[653] DR. DIX: Meine Herren Richter! Dieser Zeuge ist zuständig und sachkundig, um dem Gerichtshof bestimmte Zahlen über die Rüstungsausgaben des Reiches zu geben. Aber der Zeuge kann ja diese Zahlen nicht immer im Kopf haben. Mein Herr Mitverteidiger, Professor Kraus, hat deshalb schon während meiner Abwesenheit die Freundlichkeit gehabt, diese Zahlen mit dem Zeugen abzustimmen sowie schriftlich niederzulegen. Diese schriftliche Niederlegung ist damals zur Vermeidung jedes Mißverständnisses vom Zeugen unterschrieben worden. Zur Stützung seines Gedächtnisses betreffend diese Zahlen bitte ich nun, dem Zeugen diese von ihm unterschriebene Niederschrift vorlegen zu dürfen. Ich habe von dieser Niederschrift Übersetzungen anfertigen lassen, und zwar in den drei in Frage kommenden Sprachen, und überreiche dem Gerichtshof acht Exemplare. Außerdem habe ich vier Exemplare für die vier Delegationen und in deutsch Exemplare für die Herren Verteidiger von Keitel, Raeder, Dönitz und OKW. Darf ich nun um einen Moment bitten, damit der Zeuge dies in Ruhe lesen kann?
[Zum Zeugen gewandt:]
Wollen Sie sich bitte, Herr Zeuge, nur die erste Spalte, welche die Überschrift »Gesamtausgaben« trägt, ansehen. Die zweite und dritte Spalte, welche die Aufbringung dieser Summen durch die Reichsbank einerseits und von anderer Seite andererseits aufteilt, sind dann Zahlen, die ich bei der Vernehmung von Schacht durch ihn feststellen lassen werde, weil dies Errechnungen von Schacht sind, also der Zeuge hier darüber keine Auskunft geben kann. Darf ich Sie hinsichtlich dieser Rüstungsausgaben des Reiches ab Etatsjahr 1935 – das Etatsjahr läuft vom 1. April bis 31. März-fragen: Sind die hier angegebenen Ziffern mit 5 Milliarden für 1935, 7 Milliarden für 1936, 9 Milliarden für 1937, 11 Milliarden für 1938 und 20,5 Milliarden für 1939 richtig?
KEITEL: Nach meiner Überzeugung sind die Zahlen richtig. Ich darf hinzufügen, daß ich auch Gelegenheit hatte, in der ersten Zeit meiner Gefangenschaft mit dem Reichsfinanzminister über diese Zahlen zu sprechen und mit ihm Übereinstimmung meiner Ansichten damals herzustellen.
DR. DIX: Nun noch eine Frage über den Rüstungsstand des Reiches am 1. April 1938. Ist es richtig, daß damals bestanden; 24 Infanterie-Divisionen, 1 Panzer-Division, keine Motor-Division, 1 Gebirgs- Division und 1 Kavallerie-Division, und daß ferner in Aufstellung waren: 10 Infanterie-Divisionen, 1 Panzer-Division? Wenn ich noch ergänzen darf, daß von den drei Reserve-Divisionen am [653] 1. April 1938 noch keine fertig war und nur 7 bis 8 in Aufstellung, die bis zum 1. Oktober 1938 fertig sein sollten.
KEITEL: Ich halte diese Zahlen für richtig und habe sie infolgedessen auch in diesem Affidavit anerkannt.
DR. DIX: Soweit diese schriftliche Niederlegung. Ich möchte jetzt noch zwei Fragen an den Zeugen stellen, die nicht besprochen worden sind, hinsichtlich derer ich also nicht weiß, ob er die in Frage kommenden Zahlen im Kopf hat.
Ich halte es für möglich, den Gerichtshof interessiert das Kräfteverhältnis zwischen dem Reich einerseits und der Tschechoslowakei andererseits zur Zeit des Einmarsches Hitlers in die Tschechoslowakei, also das Kräfteverhältnis a) die bewaffnete Macht betreffend und b) die Zivilbevölkerung betreffend.
KEITEL: Genaue Zahlen darüber sind mir nicht gegenwärtig. Ich bin bereits im Vorverhör hierzu einmal gehört worden. Ich glaube richtige Zahlen zu nennen, wenn im Herbst 1938 zahlenmäßig, gemessen an Verbänden, Divisionsverbänden...
DR. DIX: Ich meinte jetzt den Zeitpunkt des Einmarsches Hitlers in die Tschechoslowakei, im Frühling
1939.
KEITEL: Das war im selben Mobilmachungsjahr, also damals zahlenmäßig weniger Divisionen als die Tschechoslowakei noch besaß. Im Herbst 1938 waren es wohl die gleichen Zahlen von Verbänden, Divisionsverbänden. Im Frühling 1939, bei dem Einrücken in die Tschechoslowakei, ist das Kräftemaß, das damals dazu aufgeboten wurde, geringer gewesen wie das, was im Herbst 1938 bereitstand. Genaue Zahlen, wenn sie für den Gerichtshof von Wichtigkeit sind, sind zweckmäßig bei General Jodl zu erfragen.
DR. DIX: Über die Anzahl der Divisionen, über die die Tschechoslowakei im März 1939 verfügte, können Sie keine Angaben machen?
KEITEL: Nein, das weiß ich nicht genau.
DR. DIX: Da werde ich später eventuell Herrn General Jodl noch befragen.
VORSITZENDER: Vielleicht wollen Sie dieses Dokument besser als Beweis vorlegen, wenn der Angeklagte Schacht als Zeuge aussagen wird? Beabsichtigen Sie das zu tun?
DR. DIX: Ich werde es noch als Beweisstück vorlegen, es kommt in mein Dokumentenbuch. Jetzt ist es nicht notwendig, daß die Herren es behalten, da ich bei der Vernehmung Schachts darauf zurückkommen muß und Sie es im Dokumentenbuch dann finden werden. Dagegen würde ich anregen, daß das Exemplar, welches ich dem Zeugen gegeben habe, Teil des Protokolls werden würde. Es wird ganz sinnvoll sein, wenn man diese Niederschrift als Teil des Protokolls gibt.
[654] VORSITZENDER: Wenn Sie es zu einem Teil des Protokolls machen wollen, wäre es jetzt besser, es mit einer Nummer zu versehen. Nennen wir es S-1.
DR. DIX: Euer Lordschaft! Darf ich vielleicht anregen, Sch-1?
VORSITZENDER: Ja.
DR OTTO STAHMER (in Vertretung von Dr. Robert Servatius), VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SAUCKEL, VERTEIDIGER FÜR DAS KORPS DER POLITISCHEN LEITER: Herr Zeuge! Am 4. Januar 1944 soll eine Besprechung beim Führer mit Sauckel über die Frage der Arbeiterbeschaffung stattgefunden haben. Waren Sie bei dieser Besprechung zugegen?
KEITEL: Jawohl.
DR. STAHMER: Hatte Sauckel bei dieser Gelegen heit erklärt, daß er die Forderung der Bedarfsträger in der geforderten Höhe nicht erfüllen könne?
KEITEL: Jawohl, das hat er eingehend erörtert und auch begründet.
DR. STAHMER: Welche Gründe hat er dafür angeführt?
KEITEL: Er trug vor die großen Schwierigkeiten in den Gebieten, aus denen er die Arbeitskräfte ausheben oder rekrutieren sollte, die starke Banden- und Partisanentätigkeit in diesen Gebieten, die großen Erschwerungen, die nötigen Polizeikräfte dafür zur Sicherung zur Verfügung zu haben, und ähnliche Gründe. Einzelnes weiß ich nicht mehr.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Feldmarschall, waren Sie Führer der Deutschen Delegation, welche die Kapitulation unterschrieb, mit der der Krieg in Europa beendet wurde?
KEITEL: Ja.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wann und wo war das?
KEITEL: In Berlin, am 8. Mai, beziehungsweise in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wurde von Ihnen eine Vollmacht verlangt, die Sie zum Führen der Kapitulationsverhandlungen ermächtigte?
KEITEL: Ja. Ich habe eine Vollmacht mitgenommen nach Berlin. Diese Vollmacht war ausgefertigt von Großadmiral Dönitz in seiner Eigenschaft als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Wehrmacht und enthielt in kurzen Worten, daß er mich ermächtigt und beauftragt hat, die Verhandlungen zu führen und die Kapitulation zu vollziehen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wurde diese Vollmacht von alliierter Seite geprüft und anerkannt?
[655] KEITEL: Im Laufe des Nachmittags des 8. Mai wurde die Vollmacht von mir erbeten, sie ist dann offensichtlich geprüft worden und wurde mir einige Stunden später von einem hohen Offizier der Roten Armee wieder übergeben mit den Worten, diese Vollmacht hätte ich bei der Unterschrift vorzuzeigen.
FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Haben Sie die Vollmacht vorgezeigt?
KEITEL: Ich habe die Vollmacht dann bei dem Kapitulationsakt zur Hand gehabt und habe sie damit auch zu den Akten gegeben.
PROFESSOR DR. HERMANN JAHRREISS, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Herr Zeuge, Sie haben bei Ihrer Vernehmung Aufschluß gegeben über die Organisation des Oberkommandos der Wehrmacht. Diese Organisation beruhte auf einem Erlaß des Führers und Reichskanzlers vom 4. Februar 1938 und in diesem Erlaß wird das Oberkommando der Wehrmacht als der militärische Stab des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht bezeichnet.
Sie waren also, so gesehen, Chef des Stabes. Nun hat die Anklagebehörde mehrfach Jodl als Ihren Stabschef bezeichnet. Ist das richtig?
KEITEL: Nein, der General Jodl ist niemals mein Stabschef gewesen, sondern er war der Chef des Wehrmachtführungsstabes und ein Amtschef des Oberkommandos der Wehrmacht, wie ich bereits ausgesagt habe, wenn auch der Erste unter Gleichen.
PROF. DR. JAHRREISS: Das heißt also, der Chef von mehreren nebeneinanderstehenden koordinierten Ämtern.
KEITEL: Einen Chef des Stabes bei mir hat es nie gegeben.
PROF. DR. JAHRREISS: Es ist hier zur Sprache gekommen die Unterredung zwischen Hitler und Schuschnigg auf dem Obersalzberg am 12. Februar 1938, Sie entsinnen sich? Über diese Unterredung ist dem Gerichtshof eine Eintragung Jodls in seinem Tagebuch vorgelegt worden. Ist denn Jodl bei dieser Besprechung dabeigewesen?
KEITEL: Nein, er war nicht anwesend, und seine Kenntnis stammt aus der von mir geschilderten Besprechung mit ihm und Canaris über die Nachrichten, die lanciert werden sollten, über gewisse militärische Vorbereitungen in den Tagen nach der Besprechung mit Schuschnigg. Es ist also ein Eindruck, den der General Jodl von der Darstellung der Dinge entnommen hat.
PROF. DR. JAHRREISS: In der Vorbereitung zur Aufrollung der tschechoslowakisch-deutschen Frage, der Sudetenfrage, hat ein etwa zu konstruierender Zwischenfall eine Rolle gespielt. Haben Sie etwa der Abteilung Abwehr II unter Canaris einen Auftrag gegeben, [656] einen solchen Zwischenfall herbeizuführen, in der Tschechoslowakei oder an der Grenze?
KEITEL: Nein, solche Aufträge sind niemals der Abwehr gegeben worden, von mir jedenfalls nicht.
PROF. DR. JAHRREISS: Nach München, also Oktober 1938, Herr Feldmarschall, ist der damalige Chef der Landesverteidigung, der Angeklagte Jodl, aus dieser Position ausgeschieden. Er wurde versetzt nach Wien. Wer war sein Nachfolger?
KEITEL: Jodl wurde an die Front versetzt, wurde Artillerieführer bei einer Division in Wien, und sein Nachfolger war Warlimont, damals Oberst Warlimont.
PROF. DR. JAHRREISS: Also der Nachfolger...
KEITEL: Jawohl.
PROF. DR. JAHRREISS: Das heißt, wenn ich Sie recht verstehe, daß Jodl nicht bloß beurlaubt war, sondern ausgeschieden war?
KEITEL: Jodl war aus dem Oberkommando der Wehrmacht ausgeschieden, Truppenoffizier einer Division, und Warlimont war nicht Vertreter, sondern Nachfolger in dieser Stellung.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, nun ist von der Anklagebehörde gesagt worden, daß bei jener berühmten Besprechung vom 23. Mai 1938 – nein 1939, Herr Warlimont dabeigewesen sei als späterer Stellvertreter Jodls. Was hat Jodl mit dieser Besprechung zu tun?
KEITEL: Gar nichts, er war damals Frontoffizier und Befehlshaber in Wien.
