkunden bereits vor Ausbruch des Krieges vorbereitet waren.


VORSITZENDER: Welches Datum haben diese Dokumente, um deren Zulassung Sie uns bitten?


DR. STAHMER: Ich habe die einzelnen hier.


[Kurze Pause.]


Ich lasse die Protokolle mittlerweile heraussuchen.

JUSTICE JACKSON: Ich betone, Herr Vorsitzender, daß ich General Rudenkos Einwendungen vollinhaltlich unterstütze. Ich hatte angenommen, daß, als diese Frage bereits vorher diskutiert wurde, die beiderseitigen Vertreter in dem einen Punkt übereinstimmten, nämlich daß keine Repressalien gegen Kriegsgefangene erlaubt waren. Sogar mein geschätzter Gegner, Dr. Exner, hat dem zugestimmt, daß dies geltendes Recht sei.

Zweitens müssen wir auch selbstverständlich wissen, um welche Verbrechen es sich hier handelt, die man zu entschuldigen sucht. Für welche Verbrechen sind dies die Motive? Die Anklagevertretung sagt, daß es überhaupt keine Motive gibt. Was ist der Grund, daß amerikanische und britische Flieger erschossen wurden? Indem behauptet wird, daß auf seiten der Russen einige Übertretungen vorgekommen sind? Der einzige Weg, Beweise solcher Art zuzulassen, wäre meiner Ansicht nach, sie ganz streng unter die Repressalienlehre zu bringen, indem unter Anführung bestimmter [756] Vergehen folgendes behauptet wird: »Wir geben die Vergehen zu, aber wir haben sie als Repressalie gegen andere genau bestimmte Verletzungen begangen.«

Ich erkläre hiermit, daß allgemeine Beschuldigungen dieser Art in Bezug auf Kriegsgefangene anerkanntermaßen unzulässig sind und uns weit über den Rahmen dieses Verfahrens hinausführen.


DR. STAHMER: Ich darf noch auf eines hinweisen: Ich habe hier zum Beispiel ein Telegramm, das der Vertreter des Auswärtigen Amts beim Oberkommando des Heeres an das Auswärtige Amt richtet, vom 12. August 1941. Es handelt sich hier um ein amtliches Dokument. Bis jetzt sind von der Anklagebehörde im großen Umfange amtliche Dokumente vorgelegt worden, die als Beweis gegen die Angeklagten benutzt wurden. Es wird auch hier ein amtliches Dokument zur Entlastung der Angeklagten vorgelegt, und es scheint hier, daß man auch dieses Dokument zulassen müsse, in demselben Umfange, sofern es rechtlich möglich ist. Formal liegt die Sache so, daß es sich um ein Telegramm des Vertreters des Auswärtigen Amtes vom 21. August 1941 handelt. Da heißt es zum Beispiel:

»26. Division, Operationsakt Nr. 11, 1 Kilometer westlich von Schadenna im Walde Puschka: Auf dem Schlachtfelde ließ der Gegner ungefähr 400 Tote zurück.«

VORSITZENDER: Sie dürfen es nicht verlesen, da wir eben seine Zulässigkeit erörtern.

DR. STAHMER: Verzeihung, ich habe das mißverstanden, Herr Präsident. Sie haben mich gefragt, wel che Urkunde...


VORSITZENDER: Das Datum des Weißbuches?


DR. STAHMER: Das Datum des Weißbuches, da habe ich Sie mißverstanden; es ist Berlin 1941.


VORSITZENDER: Das ist kein Datum, das ist eine Jahreszahl.


DR. STAHMER: Es heißt: »Bolschewistische Verbrechen gegen Kriegsrecht und Menschlichkeit, Dokumente zusammengestellt vom Auswärtigen Amt, Erste Folge, Berlin 194l.« So heißt das Dokument; unter welchem Tag es erschienen ist, läßt sich aus dem Buche selbst nicht ersehen. Es sind dann die einzelnen Urkunden und Ermittlungen in diesem Buche enthalten, und dann folgt eine große Anzahl von Protokollen, die dann die einzelnen Daten tragen.


