[46] [Der Angeklagte Neurath im Zeugenstand.]
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich möchte zwei oder drei Tatsachen über das Jahr 1935 klären, ehe ich einige Fragen an Sie richte:
Am 10. März hat Deutschland die Schaffung einer Luftwaffe bekanntgegeben, und am 16. März haben Sie, glaube ich, unter anderem das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht mitunterzeichnet. Sie haben ja schon alles erklärt, und ich will es nicht nochmals behandeln. Ich möchte Sie lediglich über das geheime Reichsverteidigungsgesetz vom 21. Mai 1935 befragen. Wollen Sie sich bitte General Thomas Kommentar ansehen.
Euer Lordschaft! Es ist Seite 52 des Dokumentenbuches 12 und ungefähr Seite 71 des deutschen Dokumentenbuches.
VORSITZENDER: Nummer 12a oder b?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nummer 12, Euer Lordschaft. Das ist das Original. Auf Seite 52:
[Zum Zeugen gewandt:]
»Die für den Krieg befohlene Spitzenorganisation der Obersten Reichsbehörden hat auf Aufbau und Tätigkeit der Wehrwirtschaftsorganisation einen so großen Einfluß ausgeübt, daß es notwendig ist, diesen Punkt eingehend zu behandeln.
Die Spitzenorganisation der Obersten Reichsbehörden für den Kriegsfall hatte zwar schon vor 1933 in zahlreichen Besprechungen und Befehlen ihren Niederschlag gefunden, erfuhr jedoch durch die nationalsozialistische Machtergreifung und besonders durch das Hinscheiden des Reichspräsidenten von Hindenburg eine grundlegende Änderung. Die neuen Bestimmungen wurden im Reichsverteidigungsgesetz vom 21. 5. 1935 festgelegt, das erst im Kriegsfalle veröffentlicht werden sollte, aber mit seinen Bestimmungen schon für die Kriegsvorbereitungen in Kraft trat. Da dieses Gesetz... die Aufgaben der Wehrmacht und der übrigen Reichsbehörden im Kriege festlegte, war es auch für den Aufbau und die Tätigkeit der Wehrwirtschaftsorganisation grundlegend und ausschlaggebend.«
(Dokument 2353-PS.)
Sie werden sich ebenfalls erinnern, daß am selben Tage der Angeklagte Schacht zum Generalbeauftragten für die Kriegswirtschaft ernannt wurde.
Angeklagter! Hatten Sie zu dieser Zeit erkannt, daß dieses Gesetz die grundlegende Regelung für die Entwicklung und Tätigkeit der Kriegswirtschaftsorgani sation war?
[46] VON NEURATH: Ja, aber nur für den Fall eines Krieges, das heißt für den Fall einer Mobilmachung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich halte Ihnen vor allem den Punkt vor, daß dieses Gesetz für die Durchführung von Kriegsvorbereitungen gültig sein sollte. Hielten Sie es nicht für einen großen Schritt vorwärts auf dem Wege der Kriegsvorbereitungen?
VON NEURATH: Keineswegs. Das war absolut kein großer Schritt vorwärts, sondern das war bloß die Festlegung der Notwendigkeit im Falle eines Krieges. Es muß jedoch in jedem Lande für den Fall eines Angriffs eine Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden garantiert werden. Das ist darin festgelegt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist Ihre Ansicht. Ist es richtig, daß zu jenem Zeitpunkt, bis zum Mai 1935, das Deutsche Auswärtige Amt noch immer einen Stab von Diplomaten und Beamten des Auswärtigen Amtes der alten Schule hatte und noch nicht von Leuten des Amtes Ribbentrop durchsetzt war?
VON NEURATH: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie irgendeine Warnung von Ihrem eigenen Stab im Zusammenhang mit den Ereignissen in Österreich, der Wieder aufrüstung, der Aufstellung einer Luftwaffe und der allgemeinen Wehrpflicht erhalten?
VON NEURATH: Über die Vorgänge in Österreich war ich orientiert, wie Sie ja aus diesem hier vorhin vorgelegten Bericht ersehen haben. Über die Wiedereinführung der Wehrmacht, das ist im Kabinett beschlossen worden, da wußte ich freilich davon.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Verzeihen Sie, ich habe wahrscheinlich dem Wort nicht die richtige Betonung gegeben. Wenn ich von einer »Warnung« spreche, meine ich eine wirkliche Warnung seitens Ihrer Beamten, daß diese Ereignisse Deutschland im Ausland als blutdürstig und kriegshetzerisch hinstellen würden. Haben Sie eine solche Warnung von Ihren Beamten erhalten?
VON NEURATH: Ganz sicher nicht. Denn das war ja auch gar nicht der Fall, und wenn das im Ausland behauptet worden ist, so war es noch lange nicht wahr.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich nun das Dokument 3308-PS ansehen, das Affidavit des Dolmetschers Paul Schmidt.