PROF. DR. JAHRREISS: Warum haben Sie dann Jodl zum Chef des Wehrmachtführungsstabes prädestiniert?
KEITEL: Das war die Folge der Zusammenarbeit aus den Jahren von 1935 bis 1938. Ich war der Auffassung, daß man einen geeigneteren Mann für diesen Posten nicht finden könnte.
PROF. DR. JAHRREISS: Wie hat sich denn Jodl seine militärische Laufbahn gedacht, wenn etwa das Kommando als Artilleriekommandeur in Wien oder Brünn beendet wäre?
KEITEL: Ich kannte seine Passion und den Wunsch, Kommandeur einer Gebirgsdivision zu werden. Das hat er mir gegenüber mehrfach ausgesprochen.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, wäre denn eine Chance gewesen, ein solches Kommando zu bekommen?
KEITEL: Ja. Ich habe mich dafür verwendet beim Oberbefehlshaber des Heeres und ich erinnere mich auch, daß ich im Sommer 1939 ihm geschrieben habe, daß sein Wunsch, Kommandeur einer Gebirgsdivision in Reichenhall zu werden – ich weiß nicht mehr [657] die Nummer –, in Erfüllung gehen werde. Ich freute mich, ihm dies mitteilen zu können.
PROF. DR. JAHRREISS: War die Entscheidung in Ihrer Hand gewesen oder beim OKH?
KEITEL: Ich hatte es beim Oberbefehlshaber des Heeres erbeten und der hatte es so entschieden.
PROF. DR. JAHRREISS: Und wenn ich recht verstehe, Sie haben es selbst Jodl mitgeteilt?
KEITEL: Ich habe ihm einen Brief geschrieben, weil ich wußte, daß ich ihm damit eine besondere Freude machte.
PROF. DR. JAHRREISS: Darf ich fragen, Herr Feldmarschall, haben Sie in regelmäßigen brieflichen Beziehungen zu Jodl gestanden?
KEITEL: Nein, ich glaube, das ist der einzige Brief gewesen, den ich ihm in diesem Jahr geschrieben habe.
PROF. DR. JAHRREISS: Ich frage aus einem bestimmten Grund: Also Jodl scheidet aus aus dem OKW. Er weiß, daß er für den Notfall Chef des späteren sogenannten Wehrmachtführungsstabes sein wird. Also immerhin eine wichtige Position. Er geht an die Front, wie Sie sagen. Nun sollte man doch meinen, daß er dann nicht nur einmal einen Privatbrief von Ihnen bekommt, sondern regelmäßig auf dem laufenden gehalten wird.
KEITEL: Das ist von meiner Seite aus bestimmt nicht geschehen, und nach meinem persönlichen Empfinden ist jeder Generalstabsoffizier, der an die Front kommt, glücklich darüber, wenn er mit solchen Dingen nicht mehr belästigt wird.
PROF. DR. JAHRREISS: Ja, aber das Schicksal erfüllt einem ja nun nicht alles, was einen glücklich machen wird. Es könnte ja sein, daß man von Amts wegen etwa jemand einen Auftrag geben könnte: Unterrichten Sie den Herrn.
KEITEL: Ich habe das bestimmt nicht getan. Ich glaube auch nicht, daß das geschehen ist. Aber ich weiß es nicht, ob irgend jemand es probiert hat.
PROF. DR. JAHRREISS: War Jodl in der Zeit, in der er in Brünn und Wien war, also von Berlin weg, wiederholt in Berlin, etwa, um sich dort zu informieren?
KEITEL: Ich habe ihn nicht gesehen, bei mir ist er nicht gewesen. Ich halte das für unwahrscheinlich, sonst hätte er mich aufgesucht.
PROF. DR. JAHRREISS: Dann müßte ich also das dahin verstehen, daß er kurz vor Beginn des Krieges auf ein Telegramm hin nach Berlin kam und er sich dort überhaupt erst informieren mußte, was gespielt wurde?
[658] KEITEL: Jawohl, das ist auch das erste gewesen, was sich zwischen ihm und mir zugetragen hat.
PROF. DR. JAHRREISS: Sie haben ihn informiert?
KEITEL: Jawohl.
PROF. DR. JAHRREISS: Etwas anderes noch, Herr Feldmarschall. Sie entsinnen sich vielleicht des etwas stürmischen Vormittags in der Reichskanzlei nach dem Simowitsch-Putsch, also 27. März 1941, ja?
KEITEL: Jawohl, Jugoslawien.
PROF. DR. JAHRREISS: Wenn man so an die Politik und Kriegsgeschichte der letzten 200 Jahre in Europa denkt, dann fragt man sich, hat es da niemand gegeben in der Besprechung In der Reichskanzlei, der gesagt hätte, statt gleich loszuschlagen, sollte man nicht für alle Fälle an den Grenzen des Staates, dessen Haltung uns völlig unklar war, aufmarschieren und dann durch ein Ultimatum die Klärung der Lage herbeiführen?
KEITEL: Ja, das ist bei dem vielen Hin und Her in turbulenten Umständen bei dieser Vormittagssituation meines Wissens von Jodl persönlich in die Debatte geworfen worden. Vorschlag: Aufmarschieren und Ultimatum stellen, so Ungefähr war es.
PROF. DR. JAHRREISS: Wenn ich richtig unterrichtet bin, sind Sie im Oktober 1941 zur Inspektion oder zu einem Besuch der Heeresgruppe Nord im Osten gewesen? Stimmt das?
KEITEL: Ja, ich bin im Herbst 1941 mehrfach mit dem Flugzeug bei der Heeresgruppe Nord gewesen, um Informationen für den Führer einzuholen.
PROF. DR. JAHRREISS: War Feldmarschall Leeb der Kommandierende der Heeresgruppe Nord?
KEITEL: Jawohl, von Leeb war Heeresgruppe Nord.
PROF. DR. JAHRREISS: Hat Ihnen von Leeb über besondere Sorgen berichtet, die er damals hatte?
KEITEL: Es war wohl mein letzter oder vorletzter Besuch bei von Leeb, wo die Frage einer Kapitulation beziehungsweise die Frage der Bevölkerung Leningrads eine wesentliche Rolle spielte, die ihm damals auch große Sorgen machte. Es waren schon bestimmte Anzeichen des Herausströmens der Bevölkerung aus der Stadt in ihren Bereich eingetreten. Ich erinnere mich, daß ich damals von ihm gebeten wurde, dem Führer doch den Vorschlag zu machen, da er eine Million in seinem Heere oder Gruppenbereich gar nicht aufnehmen könnte, daß man noch nach Osten, also nach dem russischen Machtbereich zu, will sagen, so eine Art Schleuse schaffen möge, daß die Bevölkerung nach dort abströmen könnte. Das habe ich damals dem Führer berichtet.
[659] PROF. DR. JAHRREISS: Ja, strömte denn die Bevölkerung in eine andere Richtung?
KEITEL: Besonders nach Süden, in die Waldgebiete nach Süden hinein. Es war damals nach von Leebs Darstellung schon ein gewisser Druck der Bevölkerung, durch die Linien der Truppen durchzukommen, erkennbar.
PROF. DR. JAHRREISS: Und das hätte also die Operationen behindert?
KEITEL: Jawohl.
PROF. DR. JAHRREISS: Herr Feldmarschall! Ihnen ist geläufig, nachdem heute früh davon die Rede war, der Befehl des Führers als Oberster Befehlshaber über die Kommandos vom 18. Oktober 1942, also 498-PS, das hier vorgelegt worden ist. Daß ein Befehl dieser Art kommen würde, war vorher angekündigt worden in der Öffentlichkeit. Ist Ihnen das bekannt?
KEITEL: Ja, es wurde in einem täglichen Wehrmachtsbericht eine entsprechende Ziffer aufgenommen.
PROF. DR. JAHRREISS: Es handelt sich um den Wehrmachtsbericht vom 7. Oktober 1942. Da heißt es im Anschluß an die übliche Berichterstattung über das, was geschehen ist: »Das OKW sieht sich daher gezwungen, folgendes anzuordnen.« Dann kommt ein erster Punkt, der hier nicht interessiert, und dann als zweiter Punkt folgender Satz:
»In Zukunft werden sämtliche Terror- und Sabotagetrupps der Briten und ihrer Helfershelfer, die sich nicht wie Soldaten, sondern wie Banditen benehmen, von den deutschen Truppen auch als solche behandelt und, wo sie auch auftreten, rücksichtslos im Kampf niedergemacht werden.«
Herr Feldmarschall, wer hat diese Worte verfaßt?
KEITEL: Der Führer persönlich. Ich war dabei, wie er sie diktierte und korrigierte.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Ich möchte bei dem Punkt anknüpfen, wo Herr Professor Jahrreiss aufgehört hat. Es wurde vom Kommandobefehl gesprochen, 498-PS. In dem Kommandobefehl ist unter Ziffer 6 von Hitler angedroht worden, daß er alle Kommandeure kriegsgerichtlich verantwortlich machen werde, wenn sie diesen Befehl nicht durchführten. Kennen Sie nun die Erwägungen, die Hitler zu dem Passus dieses Befehls geführt haben?
KEITEL: Ja. Die sind eigentlich ziemlich klar, nämlich, der Forderung, daß diesem Befehl auch tatsächlich entsprochen wurde, weil er von den Generalen und denjenigen, die ihn ausführen sollten, bestimmt als ein außerordentlich schwerwiegender angesehen[660] wurde, um dieser Anordnung Nachdruck zu verleihen und mit der Androhung der Strafe die Befolgung zu erzwingen.
DR. LATERNSER: Nun möchte ich an Sie einige Fragen richten, die den Charakter der angeblichen Gruppe Generalstab und OKW betreffen. Was verstehen Sie unter dem deutschen Generalstab?
KEITEL: Unter dem Generalstab verstehe ich diejenigen Offiziere, die durch eine besondere Vorbildung geschult sind, die Hilfen der höheren Führung zu sein.
VORSITZENDER: Dr. Laternser! Der Angeklagte hat schon sehr viel Zeit darauf verwendet, um den Unterschied zwischen dem OKW und den verschiedenen Kommandostäben zu erklären. Die Anklagebehörde hat genau und ganz klar definiert, was unter dieser Gruppe zu verstehen ist, die der Gerichtshof für verbrecherisch erklären soll, und ich kann daher nicht einsehen, welche Bedeutung weitere Beweiserhebung zu diesem Thema haben kann. Was wollen Sie damit beweisen, wenn Sie fragen, was der Angeklagte unter dem Generalstab versteht?
DR. LATERNSER: Diese Frage hat einen rein vorbereitenden Charakter. Ich wollte an diese Frage eine weitere Frage knüpfen und dann mit der Beantwortung der Frage beweisen, daß unter der angeblichen Gruppe eine Gruppe unter falschem Namen angeklagt worden ist.
VORSITZENDER: Ich sehe nicht ein, was es ausmacht, falls der Name falsch angegeben wäre, wenn die Gruppe genau bestimmt ist. Der Angeklagte hat uns doch schon gesagt, was er sich unter dem Generalstab vorstellt. Stellen Sie bitte die zweite Frage.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Wenn die hohen militärischen Führer in einer angeblichen Gruppe zusammengefaßt und bezeichnet werden als Generalstab und OKW, halten Sie diese Bezeichnung für richtig oder irreführend?
KEITEL: Nach unseren deutschen militärischen Begriffen ist die Bezeichnung irreführend, und zwar deswegen, weil für uns der Generalstab immer nur ein Gehilfenapparat ist, während die obersten Befehlshaber von Armeen, Heeresgruppen, Kommandierende Generale das Führerkorps darstellen.
DR. LATERNSER: Die militärische Hierarchie ist in diesem Verfahren schon hinreichend besprochen worden. Ich möchte nun noch folgendes von Ihnen wissen:
War das Verhältnis dieser Stufen zueinander nur das der militärischen Unterstellung, oder hat darüber hinaus unter diesen Stellen eine weitere Organisation bestanden, die über rein soldatische Berufspflichten hinausging?
KEITEL: Nein, der Generalstab, also die Generalstabsoffiziere als Gehilfen der Führer, waren äußerlich in der Uniform erkennbar [661] also solche. Die Führer selbst, oder die sogenannten Befehlshaber, waren in ihren Dienststellungen durch keine Querverbindungen oder sonstigen organisatorischen Institutionen miteinander verbunden.
DR. LATERNSER: Es ist Ihnen gestern bereits das Affidavit vorgelegt worden, das Generaloberst Halder ausgestellt hat. Ich möchte nun auf den letzten Satz des Affidavits eingehen. Ich werde Ihnen den Satz vorlesen, er lautet: »Dies war der tatsächliche Generalstab und die oberste Führung der Wehrmacht.«
Ist diese Angabe in diesem Satz richtig oder falsch?