VORSITZENDER: Es gibt also nichts, woraus man ersehen könnte, wann jene Urkunde, sei es der Sowjetregierung, sei es Genf oder der Schutzmacht, wenn dies überhaupt geschah, übermittelt wurde?


DR. STAHMER: Es ist an Genf weitergeleitet worden. Es ist dem Genfer Roten Kreuz seinerzeit überreicht worden.


VORSITZENDER: Wann?


[757] DR. STAHMER: Im Jahre 1941. Ich hatte beantragt, diese Bücher von Genf einzufordern und vom Genfer Roten Kreuz Auskunft einzuholen.

Darf ich noch einmal darauf hinweisen, es handelt sich um ein amtliches Dokument, herausgegeben vom Auswärtigen Amt. Es handelt sich um eine Reihe von Berichten, die amtlich zusammengestellt worden sind.


VORSITZENDER: Das ist nicht der eigentliche Punkt, der den Gerichtshof interessiert. Die Frage ist: Wie können Sie in einem Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher Deutschlands Beweise gegen Großbritannien oder gegen die Vereinigten Staaten oder gegen die Sowjetunion oder gegen Frankreich rechtfertigen? Wenn Sie die Handlungen der vier Signatarmächte, abgesehen von anderen Erwägungen, gerichtlich untersucht haben wollen, so würde das Verfahren hier überhaupt kein Ende nehmen. Das Vorgehen dieser Mächte ist für die Frage der Schuld der deutschen Hauptkriegsverbrecher unerheblich, es sei denn, daß das deutsche Verhalten unter Berücksichtigung der Lehre über die Repressalien gerechtfertigt werden kann, was aber nicht der Fall ist. Daher betrachtet der Gerichtshof dies Dokument als unerheblich.


DR. STAHMER: Ich komme nun zu der Frage des Luftkrieges, Beweis auf Seite 25 meines Schriftsatzes. Es ist hier für die Frage der Schuld die Feststellung wesentlich, ob die deutsche Luftwaffe erst dann zum Angriff auf offene Städte übergegangen ist, nachdem die englische Luftwaffe eine große Anzahl Angriffe gegen die Zivilbevölkerung unternommen hatte.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meine Herren Richter! Ich widerspreche diesem Beweisvorbringen. Ich war nicht ganz sicher, ob Dr. Stahmer seine Ausführungen über das Beweismaterial bezüglich des Luftkrieges beendet hatte, oder ob er Beispiele dazu anführte. Ich möchte klarstellen, daß ich gegen den ersten Teil Einspruch erhebe, da der Gegenstand zu weit zurückliegt, nämlich das Beweismaterial über die verschiedenen stattgefundenen Konferenzen über die Regelung der Luftkriegführung.

Bezüglich des zweiten Teils des Beweisvorbringens erhebe ich Einspruch gegen die Dokumente, die beweisen sollen, daß Großbritannien nichtmilitärische Ziele angegriffen hat. Wo es mir möglich war, solche Behauptungen zu überprüfen, habe ich gefunden, daß völlige Meinungsverschiedenheit darüber besteht, ob die Ziele militärisch oder nichtmilitärisch waren; daher kann ich die deutschen amtlichen Berichte nicht als angeblich wertvolles Beweismaterial akzeptieren. Ich erlaube mir, zu beantragen, der Gerichtshof wolle den gleichen Standpunkt vertreten, es sei denn, daß das Statut anderweitig bestimmt.

[758] Ich füge diese beiden Punkte den bereits von mei nen geschätzten Kollegen General Rudenko und Herrn Jackson zur Hauptfrage geltend gemachten Punkten zu. Ich möchte für diese Frage und ihre Erörterung keine Zeit mehr aufwenden. Ich werde gerne dabei in jeder Richtung behilflich sein.


