Vormittagssitzung.

[157] [Der Zeuge Rainer im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat die Frage erwogen, wieviel Zeit die Verteidigung für ihre Schlußplädoyers in Anspruch nehmen soll. Der Artikel 18 des Statuts weist den Gerichtshof an, den Prozeß strikt auf eine beschleunigte Verhandlung zu beschränken; das muß befolgt werden, und es ist klar, daß den Verteidigern nicht erlaubt werden kann, so lange zu sprechen, wie es ihnen beliebt. Die Umstände verlangen, daß irgendwo eine Grenze gesetzt werden muß oder dieser ohnehin schon lang andauernde Prozeß würde über alle Maßen in die Länge gezogen werden.

Dem Gerichtshof wurde mitgeteilt, daß die Anklagevertretung ihre Schlußreden aus eigenen Stücken, alles in allem, auf drei Tage beschränken wird; und die Verteidiger sollten sich auch freiwillig eine gewisse Beschränkung auferlegen. Die Beweisführung für die Angeklagten wurde bis in alle Einzelheiten angehört, und nunmehr brauchen wir nicht eine detaillierte Analyse des Beweismaterials, sondern lediglich einen klaren Rückblick auf die Kernpunkte.

Der Gerichtshof wünscht klarzumachen, daß er die Nichterwähnung einer bestimmten Sache während der Argumentation nicht als Geständnis ansehen wird. Mit Rücksicht darauf ist der Gerichtshof der Ansicht, daß die Plädoyers der Verteidiger, einschließlich des Plädoyers über die Rechtslage, das im Interesse aller Angeklagten gehalten werden soll, innerhalb von insgesamt 14 Tagen zu Ende geführt werden sollten. Dadurch wird der Verteidigung doppelt soviel Zeit gewährt wie der Anklagevertretung, sowohl für die Eröffnungs- als auch für die Schlußreden. Diese 14 Tage könnten von den Verteidigern durch gegenseitiges Übereinkommen so eingeteilt werden, wie sie es für zweckmäßig halten; der Gerichtshof zieht es vor, daß die Verteidigung die Einteilung untereinander vornimmt und wünscht nicht, die Einteilung selber vorzunehmen.

Daher erwartet der Gerichtshof, daß die Verteidiger ihre Plädoyers in Übereinstimmung mit dem soeben Gesagten vorbereiten und dem Gerichtshof sobald wie möglich ihre Zeiteinteilung mitteilen. Sollten sie nicht imstande sein, über diese Einteilung zu einer Vereinbarung zu kommen, dann wird der Gerichtshof die Sache noch einmal zum Gegenstand einer Erörterung machen.

Ebenso wünscht der Gerichtshof sowohl die Anklagevertretung als auch die Verteidigung darauf aufmerksam zu machen, daß es [157] dem Gerichtshof wesentlich helfen, wird, wenn ihm Übersetzungen der Plädoyers in dem Augenblick vorgelegt werden, in dem diese gehalten werden.


DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Präsident! Der Beschluß, den Sie soeben verkündet haben, hat die Verteidigung überrascht, da sie vorher in dieser Frage nicht gehört worden ist. Es erscheint uns dies um so bedauerlicher, als sich der Beschluß taktisch gegen die elementarsten Rechte der Verteidigung wendet, denn er beeinträchtigt die Möglichkeit, das vorzutragen, was in diesem so überaus wichtigen Prozeß für die Angeklagten und für die Probleme, die damit zusammenhängen, vorzutragen sein wird. Wir sind zur Zeit noch nicht in der Lage, das gesamte Material überhaupt zu übersehen. Wenn ich, ohne den übrigen Herren Verteidigern vorgreifen zu wollen, den Fall des Angeklagten Keitel nur als Beispiel wähle, so werden Sie verstehen, daß ich durch das Material, das nach dem Kreuzverhör allein aufgetreten ist, in einer außerordentlich schwierigen Lage bin; und wie ich, so werden auch sicher eine ganze Reihe der übrigen Verteidiger der Meinung sein, daß sich die Dinge nicht zusammenfassend behandeln lassen, sondern meines Erachtens müssen sie bei allem Bestreben, die Dinge zusammenfassend und typisch zu sagen, doch auf das Individuum des einzelnen Angeklagten eingehen. 14 Tage ist eine Zeit, die sehr kurz ist, wie mir's scheint, praktisch ist es aber fast unmöglich zu erreichen, daß eine Aufteilung in einer gerechten, das heißt in einzelnen Fragen gerecht werdenden Weise erfolgt.

Ich möchte daher anregen, daß der von Ihnen verkündete Beschluß – ich weiß nicht, vielleicht war es nur eine Anregung – noch einmal der Nachprüfung, und zwar unter Zuziehung der Verteidigung unterzogen wird. Ohne im einzelnen der begründeten Stellungnahme vorgreifen zu wollen, die die gesamte Verteidigung beabsichtigt, möchte ich jetzt schon formal Einspruch gegen den Beschluß wegen der Beschränkung der Verteidigung in einer das mögliche Maß überschreitenden Weise einlegen.


VORSITZENDER: Wünschen die Verteidiger oder die Ankläger noch andere Bemerkungen zu dieser Frage zu machen?


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich möchte gegen Dr. Neltes Argumentation, daß ein primitivstes Recht der Angeklagten verletzt worden sei, Einspruch erheben. In meinem Lande, und ich glaube, daß ich da recht habe, ist es allgemeine Gerichtsübung, den Verteidiger in seinem Schlußplädoyer einzuschränken, selbst in Schwurgerichtsfällen, wo eine Argumentation weitaus notwendiger ist, wie der Gerichtshof ja schon betont hat.


VORSITZENDER: Wünscht noch ein Anwalt eine Bemerkung zu machen?


[158] DR. OTTO FREIHERR VON LÜDINGHAUSEN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON NEURATH: Herr Präsident! Ich möchte zunächst eine Bemerkung zu der zeitlichen Beschränkung in rein temporärer Hinsicht machen. Wenn wir auf 14 Tage beschränkt sind, dann heißt das, ungefähr vier Stunden pro Angeklagter für unser Plädoyer. Nun sind aber diese vier Stunden in Wirklichkeit nicht volle vier Stunden, denn durch die technischen Vorkehrungen, die ja hier getroffen werden mußten, müssen wir langsamer sprechen als wir es in einem direkten Plädoyer in einer direkten freien Aussprache tun würden; das heißt, Sie müssen von den vier Stunden, die uns durchschnittlich bleiben, diejenige Zeit abstreichen, die durch das langsamere Sprechen verloren geht. Nach meiner Schätzung würde also eine Plädoyerzeit von vier Stunden in Wirklichkeit in sachlicher Hinsicht nur auf höchstens drei Stunden bemessen werden können. Meine Herren, ich glaube, daß Sie, wenn Sie hiervon ausgehen, uns recht geben werden, daß wir innerhalb dieser drei Stunden doch nicht das für jeden einzelnen Angeklagten vorliegende Material in einer derartigen Weise würdigen können, daß das Plädoyer tatsächlich den Zweck erfüllt, den es erfüllen soll. Denn gerade vor diesem Gericht, das einmalig bisher ist, ist ja doch die Hauptsache die Erforschung der Wahrheit. Zur Erforschung der Wahrheit aber gehört nicht nur die einzelne abrupt herausgegriffene Handlung, sondern es gehört dazu, in erster Linie zu zeigen, wieso es zu dieser einzelnen Handlung kommen mußte, und ich möchte nach dieser Richtung hin gerade in meiner Eigenschaft als Verteidiger des Angeklagten von Neurath, als des verantwortlichen Leiters der Außenpolitik des Reiches bis zum Jahre 1938, darauf hinweisen, daß die ganzen Handlungen, die meinem Klienten zum Vorwurf gemacht werden, logisch, zwangsläufig sich aus den sich entwickelnden Verhältnissen heraus ergeben haben. In dieser Entwicklung der historischen Dinge liegt die Erklärung für all das, was bis dorthin geschehen ist, bis zu dem Tage, als mein Klient seine Demission einreichte. Das kann ich aber nur klarmachen, wenn ich die einzelnen Entwicklungsstadien wenigstens in großen Zügen darstelle.