KEITEL: Ich verstehe sie so, daß Halder damit sagen wollte, daß diejenigen wenigen Offiziere in Generalstabsstellungen diejenigen waren, die an der eigentlichen Arbeit im Generalstab des Heeres beteiligt waren, während das übrige Gros der weit über hundert Generalstabsoffiziere im OKH nicht beteiligt war. Das wollte er, glaube ich, damit ausdrücken – eine kleine Gruppe, die sich mit diesen. Problemen befaßte.
DR. LATERNSER: Kennen Sie irgendeinen Fall, daß Hitler jemals einen militärischen Führer in einer politischen Angelegenheit um Rat gefragt hat?
KEITEL: Nein, das hat es nicht gegeben.
DR. LATERNSER: Sie waren, wie ich annehmen darf, bei den Lagebesprechungen bei Hitler meistens anwesend. Können Sie mir nun von Gegenvorstellungen etwas bekunden, die zufällig anwesende Oberbefehlshaber, die von der Front gekommen waren, mit oder ohne Erfolg erhoben haben?
KEITEL: In der Regel vollzog sich das so, daß anwesende Frontoberbefehlshaber der allgemeinen Lagebesprechung als stumme Zuhörer beiwohnten, und daß je nach Umständen anschließend ein Sondervortrag dieses Oberbefehlshabers über seinen Bereich vor Hitler stattfand, und dann auch, wie, glaube ich, Kesselring schon hier erwähnt hat, eine Möglichkeit war, persönlich gegenseitig darüber zu sprechen und Ansichten vorzubringen. Sonst hat niemand in diesen Dingen ein Wort zu sagen gehabt.
DR. LATERNSER: Waren Sie einmal Zeuge von besonders energischen Gegenvorstellungen von irgendeinem Oberbefehlshaber Hitler gegenüber?
KEITEL: In der Lagebesprechung selbst?
DR. LATERNSER: Nein, auch bei anderen Gelegenheiten, meine ich.
KEITEL: Ich war natürlich nicht bei jeder Aussprache, die Hitler auch mit hohen und höchsten Befehlshabern in seinen Räumen vornahm, anwesend. Mir sind solche Fälle nicht bekannt. Diejenigen Fälle, die eine Rolle gespielt haben in diesem Krieg, damals der [662] Widerstand der Generalität im Westen, vor Beginn des Krieges, den meine ich, habe ich ja zur Genüge dargestellt und Ihre Frage so verstanden, ob mir darüber hinaus noch Fälle bekannt sind.
DR. LATERNSER: Jawohl.
KEITEL: Das andere habe ich ja dargestellt und muß auch nochmals betonen, daß der Oberbefehlshaber des Heeres damals an die Grenze dessen gegangen ist, was militärisch zu rechtfertigen war.
DR. LATERNSER: Welches war die Einstellung Hitlers gegenüber dem Generalstab des Heeres?
KEITEL: Die war nicht gut. Man kann wohl so sagen, er hatte gegen den Generalstab eine innere Voreingenommenheit. Er hielt ihn für überheblich. Ich glaube, das genügt.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat dieses alles schon einmal gehört, wenn nicht öfter als einmal.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich glaube nicht, daß dieser Zeuge schon danach gefragt worden ist. Soweit ich mich erinnern kann, ist dieser Zeuge noch nicht danach gefragt worden.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof glaubt, daß er danach bereits gefragt worden ist.
DR. LATERNSER: Ich hätte auf diesen Punkt besonders geachtet und hätte dann die Frage bereits gestrichen, wenn sie durch irgendeinen meiner Vorredner gestellt worden wäre.
[Zum Zeugen gewandt:]
Hätte Hitler sich durch das Rücktrittsgesuch eines oder mehrerer Frontoberbefehlshaber zur Rücknahme eines von ihm einmal gegebenen Befehls...
VORSITZENDER: Dr. Laternser! Fast jeder Offizier, der hier ausgesagt hat, hat über dieses Thema gesprochen, ganz gewiß schon sehr viele.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Bezieht sich diese Einwendung auf die nunmehr gestellte Frage?
VORSITZENDER: Fast jeder Offizier hat bei seiner Vernehmung hier angegeben, daß es unmöglich war, zurückzutreten. Das meinen Sie doch mit Ihrer Frage, nicht wahr?
DR. LATERNSER: Ich ziehe diese Frage gern zurück, wenn ich davon ausgehen kann, daß der Gerichtshof die Richtigkeit desjenigen unterstellt, was ich damit beweisen will.
VORSITZENDER: Es ist nach Ansicht des Gerichtshofs kumulativ. Ob der Gerichtshof es als wahr oder unwahr unterstellt, ist eine andere Frage.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich bitte, auch hierzu etwas äußern zu dürfen; ich glaube nicht, daß es als kumulativ angesehen [663] werden kann, denn, wie bereits durch meinen Kollegen Dr. Dix vorgetragen worden ist, ist die gleiche Frage, an verschiedene Zeugen gestellt, jeweils eine andere Frage, weil ich ja die subjektive Antwort gerade dieses Zeugen und gerade zu diesem Punkt herbeizuführen wünsche.
Ich ziehe aber diese Frage zurück.
VORSITZENDER: Wollen Sie noch weitere Fragen stellen?
DR. LATERNSER: Ich habe noch einige Fragen zu stellen.
[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Zeuge, in welchem Umfang war das Führerhauptquartier im Kriege militärisch gegen Überfälle gesichert?
KEITEL: Es war eine besondere Wachtruppe da vom Heer und auch eine Kompanie, glaube ich, von der Waffen-SS. Es waren sehr eingehende Sicherheitsmaßnahmen materieller und sonstiger bewachungsmäßiger Art getroffen, Einzäunungen, Hindernisse und ähnliches mehr. Es war gut gesichert gegen jeden Überfall.
DR. LATERNSER: Waren mehrere Zonen vorhanden?
KEITEL: Jawohl, es war eine innere Zone und eine äußere Zone und verschiedene Räume, die wieder in sich abgegrenzt waren, vorhanden.
DR. LATERNSER: Ja. Sie haben bereits ausgesagt, daß die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen im Osten außerhalb ihres Operationsgebietes irgendwelche Befugnisse nicht hatten. Bestand nun die Tendenz, das Operationsgebiet der Armeen möglichst klein oder groß zu halten?
KEITEL: Ursprünglich war die Tendenz durchaus so, das Operationsgebiet groß zu halten, um die möglichste Bewegungsfreiheit im rückwärtigen Raum von Armee- und Heeresgruppen zu besitzen. Erst der Führer hat dann mit sehr energischen Mitteln auf die Begrenzung dieser Zonen hingewirkt, also es möglichst klein zu machen.
DR. LATERNSER: Aus welchem Grund?
KEITEL: Um die Militärs, wie er sagte, von diesen Verwaltungsmaßnahmen und der Tiefe, die sie sich suchten für ihre Einrichtungen, auf enge Räume zusammenzudrängen.
DR. LATERNSER: Sie sprachen in Ihrer Vernehmung von Verbänden der Waffen-SS, die dem Heer taktisch, also für den Kampf, unterstellt waren. Ich möchte nun das besonders klären, weil nach meiner Meinung immer noch eine Unklarheit herrscht: Hatten die Einsatztruppen des SD irgend etwas mit den Verbänden der Waffen-SS zu tun, die den Heeresverbänden zur Ausführung taktischer Aufgaben unterstellt waren?
[664] KEITEL: Nein, die Formationen der Waffen-SS in den Divisionsverbänden wurden als solche in die Armeeverbände eingegliedert und hatten mit anderen Dingen nichts zu tun, waren reine Heerestruppen dann.
DR. LATERNSER: Konnte ein Oberbefehlshaber einen SS-Mann wegen irgendeines Vergehens bestrafen?
KEITEL: Bei Antreffen eines Verbrechens auf frischer Tat hätte sich, glaube ich, kein Oberbefehlshaber gescheut. Im übrigen war Disziplinar- und Gerichtsbarkeit in der Spitze auslaufend beim Reichsführer Himmler und nicht beim Oberbefehlshaber des Heeres.
DR. LATERNSER: Hatten die Organe der Einsatzgruppen des SD den Oberbefehlshabern der Armeen Kenntnis zu geben über das, was sie im Auftrage Himmlers taten?
KEITEL: Die Frage ist hier sehr eingehend von dem Zeugen Ohlendorf behandelt worden und ich bin nicht informiert über die Verbindungen, die zwischen den Oberkommandierenden und den Einsatzgruppen und Einsatzkommandos bestanden haben. Ich war daran nicht beteiligt und habe dabei nicht mitgewirkt.
DR. LATERNSER: Ich wollte von Ihnen wissen, ob die Organe oder die Einsatzgruppen des SD nach Ihrer Kenntnis der Bestimmungen die Verpflichtung hatten, Meldung an die militärischen Befehlshaber zu geben, in deren rückwärtigem Gebiet sie arbeiteten?
KEITEL: Ich glaube nicht; die dafür geltenden Befehle kenne ich nicht, die habe ich nicht gesehen.
DR. LATERNSER: Wissen Sie, ob die höheren militärischen Führer jemals von der Absicht Hitlers oder Himmlers, die Juden umzubringen, unterrichtet wor den sind?
KEITEL: Nach meiner Auffassung ist das nicht geschehen. Ich persönlich bin auch nicht unterrichtet worden.
DR. LATERNSER: Nun, ich habe noch eine aufklärende Frage zum Gefangenenwesen. Es ist schon während des Krieges bekanntgeworden, daß bezüglich der Versorgung der in der ersten Zeit des Ostfeldzugs angefallenen sowjetrussischen Kriegsgefangenen bedauerliche Zustände eintraten. Welches war der Grund für diese Zustände, die in der ersten Zeit in dieser Beziehung geherrscht haben?
KEITEL: Ich kann mich nur stützen auf das, was der Oberbefehlshaber des Heeres bei den Lagebesprechungen berichtet hat. Er hat damals nach meiner Erinnerung mehrfach berichtet, daß es sich um ein ausgesprochenes Massenproblem gehandelt habe, das außergewöhnlich schwer zu organisieren war für die Versorgung, Unterbringung und Bewachung.
DR. LATERNSER: Nun sind diese Zustände zweifellos eine gewisse Zeit lang tatsächlich chaotisch gewesen. Ich denke dabei [665] an einen besonderen Grund, der vorgelegen hat, Herr Zeuge, und zwar möchte ich, um es Ihnen in Erinnerung zu rufen, folgendes vortragen:
Das Heer hatte im Heimatkriegsgebiet bereits Lager für die künftigen Gefangenen vorbereitet, weil doch zunächst gedacht war, daß die angefallenen Gefangenen in das Heimatgebiet transportiert werden sollten, und trotz dieser Vorbereitungen kam dann, wie hier gesagt worden ist, ein plötzlicher Befehl Hitlers dazwischen, der die Rückführung der gefangengenommenen russischen Soldaten in die Heimat verboten hat.
KEITEL: Ich habe das bereits heute morgen ausgeführt und gesagt, daß eine gewisse Zeit, bis September, jede Beförderung von sowjetischen Kriegsgefangenen in das Heimat-Reichsgebiet nicht gestattet war, und daß dann erst die Möglichkeit gegeben wurde zum Abtransport in die heimatlichen Lager, aus Gründen des Arbeitseinsatzes.
DR. LATERNSER: Nun, die in der ersten Zeit entstehenden Schwierigkeiten konnten nicht behoben werden mit den Mitteln, die den Truppen zur Verfügung standen?
KEITEL: Das weiß ich nicht, davon bin ich nicht unterrichtet. Das könnte nur das OKH selbst wissen, das alleine die Verantwortung hatte.
DR. LATERNSER: Nun habe ich nur noch einige wenige Fragen über die Stellung des stellvertretenden Chefs des Wehrmachtführungsstabes. Wann wurde diese Stellung gegründet?
KEITEL: Ich glaube 1942.
DR. LATERNSER: 1942. Welchen Rang hatte diese Stellung?
KEITEL: Es konnte ein Oberst sein oder ein General.
DR. LATERNSER: Was ich meine, ist: War es etwa wie die Stellung eines Divisionskommandeurs?
KEITEL: Ja, ich würde sagen, es war der Stellung eines Brigade- oder Divisionskommandeurs gleichgestellt, ein Abteilungschef.
DR. LATERNSER: Wieviele Abteilungsleiter hat es im OKW gegeben?
KEITEL: Ich kann es augenblicklich aus dem Kopf nicht sagen. Schätzungsweise hatte ich acht Amtschefs, und jeder hatte eine, zwei, drei oder vier Abteilungen, also ungefähr dreißig bis fünfunddreißig Abteilungschefs werden schon dagewesen sein.