VORSITZENDER: Es scheint mir, Dr. Stahmer, daß diese Frage genau so liegt, wie die, über die wir gerade entschieden haben.


DR. STAHMER: Ich glaube, daß aus den vielen Dokumenten über den Luftkrieg ein Dokument nach meiner Auffassung von Bedeutung ist, das von mir auf Seite 27 zitiert ist. Es ist eine Äußerung des französischen Generals Armengaud, die sich damit befaßt, daß die deutsche Luftwaffe in Polen nach den Kriegsgesetzen vorgegangen ist und nur militärische Ziele angegriffen hat. Ich glaube, daß der Verlesung dieses Zitates irgendwelche Bedenken nicht entgegenstehen.


VORSITZENDER: Das ist die Seite 27 des Schriftsatzes?


DR. STAHMER: Hier habe ich ein Zitat von General Armengaud, des Französischen Luftattachés in Warschau, vom 14. September 1939.


VORSITZENDER: Ja.


DR. STAHMER: Es steht da, daß die deutsche Luftwaffe unter ihrem Oberbefehlshaber Göring auf Befehl Hitlers in Polen keine offenen Städte angegriffen hat; das ist bestätigt vom Britischen Unterstaatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Butler, am 6. September 1939, und vom Französischen Luftattaché in Warschau am 14. September 1939. Dokument 41 bis 46 des Weißbuchs. Letzterer, General Armengaud, sagt wörtlich:

»Ich muß unterstreichen, daß die deutsche Luftwaffe nach den Kriegsgesetzen gehandelt hat. Sie hat nur militärische Ziele angegriffen und, wenn Zivilisten getötet und verwundet worden sind, so nur, weil sie sich neben diesen militärischen Zielen befanden. Es ist wichtig, daß man dies in Frankreich und England erfährt, damit keine Repressalien unternommen werden, daß kein Anlaß zu Repressalien ist, so daß nicht von uns aus ein totaler Luftkrieg entfesselt wird.«

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, woher stammt das?

DR. STAHMER: Darf ich das mal sehen. Es befindet sich hier im Dokument über den Bombenkrieg, Nummer 46, Bericht des Französischen Attachés in Warschau, General Armengaud. Es ist datiert vom 14. September 1939, und dann kommt der Bericht, von dem ich bereits zitiert habe.


VORSITZENDER: Jawohl.


DR. STAHMER: Ich habe es vorgelegt.


[759] VORSITZENDER: Ja.


DR. STAHMER: Und nun gehe ich über zu Seite 30 des Schriftsatzes. Unter Ziffer 10 beziehe ich mich auf die Schaffung der Geheimen Staatspolizei durch den Angeklagten Göring. Es ist im Dokument angeführt, ein Zitat aus dem Werke »Hermann Göring, Mensch und Werk«, Dokumentenbuch 2, Seite 53 und 54. Ich unterbreite es als Beweisstück Nummer 44 und zitiere daraus folgende Stelle:

»Rücksichtslos ist Göring, wie der große Stettiner Prozeß und auch andere zeigten, gegen Männer eingeschritten, die selbstmächtig gegen seine Anweisung gehandelt halben.

... Hunderten hat der Ministerpräsident Einblick gewährt in die Beaufsichtigung der politischen Häftlinge. Er hat nicht gewartet, bis man ihn darum bat, er hat dieses Angebot von sich aus gemacht.

... Anläßlich der Weihnachtsamnestie 1933 befiehlt er die Entlassung von nahezu 5000 Häftlingen aus den Konzentrationslagern. Auch ihnen muß eine Chance gegeben werden. Es wäre nur zu verständlich, wenn die Entlassenen überall, wohin sie sich wenden, Tür und Tor verschlossen fänden. Das aber entspräche nicht dem Sinne dieses Gnadenaktes. Es soll sich keiner als ausgeschlossen betrachten, deshalb verfügt Göring in einem eindeuti gen Erlaß, daß den Entlassenen von den Behörden und auch in der Öffentlichkeit keine Schwierigkeiten bereitet werden dürfen. Wenn diese Aktion einen Sinn haben soll, dann muß alles versucht werden, die Menschen die gegen den Staat gesündigt haben, wieder als vollgültige Volksgenossen in die Gemeinschaft aufzunehmen.«