Meine Herren! Das ist, wenn Sie berücksichtigen, daß ich daneben noch einen Komplex bezüglich der Tätigkeit meines Klienten als Reichsprotektor zu behandeln habe, aus rechtlichen Gründen nicht so ein fach, wie dies im ersten Moment erscheinen könnte; dann werden Sie mir zugeben, daß ich das unmöglich in einem tatsächlichen dreistündigen Plädoyer machen kann. Und ich darf gegenüber den Ausführungen des Herrn amerikanischen Anklagevertreters darauf hinweisen, daß wir ja hier nicht vor einem amerikanischen Gericht stehen. Mir ist, und ich habe versucht, mich darüber zu erkundigen, nichts bekannt darüber, daß in internationalen Gerichtshöfen, wie beispielsweise bei den Haager Gerichtshöfen [159] oder bei den Gerichten in Ägypten, irgendwie seinerzeit eine Beschränkung der Rededauer der Verteidiger in ihrem Plädoyer vorgeschrieben worden ist, und deswegen bitte ich, doch zu berücksichtigen, daß wir hier nicht ein amerikanisches Gericht vor uns haben, sondern ein internationales Gericht, und daß dieses internationale Gericht, das ja doch weit über den Rahmen all dessen hinausgeht, was bisher auf diesem Gebiet geschehen ist, das aber auch über den Rahmen aller Militärgerichte, die bisher in Deutschland einzelne Teilchen des riesigen Komplexes behandelt haben, nirgends seitens der betreffenden Militärgerichte eine Beschränkung der Plädoyerdauer erfolgt ist. Und wenn Sie das berücksichtigen, meine Herren, dann bitte ich doch noch einmal, Ihre Entscheidung einer Nachprüfung zu unterziehen, um in uns nicht den Anschein zu erwecken, als ob wir nicht in einer uns pflichtgemäß scheinenden Weise die Rechte oder die Verteidigung unserer Klienten zu führen in der Lage sind.


GENERAL R. A. RUDENKO, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Meine Herren Richter! Ich möchte noch einiges dem, was mein Kollege, Herr Dodd, gesagt hat, hinzufügen. Das Strafrecht unseres Landes erkennt das Recht des Gerichtshofs an, durch besondere Verfügungen sowohl die Anklage als auch die Verteidigung in ihren Plädoyers einzuschränken. Ich glaube, daß die Ausführung der Verteidigung über die Begrenzung ihrer Rechte durch den Beschluß des Gerichtshofs ungerechtfertigt und unbegründet ist. In Wirklichkeit kann die Verteidigung jetzt schon, während sie das Beweismaterial für ihre Klienten vorlegt, jede Gelegenheit ergreifen, das gesamte Beweismaterial vorzulegen. Meine Herren Richter, ich glaube nicht, daß die Gerechtigkeit darin besteht, dieses Verfahren unendlich hinauszuziehen. Ich schließe mich daher der Meinung des Herrn Dodd völlig an und betrachte die Entscheidung des Gerichtshofs als gerechtfertigt.


DR. KUBUSCHOK: Ist mir gestattet, Herr Vorsitzender, noch eine kurze Bemerkung zu machen? Jedes Gerichtsverfahren ist zeitlich nicht voraussehbar, in keinem Prozeßstadium. Man kann bei Beginn des Prozesses zeitlich nicht voraussehen und deswegen auch nicht zeitlich begrenzen den Umfang der Beweisaufnahme. Man kann zeitlich aber auch das weitere Prozeßstadium, den Umfang der Darlegungen der Verteidigung, nicht voraussehen und begrenzen. Der Wert der Verteidigung, und deswegen wird ja die Verteidigung in das Verfahren eingeschaltet, ist doch der, daß ein Mann, der diese berufliche Aufgabe hat und über die entsprechenden Qualitäten verfügt, alles dasjenige dem Gericht vor Augen führt, was er in langer Arbeit in intimen Gesprächen mit seinem Mandanten als erörterungsfähig ansieht. Das muß durch eine derartige Mittelsperson dem Gericht vorgebracht werden. Wie weit er dies vorzubringen [160] hat, muß er als Sachkenner entscheiden. Es kann kein an dem Verfahren Beteiligter, weder das Gericht noch ein Mitverteidiger, auch nur annähernd voraussehen, was in diesem Zusammenhang notwendig und erforderlich ist.

Deswegen glaube ich, daß weder bei der Erhebung der Anklage noch bei der Beweisaufnahme noch bei der Verteidigung irgendwelche Zeitpunkte festgelegt werden können. Wir haben in den anderen Stadien des Prozeßverfahrens ja mit den gleichen Schwierigkeiten zu rechnen gehabt. Ausschlaggebend für eine Begrenzung kann doch eigentlich immer nur der Gesichtspunkt sein, was gehört zur Sache, und was ist sachdienlich. Infolgedessen haben wir ja auch hier während des Beweisverfahrens und bei der Anklage immer wieder erlebt, daß die dirigierenden Klopfzeichen des Herrn Präsidenten, der mit geschickter und gütiger Hand die Verhandlung insoweit gesteuert hat, immer wieder die Verhandlung auf das notwendige Maß beschränkten. Ich sehe nicht ein, warum dieses Verfahren nicht auch bei den Plädoyers angewandt werden kann, und ich glaube, daß bei der selbstverständlichen Disziplin, die jeder sachkennende Vortragende sich selbst gegenüber anwenden wird, daß dann auch tatsächlich eine angemessene Beschränkung der Dauer eintreten wird. Jetzt aber glaube ich, daß wirklich keiner, außer den Selbstbeteiligten – und diese auch nur wahrscheinlich am Ende des gesamten Beweisverfahrens – es überblicken kann, wie lange Zeit in Anspruch genommen werden muß, und infolgedessen verbietet es sich meines Erachtens von selbst, jetzt irgendeine feste zeitliche Regel aufzustellen. Wenn die Bekanntmachung des Gerichts als eine Anregung anzusehen ist, die Plädoyers zu beschränken, und insbesondere nehmen wir sicherlich dankbar den Hinweis auf, in welcher Weise auch die Beleuchtung des Beweismaterials zweckmäßig gehandhabt wird, so werden wir sicherlich zu einem Ergebnis kommen, ohne eine feste Beschränkung – auf Grund der Anregung des Gerichts, uns auf eine Weise zu beschränken, die allen Teilen gerecht wird.