DR. LATERNSER: Der stellvertretende Chef des Wehrmachtführungsstabes war also einer der acht oder der dreißig Abteilungschefs?
[666] KEITEL: Das will ich nicht direkt sagen, sondern wir hatten ja auch unter den Amtschefs sogenannte Amtsgruppenchefs, also Amtsguppen, die einige wenige Abteilungen zusammenfaßten. Auf diese Basis möchte ich ihn etwa stellen.
DR. LATERNSER: Ja. Welche dienstlichen Aufgaben waren mit dieser Stellung verbunden?
KEITEL: Selbstverständlich die Überwachung und Leitung der ganzen Arbeit in dem beim Führerhauptquartier befindlichen Teile des Wehrmachtführungsstabes. Diese Arbeit zu leiten nach den Weisungen des Chefs des Wehrmachtführungsstabes, Jodl, war seine Aufgabe.
DR. LATERNSER: War der stellvertretende Chef des Wehrmachtführungsstabes in besonderem Maße für die strategische Planung verantwortlich, wie es von der Anklagebehörde behauptet worden ist?
KEITEL: Verantwortlich war er dafür bestimmt nach seiner Stellung nicht, aber er war selbstverständlich einer von der kleinen Gruppe, die zu den hohen oder guten Generalstabsoffizieren gehörte, so wie Halder bestätigt hat, die sich mit diesen Dingen befaßte..
DR. LATERNSER: Nun habe ich eine letzte Frage: Die Stellung des stellvertretenden Chefs des Wehrmachtführungsstabes entsprach sonach nicht an Bedeutung den übrigen Dienststellen, die in dieser Gruppe oder angeblichen Gruppe des Generalstabs oder OKW zusammengefaßt sind?
KEITEL: Ich habe gesagt, Chef einer Amtsgruppe im Wehrmachtführungsstab und Mitarbeiter in den engsten Gruppen derjenigen, die Operations- und strategische Fragen zu bearbeiten hatten, aber Untergebener von General Jodl und Leiter der Arbeit in dem Arbeitsstab.
DR. LATERNSER: Herr Feldmarschall, ich glaube, daß diese Frage, die ich an Sie gestellt habe, nicht ganz beantwortet ist. Ich habe Sie gefragt, ob die Bedeutung dieser Stellung die gleiche war, wie die übrigen, oder auch nur annähernd die gleiche, wie die übrigen in der Gruppe Generalstab und OKW zusammengefaßten Dienststellen?
KEITEL: Nein, das bestimmt nicht, denn in der Gruppe Generalstab und OKW sind die Oberbefehlshaber, die höchsten Befehlshaber und die Generalstabschefs enthalten. Dazu gehörte er bestimmt nicht.
DR. LATERNSER: Ja, danke schön!
RECHTSANWALT LUDWIG BABEL, VERTEIDIGER FÜR DIE SS: Herr Zeuge! Sie haben in Ihrer eidesstattlichen Versicherung, [667] K-12, erklärt, daß die SS mit Kriegsbeginn zum eigentlichen Vorkämpfer und Bannerträger einer Eroberungs- und Machtpolitik geworden sei. Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich folgendes aufklären: Was verstanden Sie hierbei unter SS?
KEITEL: Ich kann darauf sagen, daß das, was hier verlesen wurde durch meinen Herrn Verteidiger, eine kurze Zusammenfassung eines ausführlichen Affidavits ist. Wenn Sie das lesen, werden Sie die Antwort auf die Frage selbst erhalten in der Form, die ich noch kurz präzisieren will: Es handelte sich um die Reichsführung-SS unter Himmler und unter denjenigen Organen seines Befehlsbereiches, Polizei und SS, die in den Kriegsgebieten, besetzten Gebieten aufgetreten sind und dort tätig waren. Mit dem Begriff der sogenannten Allgemeinen SS in der Heimat hatte das nichts zu tun. Das ist nun geklärt?
RA. BABEL: Jawohl, danke schön.
DR. FRIEDRICH BERGOLD, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN BORMANN: Herr Zeuge! Die Anklagebehörde hat in ihrem Trial-Brief (Schriftsatz) dem Angeklagten Bormann auch seine Betätigung im sogenannten Volkssturm zur Last gelegt. Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang einige Fragen vorlegen: War für den Volkssturm, so wie er durch den Erlaß des Führers vom 18. Oktober 1944 gebildet war, eine offensive oder eine defensive Betätigung vorgesehen?
KEITEL: Ich muß Ihnen dazu sagen, daß der Reichs leiter Bormann jede Beratung, jede Mitarbeit und jede Information über den Volkssturm gegenüber militärischen Dienststellen abgelehnt hat.
DR. BERGOLD: Sie waren also, wollen Sie sagen, über den Sinn des Volkssturms überhaupt nicht unterrichtet?
KEITEL: Nur im Sinne dessen, daß ich mir selbst eine Vorstellung machte von dem letzten Aufgebot von Männern zur örtlichen Verteidigung ihrer Wohnstätten.
DR. BERGOLD: Im Rahmen der Wehrmacht war der Volkssturm also zu offensiven Zielen nicht bestimmt?
KEITEL: Nein, sondern alle Dienststellen der Wehrmacht, die in ihren Bereichen Volkssturm-Abteilungen oder ähnliches vorfanden, haben sie entweder eingegliedert oder nach Hause geschickt.
DR. BERGOLD: Habe ich Sie richtig verstanden, so wollen Sie sagen, daß diese Institution »Volkssturm« ein Gedanke Bormanns gewesen ist, oder stammt er von Hitler?
KEITEL: Das weiß ich nicht, vielleicht von beiden.
DR. BERGOLD: Auch Hitler hat niemals Ihnen darüber berichtet?
[668] KEITEL: Nein, er sprach nur vom Volkssturm und ähnlichem, aber militärische Stellen sind dabei nicht beteiligt gewesen.
DR. BERGOLD: Hat Bormann noch andere militärische Vorträge dem Führer gehalten, außer den seltsamen Dingen über den Volkssturm?
KEITEL: Er ist oft Ankläger der Wehrmacht gewesen in allen möglichen Dingen. Ich kann das nur aus dem schließen, was mir dann gesagt worden ist, und annehmen, daß es von Bormann ausging. Ich weiß das nicht.
DR. BERGOLD: Danke.
DR. HORN: Ist es richtig, daß der Angeklagte von Ribbentrop nach seiner Rückkehr aus Moskau im August 1939 auf Grund der veränderten außenpolitischen Lage – der Garantievertrag zwischen England und Polen war ratifiziert worden – Hitler zur Abstoppung angelaufener militärischer Maßnahmen veranlaßte?
KEITEL: Ich habe damals den Eindruck gehabt, daß die mir gegebenen Befehle Hitlers auf eine Aussprache zwischen seinem Außenminister und ihm begründet waren. Anwesend bin ich nicht gewesen.
DR. HORN: Stimmt es, daß von Ribbentrop, ebenso wie andere Fachminister, grundsätzlich nicht über strategische Planungen unterrichtet wurde?
KEITEL: Ich kann das nur von mir und vom Chef des Wehrmachtführungsstabes aus sagen, daß wir weder dazu berechtigt waren noch es auch getan haben. Wenn der Reichsaußenminister über solche Fragen unterrichtet worden wäre, könnte es nur Hitler selbst getan haben. Ich bezweifle, daß er hier eine Ausnahme gemacht hat.
DR. HORN: Die Anklagebehörde hat einen Brief vom 3. April 1940 betreffend die bevorstehende Besetzung Dänemarks und Norwegens vorgelegt, der von Ihnen an den damaligen Reichsaußenminister gerichtet war. In diesem Brief unterrichteten Sie den Reichsaußenminister von der bevorstehenden Besetzung und ersuchten ihn, die nötigen außenpolitischen Maßnahmen zu ergreifen. Haben Sie vor diesem Zeitpunkt von Ribbentrop über diese beabsichtigte Besetzung Dänemarks und Norwegens unterrichtet?
KEITEL: Nein, das hätte ich gar nicht gedurft, nach der Art, wie der Führer mit uns arbeitete, und dieser Brief ist die ungewöhnliche Form, dem Reichsaußenminister, der damals von den Dingen nichts gewußt hat, auf Befehl Hitlers davon Kenntnis zu geben. Ich wurde beauftragt, es ihm zu schreiben.
DR. HORN: Im Zusammenhang mit der Aussage des Generals Lahousen möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Bestand zur Zeit des [669] Polenfeldzuges eine Anweisung oder ein Befehl Hitlers, die Juden in der polnischen Ukraine zu vernichten?
KEITEL: Ich kann mich an etwas Derartiges nicht erinnern, sondern weiß nur, daß wohl in der Besetzung Polens – nach der Besetzung Polens – das Problem der polnischen Juden eine Rolle spielte. Ich habe auch in diesem Zusammenhang Hitler einmal eine Frage gestellt, die er meiner Erinnerung nach beantwortete, daß dieser Raum geeignet sei, um dort die Juden anzusiedeln. Andere Dinge sind mir nicht bekannt und auch nicht erinnerlich.
DR. HORN: War anläßlich des Polenfeldzuges geplant worden, im Rücken der Polen in der polnischen Ukraine einen Aufstand anzuzetteln?
KEITEL: Ich kann Ihnen darüber keine Antwort geben, obwohl ich hier von Lahousen solche Dinge gehört habe. Ich weiß es nicht und kann mich nicht darauf entsinnen.
DR. HORN: Danke.
RA. BÖHM: Herr Feldmarschall! Sie waren Chef OKW und damit auch Chef Kgf., über das Kriegsgefangenenwesen. Haben Sie jemals Befehl erteilt oder erteilen lassen, auf Grund dessen die SA-Angehörigen oder SA-Einheiten zur Bewachung von Kriegsgefangenen oder Kriegsgefangenenlagern herangezogen worden sind beziehungsweise herangezogen werden sollten?
KEITEL: Ich kann mich nicht erinnern, daß vom OKW aus eine solche Anordnung gegeben worden wäre, ich glaube, das ist bestimmt nicht der Fall.
RA. BÖHM: Ist Ihnen überhaupt in diesem Zusammenhang jemals Meldung darüber erstattet worden, wonach eine derartige Bewachung stattgefunden hätte?
KEITEL: Das erinnere ich mich nicht, obwohl ich damit nicht ausschließen will, daß Dienststellen des Heeres, vielleicht an irgendeiner Stelle, auch vorübergehend SA-Leute bei der Bewachung mit herangezogen haben, das weiß ich nicht.
RA. BÖHM: Danke, jawohl.
VORSITZENDER: Ich denke, wir lassen eine Pause für zehn Minuten eintreten.
[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird morgen früh um 10.00 Uhr in öffentlicher Sitzung tagen. Um 12.30 Uhr wird der Gerichtshof ergänzende Anträge auf Ladung von Zeugen und Vorlage von Dokumenten entgegennehmen, und danach wird um 15 Minuten vor ein Uhr die Verhandlung vertagt und es wird eine nichtöffentliche Sitzung stattfinden.
[670] GENERAL RUDENKO: Angeklagter Keitel! Ich bitte Sie, mir genau zu sagen, wann Sie Ihr Offizierspatent erhalten haben; können Sie mir das sagen?
KEITEL: Am 18. August 1902.
GENERAL RUDENKO: Welche Art militärischer Ausbildung haben Sie genossen?
KEITEL: Ich bin als Offiziersanwärter eingetreten und als einfacher Soldat über die verschiedenen Dienstgrade des Gefreiten und Unteroffiziers, Fähnrich, Leutnant geworden.
GENERAL RUDENKO: Ich fragte Sie über militärische Ausbildung.
KEITEL: Ich bin Truppenoffizier gewesen bis 1909, war dann wohl beinahe sechs Jahre Regimentsadjutant, dann im ersten Weltkrieg Batteriechef, und dann ab Frühling 1915 im Generalstabsdienst.
GENERAL RUDENKO: Anscheinend ist Ihnen meine Frage nicht genau übersetzt worden. Haben Sie die Kriegsakademie oder eine andere Militärschule absolviert, das heißt haben Sie eine diesbezügliche Vorbildung genossen?
KEITEL: Ich bin niemals auf der Kriegsakademie gewesen, habe zweimal an sogenannten großen Generalstabsreisen als Regiments-Adjutant teilgenommen und war im Sommer 1914 zum Großen Generalstab kommandiert und bei Beginn des Krieges 1914 in mein Regiment zurückgekehrt.
GENERAL RUDENKO: Was für eine militärische Vorbereitung und welchen militärischen Grad besaß Hitler?