Und ich zitiere vom letzten Absatz, 2. Satz:

»Im September 1934 hat er in einem zweiten großen Gnadenerlaß die Entlassung von weiteren 2000 Häftlingen verfügt.«

In diesem Zusammenhang will ich noch ein Telegramm vorbringen, das mir vor einigen Tagen zugegangen ist, und ich bitte, es als Beweismittel zuzulassen. Es ist mir unaufgefordert zugegangen von einem Hermann Winter, Berlin W 20, Eisenach-Straße 118. Es steht in dem Dokumentenbuch, das ich überreiche. Ich glaube, es ist das letzte in meinem Dokumentenbuch.

JUSTICE JACKSON: Wenn wir unerbetene Korrespondenz oder Telegramme prüfen sollen, wenn so etwas zum Beweismittel werden soll, dann habe ich einen Waschkorb voll solcher Sachen in meinem Büro, die ich, falls solches Material ohne irgendwelche Beglaubigung als Beweis benutzt werden darf, als Gegenbeweis hierher bringen [760] könnte. Wir sollten doch meiner Ansicht nach etwas mehr darüber wissen, mehr als nur, daß ein Telegramm von einer unbekannten Person eingetroffen ist, die nicht einmal der Unterzeichner zu sein braucht, die sich möglicherweise eines Pseudonyms bedient hat. Ich glaube, wir sind berechtigt, eine etwas bessere Unterlage als die vorliegende zu verlangen.

VORSITZENDER: Dr. Stahmer, haben Sie eine andere Unterlage?


DR. STAHMER: Ich habe keine. Ich bitte zu entscheiden, ob dieses Telegramm als Beweismittel zugelassen werden soll.


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß wir es einfach als ein Telegramm, welches Sie von einer unbekannten Person erhalten haben, zulassen können.


DR. STAHMER: Ich bitte um Ihre Entscheidung. – Ist es abgelehnt? – Ich komme nun zum Schluß, Seite 34.


VORSITZENDER: Des Schriftsatzes?


DR. STAHMER: Seite 34, Ziffer 12. Für die Frage, ob man den Angeklagten zur Last legen kann, daß sie Hitler Vertrauen geschenkt haben und ihm gefolgt sind, ist von Bedeutung die Stellung, die Churchill zu der Persönlichkeit Hitlers in seinem Buche »Schritt für Schritt« genommen hat, und ich zitiere hier zwei Stellen vom Dokumentenbuch 2, Seite 46.

JUSTICE JACKSON: Das war im Jahre 1937 vor den Vorgängen, mit denen wir uns hier hauptsächlich beschäftigten. Ich glaube nicht, daß es sehr wichtig ist. Herrn Churchills Reden sind sehr bekannt, und ich glaube, daß wir nur Zeit verlieren, wenn wir hier auf die Auffassung Churchills im Jahre 1937 – vor den Ereignissen – eingehen; er war damals ohne Zweifel hinsichtlich der Kenntnis der Vorgänge hinter den Kulissen in derselben Lage wie der Zeuge Dahlerus.

Sofern uns dies Buch bereits vorliegt, können Sie einige Stellen daraus anführen.


DR. STAHMER: Kann ich es verlesen? Ich danke Ihnen.

Es heißt auf Seite 187 in dem Artikel »Freundschaft mit Deutschland« vom 17. September 1937:

»Man kann das System des Herrn Hitler mißbilligen und dennoch seine patriotische Leistung bewundern. Wenn unser Land geschlagen würde, könnte ich nur wünschen, wir möchten einen ebenso unbeugsamen Vorkämpfer finden, der uns unseren Mut wiedergäbe und uns auf den Platz zurückführe...«

[761] VORSITZENDER: Ich sagte nur, daß Sie verlesen könnten, weil Sie aus diesem Buch von Churchill bereits etwas verlesen hatten. Nichtsdestoweniger scheint es jedoch absolut unwichtig zu sein.