Euer Lordschaft! Es ist Seite 68 des Dokumentenbuches 12a und Seite 65 oder 66 der deutschen Fassung, Absatz 4.
[Zum Zeugen gewandt:]
Nun werde ich Ihnen die Absätze 4 und 5 vorlesen. Paul Schmidt sagt:
»4: Der Putschversuch in Österreich und der Mord an Dollfuß am 25. Juli 1934 beunruhigten die Berufsbeamten im Außenministerium sehr, weil diese Vorgänge Deutschland in [47] den Augen der Welt diskreditierten. Daß der Putsch von der Partei organisiert worden war, wußte jeder, und die Tatsache, daß der Putschversuch so kurz auf die blutige Säuberungsaktion in Deutschland erfolgt war, wies unvermeidlich auf eine Ähnlichkeit zwischen den Nazi-Methoden in der Außen- und Innenpolitik hin. Diese Bedenken über die Rückschläge des Putschversuchs wurden bald noch durch die Erkenntnis der Tatsache gesteigert, daß diese Zwischenfälle von Einfluß auf den Abschluß des französisch-russischen Konsultativpaktes vom 5. Dezember 1934 gewesen waren, eine Verteidigungsmaßnahme, die von den Nazis nicht als Warnung beachtet wurde.«
Nun, Angeklagter, ist es richtig, was Herr Schmidt sagt in diesen drei Punkten, nämlich, daß der Putschversuch und der Mord an Dollfuß die Berufsbeamten im Außenministerium sehr beunruhigt hat?
VON NEURATH: Das hat nicht bloß die Berufsbeamten meiner Behörde, sondern auch mich selbstverständlich beunruhigt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und im letzten Satz heißt es:
»Diese Bedenken« – das heißt die Unruhe, die durch den Putsch hervorgerufen wurde – »über die Rückschläge des Putschversuchs wurden bald noch durch die Erkenntnis der Tatsache gesteigert, daß diese Zwischenfälle«, die blutige Säuberungsaktion und der Putsch, »von Einfluß auf den Abschluß des französisch-russischen Konsultativpaktes vom 5. Dezember 1934 gewesen waren, eine Verteidigungsmaßnahme, die von den Nazis nicht als Warnung beachtet wurde.«
Ist es richtig, daß die Bedenken in Ihrem Stab noch durch die Erkenntnis gesteigert wurden, daß die blutigen Säuberungsaktionen und der Putsch Frankreich und die Sowjetunion in ihrer Haltung Deutschland gegenüber alarmiert und zu dem Konsultativpakt geführt hatten?
VON NEURATH: Nein, das ist eine Privatansicht von dem Dolmetscher Schmidt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, es steht ja nicht in Beziehung zu Ihnen, Angeklagter. Dolmetscher Schmidt sagt hier, daß es die Ansicht Ihrer erfahrenen Beamten im Auswärtigen Amt war, und das halte ich Ihnen vor. Hat er nicht recht, wenn er sagt, daß Ihr erfahrener Beamtenstab über diese Ereignisse beunruhigt war, da sie einen Einfluß auf den Konsultativpakt ausgeübt hatten?
VON NEURATH: Nicht im mindesten. Ich kann nur wiederholen: Das hatte gar nichts miteinander zu tun.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hat er recht in seiner letzten Behauptung, daß dieser Vertrag von den Nazis nicht als Warnung beachtet wurde?
[48] VON NEURATH: Das kann ich nicht sagen, das weiß ich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, sehen Sie sich bitte den nächsten Absatz an:
»5. Der Verkündigung der Gründung einer deutschen Luftwaffe und der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im März folgte am 2. Mai 1935 der Abschluß eines gegenseitigen Beistandspaktes zwischen Frankreich und Rußland. Die Berufsbeamten des Auswärtigen Amtes betrachteten dies als eine weitere sehr ernsthafte Warnung vor den möglichen Folgen der deutschen Außenpolitik, aber die Nazi-Führer versteiften nur ihre Haltung gegenüber den Westmächten und erklärten, daß sie sich nicht einschüchtern lassen würden. Zu dieser Zeit brachten wenigstens die Berufsbeamten dem Außenminister Neurath gegenüber ihre Bedenken zum Ausdruck. Ich weiß nicht, ob Neurath seinerseits diese Bedenken an Hitler weitergab.«
Nun wollen wir uns das einmal ansehen! Stimmen Sie damit überein, daß die Berufsbeamten im Auswärtigen Amt den französisch-sowjetrussischen Pakt als eine weitere sehr ernsthafte Warnung vor den möglichen Folgen der deutschen Außenpolitik betrachteten?