KEITEL: Ich habe erst vor wenigen Jahren von Hitler selbst erfahren, daß er nach Beendigung des ersten Weltkrieges Leutnant gewesen ist in einem bayerischen Infanterieregiment. Den Krieg hatte er als Soldat, dann als Gefreiter, vielleicht auch als Unteroffizier in letzter Zeit miterlebt.
GENERAL RUDENKO: Sollte man nicht daraus den Schluß ziehen, daß Sie, der Sie eine solide militärische Vorbildung und eine große Erfahrung besitzen, die Möglichkeit hatten, auf Hitler bei der Beschlußfassung in militärisch-strategischen Fragen, die sich auf die Wehrmacht bezogen, einen wesentlichen Einfluß auszuüben?
KEITEL: Nein. Ich muß dazu eine Erklärung geben, in welcher für den Laien und für den Berufsoffizier fast unvorstellbaren Form Hitler Generalstabswerke, Militärliteratur, taktische, operative und strategische Studien studiert hat und ein Wissen auf militärischem Gebiet besessen hat, das nur als staunenswert bezeichnet werden kann. Ich darf es vielleicht mit einem Beispiel bekunden, und die übrigen Offiziere der Wehrmacht werden es bestätigen, daß er über [671] Organisation, Bewaffnung, Führung, Ausrüstung sämtlicher Armeen und, was noch bemerkenswerter ist, aller Flotten der Erde so unterrichtet war, daß es unmöglich war, ihm auch nur einen Irrtum nachzuweisen, und ich muß dazufügen, daß auch während des Krieges, als ich im Hauptquartier ja nun in einer räumlich näheren Umgebung war, Hitler noch in den Nächten in all den großen Generalstabswerken von Moltke, Schlieffen und Clausewitz studiert hat und daraus seine autodidaktische Kenntnis der Dinge besaß. Daher für uns die Vorstellung: Das kann nur ein Genie.
GENERAL RUDENKO: Sie werden wohl nicht verneinen, daß Sie auf Grund Ihrer militärischen Vorbildung und Ihrer Erfahrung der Berater Hitlers in einer Reihe wichtigster Fragen waren.
KEITEL: Ich habe zu seiner engsten militärischen Umgebung gehört und vieles von ihm gehört; ich habe aber gestern auf die Frage meines Verteidigers schon darauf aufmerksam gemacht, daß selbst in einfacheren alltäglichen Organisations- und sonstigen Rüstungsfragen der Wehrmacht in den betreffenden Dingen ich eigentlich – offen gestanden – der Belehrte war und nicht der Belehrende.
GENERAL RUDENKO: Von welchem Zeitpunkt an, glauben Sie, begann Ihre Zusammenarbeit mit Hitler?
KEITEL: Genau an dem Tage, an dem ich in diese Stellung berufen wurde, am 4. Februar 1938.
GENERAL RUDENKO: Also haben Sie in der ganzen Zeitspanne, in der der aggressive Krieg vorbereitet und ausgeführt wurde, mit Hitler zusammengearbeitet?
KEITEL: Ja, ich habe dazu ja schon die nötigen Erklärungen gegeben, wie sich für mich, als den Anfang Februar in diese Situation Hineintretenden, die Dinge dann aneinander gereiht haben, in oftmals überraschend neuen Lagen.
GENERAL RUDENKO: Wer hatte von den leitenden militärischen Mitarbeitern des OKW und des OKH, außer Ihnen, den Rang eines Reichsministers?
KEITEL: Den Rang von Reichsministern hatten die drei Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile, wobei der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Göring, Reichsminister der Luftfahrt außerdem war, und ebenso erhielt ich, wie ich gestern berichtete, den Rang, aber nicht die Befugnisse und nicht die Eigenschaft eines Ministers.
GENERAL RUDENKO: Wer hat von den leitenden militärischen Mitarbeitern des OKW und des OKH, außer Ihnen, die Befehle zusammen mit Hitler und den anderen Ministern unterzeichnet?
[672] KEITEL: Im ministeriellen Bereich der Reichsregierung gab es die Form der Unterschriften des Führers und Reichskanzlers und der engstbeteiligten Minister und am Schluß des Chefs der Reichskanzlei. Im militärischen Bereich gab es das nicht, sondern nach den Gepflogenheiten in der deutschen Armee und Wehrmacht zeichneten die Hauptbearbeiter, der Chef des Stabes und derjenige, der einen Befehl gab, oder wenigstens verfaßt hatte, in Verbindung mit einer Initiale an dem Rand.
GENERAL RUDENKO: Sie haben gestern gesagt, daß Sie solche Befehle unterschrieben haben, und zwar zusammen mit anderen Reichsministern?
KEITEL: Ja, ich habe gestern einzelne Dekrete angegeben, und auch die Begründung, weshalb ich unterschrieben habe, und daß ich dabei nicht ein Reichsminister war und nicht die Eigenschaft eines amtierenden Ministers übernahm.
GENERAL RUDENKO: Welches Organ hat seit Februar 1938 die Funktion des Kriegsministeriums ausgeübt?
KEITEL: Bis zu den letzten Januar- oder ersten Februartagen der ehemalige Reichskriegsminister von Blomberg. Vom 4. Februar ab gab es weder einen Kriegsminister noch ein Kriegsministerium.
GENERAL RUDENKO: Deshalb frage ich Sie auch, welches Organ das Kriegsministerium ersetzt und seine Funktionen ausgeübt hat, da ich weiß, daß dieses Ministerium nicht mehr existierte.
KEITEL: Ich habe mit dem Wehrmachtsamt, dem damaligen Stab des Kriegsministeriums, an dessen Spitze ich stand, die Geschäfte weitergeführt und aufgegliedert, wie ich gestern eingehend bekundet habe, das heißt, alle hoheitlichen Rechte übertragen auf die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile. Das war aber nicht ein Befehl von mir, sondern ein Befehl von Hitler.
GENERAL RUDENKO: Nach der Skizze, die Sie dem Gerichtshof vorgelegt haben, sieht es so aus, als ob das OKW die zentrale, verbindende und höchste Kriegsstelle im Reich gewesen ist, die unmittelbar Hitler unterstellt war. Ist es richtig, daraus diesen Schluß zu ziehen?
KEITEL: Ja, das war der Stab, der militärische Stab Hitlers.
GENERAL RUDENKO: Von wem wurde die Ausarbeitung der militärisch-strategischen Pläne im OKW unmittelbar geleitet? Ich meine die militärischen Angriffspläne auf Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Holland, Frankreich, Norwegen, Jugoslawien und die Sowjetunion.
KEITEL: Ich glaube, daß ich das gestern ganz genau präzisiert habe dahingehend, daß die operativen und strategischen Planungen nach einer Auftragserteilung Hitlers von den Oberbefehlshabern der [673] Wehrmachtsteile, also für das Heer vom Oberkommando des Heeres und dem Generalstab des Heeres vorbereitet und Hitler vorgetragen, und dann darüber weitere Entscheidungen getroffen wurden.
GENERAL RUDENKO: Im Zusammenhang mit Jugoslawien möchte ich Sie folgendes fragen: Anerkennen Sie, daß die von Ihnen unterschriebene und herausgegebene Weisung über die vorläufige Aufteilung Jugoslawiens, welche die tatsächliche Vernichtung dieses Landes als eines Staates vorsieht, ein Dokument darstellt, das eine große politische und internationale Bedeutung hat?
KEITEL: Ich habe nicht mehr und nicht weniger getan, als eine Führeranordnung zu Papier gebracht und an diejenigen Stellen, die es interessierte und anging, weitergeleitet. Einen persönlichen oder politischen Einfluß auf diese Fragen habe ich überhaupt nicht gehabt.
GENERAL RUDENKO: Mit Ihrer eigenen Unterschrift?
KEITEL: Für die Unterschriften, die ich geleistet habe, habe ich gestern eine erschöpfende Erklärung gegeben, wie sie zustande kamen und welche Bedeutung sie besitzen.
GENERAL RUDENKO: Das ist richtig. Sie haben darüber gesprochen. Wir haben es gehört und davon werde ich noch sprechen. Ich möchte nun Ihre Position im Hinblick auf Jugoslawien genau feststellen. Geben Sie zu, daß unter unmittelbarer Mitwirkung des OKW provozierende Aktionen organisiert wurden, um einen Grund für den deutschen Angriff und zur Rechtfertigung dieses Angriffs vor der Öffentlichkeit zu schaffen?
KEITEL: Ich habe hier heute vormittag auf die Fragen eines Verteidigers der anderen Angeklagten klar geantwortet, daß ich an keiner Vorbereitung eines Zwischenfalles beteiligt war, und daß militärische Dienststellen auch nach dem Willen Hitlers an der Erörterung, Vorbereitung, Überlegung und Ausführung von Zwischenfällen niemals beteiligt waren. »Zwischenfall« ist hier gemeint als Provokation.
GENERAL RUDENKO: Ich verstehe zweifellos. Inwiefern hat sich das OKW an der Sicherung der Ausrüstung den Sudeten-Freikorps beteiligt?
KEITEL: Herr General, welches Freikorps? Ich weiß nicht, welches Freikorps gemeint ist.
GENERAL RUDENKO: Ich spreche über das Sudetenland.
KEITEL: Ich bin nicht unterrichtet, ob eine militärische Dienststelle dorthin Waffen – wenn ich so sagen darf – verschoben oder heimlich geliefert hat. Das weiß ich nicht. Ein entsprechender Befehl dazu war nicht gegeben, jedenfalls nicht durch meine Hand gegangen. Ich kann mich darauf nicht besinnen.
[674] GENERAL RUDENKO: Wer hat den Befehl erteilt und warum, Mährisch-Ostrau und Witkowitz durch die deutschen Truppen am 14. März 1939 nachmittags zu besetzen, während der Präsident Hacha sich zu dieser Zeit noch auf dem Weg nach Berlin befand, um dort Besprechungen mit Hitler zu führen?
KEITEL: Den Befehl hat letzten Endes ausgelöst und entschieden der Führer. Es war vorbereitet, dieses Gebiet mit dem bekannten großen modernen Stahlwerk, das in der Gegend von Mährisch-Ostrau liegt – der Name fällt mir eben nicht ein – handstreichartig und vor dem ursprünglich gedachten Einmarschtag in die Tschechoslowakei zu besetzen. Als Begründung für diesen Entschluß hat mir Hitler gesagt, es geschehe, um zu verhindern, daß die Polen plötzlich von Norden her einen Zugriff machten und das modernste Walzwerk der Welt eventuell in Besitz nehmen. Das hat er mir als Grund gesagt und die Operation, das heißt die Besetzung, hat tatsächlich in den späten Abendstunden des 14. März stattgefunden.
GENERAL RUDENKO: Ja, aber zur selben Zeit befand sich der Präsident Hacha auf der Reise nach Berlin zwecks Besprechungen mit Hitler, ist das richtig?
KEITEL: Ja, das stimmt.
GENERAL RUDENKO: Das ist doch eine Gemeinheit!
KEITEL: Ich glaube nicht, daß ich zu dem Tatbestand noch ein Werturteil abgeben muß. Es ist richtig, daß diese Besetzung an diesem Abend erfolgte. Die Gründe habe ich angegeben, und der Präsident Hacha hat es erst erfahren, als er in Berlin eintraf. Jetzt erinnere ich mich an den Namen, das Stahlwerk war Witkowitz.
GENERAL RUDENKO: Ich habe an Sie mehrere Fragen im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Sowjetunion zu stellen. Sie haben gestern dem Gerichtshof Ihre Erklärungen üben diesen Gegenstand bereits abgegeben. Sie haben Ihre Stellungnahme, was den Angriff auf die Sowjetunion betrifft, auseinandergesetzt. Sie haben dem Gerichtshof jedoch gesagt, daß der Befehl für die Vorbereitung des Falles »Barbarossa« im Monat Dezember 1940 erteilt wurde. Stimmt das?
KEITEL: Ja.
GENERAL RUDENKO: Sie erinnern sich genau daran und können Sie es auch mit Bestimmtheit behaupten?
KEITEL: Ich weiß oder erinnere mich nicht an irgendeinen bestimmten Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht, das diesen Plan, kurz »Barbarossa« genannt, schon durch einen vorhergehenden Befehl angeordnet hätte. Ich habe gestern allerdings ausgeführt, daß schon, wohl im September, eine Anweisung ergangen war in Bezug auf das Transport- und Eisenbahnwesen und ähnliche Dinge. [675] Ob ich diese Anweisung unterschrieben habe, das ist mir nicht mehr in Erinnerung, aber eine solche vorbereitende Anweisung zur Verbesserung der Transportverhältnisse vom Westen nach Osten habe ich gestern schon hier angeführt.
GENERAL RUDENKO: Im September, meinen Sie?
KEITEL: Das kann im September oder Oktober gewesen sein, ich kann mich auf die Zeit nicht mehr festlegen.