DR. STAHMER: Ich habe nicht... Ach so.

Ich bitte dann noch auf das Zitat auf Seite 323 Bezug zu nehmen, in dem ebenfalls die Persönlichkeit Hitlers geschildert wird. Ich halte es deswegen von Bedeutung, weil ich gerade auf das Urteil von Churchill ein erhebliches Gewicht lege. Es heißt dort: »Unsere Führung muß mindestens einen...«


VORSITZENDER: Dr. Stahmer, glauben Sie denn nicht, daß wir bereits genügend über die Persönlichkeit Hitlers gehört haben?


DR. STAHMER: Aber nicht von dieser Seite. Wenn der Gerichtshof...


VORSITZENDER: Wahrscheinlich weiß der Angeklagte Göring mehr über Hitler als Churchill.


DR. STAHMER: Wenn der Gerichtshof die Verlesung nicht wünscht, werde ich selbstverständlich den Wunsch erfüllen.


VORSITZENDER: Ich glaube, daß es eine Wiederholung ist.


DR. STAHMER: Ja. Ich bin dann fertig.

Ich darf mir dann natürlich noch die Beweise vorbehalten, die ich bisher nicht vorbringen konnte, was ich heute Morgen gesagt habe. Ich habe ja heute Morgen gesagt, daß ich eine Reihe von Beweismitteln nicht vorbringen konnte, weil ich sie noch nicht erhalten habe.


VORSITZENDER: Sicherlich.


JUSTICE JACKSON: Wäre dies ein günstiger Zeitpunkt, Hoher Gerichtshof, die Dokumente ins Protokoll aufzunehmen, die ich nur formell zu den Gerichtsakten vorlegen möchte?


VORSITZENDER: Ich verstehe nicht ganz. Auf welche Dokumente beziehen Sie sich?


JUSTICE JACKSON: Auf diejenigen, die im Kreuzverhör gebraucht wurden.


VORSITZENDER: Ja, sicherlich.


JUSTICE JACKSON: Über die der Herr Vorsitzende mit mir gesprochen hat.


VORSITZENDER: Ja.


JUSTICE JACKSON: Ich habe erfahren, daß sie dem Sekretariat übergeben und gezeichnet worden sind.

Die eidesstattliche Erklärung von Halder ist US-779 und ist bereits vorgelegt.

[762] Dokument 3700-PS wird als US-780 vorgelegt.

,, 3575-PS ,, ,, US-781 ,,

,, 3787-PS ,, ,, US-782 ,,

,, 2523-PS ,, ,, US-783 ,,

,, 014-PS ,, ,, US-784 ,,

,, 1193-PS ,, ,, US-785 ,,

,, EC-317 ,, ,, US-786 ,,

,, 3786-PS ,, ,, US-787 ,,

,, 638-PS ,, ,, US-788 ,,

,, 1742-PS ,, ,, US-789 ,,


M. CHAMPETIER DE RIBES: Herr Vorsitzender! Herr Dr. Stahmer hat in seiner Rede nicht von Dokument Nummer 26 gesprochen. Es handelt sich um eine Note der Reichsregierung vom Jahre 1940 an die Französische Regierung über die Behandlung von deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich. Aus denselben Gründen, aus denen die Ablehnung des Weißbuchs erfolgt ist, muß auch dies Dokument zurückgewiesen werden. Ich nehme an, daß sich Dr. Stahmer dessen bewußt war und aus diesem Grunde dieses Dokument auch nicht mehr erwähnt hat. Ich möchte wissen, ob er es genau so verstanden hat.

DR. STAHMER: Ich habe das Dokument nicht erwähnt. Ich ziehe es zurück.