VORSITZENDER: Ich habe nicht die Absicht, im ganzen oder überhaupt auf die Erörterungen einzugehen, die den Gerichtshof zu der Anordnung veranlaßten, die ich heute vormittag bekanntmachte. Ich halte es aber für wünschenswert, daß die Verteidiger, bevor sie formell Einspruch erheben, die Erklärung genauer studieren. Ich möchte jedoch im Namen des Gerichtshofs sagen, daß diese Bekanntmachung nicht zustande kam, ohne daß wir sowohl mit der Verteidigung als auch mit der Anklagevertretung darüber Rücksprache genommen hätten. Das geschah in geschlossener Sitzung. Wir haben sowohl den Anklagevertreter als auch den Anwalt, der – wie wir es verstanden – alle Verteidiger vertrat, angehört. Diese machten den Vorschlag, der ihnen damals richtig [161] schien, und wir haben ihn genau erwogen. Wir legten ihnen nahe, ihre Kollegen darauf aufmerksam zu machen, was in dieser geschlossenen Sitzung vor sich ging. Es ist daher vollkommen unrichtig, wenn Dr. Nelte sagte, daß diese Bekanntgabe erfolgte, ohne daß die Verteidigung gehört wurde.

Ich möchte nur noch hinzufügen, daß unter den vorliegenden Umständen der Gerichtshof sich weiter mit der Frage beschäftigen wird. Der in der Ankündigung gemachte Vorschlag war, daß die 14 Tage, die nach Ansicht des Gerichtshofs für die Schlußplädoyers der Verteidiger genügen sollten, von den Verteidigern freiwillig untereinander aufgeteilt werden sollten. Diese 14 Tage sind volle Tage und werden nicht zu Erörterungen über die Organisationen benützt werden. Bevor die Verteidiger sich nicht bemüht haben, diese Verteilung vorzunehmen, ist es ihnen doch offensichtlich unmöglich zu wissen, ob sie imstande sein werden, ihre Plädoyers zu halten. Diese Plädoyers sollen nicht notwendigerweise detaillierte Prüfungen des Beweismaterials sein, sondern Argumentationen, die den Gerichtshof auf die Hauptpunkte hinweisen, auf die die Verteidigung den Gerichtshof hinzuweisen wünscht. Es wird ihnen nicht möglich sein zu wissen, ob sie ihre Reden innerhalb von 14 Tagen in zufriedenstellender Weise halten können. Aus diesem Grunde wollten sich die Verteidiger erst einmal zusammentun – der Gerichtshof nahm an, daß das schon geschehen sei – und überlegen, ob sie innerhalb jener Zeitspanne ihre Reden in zufriedenstellender Weise vortragen können.

Alle Argumente, die heute vormittag vorgebracht wurden, sind von den Verteidigern, von denen einer übrigens heute früh hier gesprochen hat, bereits in der geschlossenen Sitzung vorgebracht worden.

Und nun wird der Gerichtshof mit der Beweisaufnahme fortfahren.


DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Sie haben gestern auf die letzte Frage des Herrn amerikanischen Anklägers erklärt, daß Ihr Brief eine gewisse Tendenz beabsichtigt habe. Ich frage Sie nun, was war diese Tendenz?


RAINER: Einige Zeit nach dem Anschluß entstanden Hetzereien und Quertreibereien gegen Dr. Seyß-Inquart und einige andere Personen. Sie gingen aus von unzufriedenen und radikalen Elementen in Österreich und auch im Reiche. Sie benützten die zögernde Haltung von Dr. Seyß-Inquart am 11. März, sein Festhalten an der evolutionären Linie und an den Prinzipien der beiden Staatsverträge, um den Vorwurf des Separatismus oder auch noch mehr zu erheben...


DR. STEINBAUER: Vielleicht können Sie das kürzer fassen?


[162] RAINER: Die schienen doch gefährlich zu sein, weil Bürckel und, ich glaube, auch Heydrich dahinter standen. Ich hielt diese Angriffe für unsachlich und bemühte mich daher in meinem Bericht, so zu argumentieren und zu betonen und sie so zu beleuchten, daß die Adressaten die Argumente verstanden und zur Ruhe gebracht wurden.


DR. STEINBAUER: Also, Sie haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe, mit diesem Schreiben die Verdienste der Partei einerseits, unter gleichzeitiger Schonung der Person des Dr. Seyß-Inquart hervorheben wollen?


RAINER: Ja, das kann man auch so ausdrücken.


DR. STEINBAUER: Eine zweite Frage: Sie haben in diesem Brief erwähnt, daß Seyß-Inquart ein Ultimatumschreiben an Schuschnigg mitgebracht hat. Ist Ihnen erinnerlich, daß er dieses Schreiben selbst in seiner Kanzlei diktiert und schreiben hat lassen?


RAINER: Meinen Sie, Herr Doktor, das Schreiben, das am 11. März mittags abgefaßt wurde?


DR. STEINBAUER: Jawohl, jawohl.


RAINER: Ich glaube, daß dieses Schreiben in seiner Kanzlei verfaßt wurde, ich glaube auch, daß ich daran beteiligt war.


DR. STEINBAUER: Dann sagen Sie weiter in diesem Brief, den Ihnen der Herr Ankläger vorgehalten hat: Seyß-Inquart wurde durch die Zusammenarbeit Jurys und Leopolds Staatsrat. Ich frage Sie nun: Haben die beiden Genannten, Dr. Jury und Leopold, überhaupt Einfluß auf Dr. Schuschnigg nehmen können?


RAINER: Nein, das kann auch nicht so gemeint sein.


DR. STEINBAUER: Und der Herr Ankläger hat Ihnen zur Erhärtung seiner Behauptungen gestern ein weiteres Dokument vorgelegt, eine Rede, die Sie als Gauredner in Kärnten gehalten haben. Erinnern Sie sich?


RAINER: Ja.


DR. STEINBAUER: Ist dies eine typische Gaurede gewesen, das heißt nach den Gesichtspunkten der Goebbelsschen Propaganda: die eigenen Verdienste herausstreichen und die Gegner schlecht machen?


RAINER: Das möchte ich nicht sagen. Es war ein Kameradschaftsabend der »Alten Garde« anläßlich des 11. März mit Bierkonsum und mit Musik, und ich habe dabei nur in Form einer Erzählung die Ereignisse geschildert und sehr lange gesprochen. Es war meine längste Rede, sie hat über drei Stunden gedauert. Ich hielt sie vollkommen frei aus dem Kopf, hatte keine Unterlage, und das Stenogramm, das hier offensichtlich vorliegt, scheint mir mit den Ausführungen durchaus nicht in allen Punkten übereinzustimmen.


[163] DR. STEINBAUER: Also, Sie meinen, daß es mehr die Absicht gehabt hat, eine Wirkung auf Ihre Parteianhänger zu machen, als Geschichte zu schreiben?


RAINER: Selbstverständlich.


DR. STEINBAUER: Danke, das genügt mir. Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen.


DR. KUBUSCHOK: Im gestrigen Kreuzverhör ist erwähnt worden, daß Sie einmal mit Herrn von Papen in Garmisch zusammengewesen sind. Was haben Sie damals mit Herrn von Papen besprochen, und wie ist es überhaupt zu diesem Gespräch gekommen?


RAINER: Dr. Seyß-Inquart und ich wurden vom Reichssportführer nach Garmisch eingeladen. Es sollte über den Deutsch-Österreichischen Alpenverein gesprochen werden.

Wir waren mit Tschammer beim Bobrennen am Rießer See, und dort trafen wir auch Herrn von Papen. Wir gingen dann, von Papen, Seyß-Inquart und ich, zu Fuß von dort zurück nach Garmisch, und es wurde dabei auch über die politische Situation und den bevorstehenden...


VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Diese Einzelheiten sind absolut unnötig. Ich nehme an, der Zweck der Frage war, daß die Unterhaltung nicht politisch war. War das der Zweck der Frage?


DR. KUBUSCHOK: Die Unterhaltung ist politisch gewesen, aber es kommt auf die Art der Politik in dieser Unterhaltung an.