VON NEURATH: Ich weiß nicht, im Namen welcher Berufsbeamten Schmidt sich hier äußert. Ich habe jedenfalls davon nichts gehört, daß meine Berufsbeamten sich in dieser Hinsicht geäußert hätten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hier sagt Herr Schmidt:
»Zu dieser Zeit brachten wenigstens die Berufsbeamten dem Außenminister Neurath gegenüber ihre Bedenken zum Ausdruck.«
Das sind doch Sie?
VON NEURATH: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie behaupten, daß Herr Schmidt, der schließlich ein Berufsbeamter war, obwohl er sehr lange Zeit Dolmetscher gewesen ist – wollen Sie behaupten, daß Herr Schmidt nicht die Wahrheit sagt, wenn er erklärt, daß Ihre Berufsbeamten ihre Bedenken Ihnen gegenüber zum Ausdruck gebracht hätten?
VON NEURATH: Aber ganz entschieden. Woher weiß denn Herr Schmidt, der damals ein ganz kleiner Beamter war, was meine Berufsbeamten, das heißt, das sind die höheren Beamten des Amtes gewesen, mir gesagt haben? Außerdem, wie kann Herr Schmidt das beurteilen? Und ich möchte noch hinzufügen, daß Schmidt hier gesagt hat, daß dieses Affidavit oder was das ist, ihm nach einer [49] schweren Krankheit vorgelegt wurde und daß er selbst gar nicht mehr über den Inhalt dieses Affidavits genau Bescheid weiß. Das nun...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können versichert sein, daß der Gerichtshof mich zurechtweisen würde, wenn ich zu Unrecht behaupten sollte, ich hätte Schmidt, als er vor diesem Gerichtshof aussagte, diese Abschnitte vorgelegt, und er hätte ihnen zugestimmt.
Sehen Sie sich nun eine weitere Erklärung am Ende des Absatzes 6 an! Wir werden Absatz 6 lesen, da ich Sie etwas über den Schluß dieses Abschnittes fragen möchte:
»Dem Wiedereinmarsch deutscher Heerestruppen in das Rheinland gingen diplomatische Vorbereitungen seitens der Nazis im Februar voran. Ein deutsches Kommuniqué vom 21. Februar 1936 stellte nochmals fest, daß der Französisch-Russische Beistandspakt im Gegensatz zu den Locarnoverträgen und dem Völkerbundsvertrag stehe. Am gleichen Tage behauptete Hitler in einem Interview, es gebe keine tatsächliche Veranlassung für einen Zusammenstoß zwischen Deutschland und Frankreich. Im Zusammenhang mit den im Hintergrunde stehenden, frankreichfeindlichen Erklärungen in ›Mein Kampf‹ legte die Natur der Umstände es nahe, daß Vorbereitungen für die Rechtfertigung zukünftigen Handelns getroffen wurden. Ich weiß nicht, wie lange Zeit vorher der Einmarsch in das Rheinland beschlossen worden war. Ich selbst wußte davon und hatte schon ungefähr zwei oder drei Wochen bevor er stattfand über ihn diskutiert. Schwere Bedenken wurden besonders in Heereskreisen über das Risiko dieser Unternehmung zum Ausdruck gebracht. Viele Leute im Auswärtigen Amt hatten ähnliche Bedenken. Es war aber im Auswärtigen Amt allgemein bekannt, daß Neurath der einzige in den Regierungskreisen war, der, von Hitler um Rat gefragt, zuversichtlich glaubte, daß das Rheinland ohne bewaffneten Widerstand seitens Großbritanniens und Frankreichs wieder mit Truppen besetzt werden könnte. Während dieser ganzen Zeit nahm Neurath eine Stellung ein, die Hitler veranlaßte, Neurath mehr Vertrauen entgegenzubringen als den Diplomaten der ›alten Schule‹, denen er (Hitler) mit Geringschätzung gegenüberzutreten pflegte.«
Nun, wenn dieser kleine Beamte, von dem Sie soeben sprachen, von dem Einmarsch ins Rheinland zwei oder drei Wochen vorher gewußt und darüber diskutiert hat, wie lange im voraus mußten Sie es dann gewußt und besprochen haben?
VON NEURATH: Herr Schmidt muß ein Hellseher gewesen sein; denn zwei bis drei Wochen vorher wußte ich auch noch nichts [50] davon. Ich habe es ungefähr eine Woche vor der Entschließung Hitlers erfahren, und wenn ich... wenn hier steht, daß ich... daß es im Außenministerium allgemein bekannt gewesen sei, daß ich der einzige in den Regierungskreisen war, von dem Hitler Rat holte und er zuversichtlich war, daß das Rheinland ohne bewaffneten Widerstand seitens Großbritanniens und Frankreichs wieder mit Truppen besetzt werden könnte, so habe ich ja schließlich recht gehabt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben recht gehabt... Ist es aber wahr, daß Sie die einzige Person in den Regierungskreisen waren, die der Ansicht war, daß das Rheinland ohne Intervention Großbritanniens und Frankreichs besetzt werden könnte? Ist es richtig?