VORSITZENDER: Ich erteile nun dem Verteidiger des Angeklagten Heß das Wort.


DR. SEIDL: Herr Präsident, meine Herren Richter! Bevor ich in die Beweisaufnahme eingehe, habe ich auf Wunsch des Angeklagten Rudolf Heß folgendes vorauszuschicken. Der Angeklagte Rudolf Heß bestreitet die Zuständigkeit des Gerichtshofes, soweit andere Sachbestände als echte Kriegsverbrechen den Gegenstand des Verfahrens bilden. Er übernimmt jedoch ausdrücklich die volle Verantwortung für alle Gesetze und Verordnungen, die er unterschrieben hat. Er übernimmt weiter die Verantwortung für alle Befehle und Verfügungen, die er in seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Führers und als Reichsminister erlassen hat. Aus diesem Grunde wünscht er keine Verteidigung gegenüber Anklagen, die die inneren Angelegenheiten Deutschlands als souveränen Staat betreffen. Das gilt insbesondere für das Verhältnis von Kirche und Staat und ähnliche Fragen. Ich werde daher nur Beweismittel in Bezug auf Fragen vorlegen, an deren Klarstellung die anderen Staaten ein berechtigtes Interesse haben können. Das gilt zum Beispiel für die Aufgaben und für die Tätigkeit der Auslandsorganisation der NSDAP. Darüber hinaus werden Beweismittel dem Gerichtshof nur insoweit unterbreitet werden, als dies zur Feststellung der historischen Wahrheit notwendig ist. Dies gilt unter anderem für die Beweggründe, die Rudolf Heß zu seinem Flug nach England veranlaßt [763] haben und für die Absichten, die er damit verfolgt hat. Das von mir vorbereitete Beweismaterial ist zusammengefaßt in drei Dokumentenbüchern. Im Hinblick auf die vom Gerichtshof gewünschte Beschleunigung des Verfahrens werde ich darauf verzichten, aus dem ersten Band irgendwelche Dokumente vorzulesen und bitte den Gerichtshof, lediglich von den im Dokumentenbuch rot angestrichenen Stellen Kenntnis nehmen zu wollen. Verlesen werde ich lediglich die eidesstattliche Versicherung, die sich am Schluß des Dokumentenbuches befindet, und zwar die eidesstattliche Versicherung der früheren Sekretärin des Angeklagten Rudolf Heß, Hildegard Fath, und verlesen werde ich weiter...


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Wenn Sie von Ihren einleitenden Bemerkungen übergehen zur Behandlung der Dokumente, halte ich es für richtig, Sie darauf zu verweisen, daß die Zuständigkeit dieses Gerichtshofs nicht angefochten werden kann. Artikel 3 sieht vor, daß der Gerichtshof weder von der Anklagelbehörde noch von den Angeklagten oder ihren Verteidigern abgelehnt werden kann, und der Gerichtshof kann daher keine Diskussion über diesen Gegenstand zulassen. Sie können nun mit Ihrer Erörterung von Dokumenten fortfahren.


DR. SEIDL: Verlesen wird weiter aus dem zweiten Band das Protokoll über die Unterredung zwischen dem Angeklagten Rudolf Heß und Lord Simon, die am 10. Juni 1941 in England stattgefunden hat. Um eine Zerreißung in der Verlesung des Beweismaterials zu vermeiden, werde ich heute lediglich die eidesstattliche Versicherung der Zeugin, Hildegard Fath, Seite 164 des Dokumentenbuches, verlesen. Die eidesstattliche Versicherung lautet:

»Belehrt über die Folgen einer falschen eidesstattlichen Erklärung, erkläre ich zum Zwecke der Vorlage beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg an Eides Statt wie folgt.«

Es folgen dann die Personalien und ich zitiere nun wörtlich unter Ziffer 2:

»Ich war vom 17. Oktober 1933 bis zu seinem Flug nach England am 10. Mai 1941 als Sekretärin des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, in München tätig.