GENERAL RUDENKO: Ich möchte es genau wissen.
KEITEL: Genauere Angaben kann vielleicht in einem späteren Stadium der General Jodl machen, der das besser wissen muß.
GENERAL RUDENKO: Ja, wenn er verhört wird, werden wir ihn in dieser Angelegenheit befragen. Ich möchte gern, daß Sie in Kürze sich an alle Umstände erinnern: Zum erstenmal haben Sie über den Plan Hitlers, die Sowjetunion anzugreifen, im Sommer 1940 gehört. Nicht wahr?
KEITEL: Nein, im Sommer 1940 hat dieses im Tagebuch Jodls verzeichnete Gespräch – ich glaube, daß Sie daran denken, Sie meinen doch das Gespräch aus dem Tagebuch Jodls – dieses offenbar sehr flüchtige und sehr kurze Gespräch habe ich nicht erlebt und nicht gehört. Meine Überlegungen aus damaliger Zeit rechtfertigen auch meine Ansicht, das nicht erlebt zu haben, weil ich fast täglich mit dem Flugzeug damals unterwegs war und den Lagevorträgen damals nicht beigewohnt habe.
GENERAL RUDENKO: Und wann hatten Sie das Gespräch mit Ribbentrop?
KEITEL: Das kann in den letzten Tagen August, ich glaube, Anfang September gewesen sein. Aber den genauen Tag kann ich nicht mehr angeben. Ich konstruiere den Zeitpunkt darnach, daß ich erst etwa am 10. August in Berchtesgaden wieder eingetroffen bin und in der späteren Zeit dann diese Denkschrift verfaßt habe, von der ich gestern gesprochen habe.
GENERAL RUDENKO: Sie behaupten also hier vor dem Gerichtshof, über den Plan Hitlers, die Sowjetunion anzugreifen, zum erstenmal aus Ihrem Gespräch mit Ribbentrop erfahren zu haben?
KEITEL: Nein, nein, sondern nach einer etwa vierzehntägigen Abwesenheit aus Berchtesgaden, teils Urlaub, teils Dienst in Berlin, kam ich in das Hauptquartier Berchtesgaden zurück und habe dann an einem der folgenden Tage, etwa Mitte August, zum erstenmal Gedankengänge Hitlers dieser Art gehört. Darauf setzte meine Überlegung, meine Denkschrift an.
GENERAL RUDENKO: Also ist meine Frage richtig gestellt, wenn ich sage, daß es im Sommer 1940 war, daß Sie von den Plänen Hitlers Kenntnis erhielten?
[676] KEITEL: Ja, Mitte August ist letzten Endes auch noch Sommer.
GENERAL RUDENKO: August ist immer noch Sommer, darüber wollen wir nicht streiten. Weiter: Ich möchte Sie dann noch an die Aussagen des Zeugen Paulus erinnern, die er am 11. Februar dieses Jahres vor diesem Gerichtshof gemacht hat. Sie werden sich daran erinnern, daß Paulus dem Gerichtshof mitgeteilt hat, daß, als er seinen Dienst im OKH am 3. September 1940 antrat, er unter anderen Plänen auch einen vorläufigen, noch nicht beendeten operativen Plan für einen Angriff auf die Sowjetunion vorgefunden hat. Dieser Plan ist unter dem Namen »Barbarossa« bekannt. Erinnern Sie sich an diese Aussagen des Zeugen Paulus?
KEITEL: Ich erinnere mich nur insoweit, als er sagte, es sei eine Studie oder Entwurf für ein Kriegsspiel gewesen, und daß er seinerzeit bei seiner Versetzung zum Oberkommando des Heeres, Generalstab des Heeres, eine Unterlage vorgefunden habe. Diese ist mir unbekannt und konnte mir auch nicht bekannt sein, weil mir die Unterlagen, Akten und sonstigen Studien des Generalstabs des Heeres niemals zur Verfügung und niemals zur Einsicht standen.
GENERAL RUDENKO: Ich möchte einen Umstand feststellen: Sie bestreiten also, daß im September 1940 im OKH bereits Pläne im Zusammenhang mit dem Plan »Barbarossa« ausgearbeitet wurden?
KEITEL: Wenn man das Zeugnis des Generalfeldmarschalls Paulus hat, dann kann ich nicht sagen, daß es nicht wahr ist, weil ich es nicht wissen kann, ob es wahr gewesen ist. Ich kann es weder bestreiten, noch kann ich es bejahen.
GENERAL RUDENKO: Gut. Sie haben hier dem Gerichtshof erklärt, daß Sie ein Gegner des Krieges gegen die Sowjetunion gewesen sind. Stimmt das?
KEITEL: Ja.
GENERAL RUDENKO: Sie haben ebenfalls erklärt, daß Sie Hitler aufsuchten, um ihm den Vorschlag zu machen, er möge seine Pläne hinsichtlich der Sowjetunion abändern. Stimmt das?
KEITEL: Ja, nicht nur abändern, sondern diesen Plan fallen lassen und keinen Krieg gegen die Sowjetunion führen. Das war der Inhalt meiner Denkschrift.
GENERAL RUDENKO: So habe ich es auch gemeint. Ich will Sie jetzt über die Ihnen offenbar bekannte Besprechung befragen, die am 16, Juli 1941, das heißt drei Wochen nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion, stattfand. Erinnern Sie sich an diese Besprechung, welche die Aufgaben der Kriegführung gegen die Sowjetunion zum Gegenstand hatte?
KEITEL: Nein, ich weiß im Augenblick nicht, was gemeint ist. Ich weiß es nicht.
[677] GENERAL RUDENKO: Ich habe nicht die Absicht, Ihnen jetzt dieses Schriftstück vorzulegen. Sie werden sich daran erinnern, daß ich dieses Dokument dem Angeklagten Göring vorgelegt habe, und zwar zu der Zeit, als die Frage der Aufteilung und Angliederung der Sowjetunion erörtert wurde. Erinnern Sie sich jetzt?
KEITEL: Es ist ein Dokument, das ich kenne. Es hat, glaube ich, oben die Bezeichnung »BO-FU«, und ich habe es doch hier bei meinem Verhör als eine Niederschrift von dem Reichsleiter Bormann charakterisiert.
GENERAL RUDENKO: Sehr richtig.
KEITEL: Die Feststellung stammt von mir. Ich habe auch damals hier ausgesagt, daß ich erst im zweiten Teil dieser Besprechung zugezogen worden bin, dem ersten Teil nicht beigewohnt habe, und habe ausgesagt, daß es kein Protokoll ist, sondern eine freie Niederschrift des Reichsleiters Bormann, ein Diktat.
GENERAL RUDENKO: Aber Sie erinnern sich daran, daß schon damals, am 16. Juli, die Frage der Angliederung der Krim, der baltischen Gebiete, der Gebiete am Wolgafluß, der Ukraine, Weißrußlands und anderer Gebiete an Deutschland behandelt wurde.
KEITEL: Nein, ich glaube, das war im ersten Teil dieser Besprechung erörtert worden. Ich habe die Besprechung in der Erinnerung etwa von dem Stadium an, als Personalfragen besprochen worden sind über bestimmte einzusetzende Persönlichkeiten. Das war mir in Erinnerung. Diese Niederschrift habe ich erst hier gesehen und kannte sie nicht vorher, und die erste Hälfte der Besprechung habe ich nicht miterlebt.
GENERAL RUDENKO: Erlauben Sie mir, dann die Frage anders zu formulieren: Welche Endziele wurden damals von Hitler und seiner Umgebung, den Krieg gegen die Sowjetunion betreffend, verfolgt?
KEITEL: Ich habe die tieferen Gründe dieses Krieges nach den Darstellungen, wie sie Hitler mir gegeben hat, so gesehen, daß er davon überzeugt war, im Laufe der nächsten Jahre würde zwischen dem großslawisch-kommunistischen Reich und dem Deutschen Reich des Nationalsozialismus es zu einem Kriege so oder so kommen, und die Begründungen, die mir gegenüber gegeben worden sind, waren die: Wenn ich schon glaube, überzeugt bin, daß diese Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Völkern stattfinden wird, dann ist es besser jetzt als später. So kann ich es formulieren. Die Fragen, die in diesem Dokument drinstehen über die Aufteilung einzelner Gebietsteile, die sind mir auch nicht erinnerlich oder nicht gegenwärtig und sie waren vielleicht Phantasiegebilde.
[678] GENERAL RUDENKO: Sie behaupten unter Eid vor dem Gerichtshof, daß Sie nichts von Hitlers Plänen wußten, sich die Gebiete der Sowjetunion anzueignen und sie zu kolonisieren?
KEITEL: Nein, das ist nicht ausgesprochen worden in dieser Form. Es ist mir wohl zum Bewußtsein gekommen, die baltischen Provinzen in eine Abhängigkeit von Deutschland zu bringen, die Ukraine in ein enges Verhältnis von Ernährungs- oder wirtschaftlichen Beziehungen zu bringen, aber konkrete Eroberungsobjekte sind mir nicht bekannt, und diese sind, wenn sie mal gestreift worden sind, von mir nicht als ernstes Problem angesehen worden. So habe ich es damals aufgefaßt, ich darf ja nicht darstellen, wie ich es heute sehe, sondern wie ich es damals gesehen habe.
GENERAL RUDENKO: Hatten Sie davon Kenntnis, daß bei dieser Besprechung vom 16. Juli Hitler er klärte, daß es notwendig wäre, die Stadt Leningrad dem Erdboden gleichzumachen?
KEITEL: Ich glaube nicht, daß in dieser Besprechung... Ich habe das Dokument auch hier nochmals gelesen. Daß es drinsteht, darauf kann ich mich jetzt nicht besinnen, aber ich habe das Dokument ja hier in der Hand gehabt, durchgelesen in Gegenwart des Herrn Anklagevertreters der Amerikanischen Delegation, und wenn es darin steht, dann kann es sich nur danach richten, ob ich es damals gehört oder nicht gehört habe, nach dem Zeitpunkt, zu dem ich in diese Besprechung hineingezogen wurde.
GENERAL RUDENKO: Ich sagte bereits, daß ich keine Absicht habe, Ihnen dieses Dokument, das schon oft vorgelegt wurde, jetzt vorzulegen. Aber in dem Protokoll, das dem Angeklagten Göring bereits zitiert wurde und das er selbst gelesen hat, steht geschrieben: »Die Finnen beanspruchen das Leningradgebiet. Der Führer will Leningrad dem Erdboden gleichmachen, um es dann den Finnen abzutreten.«
KEITEL: Ich kann nur sagen, man muß feststellen, von wann ab ich der Besprechung beigewohnt habe. Was vorher gesprochen wurde, habe ich nicht gehört, und das kann ich nur anzeigen, wenn man mir das Dokument gibt oder die Voruntersuchung aus dem Protokoll entnimmt; das habe ich damals dem vernehmenden Richter gesagt.
GENERAL RUDENKO: Gut. Wir werden Ihnen gleich das Protokoll der Besprechung vom 16. Juli vorlegen, Während diese Stelle gesucht wird, möchte ich Ihnen noch einige Fragen stellen. Inzwischen wird die Stelle gefunden werden.
War Ihnen aus anderen Dokumenten nichts über die Zerstörung von Leningrad bekannt?
[679] KEITEL: Ich bin danach gefragt worden von der Russischen Delegation und dem Herrn General, der hier im Saale anwesend ist. Er hat mich auf ein Dokument aufmerksam gemacht.
GENERAL RUDENKO: Das war in der Voruntersuchung, ganz recht.
KEITEL: Ich kenne sowohl das Dokument, das von der Marine geschrieben war, von einem Admiral. Ich kenne auch ein zweites Dokument, das eine kurze Anweisung, ich glaube im Auftrag Jodls, enthielt wegen Leningrad. Zu beiden bin ich verhört worden. Demgegenüber kann ich nur feststellen, daß weder durch die Einwirkungen einer Belagerungsartillerie noch durch die Einwirkungen der deutschen Luftwaffe ein Zerstörungswerk in dem Sinne vonstatten gegangen ist, wie wir es an anderen Stellen besser kennen. Es ist nicht praktisch geworden, es ist nicht dazu gekommen. Es ist niemals zu einer systematischen Beschießung von Leningrad, soviel ich weiß, gekommen. Infolgedessen kann man auch nur das feststellen, was ich damals unter Eid den Herren der Sowjetrussischen Delegation gesagt habe.
GENERAL RUDENKO: Ihrem Wissen nach ist Leningrad niemals durch Artilleriefeuer beschossen worden?
KEITEL: Gewiß ist auch mit Artillerie im Raum von Leningrad geschossen worden, aber im Sinne eines Zerstörungsschießens, dazu ist es gar nicht gekommen, dazu ist es nicht gekommen. Das wäre eingetreten, Herr General, wenn es zu einem Angriff auf Leningrad gekommen wäre.