VON NEURATH: Das kann ich nicht sagen, ob ich der einzige war, jedenfalls habe ich die Überzeugung gehabt auf Grund meiner Kenntnisse der internationalen Verhältnisse.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Auf jeden Fall, wie groß auch die Begrenzung der Kenntnisse des Herrn Paul Schmidt gewesen sein mag, kannte er doch Ihre Stellungnahme sehr genau. Hat er nicht recht, wenn er in seinem letzten Satz sagt, daß Ihre Stellungnahme während der ganzen Zeit dergestalt war, daß Hitler sich lieber an Sie als an die alten Diplomaten aus der Zeit vor den Nazis wandte, da Sie derjenige waren, der ihn ermutigt hat?
VON NEURATH: Ich habe ihn keineswegs ermutigt. Ich habe ihm aber dargestellt, wie die Situation nach meiner Ansicht ist, und daß ich recht gehabt hatte, hat sich ja nachher bewiesen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nun, daß Sie sich mit einer anderen Sache befassen, die tatsächlich in das Jahr 1936 fällt, aber wir werden sie ebenso wie die österreichische Frage behandeln.
Sie haben ein- oder zweimal gesagt, daß Sie starke Einwände gegen das österreichisch-deutsche Abkommen vom 11. Juli, das Sie für eine Ausflucht oder eine Fassade hielten, geltend gemacht hätten. Ist das richtig? Sie sollen sehr starke Einwände dagegen erhoben haben?
VON NEURATH: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, daß Hitler zu der Zeit, als das Abkommen unterzeichnet wurde, Anweisungen an die Gauleiter der österreichischen NSDAP gegeben hat, den Kampf weiterzuführen?
VON NEURATH: Nein, das ist mir nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will Sie nur daran erinnern. Ich möchte Ihnen nichts Unrichtiges vorhalten.
Euer Lordschaft! Es ist im Dokumentenbuch 12, Seite 97.
[51] [Zum Zeugen gewandt:]
Es ist Dr. Rainers Bericht, den der Gerichtshof schon kennt. Wollen Sie sich das Ende eines Absatzes ansehen, wo er sagt:
»Das Abkommen vom 11. Juli 1936 war bereits stark durch die Mitarbeit dieser beiden legalen Persönlichkeiten bestimmt«, nämlich des Angeklagten Seyß-Inquart und des Generaloberst Glaise-Horstenau, »von denen Glaise-Horstenau durch Papen dem Führer als Vertrauensmann bezeichnet worden war.«
Und im nächsten Absatz:
»Damals wünschte auch der Führer, die Führung der Partei zu sprechen...«
VORSITZENDER: Sir David!...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja bitte, Euer Lordschaft.
VORSITZENDER: Sagten Sie Seite 97 des Dokumentenbuches 12?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, es ist der dritte Absatz, und es fängt an mit »Damals...«.
VORSITZENDER: Ja, ich habe es gefunden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE:
»Damals wünschte auch der Führer die Führung der Partei zu sprechen, um ihnen seine Auffassung über das Verhalten der Nationalsozialisten in Österreich mitzuteilen.« (Dokument 812-PS.)
VORSITZENDER: Ich befürchte, daß es ein anderes »Damals...« ist, das ich vor mir habe. Könnten Sie uns nähere Angaben machen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist in der Mitte, Euer Lordschaft.
VORSITZENDER: Bei uns ist es auf Seite 98.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es tut mir leid, die Seitenzahl muß anders sein, Euer Lordschaft. Ich bitte Euer Lordschaft um Entschuldigung.
»Damals wünschte auch der Führer die Führung der Partei zu sprechen, um ihnen seine Auffassung über das Verhalten der Nationalsozialisten in Österreich mitzuteilen. Inzwischen war... Hinterleitner verhaftet worden und hatte als seinen Nachfolger Dr. Rainer zum geschäftsführenden Landesleiter bestellt.«
Beachten Sie, das ist der Mann, der diese Erklärung abgibt.
»Dr. Rainer und Globocznik waren am 16. Juli 1936 beim Führer auf dem Obersalzberg und erhielten eine ganz klare Darstellung der Lage und der Wünsche des Führers. Am [52] 17. Juli 1936 waren sämtliche illegalen Gauleiter in Anif... bei Salzburg versammelt, erhielten durch Dr. Rainer den zusammenfassenden Bericht über die Erklärungen des Führers und die politischen Weisungen für die Fortführung des Kampfes, ferner durch Globocznik und Hiedler die organisatorischen Anweisungen.«
Wußten Sie nicht... Hat denn Hitler seinem Außenminister, der gerade die Verhandlungen für den Abschluß dieses Abkommens geleitet hatte, nicht mitgeteilt, daß er die Absicht habe, den illegalen Gauleitern Anordnungen zu geben, wie der Kampf fortgeführt werden sollte? Hat er Ihnen das nicht mitgeteilt?