Also, Herr Zeuge, vielleicht beschränken Sie sich. Sie haben jetzt ausgeführt ein zufälliges Zusammentreffen. Sie gehen von der Bobbahn zurück. Was war der Inhalt des Gespräches?


RAINER: Es wurde über die Situation in Österreich gesprochen, über den Stand der Befriedung und über die einzelnen Punkte, wenn auch nicht erschöpfend, die bei der bevorstehenden Zusammenkunft interessant sein konnten.


DR. KUBUSCHOK: Ganz allgemein also; ist irgend etwas gesprochen worden, was der Art nach das Licht der österreichischen Öffentlichkeit hätte scheuen können?


RAINER: Nein.


DR. KUBUSCHOK: Es waren Dinge, die mit der Ausführung des Julivertrags in Übereinstimmung standen?


RAINER: Ja. Natürlich.


DR. KUBUSCHOK: Dann haben Sie an einer Stelle in der Rede, die schon erwähnt worden ist, darauf hingewiesen, daß Sie noch mit anderen Herren am Abend des 9. März 1938 in der Wohnung [164] des Herrn von Papen gewesen seien. Ich möchte gern wissen, ob es sich hier um eine festgelegte Zusammenkunft handelt, oder ob es mehr oder minder zufällig war?

RAINER: Das Zusammenkommen war zufällig, und ich weiß auch nicht mehr, wer es arrangiert hat. Das Gespräch drehte sich natürlicherweise um die durch Schuschniggs Abstimmungsplan sich ergebende Situation, die ja so neu und überraschend war, daß wir sie nach allen Seiten durchzudenken und in der Debatte zu klären versuchten.


DR. KUBUSCHOK: Wie war die Stellung des Herrn von Papen bei dieser Besprechung?


RAINER: Ich erinnere mich, daß Herr von Papen, der übrigens nur zufällig an diesem Abend in Wien war, sich reserviert verhielt, und ich glaube auch, daß er ein »Ja-Stimmen« für durchaus der Situation entsprechend gehalten hat.


DR. KUBUSCHOK: Aus welchem Grunde glauben Sie, daß er eine »Ja-Stimme« für vertretbar erachtet hat oder für notwendig erachtet hat; aus praktischen Gründen oder mit Rücksicht auf die von der Österreichischen Regierung gegebene Fragestellung?


RAINER: Mit Rücksicht auf die Fragestellung.


DR. KUBUSCHOK: Auch hier wieder die Frage: Dasjenige, was erörtert worden ist, stellt das irgendwie eine Zusammenkunft zu einer speziellen Besprechung dar, oder ist es eine mehr aus dem gegebenen Anlaß sich zusammenfindende gesellschaftliche Zusammenkunft, bei der man der Zeit entsprechend auf dieses aktuelle politische Thema zu sprechen gekommen ist?


RAINER: Es war eine zufällige und sich durch die zufällige Anwesenheit Papens in Wien angesichts der neuen politischen Situation ergebende Zusammenkunft, die völlig improvisiert entstanden ist.


DR. KUBUSCHOK: Sind irgendwelche Beschlüsse gefaßt worden?


RAINER: Nein.


DR. KUBUSCHOK: Danke.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. STEINBAUER: Ich rufe mit Genehmigung des Gerichts den Zeugen Dr. Guido Schmidt auf.


[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

ZEUGE DR. GUIDO SCHMIDT: Dr. Guido Schmidt.


[165] VORSITZENDER: Sprechen Sie mir den folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Welche Stellungen bekleideten Sie in der Österreichischen Republik?


SCHMIDT: Ich war von Beruf Diplomat und wurde unter Bundeskanzler Dr. Seipel in den österreichischen Auswärtigen Dienst aufgenommen, gehörte dann etwa sechs Jahre der Österreichischen Gesandtschaft in Paris an. Von dort wurde ich 1936 abberufen und dem Österreichischen Staat zugeteilt zu Dienstleistungen im Verkehr mit dem diplomatischen Korps und dem Ministerium des Äußeren. Im Jahre 1936 wurde ich unter Bundeskanzler Schuschnigg Staatssekretär und später Minister des Äußeren. Ich gehörte der Regierung Schuschniggs bis zu seiner gewaltsam erzwungenen Demission an. Ich habe mich von dieser Stunde an in keiner Weise politisch betätigt.


DR. STEINBAUER: Welche außen- und wirtschaftspolitischen Gründe führten zu dem bekannten Regierungsübereinkommen vom 11. Juli 1936?


SCHMIDT: Mit Beginn des Jahres 1936 hatte sich die außenpolitische Lage Österreichs zuungunsten Österreichs verändert. Nach den Juliereignissen 1934 haben England, Frankreich und Italien in Stresa eine Dreimächteerklärung unterfertigt, betreffend die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit. Über die bis dahin bestandenen internationalen Bindungen hinausgehend, haben diese drei Mächte nunmehr eine neue Garantie für die Erhaltung Österreichs geschaffen, die Stresa-Front, die auch das ganze Jahr 1935 die Schutzfunktion für Österreich erfüllte. Der Zusammenbruch der Stresa-Front infolge des abessinischen Unternehmens Mussolinis bedeutete für Österreich den Verlust der einzigen praktischen internationalen Garantie und für Bundeskanzler Schuschnigg die Schaffung einer völlig neuen Situation. Nach seinem außenpolitischen Konzept sollte die österreichische Unabhängigkeit nicht nur auf den Schultern Italiens, sondern, wenn möglich, auch auf anderen Schultern, also auf England und Frankreich, verteilt sein. Dazu kommen nun die Schwierigkeiten, die sich aus der Entwicklung der europäischen Lage ergaben, etwa seit 7. März 1936, dem Tage, an dem Adolf Hitler als Beginn seiner kommenden Überraschungspolitik das Rheinland besetzte, ohne bei den Westmächten auf einen ernsten Widerstand zu stoßen. Es mußte daher[166] auch bei der Österreichischen Regierung Besorgnisse auslösen und die Befürchtung, daß eines Tages auch in der österreichischen Frage eine Lösung der Überraschung oder, wie wir später gesehen haben, der Gewalt kommen könnte. Diese Gründe müssen aufgeführt werden, wenn wir uns nach den Erwägungen, die bei Zustandekommen des Abkommens zugrunde lagen, fragen; wie ebensosehr auch die beginnende Annäherung zwischen Rom und Berlin, die etwa in diese Zeit fällt, zurückzuführen war auf die Sanktionspolitik des Völkerbundes. Österreich, zwischen Italien und Deutschland gelegen, mußte damit rechnen, daß eines Tages die bis dahin seit Dollfuß bestandene österreichisch-italienische Freundschaft der intimeren Annäherung zwischen Rom und Berlin zum Opfer fallen werde. Aus diesem Grunde und aus anderen Erwägungen entschloß sich somit Herr Dr. Schuschnigg, den Weg zu einer Verbesserung der Beziehungen, das heißt, der Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich, zu gehen. Es ist vielleicht nützlich, in diesem Zusammenhang etwa einige Grundsätze über das außenpolitische Denken Österreichs zu sagen. Grundtendenz der österreichischen Außenpolitik war die Erhaltung der österreichischen Unabhängigkeit. Die österreichische Außenpolitik fußte ferner auf der Erkenntnis der äußerst schwierigen und heiklen geographischen Lage dieses Landes, eingekeilt zwischen zwei autoritären Staaten im Schnittpunkt der Ideologie Europas. Es mußte also Aufgabe werden der österreichischen Außenpolitik, sich auch mit dem großen Nachbarn, dem Deutschen Reich, eines Tages zu verständigen. Die Außenpolitik mußte ferner auf der Entschlossenheit fußen, alles zu vermeiden, was zu einem Konflikt mit dem Deutschen Reich hätte führen können, alles zu vermeiden, was zu einem Konflikt mit dem Deutschen Reich hätte reizen können, um einer Gewaltaktion, die nun einmal zu befürchten war seit dem 7. März, auszuweichen. Es waren also realpolitische Gründe der außenpolitischen Ordnung maßgeblich bei diesem Entschluß, die Beziehungen zum Deutschen Reich, zu dessen Sprachgebiet wir gehörten, und die unnatürlicherweise bis dahin unterbrochen waren, wieder in Ordnung zu bringen. Neben den außenpolitischen Gründen waren es aber auch wirtschaftliche Erwägungen. Die Weltwirtschaftskrise hatte Österreich, dessen wirtschaftliche Konstitution gewiß lebensfähig, aber doch äußerst schwach war, besonders hart getroffen. Dies verstehen wir nur dann, wenn wir einen Blick zurücktun bis in die Anfänge dieses jungen Staates. Von vornherein hatten alle Nachbarländer Österreichs eine Wirtschaftspolitik des Egoismus, chauvinistischer Eigeninteressen betrieben, und es war in keinem Falle gelungen, zu einer wirklichen, engen Zusammenarbeit aller Donauländer zu kommen. Wohl fanden sich einzelne Kombinationen, wie zum Beispiel die Römer-Protokolle, aber das gegenseitige Mißtrauen, das alle aus ihrem früheren Dach, [167] aus dem gemeinsamen Dach der österreichischen Monarchie, mitgebracht hatten, war bestehen geblieben, stand hemmend vor allen derartigen an sich gesunden Entwicklungen.