Vom Sommer 1940 an, den genauen Zeitpunkt kann ich nicht mehr angeben, mußte ich im Auftrage von Heß geheime Wettermeldungen über die Wetterlage über der Britischen Insel und über der Nordsee einholen und an Heß weiterleiten. Die Meldungen bekam ich von einem Hauptmann Busch. Teilweise bekam ich auch Meldungen von Fräulein Sperr, der Sekretärin von Heß, bei dessen Verbindungsstab in Berlin.

[764] Herr Heß hat bei seinem Abflug nach England einen Brief hinterlassen, der dem Führer zu einer Zeit ausgehändigt wurde, als Heß bereits in England gelandet war. Ich habe eine Abschrift dieses Briefes gelesen. Der Brief begann etwa mit den Worten: ›Mein Führer, wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich in England‹. Den ganzen Wortlaut dieses Briefes habe ich nicht mehr im Gedächtnis. In der Hauptsache beschäftigt sich Heß in dem Brief mit den Vorschlägen, die er in England unterbreiten wollte, um zu einem Frieden zu kommen. An die Einzelheiten der vorgeschlagenen Regelung kann ich mich nicht mehr entsinnen. Ich kann jedoch mit aller Bestimmtheit versichern, daß von der Sowjetunion oder davon, daß mit England ein Friedensvertrag geschlossen werden sollte, um an einer anderen Front den Rücken frei zu haben, mit keinem Wort gesprochen wurde. Wäre davon in dem Brief die Rede gewesen, dann hätte sich das bestimmt in meinem Gedächtnis eingeprägt. Aus dem Inhalt des Briefes mußte man den bestimmten Eindruck gewinnen, daß Heß diesen außergewöhnlichen Flug unternahm, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden und für einen Friedensschluß günstige Voraussetzungen zu schaffen.

Ich habe in meiner Eigenschaft als langjährige Sekretärin Rudolf Heß' dessen Einstellung zu bestimmten Fragen ziemlich genau kennengelernt. Wenn mir nun gesagt wird, daß in einem Brief des Reichsministers der Justiz an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, vom 17. April 1941 davon gesprochen wird, daß der Stellvertreter des Führers die Einführung von Körperstrafen gegen Polen in den eingegliederten polnischen Gebieten zur Erörterung gestellt habe, so kann ich nicht glauben, daß diese Stellungnahme des Amtes, dem Rudolf Heß vorstand, auf dessen persönliche Entscheidung zurückging. Ein derarti ger Vorschlag würde völlig der Haltung und der Einstellung widersprechen, die der Stellvertreter des Führers bei anderen Gelegenheiten in derartigen Fragen an den Tag gelegt hat.«

Auf die Verlesung der eidesstattlichen Versicherung der Zeugin Ingeborg Sperr, Seite 166 des Dokumentenbuches, verzichte ich.

Aus den ersten beiden Bänden des Dokumentenbuches wünsche ich, wie bereits erwähnt, nur noch Teile aus der Unterredung zwischen Heß und Lord Simon zu zitieren. Um aber eine Zerreißung des Vortrages dieser Unterredung zu vermeiden, bitte ich den Gerichtshof um die Erlaubnis, dieses Dokument am nächsten Montag dem Gerichtshof unterbreiten zu dürfen.

VORSITZENDER: Gewiß. Wollen Sie damit sagen, daß Sie jetzt nicht fortsetzen wollen?

[765] DR. SEIDL: Wenn es dem Gerichtshof recht ist, werde ich jetzt abbrechen.


VORSITZENDER: Haben Sie kein anderes Dokument, das Sie vorlegen wollen?


DR. SEIDL: Bitte? Ja, es sind noch Dokumente in Band 3 des Dokumentenbuches. Ich würde es aber vorziehen, diese Dokumente im Zusammenhang dem Gerichtshof zu unterbreiten.


VORSITZENDER: Gut, Dr. Seidl. Wenn Sie es wünschen, werden wir uns jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

23. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9, S. 742-767.
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