VON NEURATH: Nein, das hat er mir nicht mitgeteilt. Ich erinnere mich aber, ich glaube, es war derselbe Herr Rainer, der hier als Zeuge erschien, der erklärt hat, daß Hitler ihn hat kommen lassen und andere Gauleiter und ihnen gesagt hat, sie hätten in Zukunft die Abmachungen vom Jahre 1936 scharf einzuhalten. Hier in dem Schriftstück, das mir vorgelegt wurde, steht übrigens die Sache gar nicht drin, was Sie eben zitierten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, das wird nicht erwähnt. Aber die politischen Anweisungen über die Fortsetzung des Kampfes und die organisatorischen Instruktionen von Globocznik werden erwähnt; auf jeden Fall wußten Sie davon nichts?
VON NEURATH: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, es ist ziemlich schwierig für Sie zu beurteilen, ob der Vertrag in ehrlicher Absicht abgefaßt worden war, wenn Sie nichts von den Instruktionen, die Hitler der illegalen Partei in Österreich gab, wußten, nicht wahr?
VON NEURATH: Ja, natürlich.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Wollen wir uns jetzt mit einem oder zwei anderen Punkten befassen. Ich möchte, daß Sie sich die Äußerungen des Herrn Messersmith vom Ende des Jahres 1935 ansehen. Erinnern Sie sich an diese Erklärung? Ich werde gleich die Bezugstelle angeben. Es heißt dort:
»Europa wird sich mit dem Märchen nicht zufriedengeben, daß Neurath, Papen und Mackensen ungefährliche Leute und ›Diplomaten der alten Schule‹ sind. Sie sind in Wirklichkeit die willfährigen Werkzeuge des Regimes, und gerade weil die Außenwelt sie für harmlos hält, sind sie fähig, mit mehr Wirkung zu arbeiten. Sie sind in der Lage, Zwietracht zu säen, gerade weil sie den Mythos verbreiten, sie hätten keine Sympathien für das Regime!«
Können Sie uns jetzt bis zu dem Datum, an dem Herr Messersmith diese Erklärung niederschrieb, also bis zum 10. Oktober 1935, [53] eine einzige Anordnung Hitlers nennen, die Sie nicht durchgeführt hätten?
VON NEURATH: Ich habe das nicht verstanden, eine einzige Anordnung...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es tut mir leid, ich habe die Bezugstelle verlegt, es ist im Dokumentenbuch Nummer 12, auf Seite 107.
[Zum Zeugen gewandt:]
Sehen Sie, Herr Messersmith sagt, daß Sie, der Angeklagte von Papen und von Mackensen willfährige Werkzeuge des Regimes gewesen seien. Ich frage Sie nun, ob Sie uns bis zu dem Datum, an dem Herr Messersmith dies niederschrieb, also bis zum 10. Oktober 1935, irgendeine Anordnung Hitlers nennen können, die durchzuführen Sie sich geweigert hätten.
VON NEURATH: Nicht bloß eine, sondern recht viele. Ich habe das ja ausgeführt, wie oft ich Hitler widersprochen habe, und das, was Herr Messersmith hier wieder annimmt... über die Bedeutung von dem Affidavit von Herrn Messersmith habe ich mich geäußert..
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Ich will die Frage anders stellen: Was sagten Sie, sei bis zum 10. Oktober 1935 die ernsteste Frage gewesen, deren Lösung Hitler Ihnen gestellt und der Sie sich widersetzt hätten? Welche Frage war die ernsteste, der am meisten Bedeutung zukam?
VON NEURATH: Ja, in diesem Moment... das ist eine Frage, die ich so nicht beantworten kann. Wie soll ich noch wissen, was die ernsteste Frage war, der ich mich widersetzt habe. Ich habe mich in allen möglichen Dingen widersetzt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie sich nicht daran erinnern können, was nach Ihrem Ermessen die ernsteste Frage war, dann will ich Sie damit nicht weiter belästigen, ich will aber...
VON NEURATH: Also legen Sie es mir ruhig mal vor; aber eine Behauptung in die Luft hier aufzubringen, ohne die Möglichkeit zu geben, sie zu widerlegen!
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bat Sie, es uns mitzuteilen; aber ich will jetzt auf eine Angelegenheit übergehen, die ein anderer amerikanischer Diplomat vorgebracht hat. Ich möchte Sie gern über den Bericht des Herrn Bullitt fragen, mit dem Sie, wie ich annehme, übereinstimmen.