Es kommen dann seit 1931, dem Beginn der Weltwirtschaftskrise, eine Reihe von Versuchen, die damals gemacht wurden, um Abhilfe zu schaffen. Ich erwähne sie nur stufenweise. Es beginnt mit dem Versuch der Regierung zur Schaffung einer Zollunion, der an dem Widerstand des Völkerbundes scheiterte. Es erfolgt 1932 das Bemühen Frankreichs, Österreich und Ungarn in die Kleine Entente zu bringen und hier zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu kommen. Auch hier wieder Widerstand seitens Deutschlands und Italiens. Auch England verhielt sich damals ablehnend. 1933 kommt zur wirtschaftlichen Notlage noch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, noch der innerpolitische Kampf. Auch der hatte seine Rückwirkungen auf das wirtschaftliche Leben in Österreich, weil nunmehr auch die Wirtschaft als Kampfmittel in die innerpolitische Auseinandersetzung hereingezogen wurde.


VORSITZENDER: Das ist ohne Zweifel interessant, aber es hat vielleicht nur entfernt etwas mit den Fragen zu tun, die der Gerichtshof zu entscheiden hat. Ich weiß nicht, ob sich der Zeuge für Ihren Zweck in ausreichender Weise damit befaßt hat.


DR. STEINBAUER: Herr Präsident! Ich wollte durch diese Darstellung nur zeigen, daß wirtschaftlich und außenpolitisch gesehen die Situation so war, daß die Rolle des Angeklagten eigentlich dadurch stark in den Hintergrund gedrängt wurde. Aber bitte, wir können jetzt fortfahren.


[Zum Zeugen gewandt:]


Herr Zeuge! Wenn Sie sich vielleicht ganz kurz fassen.

SCHMIDT: Den Schluß?

DR. STEINBAUER: Ja.


SCHMIDT: All dies führte nunmehr zum Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen des Deutschen Reiches, und hiermit tritt der Kampf, der Lebenskampf Österreichs um seine wirtschaftliche Existenz in eine sehr heiße Phase. Aus diesen Erwägungen heraus, also auch aus wirtschaftlichen Gründen, versuchte nunmehr Bundeskanzler Schuschnigg mit dem Deutschen Reich zu einer Verständigung zu gelangen und die wirtschaftlichen Beziehungen, die bis dahin völlig abgebrochen waren, wieder zu normalisieren, also Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre, Wiederbelebung des Fremdenverkehrs, Wiederbelebung des Flusses der Wirtschaftsgüter, damit Stillen der Klagen, die ja auch aus den Provinzen in Österreich gekommen waren wegen des Absatzes der landwirtschaftlichen[168] Produkte, Holz, Getreide, Vieh und so weiter. Das sind im großen und ganzen die wesentlichen Erwägungen gewesen.


DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Ich frage Sie nun: Hat Dr. Seyß-Inquart bei Vorbereitung oder beim Abschluß dieses Übereinkommens vom Juli 1936 mitgewirkt?


SCHMIDT: Nein. Der Bundeskanzler Schuschnigg arbeitete bei diesen Verhandlungen ausschließlich mit Minister Glaise-Horstenau, der als Vertreter der sogenannten nationalen Opposition fungierte.


VORSITZENDER: Es tut mir leid, es gibt wieder eine Störung in der Leitung; machen wir also eine Pause.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Dr. Seyß-Inquart ist dann im Frühjahr 1937 in die Politik eingetreten, und Sie haben ihn vermutlich damals erst kennengelernt?

SCHMIDT: Ja, ich lernte ihn erst im Sommer 1937 kennen.


DR. STEINBAUER: Ich gehe nun zeitlich weiter und möchte Sie fragen: Welche innen- und außenpolitischen Gründe führten nun zu der bekannten Zusammenkunft Adolf Hitlers und Dr. Schuschniggs in Berchtesgaden?


SCHMIDT: Diese Frage erfordert doch eine sehr eingehende Beantwortung. Ich bitte um die Erlaubnis, mich etwas ausführlicher fassen zu dürfen zu diesem Punkte.

Um die Jahreswende 1937/1938 war neuerdings eine Verschlechterung der außenpolitischen Lage Österreichs eingetreten. Italien war zugunsten Francos in Spanien ein Engagement eingegangen, das sein militärisches und politisches Gewicht in zentral-europäischen Fragen weiter herabsetzte. Was wir die »Wacht am Brenner« nennen, hatte praktisch zu bestehen aufgehört, und Deutschland hatte wohl weitgehend freie Hand gegenüber Österreich bekommen.


VORSITZENDER: Herr Dr. Steinbauer! Der Gerichtshof hat Kenntnis der Geschichte dieser Zeit, und es ist wirklich nicht notwendig, das hier im einzelnen zu behandeln.


DR. STEINBAUER: Herr Zeuge! Dann möchte ich Sie bitten, mir zu sagen, waren Sie damals mit am Obersalzberg?