GENERAL RUDENKO: Blicken Sie auf dieses Dokument, und ich werde Ihnen nachher noch ergänzende Fragen stellen.
[Das Dokument wird dem Zeugen übergeben.]
KEITEL: Das ist sehr einfach, genau dort beginnt mein Eintreffen, als diese Bemerkung gefallen war. Ich hatte damals der Amerikanischen Untersuchung zu Protokoll gegeben, daß ich gerade noch gehört habe, daß über die Verwendung des Herrn Gauleiters Lohse gesprochen wurde, als ich in das Zimmer trat. Ich habe die vorhergehenden Bemerkungen nicht gehört.
GENERAL RUDENKO: Sie haben diese Stelle bezüglich Leningrad in dem Protokoll der Besprechung vom 16. Juli zur Kenntnis genommen?
KEITEL: Ja, da bin ich gekommen.
GENERAL RUDENKO: Sie haben gesehen, daß eine solche Niederschrift im Protokoll enthalten ist. Zu dieser Besprechung sind Sie in dem Moment erschienen, als man aufgehört hatte, von Leningrad zu sprechen, nicht wahr?
[680] KEITEL: Ja, ich kam, als man über die Eignung von Gauleiter Lohse sprach, ob er für die Verwendung in einem verwaltenden Amt geeignet sei oder nicht. Das waren die ersten Worte, die ich gehört habe. Darüber war eine Debatte im Gange als ich eintrat.
GENERAL RUDENKO: Da ist ja ganz genau notiert: »Leningrad ist dem Erdboden gleichzumachen.«
KEITEL: Ja, ich habe die Stelle gelesen.
GENERAL RUDENKO: Das steht doch auch in dem Befehl?
KEITEL: Ja, für mich aber doch nicht in einem ursächlichen Zusammenhang. In dem Befehl der Marine meinen Sie, in dem Befehl, der bei der Marine oder Kriegsmarine gefunden wurde?
GENERAL RUDENKO: Ist Ihnen bekannt, daß es zwei Befehle gab, einen für den Bereich der Marine und ihre Instanzen und einen anderen, von Jodl unterschriebenen, für den Bereich des Oberkommandos der Wehrmacht. Ist es Ihnen bekannt?
KEITEL: Ja, ich habe beide hier gesehen, vorgelegt durch die Delegation der Russen.
GENERAL RUDENKO: Und es ist Ihnen auch bekannt, daß in dem von Jodl unterschriebenen Befehl ebenfalls von einer Zerstörung Moskaus die Rede war.
KEITEL: Das weiß ich jetzt nicht mehr genau, denn es war damals nur, wie ich es kurz gesehen habe, von Leningrad die Rede. Wenn es aber drinsteht, will ich es gar nicht bezweifeln.
GENERAL RUDENKO: Ich frage Sie: Warum werden vom Oberkommando der Wehrmacht Befehle herausgegeben? Damit sie befolgt werden?
KEITEL: Die Anweisung oder die Mitteilung der Marine ist zunächst kein OKW-Befehl und seine Entstehung mir unbekannt. Der kurze Befehl: »I. A. Jodl« vom OKW ist nicht in meiner Anwesenheit entstanden. Wie ich gestern schon hier bekundete, würde ich ihn damals wohl unterschrieben haben; ich war aber abwesend, kenne also auch nicht die Voraussetzungen oder Erörterungen, die diese Anweisung ausgelöst haben.
GENERAL RUDENKO: Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich frage: Die Befehle werden doch herausgegeben, damit sie ausgeführt werden. Können Sie mir kurz darauf antworten?
KEITEL: Dieses ist eine Anweisung, aber kein Befehl. Denn ein Befehl kann nur von der an Ort und Stelle führenden Dienststelle des Heeres herausgegeben werden. Es war also eine Direktive, ein Ziel und eine Absicht.
GENERAL RUDENKO: Und sollen die Anweisungen, die vom OKW stammen, nicht ausgeführt werden?
[681] KEITEL: Selbstverständlich sollen sie ausgeführt werden.
GENERAL RUDENKO: Und was Ihre Aussage betrifft, daß Leningrad von niemandem beschossen wurde, so braucht dies nicht weiter erörtert zu werden, das ist eine Tatsache, die allen bekannt ist.
KEITEL: Ich darf nur sagen, daß ich das nicht befohlen habe. Darum weiß ich es nicht.
GENERAL RUDENKO: Ist Ihnen bekannt, daß vor Anfang des Krieges gegen die Sowjetunion der Angeklagte Göring eine sogenannte »Grüne Mappe« herausgegeben hat, die Anweisungen über die Wirtschaftsfragen innerhalb der zu besetzenden Gebiete der USSR enthielt?
KEITEL: Ja, das ist mir bekannt.
GENERAL RUDENKO: Sie geben zu, daß Sie mit der Anweisung vom 16. Juni 1941 an alle deutschen Truppen Weisung zur strikten Ausführung dieser Direktiven erteilt haben?
KEITEL: Ja, es besteht eine Anweisung, die allen Truppen des Heeres bekanntgibt, welche Organisationen für große Aufgaben und unter welcher Verantwortung eingesetzt sind, und daß dementsprechend die Militärdienststellen des Heeres dem zu entsprechen haben, das habe ich weitergegeben; nicht befohlen, sondern weitergegeben.
GENERAL RUDENKO: War das ein Befehl von Ihnen, oder haben Sie damit nur die Anordnungen des Führers ausgeführt?
KEITEL: Ich habe nur die mir vom Führer erteilten Aufträge weitergegeben. Ich konnte dem Reichsmarschall Göring in dieser Beziehung Befehle überhaupt nicht geben.
GENERAL RUDENKO: Sie haben den Befehl nicht an Reichsmarschall Göring, sondern an die Truppen erteilt.
KEITEL: Ich konnte ihm auch nicht Befehle geben, sondern ich konnte dem Oberbefehlshaber des Heeres die Willensmeinung des Führers kundgeben und er mußte das dann an seine Heeresgruppen weitergeben.
GENERAL RUDENKO: Sie waren nicht im Widerspruch mit diesem Willen des Führers?
KEITEL: Ich habe einen Widerspruch, da es sich um eine Aufgabe des OKW nicht handelte, nicht erhoben. Ich habe den Befehl befolgt und ihn weitergegeben.
GENERAL RUDENKO: Geben Sie zu, daß Ihnen mit dieser Verordnung die völlige und sofortige Ausnützung der besetzten Gebiete der Sowjetunion im Interesse der Kriegswirtschaft Deutschlands übertragen wurde?
[682] KEITEL: Ich habe einen solchen Befehl, mit dem Ziele und den Aufgaben, die durch die Organisation »Wirtschaft Oldenburg« zu vollziehen waren, nicht gegeben, denn damit hatte ich gar nichts zu tun, sondern ich habe nur den wesentlichen Inhalt der »Grünen Mappe« – die ja ein bekannter Begriff ist – an das Oberkommando des Heeres gegeben zur entsprechenden weiteren Veranlassung.
GENERAL RUDENKO: Geben Sie zu, daß die Anweisungen, die sich in Görings »Grüner Mappe« befanden, die Plünderung der Reichtümer der Sowjetunion und ihrer Bürger bezweckten?
KEITEL: Nein. Von Vernichtung konnte nach meiner Auffassung auch in der »Grünen Mappe« nichts gefunden werden. Statt Vernichtung muß man sagen: die Ausnützung von überflüssigen Dingen, besonders auf dem Gebiet der Ernährung, und Rohstoffe für die gesamte Kriegswirtschaft Deutschlands zunutze zu machen, aber nicht zu vernichten.
GENERAL RUDENKO: Ich bitte, Ihre Antwort zu wiederholen.
KEITEL: Ich sagte, es waren in der »Grünen Mappe« die Grundgedanken der Ausnützung der vorzufindenden und zu erwartenden Vorräte, die als Überschuß angesehen wurden, aber niemals ihre Vernichtung. Gleichzeitig damit die Sowjetbevölkerung, ich möchte sagen verhungern zu lassen, das war nicht der Fall. Ich habe auch die Dinge an Ort und Stelle gesehen und kann darüber auch etwas sagen.
GENERAL RUDENKO: Sie finden, daß das keine Plünderung ist?
KEITEL: Der Streit um Worte, ob Kriegsbeute oder Ausnutzung von im Krieg vorgefundenen Vorräten oder Raub oder ähnlich fällt unter die Begriffe, die hier, glaube ich, nicht definiert zu werden brauchen. Jeder hat dafür seinen eigenen Sprachgebrauch.
GENERAL RUDENKO: Gut. Wir wollen darüber nicht streiten. Im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Sowjetunion habe ich noch eine letzte Frage: Geben Sie zu, daß die Methode der Kriegsführung der deutschen Armee im Osten mit der elementarsten Auffassung der militärischen Ehre einer Armee und dem Begriff der Kriegsnotwendigkeit im krassesten Widerspruch stand?
KEITEL: Nein, das kann ich in dieser Form nicht anerkennen, sondern daß die Entartung, ich habe das Wort hier schon gebraucht, daß die Entartung des Krieges gegen die Sowjetunion, und was im Osten geschehen ist, nicht der Urheberschaft der deutschen Armee zuzuschreiben ist, sondern dem Umstand, den ich in einem Affidavit durch meinen Verteidiger dem Gerichtshof habe vorlegen lassen. Ich würde weiter den russischen Anklagevertreter bitten, es zu lesen, damit er meine Ansicht darüber erfahre, die ich darüber habe.
[683] GENERAL RUDENKO: Gut. Um die Fragen über die Aggression zu beenden und zu den Greueltaten überzugehen, möchte ich Ihnen noch folgende Frage stellen und ich hoffe, daß Sie dem Gerichtshof die Kenntnisse, die Sie als ein Mann haben, der Hitler in den Fragen der Kriegsführung am nächsten stand, mitteilen werden.
Meine Frage ist folgende: Welche Aufgaben wurden vom OKW an die deutsche Armee für den Fall eines für Deutschland erfolgreichen Kriegsendes gegen die Sowjetunion gestellt?
KEITEL: Ich weiß nicht, was damit gemeint ist, welche Forderungen an die militärische Führung gestellt wurden für den Fall, daß der Krieg erfolgreich gewesen wäre. Ich darf bitten, die Frage etwas anders zu stellen, ich habe das nicht verstanden.
GENERAL RUDENKO: Ich habe die Aufgaben für die weitere Kriegsführung nach Beendigung des Ostfeldzuges im Sinn.
KEITEL: Das konnte ja dann auch eintreten, was ja auch praktisch geworden ist, die Landung der englisch-amerikanischen Streitkräfte in Frankreich, Dänemark oder in Deutschland und so weiter, es konnten dort die verschiedensten Möglichkeiten des Krieges noch auftreten, die noch gar nicht vorauszusehen waren.
GENERAL RUDENKO: Ich stelle Ihnen keine generelle Frage. Sie kennen doch das Dokument »Anleitung zur Marinekriegsführung«, welches bereits am 8. August 1941 entworfen wurde, und zwar die Fragen der weiteren Kriegsführung nach Beendigung des Ostfeldzuges betreffend. Dort wird von der Vorbereitung der Pläne eines Angriffs gegen Irak, Syrien und Ägypten gesprochen. Kennen Sie dieses Dokument?
KEITEL: Es ist mir bisher hier nicht vorgelegt. Im Augenblick ist es eine Überraschung, ich kann mich nicht darauf besinnen.
GENERAL RUDENKO: Sie kennen dieses Dokument nicht? Meine Herren Richter, es ist das Dokument C-57, es liegt dem Gerichtshof unter der Nummer USSR 336 vor. Ich werde Ihnen das Dokument gleich vorlegen. Bitte, legen Sie dem Angeklagten dieses Schriftstück vor.
[Das Dokument wird dem Zeugen übergeben.]
KEITEL: Ich sehe das Dokument zum erstenmal; jedenfalls hier in der Untersuchung, und es fängt an mit dem Satz: »Der Seekriegsleitung liegt ein Weisungsentwurf über die Absichten nach Beendigung des Ostfeldzuges vor.« Diesen Befehl oder diese Anweisung der Marine habe ich nie gesehen, kann ich auch nicht gesehen haben. Es ist ein Weisungsentwurf und konnte nur zurückgehen auf das Oberkommando der Wehrmacht. In dem Wehrmachtführungsstab waren Offiziere der Armee, Flotte und Luftwaffe, und es ist sehr [684] wohl möglich, daß Gedankenbildungen in Form von Weisungsentwürfen seinerzeit Offizieren des Wehrmachtführungsstabes bekanntgegeben wurden. Ich kann mich an eine solche Anweisung des Wehrmachtführungsstabes nicht erinnern, aber Generaloberst Jodl kann vielleicht eine Auskunft geben. Ich erinnere mich nicht.