Euer Lordschaft! Es ist Nummer L-150, auf Seite 72 des Dokumentenbuches 12. Ich hoffe, daß kein Seitenunterschied mit meiner Seite 72 besteht.
VORSITZENDER: Es ist Seite 74.
[54] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, es ist Seite 74. Entschuldigen Sie bitte.
[Zum Zeugen gewandt:]
Es ist der zweite Absatz. Nachdem er berichtet hat, daß er ein Gespräch mit Ihnen geführt hätte, sagt er folgendes:
»Herr Neurath sagte, die Politik der Deutschen Regierung wäre, in Auslandsangelegenheiten nichts zu unternehmen, bis ›das Rheinland verdaut sei!‹ Er erklärte, daß er damit sagen wolle, daß die Deutsche Regierung alles tun würde, um einen Aufstand der Nationalsozialisten in Österreich eher zu verhindern, denn zu ermutigen und daß sie sich auch mit Bezug auf die Tschechoslowakei zurückhalten werden, bis die deutschen Befestigungen an der französischen und belgischen Grenze fertiggestellt wären. ›Sobald unsere Befestigungen gebaut sind und die mitteleuropäischen Länder merken, daß Frankreich nicht jederzeit deutsches Gebiet betreten kann, werden diese Länder ihre Außenpolitik ändern, und eine neue Konstellation wird sich bilden‹, sagt er.«
Geben Sie zu, das gesagt zu haben?
VON NEURATH: Ja, ja, gewiß. Ich habe gestern oder vorgestern schon eingehend ausgeführt, was das bedeuten sollte. Im übrigen ist das egal...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte sehen, ob Sie auch mit meiner Auslegung des von Ihnen Gesagten übereinstimmen. Nämlich: Sobald Ihre Befestigungen an der Westfront in genügender Stärke fertiggestellt wären, wollten Sie versuchen, den Anschluß mit Österreich durchzuführen und das Sudetenland von der Tschechoslowakei zurückzuerhalten. So haben Sie das doch gemeint, nicht wahr?
VON NEURATH: Nein, nein, keineswegs. Das steht übrigens ganz klar da drin. Ich habe damit sagen wollen und auch ausgedrückt, daß diese Länder, speziell die Tschechoslowakei und Frankreich, ihre Politik Deutschland gegenüber ändern würden, da sie nicht mehr so leicht durch Deutschland marschieren konnten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie verstehen doch, Angeklagter, was ich Ihnen vorhalte. Ich glaube, ich habe ziemlich klar ausgedrückt, daß zu der Zeit, in der Sie die Westmächte mit der neuerlichen Militarisierung Deutschlands und des Rheinlands bedrohten – das war im Jahre 1935 und 1936 – von Ihnen neue Zusicherungen an Österreich gegeben wurden, so von Hitler im Mai 1935; und im Jahre 1936 haben Sie diesen Vertrag abgeschlossen. Sobald Sie Ihre ersten Schritte verdaut hatten, wandten Sie sich gegen Österreich und gegen die Tschechoslowakei im Jahre 1938. Ich behaupte, daß Sie die volle Wahrheit gesagt und mit der Genauigkeit einer [55] Kassandra Prophezeiungen gemacht hatten. Ich behaupte also, daß Sie doch sehr genau wußten, daß solche Absichten bestanden haben.
VON NEURATH: Was?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen, Sie hätten es nicht gewußt?
VON NEURATH: Keineswegs, keineswegs, keineswegs. Das ist eine Annahme von Ihnen, die durch gar nichts bewiesen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir werden uns darüber nicht streiten, da wir einen weiteren Punkt betrachten wollen, bevor wir uns dem Jahre 1937 zuwenden.
Sie haben vor dem Gerichtshof nicht nur einmal, sondern sehr oft behauptet, Sie hätten die Einstellung der Nazis zu den christlichen Kirchen, das heißt die Unterdrückung der Kirchen nicht gebilligt. Ich habe es doch richtig verstanden, nicht wahr?
VON NEURATH: Jawohl, jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie behaupten, Sie hätten Widerstand geleistet und gegen die Verfolgung der Kirchen aktiv eingegriffen. Wollen Sie sich nun Dokument Nummer 3758-PS ansehen!
Euer Lordschaft! Es wird GB-516. Sie werden es im Dokumentenbuch Nummer 12a, Seite 81 finden.