SCHMIDT: Ja. Ich möchte hinzufügen, wenn ich die geschichtliche Entwicklung übergehen soll – als solche mußte ich die Frage auffassen –, daß der Bundeskanzler die Einladung angenommen hat, um Österreich den Vorwurf zu ersparen, es hätte einen friedlichen Versuch zur Bereinigung der bestehenden Differenzen zwischen Österreich und dem Deutschen Reich ausgeschlagen. Der Bundeskanzler war also keineswegs etwa optimistisch gewesen; dies schon deshalb nicht, weil die bestehenden Meinungsdifferenzen [169] sehr groß waren und auch nicht im Hinblick auf die Persönlichkeit des Gesprächspartners. Ich erinnere mich, daß Schuschnigg mir vor der Abreise sagte, er wäre der Meinung, daß es vielleicht besser gewesen wäre, Professor Wagner-Jauregg, Wiens größten Psychiater, an seiner Stelle zu entsenden. Er hat es aber getan, weil er angesichts der äußerst heiklen und exponierten Lage Österreichs glaubte annehmen zu müssen, um eine Gewaltaktion zu vermeiden und Zeit zu gewinnen; Zeit zu gewinnen, bis sich die internationale Lage zugunsten Österreichs verbessern könnte. Leider haben wir recht gehabt in der Besorgnis eines kommenden Angriffs oder einer kommenden Schwierigkeit, haben wir recht gehabt in der Befürchtung, daß Österreich ganz allein gelassen würde. Die Erkenntnis dieses völligen Verlassenseins war also mit vielleicht einer der wesentlichsten Gründe Schuschniggs, zusammen mit der Erwägung, diese schwierige Zeit zu überbrücken und Zeit zu gewinnen. Österreich mußte diesen schweren Weg in die dunkle Zeit, die sich nun auftat in den letzten Wintertagen 1937/1938, in Berchtesgaden bis März 1938, ohne das Licht einer nahen oder fernen Hilfe gehen. So kam es zu Berchtesgaden.


DR. STEINBAUER: Haben Sie nun von den bekannten Vorgängen in Berchtesgaden als Außenminister die Großmächte verständigt?


SCHMIDT: Ja. Entgegen vielfachen Behauptungen der Presse wurden die interessierten Großmächte eingehend sowohl vor Berchtesgaden wie nach Berchtesgaden unterrichtet. Ich habe dem Leiter der Politischen Abteilung – an diese wendet sich bekanntlich das Diplomatische Korps zuerst – alles Material sowohl materieller wie formeller Natur zur Verfügung gestellt. Der Bundeskanzler selbst und ich haben die in Wien akkreditierten Vertreter eingehend unterrichtet und auch auf die gefahrvolle Lage des Landes aufmerksam gemacht.


VORSITZENDER: Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Wir wollen die Einzelheiten nicht. Sie haben gesagt, daß Sie die fremden Staaten vorher und nachher unterrichtet hätten; das genügt.


DR. STEINBAUER: Wir kehren jetzt zum Angeklagten zurück. Ich frage Sie, hat Dr. Seyß-Inquart an diesen Besprechungen teilgenommen?


SCHMIDT: An welchen Besprechungen?


DR. STEINBAUER: In Berchtesgaden.


SCHMIDT: Nein.


DR. STEINBAUER: Er ist dann Innenminister und Polizeiminister geworden und zu Hitler gefahren nach Berlin. Meldete er den Inhalt seiner ersten Besprechung mit Adolf Hitler an Schuschnigg?


[170] SCHMIDT: Das ist mir nicht bekannt. Wohl aber weiß ich einzelne Äußerungen von Staatssekretär Zernatto, aus denen ich schließen kann, daß eine Unterhaltung über diese Besprechung zwischen Minister Zernatto, dem Leiter der Vaterländischen Front, und Seyß-Inquart stattgefunden haben muß.

DR. STEINBAUER: Es ist daher anzunehmen, daß durch Zernatto auch Schuschnigg davon Kenntnis erhalten hat?


SCHMIDT: Ja, ich nehme an.


DR. STEINBAUER: Wir gehen jetzt zeitlich wieder weiter. Es kommen nun die Märztage; Schuschnigg plant eine Volksabstimmung. Ist Ihnen bekannt, ob Schuschnigg hiervon Seyß-Inquart verständigt und mit ihm gesprochen hat?


SCHMIDT: Ja. Seyß-Inquart wurde davon verständigt. Ich habe erfahren, daß auch etwa um den 10. März eine Einigung zwischen Seyß-Inquart und dem Bundeskanzler stattgefunden hat; denn der Kanzler erzählte mir, daß Seyß-Inquart sich sogar bereitgefunden habe, für die Wahl am Radio zu sprechen.


DR. STEINBAUER: Als nun Glaise-Horstenau berichtete, daß ein Einmarsch drohe, haben Sie in Ihrer Eigenschaft als Außenminister die auswärtigen Mächte hiervon verständigt?


SCHMIDT: Ja. Eine direkte Mitteilung von Glaise-Horstenau habe ich nicht erhalten. Ich erfuhr von der kritischen Lage erst durch das ultimative Schreiben, in dem die Absetzung des vom Bundeskanzler für den 13. März ausgeschriebenen Plebiszites verlangt wurde. Von da ab hat den ganzen März... den 11. März hindurch, Kontakt mit dem diplomatischen Korps in Wien und später, in den Stunden darauf, auch mit unseren Auslandsvertretungen bestanden.


DR. STEINBAUER: Es haben sich dann die Forderungen des Deutschen Reiches überstürzt; insbesondere wurde auch die Forderung gestellt, daß Schuschnigg zurücktreten müsse. Die Minister waren versammelt, und da soll ein Regierungsmitglied zu Seyß-Inquart folgendes gesagt haben: »Wir sehen jetzt klar, daß das Reich mit Österreich Schluß macht. Es ist das beste, daß Seyß-Inquart das Bundesamt übernähme, damit der Übergang wenigstens erträglich wäre.« Erinnern Sie sich an eine derartige Äußerung?


SCHMIDT: Nein. Ich habe lediglich später von einer Äußerung des Ministers Glaise-Horstenau erfahren, die die besagte Aufforderung an Seyß-Inquart beinhaltete.


DR. STEINBAUER: Haben Sie den Eindruck gehabt, daß mit der Abschiedsrede Schuschniggs auch die von ihm geführte Vaterländische Front zusammenbrach?


[171] SCHMIDT: Ich glaube, die Frage trifft nicht die Situation. Es wurde ja die Demission des Kanzlers ultimativ gefordert und schließlich der Staat überrannt, so daß natürlich damit die Existenz der Vaterländischen Front auch hinweggefallen war, denn mit dem Einmarsch der deutschen Truppen war der Nationalsozialismus eine Realität geworden, die wohl, das hat ja die Entwicklung gezeigt, der Vaterländischen Front kein Leben mehr ließ.


DR. STEINBAUER: Seyß-Inquart wurde dann zum Bundeskanzler designiert, hat seine Kabinettsliste zusammengestellt und Sie, Herr Zeuge, als Außenminister in Aussicht gestellt. Ist das richtig?


SCHMIDT: Das ist richtig. Ich habe abgelehnt. Ich wurde noch einmal aufgefordert, habe neuerdings mich geweigert und darauf nach dem Grunde gefragt. Da hat mir Seyß-Inquart erklärt, er habe die Absicht, Österreich, so lange es ginge, selbständig zu halten. Er fürchte, mit seiner Regierung nationalsozialistischer Majorität im Westen auf Schwierigkeiten zu stoßen und wolle daher der Regierung meine diplomatischen Erfahrungen und Beziehungen erhalten. Er fügte hinzu, er habe die Absicht, durch Heranziehung positiver österreichischer Vertreter, eine breitere Plattform für diese Regierung zu schaffen.


DR. STEINBAUER: Haben Sie Namen solcher positiver Österreicher in dieser Ministerliste vorgefunden?


SCHMIDT: Es kamen Namen dieser Art vor. Ich habe mir selbst schon den Kopf zerbrochen, kann mich aber mit Bestimmtheit an einzelne nicht mehr erinnern.


DR. STEINBAUER: Ist Ihnen bekannt, warum dann eine andere Liste von Ministern zustande gekommen ist, die die endgültige war?