GENERAL RUDENKO: Sie erinnern sich nicht daran. Ich will Sie nicht ausführlich befragen. Aber Sie sehen, daß das Dokument Pläne zur Ergreifung Gibraltars durch die aktive Teilnahme Spaniens enthält. Es sieht ferner einen Angriff auf Syrien, Palästina, Ägypten und so weiter vor. Und Sie sagen, daß Sie keine Ahnung von diesem Schriftstück haben?
KEITEL: Ich will dazu gerne eine Auskunft geben. Ein Angriff zur Wegnahme von Gibraltar, als Eingang der Meerenge zum Mittelmeer, war bereits für den Winter des Jahres vorher geplant gewesen und nicht zur Ausführung gekommen, also im Winter 1939/40. Das war nichts Neues. Die übrigen Fragen, die genannt worden waren, waren die, die wohl eine Ideenbildung aufbauten auf der damaligen Lage, wie sie sich nördlich des Kaukasus in den Operationen ergeben hat. Ich will keineswegs sagen, daß das keine Gedanken gewesen sind, mit denen man sich nicht beschäftigt hat. Ich erinnere mich nur nicht und habe nicht jedes Dokument oder Papier des Wehrmachtführungsstabes als Entwurf gelesen.
GENERAL RUDENKO: Wenn Sie solche Dokumente, die die Frage der Eroberung fremder Länder behandeln, als Papierfetzen betrachten, welche Dokumente halten Sie denn dann für wichtig?
KEITEL: Ich kann nur folgendes sagen, das wirklich und aufrichtig ist. Im Kriege macht man sich manche Pläne und überlegt manche Möglichkeiten, die doch nicht in der rauhen Wirklichkeit realisierbar sind und auch nicht realisierbar werden, und deswegen kann man nachträglich, historisch, geschichtlich solche Papiere nicht als den Ausdruck der gesamten Willensbildung der operativen, strategischen Kriegsleitung ansehen.
GENERAL RUDENKO: Ich bin mit Ihnen einverstanden, daß, vom historischen Gesichtspunkt aus betrachtet, dieses Dokument heute nicht wichtig ist. Aber im Plane des deutschen Generalstabs, der annahm, die Sowjetunion besiegen zu können, hatte dieses Schriftstück eine ganz andere Bedeutung. Ich will Sie jetzt über dieses Dokument nicht weiter befragen.
Ich gehe zu den Fragen der Greueltaten und Ihrer Beziehung dazu über. Ihr Verteidiger, Dr. Nelte, hat Ihnen die grundlegenden Dokumente der Anklagebehörden über Greueltaten vorgelegt. Aus diesem Grunde habe ich nicht die Absicht, diese vorzulegen und im einzelnen zu besprechen. Ich werde Sie nur über die Grundlagen der Dokumente befragen, die Ihnen von Ihrem Verteidiger während des Verhörs vorgelegt wurden.
[685] Vor allem beziehe ich mich auf das Dokument »Anordnung über die militärische Gerichtsbarkeit im Bezirk ›Barbarossa‹ und die besonderen militärischen Maßnahmen«. Erinnern Sie sich an dieses Dokument? Es ist am 13. Mai 1941, also mehr als einen Monat vor Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, entstanden. Sie erinnern sich, daß es in diesem Dokument, das vor dem Krieg entstanden ist, heißt, daß verdächtige Elemente unverzüglich vor einen Offizier gebracht werden müssen und dieser zu entscheiden hat, ob sie erschossen werden sollen oder nicht. Erinnern Sie sich an diese Anweisung? Haben Sie dieses Dokument selbst unterzeichnet?
KEITEL: Ja, das habe ich auch nie bestritten. Ich habe aber zu dem Dokument die nötigen Aufklärungen, wie es entstanden ist und wer der Urheber ist, gegeben.
VORSITZENDER: Welches ist die Nummer des Dokuments?
GENERAL RUDENKO: Dokument C-50, vom 13. Mai 1941.
VORSITZENDER: Gut.
GENERAL RUDENKO:
[zum Zeugen gewandt]
Obwohl Sie mir sagten, daß Sie diesen Befehl Ihrem Verteidiger bereits erklärt haben, muß ich doch diese Frage in einer etwas anderen Form an Sie richten. Waren Sie der Ansicht, daß ein Offizier das Recht hatte, Menschen ohne Gerichtsverfahren und Voruntersuchung zu erschießen?
KEITEL: In der deutschen Armee hat es von jeher gegen eigene Soldaten, ebenso wie für Gegner, Standgerichte gegeben, die stets zusammengesetzt werden konnten aus einem Offizier und ein bis zwei Soldaten, die drei als Richter auftretend. Das nennen wir ein Standgericht. Es muß nur immer ein Offizier als Oberster in diesem Gericht vorhanden sein. Ich muß aber hierzu grundsätzlich die Erklärung, die ich gestern gegeben habe, wiederholen...
GENERAL RUDENKO: Einen Augenblick bitte. Ich bitte Sie, auf folgende Frage zu antworten: Wurde nicht durch dieses Dokument ein Rechts- und Prozeßverfahren im Falle sogenannter Verdächtiger abgeschafft und den Offizieren des deutschen Heeres das Recht zur Erschießung übertragen? Ist das richtig?
KEITEL: Bei deutschen Soldaten war es richtig und war es zugelassen. Es gibt ein Kriegsgericht mit richterlichen Beamten und es gibt ein Standgericht, das sich aus Soldaten zusammensetzt. Diese sind berechtigt, im Standgerichtsverfahren gegen jeden Soldaten des deutschen Heeres ein entsprechendes Urteil zu vollziehen und zu vollstrecken.
[686] VORSITZENDER: Sie beantworten nicht die Frage. Die Frage lautet, welches Recht dieses Dokument erteilt und nicht welche Bestimmungen im deutschen Heer galten.
GENERAL RUDENKO: Können Sie mir diese Frage beantworten: Hat dieses Dokument nicht ein Rechts-und Gerichtsverfahren abgeschafft und hat es nicht dem deutschen Offizier das Recht erteilt, wie es hier heißt, Verdächtige erschießen zu lassen?
KEITEL: Das war ein Befehl, der mir von Hitler gegeben worden ist. Er hat diesen Befehl an mich gegeben und ich habe meinen Namen daruntergesetzt. Welche Bedeutung das hat, habe ich gestern eingehend erklärt.
GENERAL RUDENKO: Sie, ein Feldmarschall, unterschrieben diese Verordnung. Sie betrachten diese Verordnung als unrichtig. Sie begreifen ihre Folgen. Warum unterschrieben Sie denn diesen Befehl?
KEITEL: Ich kann nicht mehr sagen, als daß ich meinen Namen daruntergesetzt habe und welches Maß von Verantwortung ich für meine Person damit in meiner Dienststellung übernommen habe.
GENERAL RUDENKO: Und nun noch eine Frage. Dieser Befehl ist vom 13. Mai 1941, fast einen Monat vor Beginn des Krieges gegen Rußland datiert. Sie haben also bereits im voraus die Ermordung von Menschen geplant?
KEITEL: Das verstehe ich nicht. Es ist richtig, daß dieser Befehl vier Wochen vor Beginn des Feldzuges »Barbarossa« herausgegeben worden ist und bereits weitere vier Wochen vorher ist es den Generalen in einer Erklärung Hitlers übermittelt worden. Sie wußten das schon wochenlang vorher.
GENERAL RUDENKO: Wie diese Verordnung ausgeführt wurde, das wissen Sie, ja?
KEITEL: Ich habe, wie in der Voruntersuchung auch dem mich vernehmenden General der Sowjetarmee, darüber meine Auffassung gesagt. Die Tatsache, ob Generale mit mir sich über den Befehl ausgesprochen haben, ist nicht erwähnt worden, ich weise aber darauf hin, daß hier ausdrücklich steht, daß die oberen Befehlshaber diesen Befehl mit der Gerichtsbarkeit dann zu suspendieren berechtigt sind, wenn in ihrem Gebiet Befriedung eingetreten ist. Das habe ich auch jedem General, der mich nach den Ursachen und nach den Wirkungen dieses Befehls gefragt hat, geantwortet und ihm gesagt, es steht darin, daß sie die Sache außer Kraft setzen dürfen, sobald sie ihr Gebiet als befriedet ansehen. Das ist eine individuelle subjektive Ermessensfrage des Befehlshabers. Das steht drin.
GENERAL RUDENKO: Schließlich die letzte Frage im Zusammenhang mit diesem Befehl oder Verordnung. Diese Verordnung [687] hat tatsächlich deutschen Soldaten und Offizieren Straflosigkeit für gesetzwidrige und Willkürakte zugesichert?
KEITEL: In gewissen Grenzen, in gewissen Grenzen! Denn die Grenze war in den mündlichen Befehlenden Generalen genau gesagt worden, nämlich: Anwendung der schärfsten Disziplin in der eigenen Truppe.
GENERAL RUDENKO: Ich glaube, Angeklagter Keitel, daß Sie diese »gewissen Grenzen« bereits klar und deutlich in den verschiedenen Dokumenten, die dem Gerichtshof vorgelegt wurden und in den Filmvorführungen erkannt haben.
Ich habe nun folgende Frage: Am 12. Mai 1941 ist die Frage der Behandlung russischer politischer Kommissare und Militärgefangener bearbeitet worden. Erinnern Sie sich an dieses Schriftstück?
KEITEL: Im Augenblick weiß ich nicht, welches gemeint ist, im Augenblick ist mir nicht klar, was gemeint ist.
GENERAL RUDENKO: Ich meine das Dokument vom 12. Mai 1941, welches anordnete, die politischen Leiter der Roten Armee nicht als Kriegsgefangene anzuerkennen, sondern zu vernichten.
KEITEL: Ich habe darüber nur Prüfungsvermerke gesehen. Das Dokument ist mir im Augenblick nicht in dem Sinn gegenwärtig; der Sachverhalt ist mir bekannt. Das Dokument kann ich im Augenblick mir nicht ins Gedächtnis zurückrufen. Darf ich es einmal sehen?
GENERAL RUDENKO: Bitte sehr!
[Dem Zeugen wird das Dokument ausgehändigt.]
VORSITZENDER: Welche Nummer hat das Dokument?
GENERAL RUDENKO: 884-PS. Es ist ein Dokument vom 12. Mai 1941 und trägt den Titel »Behandlung gefangener politischer und militärischer russischer Funktionäre«.
KEITEL: Es ist kein Befehl, sondern eine Vortragsnotiz von der Abteilung Landesverteidigung mit dem Bemerken, daß Entscheidungen des Führers noch erforderlich sind. Die Vortragsnotiz bezieht sich wohl auf den Vorschlag eines Befehls, das ist mir jetzt erinnerlich. Ich habe es auch damals gesehen und das Ergebnis des Vortrages ist nicht vermerkt, sondern lediglich ein Vorschlag, der hier festgelegt worden ist für die Regelung. Meines Wissens ist die Regelung im Sinne dieses Vorschlages dann dem Heer, dem Oberkommando des Heeres, mitgeteilt worden, als vom Führer genehmigt oder unmittelbar zwischen dem Führer und dem Oberbefehlshaber des Heeres erledigt oder besprochen oder abgeschlossen worden.
GENERAL RUDENKO: Was meinen Sie, wenn Sie von »Regulierung« sprechen, denn wir kennen soviele Ausdrücke in der [688] deutschen Armee: »Regulierung«, »Spezialbehandlung«, »Exekution«, all das in eine direkte Sprache übersetzt heißt Ermordung. Woran denken Sie, wenn Sie »Regulierung« sagen?
KEITEL: Ich habe nicht »Regulierung« gesagt, ich weiß nicht, welches Wort als »Regulierung« verstanden worden ist. Ich habe gesagt, daß im Sinne der Vortragsnotiz nach meiner Erinnerung die Anordnungen dem Heer gegenüber von Hitler damals getroffen worden sind, das heißt die Zustimmung zu dem Vorschlag, der auf der Vortragsnotiz steht.
GENERAL RUDENKO: Sie verneinen also nicht, daß bereits im Mai, also mehr als einen Monat vor Kriegsbeginn, ein Entwurf für die Vernichtung russischer politischer Kommissare und Militärs vorlag? Das verneinen Sie doch nicht?
KEITEL: Nein, das verneine ich nicht, sondern es war das Ergebnis der Anordnungen, die mitgeteilt und von den Generalen hier schriftlich ausgearbeitet worden sind.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.
[Das Gericht vertagt sich bis
6. April 1946, 10.00 Uhr.]
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