Es ist dies eine Eintragung, die scheinbar ziemlich früh im Jahre 1936 in das Tagebuch des Reichsministers der Justiz gemacht worden ist:
»Reichsaußenminister übersendet mit persönlichem Schreiben zur vertraulichen Kenntnisnahme einen Brief des Kardinal-Staatssekretärs Pacelli« – das ist der jetzige Papst – »an den Botschafter beim Heiligen Stuhl, indem er sich für einen Gnadenakt gegenüber dem Generalvikar Seelmeyer einsetzt. Er bemerkt dazu,« nämlich der Reichsaußenminister, »daß nach den schweren Angriffen des Heiligen Stuhls in der Note vom 29. Januar gegen den deutschen Richterstand nach seiner Ansicht an sich kein Anlaß bestände, dem Vatikan Entgegenkommen zu zeigen, empfiehlt dieses jedoch, da aus außenpolitischen Gründen ein Interesse bestehe, die guten persönlichen Beziehungen zu Pacelli nicht erkalten zu lassen.«
Nun, Angeklagter, wollen Sie mir sagen, was auch nur auf das geringste persönliche Interesse an dem Schicksal des Pater Seelmeyer hinweist. Oder waren Sie einzig und allein darauf bedacht, dem Vatikan gegenüber eine starke Front zu zeigen und Ihre guten Beziehungen zu Kardinal Pacelli nicht zu verlieren?
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Vorsitzender! Ich habe dieses Dokument eben vorgelegt bekommen. Ich habe gar keine Möglichkeit gehabt, mich irgendwie für diese Dokumente zu interessieren [56] und darüber zu erkundigen. Mir ist auch nicht bekannt, daß bisher in diesem Verfahren die Rede gewesen ist von einem Tagebuch des Reichsjustizministers. Ich kann also gar nicht beurteilen, wieso der Reichsjustizminister überhaupt diese Notiz in seinem Tagebuch aufgenommen haben kann.
Und ich kann auch aus diesen, anscheinend aus dem Zusammenhang herausgegriffenen Notizen mir gar kein Bild machen – und noch weniger natürlich der Angeklagte – was diese ganze Notiz zu bedeuten hat.
Ich muß also gegen die Zulassung dieser Frage und gegen die Vorlage dieses Dokuments protestieren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist ein vollkommen einwandfreies, erbeutetes Dokument. Es ist eine Abschrift des Originaltagebuches des Reichsministers der Justiz, und es kann daher gegen den Angeklagten verwendet werden.
VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen! Sie können sich das Originaldokument ansehen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Mir wird soeben von meinen amerikanischen Kollegen mitgeteilt, daß dieses Tagebuch schon vorher verwendet wurde und daß Auszüge daraus im Fall gegen den Angeklagten von Schirach eingereicht wurden.
VON NEURATH: Herr Präsident! Ich habe gar keine Bedenken...
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich habe nichts verstehen können, Herr Vorsitzender. Ich habe leider nicht verstehen können. Jetzt verstehe ich wieder.
VORSITZENDER: Wenn Sie einen Einwand machen, dann sollten Sie sich vergewissern, daß die Apparatur in Ordnung ist.
Ich sagte, Sie könnten das Originaldokument sehen. Mir wird jetzt auch mitgeteilt, daß das Originaldokument schon vorher verwendet wurde; es ist demnach kein Grund vorhanden, es jetzt im Kreuzverhör nicht zu verwenden. Es ist ein erbeutetes Dokument, und Sie können das Original einsehen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Das wußte ich nicht, das war mir nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich halte Ihnen vor, Angeklagter, daß Ihre Erklärung dem Justizminister gegenüber keine Besorgnis um den angeklagten Priester zeigt, sondern sich nur mit den Beziehungen zum Vatikan und zum damaligen Kardinal Pacelli beschäftigt. Ist das typisch für Ihre Vermittlungen? Ist es ein typisches Beispiel Ihres Eintretens für mißhandelte Priester?
VON NEURATH: Ich kann mich dieses Falles natürlich nicht mehr erinnern, aber so, wie es da in der Notiz steht, ist das durchaus [57] berechtigt von mir, ich habe da drin – immer nach der Notiz – gesagt, daß wir keine Veranlassung hätten, ein besonderes Entgegenkommen zu zeigen, nachdem der Kardinal-Staatssekretär oder Papst den deutschen Richterstand angegriffen hätte, daß ich aber als Außenminister Wert darauf legte, die Beziehung zu Pacelli nicht zu trüben. Ich weiß nicht, was Sie daraus schließen wollen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, ich will nicht in das Fragengebiet meiner sowjetischen Kollegen eingreifen, aber Sie wissen, daß der tschechische Bericht Sie, soweit es sich um die Religionsgemeinschaften handelt, vollständiger Unparteilichkeit anklagt, daß Sie und Ihre Regierung die Katholiken, Protestanten, die tschechische Nationalkirche und sogar die orthodoxe Kirche in der Tschechoslowakei mißhandelt hätten. Sie wissen, daß unter Ihrem Protektorat alle diese Kirchen leiden mußten. Geben Sie zu, daß alle diese Kirchen unter Ihrem Protektorat litten?