SCHMIDT: In den Abendstunden traf Staatssekretär Keppler aus Berlin ein, und wie ich später erfuhr, lehnte er mich und, ich glaube, auch noch andere, wenigstens von einem Mann glaube ich es zu wissen, ab. Ich glaube, daß er auch den Vorschlag machte im Auftrage Berlins, daß Weber das Außenministerium übernehmen solle. So fiel diese Liste weg, und Seyß bemühte sich nicht mehr, mich von meinem negativen Entschluß abzubringen.


DR. STEINBAUER: Glauben Sie, daß Seyß-Inquart die Absicht gehabt hat, Österreich, zwar unter nationalsozialistischer Führung, unabhängig zu erhalten?


SCHMIDT: Als Zeuge kann ich nur sagen, was ich weiß. Meinungsäußerungen sind sehr schwer. Ich habe diese Erklärung, die er mir gegeben hat, festgestellt.


DR. STEINBAUER: Danke, dann habe ich keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen.


[172] DR. KUBUSCHOK: Laut einer Erklärung des seinerzeitigen Amerikanischen Gesandten in Wien, Mr. Messersmith, soll Herr von Papen bei Beginn seiner Wiener Tätigkeit sich dahin geäußert haben, seine wirkliche Aufgabe in Wien sei die wirtschaftliche und politische Einverleibung Südosteuropas durch Deutschland. Südosteuropa sei das natürliche Hinterland Deutschlands. Haben Sie, Herr Zeuge, von einer solchen Äußerung einmal Kenntnis erhalten?


SCHMIDT: Nein. Bei dem engen Verkehr, den ich immerhin schon vor meiner Ernennung zum Regierungsmitglied, dann insbesondere später mit dem Gesandten Messersmith hatte, hätte ich wohl davon erfahren. Ich nehme an, daß dieser Frage aber doch nicht irgendeine besondere Bedeutung beigemessen wurde, weil es sich bei ersten Besuchen zwischen Diplomaten in der Regel ergibt, daß sie eine »Tour d'horizon« machen und beide Länder interessierende, allgemeine politische Fragen erörtern.

Ich habe ja auch später nicht festgestellt, daß Südosteuropapolitik von der Deutschen Gesandtschaft aus betrieben worden wäre.


DR. KUBUSCHOK: Nach den gleichen Angaben des Mr. Messersmith soll damals Herr von Papen auch geäußert haben, er arbeite auf die Schwächung und Unterminierung der Österreichischen Regierung hin. Hat der Zeuge Messersmith Ihnen eine derartige Äußerung des Herrn von Papen einmal wiedergegeben?

SCHMIDT: Nein.


DR. KUBUSCHOK: Hielt die Österreichische Regierung es für nützlich und notwendig, die Beziehungen zum Reich durch ein Abkommen, wie es im Juli 1936 geschah, wieder zu normalisieren?


SCHMIDT: Ja. Ich habe die realpolitischen Gründe bereits auseinandergesetzt, die also außenpolitischer und wirtschaftlicher Art waren.


DR. KUBUSCHOK: Waren hierbei und auch bei den späteren Verhandlungen innerpolitische Gründe, insbesondere die Regelung der Parteifrage mitbestimmend?


SCHMIDT: Selbstverständlich war es die Aufgabe der Regierung, die innerpolitische Spannung zu lösen. Der Bundeskanzler mußte sich bemühen, Wege aus der schwierigen Situation, die er von Dollfuß geerbt hatte, durch Abbau der innerpolitischen Fronten zu suchen.


DR. KUBUSCHOK: Glauben Sie, daß Herr von Papen den Julivertrag 1936 in betrügerischer Absicht abgeschlossen hat?


SCHMIDT: Nein. Ich habe keinen Anlaß gehabt festzustellen, daß er in diesem Abkommen nicht einen ernsten Versuch zur Schaffung eines Modus vivendi zwischen Österreich und dem Reich [173] erblickt hätte. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß es schließlich nur ein Modus mali vivendi wurde.


DR. KUBUSCHOK: Wurde deutscherseits darüber Klage geführt, daß auch nach dem Abkommen vom 11. Juli 1936 keine wesentliche Änderung des innerpolitischen Kurses der Österreichischen Regierung eingetreten sei?


SCHMIDT: Ja. Derartige Vorhaltungen kehrten immer wieder. Damit kommen wir auch auf die letzte und wirkliche Ursache des Konflikts mit dem Reich. Kampf dem Nationalsozialismus im Innern im Interesse der Erhaltung der Selbständigkeit des Landes und Zusammenarbeit auf Grund des Vertrags vom 11. Juli mit dem Deutschen Reich, dessen Führung nationalsozialistisch war, waren zwei gebieterische Forderungen, die sich für die Österreichische Regierung auf die Dauer als unvereinbar erwiesen. Damit beleuchten wir auch die Schwierigkeiten der Aufgabe aller, die mit der Durchführung dieses Vertrags in Wien zu tun hatten, auch des Deutschen Gesandten.


DR. KUBUSCHOK: Waren auf Grund dieser Verhältnisse, insbesondere dann des Juli-Abkommens, auch Fragen der inneren Politik, zum Beispiel sachliche und personelle Fragen der sogenannten nationalen Opposition, Gegenstand von Erörterungen zwischen dem Bundeskanzler und Herrn von Papen?


SCHMIDT: Die eben geschilderte Lage zeigt, daß derartige Erörterungen wohl unvermeidlich waren und daß auch zwischen dem Bundeskanzler und dem Deutschen Gesandten, wie ja auch mit dem Italienischen Gesandten, Unterhaltungen über die innerpolitische Lage stattgefunden haben. Dies ist, auch allgemein gesehen, wohl nicht unüblich. Ich kenne keine diplomatischen Memoiren, die nicht auch Aufzeichnungen dieser Art enthalten würden. Zu Einmischungsversuchen hätte es der Bundeskanzler allerdings in keinem Punkte, in keinem Falle, kommen lassen. In personellen Fragen war nun Schuschnigg besonders zurückhaltend, weil er Angst – wenn ich so sagen darf – vortrojanischen Pferden hatte.

Das dürfte ungefähr die Situation darstellen, die in solchen Besprechungen zwischen Kanzler einerseits und dem Deutschen Gesandten andererseits besprochen wurde.


DR. KUBUSCHOK: Trat der Gegensatz des Herrn von Papen zu den Methoden der illegalen Partei deutlich in Erscheinung?


SCHMIDT: Ja. Nach den der Regierung zugekommenen Informationen hat die illegale Parteileitung, also insbesondere Leopold, Papen abgelehnt. Dies ist gewiß auch auf Verschiedenheiten grundsätzlicher Art, also auch grundsätzlich verschiedene politische Auffassungen und verschiedene politische Wege, zurückzuführen, die [174] Papen einerseits und die illegale Parteileitung andererseits zu gehen entschlossen waren.


DR. KUBUSCHOK: Hat Herr von Papen unter Berufung auf das Juli-Abkommen jemals in den österreichischen außenpolitischen Fragen eine aggressive Haltung eingenommen?


SCHMIDT: Es gab zwischen Österreich und dem Reich nicht nur auf kulturellem innerpolitischem Gebiet, sondern auch auf außenpolitischem Gebiet unüberbrückbare Meinungsdifferenzen. Ich erwähne kurz die Forderung des Reiches, Österreich solle aus dem Völkerbund austreten, die wir mit dem Hinweis auf die geographisch-geschichtlich begründete kontinentale Sendung Österreichs und auf die Völkerbundsanleihen zurückwiesen.

Ein zweiter Punkt wäre die Haltung Österreichs...


VORSITZENDER: Ist das überhaupt eine Antwort auf die Frage, die Sie ihm gestellt haben?


DR. KUBUSCHOK: Er bringt erst eine Einleitung zur Antwort.


VORSITZENDER: Bitte, versuchen Sie, die Antwort darauf zu erhalten. Bringen Sie den Zeugen zum Thema und lassen Sie die Einleitung fort.


DR. KUBUSCHOK: Es kommt mir darauf an zu wissen, ob Herr von Papen Möglichkeiten für eine aggressive Einmischung in die österreichische Außenpolitik in den einzelnen von Ihnen genannten Fällen ausgenutzt hat oder nicht.


SCHMIDT: Das wollte ich mit meinen Worten dartun, daß trotz der bestehenden tiefgreifenden Differenz dies nicht geschehen ist und daß vielleicht ein Gesandter radikalerer Einstellung gewisse Gelegenheit und Anlaß zu einem schärferen Vorgehen gegen Österreich genommen hätte. Wir haben nicht in einem einzigen Fall uns mit dem Deutschen Reich über ein gemeinsames außenpolitisches Vorgehen verständigt. Papen hat wohl daran erinnert, aber bei der Erinnerung ist es geblieben. Also von einer Aggression oder von einer aggressiven Tätigkeit, besser gesagt, kann ich auf diesem Gebiete nicht reden.


DR. KUBUSCHOK: Hat im Gegenteil Herr von Papen auch teilweise besonders aktiv vermittelnd gewirkt? Ich möchte an den Fall Pinkafeld erinnern.


SCHMIDT: Der Flaggenzwischenfall von Pinkafeld ist ein Beispiel der vermittelnden Tätigkeit, die Papen ausgeübt hat. An und für sich ein völlig harmloser Zwischenfall führte zu Einmarschdrohungen seitens Hitler. Papen wurde nach Berlin zitiert und hatte alle Mühe, Hitlers Zorn, der, wie ich sagte, bis zu Einmarschdrohungen führte, zu beschwichtigen.


[175] VORSITZENDER: Herr Zeuge! Es wäre dem Gerichtshof willkommen, wenn Sie etwas schneller sprächen.


SCHMIDT: Der Fall ist dann auch ohne irgendwelche Schwierigkeiten durch Herrn von Papen beigelegt worden.


DR. KUBUSCHOK: Ist beigelegt worden. Hat sich Herr von Papen Ihnen gegenüber über die Gründe seiner Abberufung am 4. Februar 1938 ausgesprochen?


SCHMIDT: Er gab bei einem Besuch am 5. früh seiner Verwunderung und seinem Zorn, möchte ich sagen, über seine Abberufung Ausdruck, die nach seiner und auch unserer Meinung durch die personellen Veränderungen des 4. Februar 1938, Abberufung des Generaloberst Fritsch und 30 anderer Generale, Abberufung Neuraths, in einem besonderen Licht standen und die auch für Österreich nicht ohne Auswirkung bleiben sollte, wie er meinte, insbesondere im Hinblick auf die uns damals genannte Person seines Nachfolgers, als der Bürckel oder Generalkonsul Knebel in Aussicht genommen war. Das war ungefähr die Darstellung, die Papen mir und, glaube ich, auch dem Bundeskanzler gegeben hat.


DR. KUBUSCHOK: Er glaubte also und befürchtete, daß nunmehr sein Nachfolger eine verschärfte Politik gegenüber Österreich einschlagen würde?


SCHMIDT: Im Hinblick auf die beiden genannten Personen mußte darauf geschlossen werden.


DIR. KUBUSCHOK: Hat Herr von Papen sich bei den Besprechungen in Berchtesgaden an dem auf Sie und Schuschnigg ausgeübten Druck beteiligt?


SCHMIDT: Nein, Papen hat keinen Druck ausgeübt.


DR. KUBUSCHOK: Hat er vielmehr, soweit er überhaupt Gelegenheit hatte, sich an der Verhandlung zu beteiligen, versucht, die Forderungen Hitlers abzuschwächen?


SCHMIDT: Bei der Atmosphäre der Gewalttätigkeit, die herrschte, und dem Forderungsprogramm, das vorgelegt wurde, war dies, möchte ich sagen, nicht schwer. Ich glaube, daß er wie mancher Anwesende die Ruhe herzustellen bemüht war, um irgendeinen vernünftigen Verlauf der Verhandlungen zu sichern.


DR. KUBUSCHOK: Es sind im Laufe der Verhandlungen ja auch eine Anzahl von Konzessionen gemacht worden. Glauben Sie, daß die Gesamthaltung, die Gesamtbeteiligung des Herrn von Papen bei dieser Verhandlung insoweit mäßigend gewirkt und zu diesem für Sie praktischen Erfolg geführt hat?


SCHMIDT: Die Gesamthaltung war gewiß vermittelnd. Von Erfolg kann man in Berchtesgaden, soweit das Ergebnis zur Diskussion steht, nicht sprechen. Daran ist aber von Papen nicht schuld.


[176] VORSITZENDER: Dr. Kubuschok! Glauben Sie, daß Sie in ein paar Minuten zu Ende sein können?


DR. KUBUSCHOK: Ja.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich glaube, für die Beantwortung meiner Frage wäre es besser, wenn Sie nicht das Schlußergebnis von Berchtesgaden betrachten, sondern mehr die Tatsache, daß Ihnen Hitler ein sehr großes Forderungsprogramm, weit über das endgültige Ergebnis hinausgehend, vorgelegt hat, wenn Sie berücksichtigen, daß eben tatsächlich einige für Sie sehr wichtige Punkte im Laufe der Verhandlungen abgeändert worden sind.

SCHMIDT: Soweit nun eine Hilfe von der anderen Seite in Frage kam, kam sie von Herrn von Papen.

DR. KUBUSCHOK: Ist Ihnen vielleicht in Erinnerung, daß die Verhandlungen Hitler-Schuschnigg insbesondere deswegen einen besonders heftigen Verlauf nahmen, weil Hitler Schuschnigg in seiner deutschen Haltung bestimmte, und daß Herr von Papen Schuschnigg hierbei zu Hilfe kam, und daß dadurch für Schuschnigg eine Besserung der Anfangsverhandlungssituation geschaffen wurde?


SCHMIDT: Ich war bei den ersten Besprechungen, also etwa die erste Stunde oder zweite Stunde nicht zugegen; ich kann daher diese Frage nicht beantworten.


DR. KUBUSCHOK: Die letzte Frage: Hat Herr von Papen nach dem 26. Februar, dem Tag, an dem er sich beim Bundespräsidenten verabschiedete, noch irgendeine amtliche Tätigkeit in Wien ausgeübt?


SCHMIDT: Nein. Die Leitung der Wiener Gesandtschaft wurde vom Geschäftsträger, Botschaftsrat von Stein, übernommen, der die beiden bekannten offiziellen Demarchen des Reiches, also Protest gegen die von Schuschnigg geplante Volksabstimmung, am 9. nachmittags oder 10. vormittags, gemacht hatte. Ebenso hatte Stein ja neben General Muff und Staatssekretär Keppler, dem österreichischen Staatsoberhaupt das Ultimatum betreffend die Demission des Bundeskanzlers Schuschnigg überbracht. Daraus muß ich erkennen, daß eine Tätigkeit des Botschafters von Papen nicht mehr stattgefunden hat.


VORSITZENDER: Wir vertagen uns nunmehr bis auf 14.15 Uhr.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 16, S. 157-178.
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