VON NEURATH: Nein, keineswegs.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, gut. Ich habe nicht die Absicht, mich in Einzelheiten zu verlieren, ich behaupte jedoch, daß Ihre Sorge um die verschiedenen religiösen Bekenntnisse nicht sehr tiefgehend war.
VON NEURATH: Das ist wieder eine Behauptung von Ihnen, die Sie nicht beweisen können.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Ihnen noch eine Sache vorhalten. Erinnern Sie sich daran, vor dem Gerichtshof heute früh behauptet zu haben, daß Sie mit dem Erzbischof von Prag auf sehr gutem Fuße standen?
VON NEURATH: Ich habe gesagt, daß ich gute Beziehungen mit dem Erzbischof hatte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie sich diese Abschrift ansehen.
Euer Lordschaft! Es ist eine Abschrift, aber General Ecer versichert mir, daß er das Original aus den Akten der Tschechischen Regierung bekommen kann. Ich habe es erst vor einer halben Stunde erhalten. General Ecer, der aus der Tschechoslowakei kommt, sagt, daß er für das Original bürgen kann.
Angeklagter! Ich möchte, daß Sie es ansehen. Ist dies ein Brief, den Sie von dem Erzbischof erhielten?
Euer Lordschaft! Es ist D-920, das die Nummer GB-517 erhält.
»Euer Exzellenz! Hochverehrter Herr Reichsprotektor!
Ihr letztes Schreiben hat mich mit solchem Leid erfüllt, denn ich mußte demselben entnehmen, daß nicht einmal Exzellenz mir glauben wollen, daß ich bewußtlos geworden bin und den Universitätsprofessor M. U. Dr. Jirasek rufen mußte, [58] welcher eine Stunde an meinem Krankenlager verweilte. – Heute kommt er wieder mit einem Spezialisten für innere Krankheiten.« Dann gibt er den Namen dieses Spezialisten an.
»Exzellenz wollen überzeugt sein, daß, was immer ich Ihnen zuliebe tun kann, ich tun werde. Bitte jedoch auch Erbarmen mit mir zu haben und von mir nicht zu verlangen, daß ich gegen die Kirchengesetze handle.
Mit vorzüglicher Hochachtung Karl Kard. Kaspar, m. p.,
Fürsterzbischof.«
Erinnern Sie sich daran?
VON NEURATH: Ich kann nicht sagen, worauf sich das bezieht. Ich habe keine Ahnung, da steht es nicht drin, und ich kann Ihnen ja auch nicht sagen, worauf sich dies bezogen hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können sich nicht daran erinnern, daß Ihnen der Erzbischof geschrieben, über die Auswirkung seiner Krankheit erzählt und Sie dringendst gebeten hat, ihn nicht zu ersuchen, irgend etwas gegen die Kirchengesetze zu unternehmen? Sie erinnern sich gar nicht daran?
VON NEURATH: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, wir wollen uns nicht mehr damit beschäftigen.
Nun möchte ich, bevor wir uns den späteren Ereignissen im Jahre 1937 zuwenden, von Ihnen folgendes beantwortet haben: Sie erinnern sich, daß Sie gestern von Ihrer Rede, ich glaube vor der Akademie für Deutsches Recht, sprachen. Erinnern Sie sich an diese Rede im August 1937? Ich kann Ihnen einen Hinweis geben. Wollen Sie sich ihn ansehen?
VON NEURATH: Ich brauche bloß diesen Hinweis, wo ich gesprochen habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich? Ich wollte nur Zeit sparen. Erinnern Sie sich nicht? Ich werde es Ihnen, wenn Sie wollen, vorlegen lassen. Es ist die Rede vom 29. August 1937. Ich werde es sofort verlesen.
Ich wollte Sie nun folgendes fragen. Sie sagten: »Die Einheit des rassischen und nationalen Willens, mit unvorhergesehenem Elan durch den Nationalsozialismus hervorgerufen, hat eine auswärtige Politik ermöglicht, durch die die Ketten des Versailler Vertrages gebrochen wurden.« Was meinten Sie mit »Einheit des rassischen Willens, der durch den Nationalsozialismus hervorgerufen wurde«?
VON NEURATH: Damit meinte ich wahrscheinlich, daß die Deutschen alle geeint gewesen seien, mehr als vorher. Ich kann das [59] heute auch nicht mehr sagen, was ich damit meinte. Aber im übrigen habe ich in dieser Rede ja bloß eine Tatsache konstatiert.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Jetzt sagen Sie mir folgendes: Das war im August 1937; Sie haben vor dem Gerichtshof ausgesagt, welche Wirkung die Worte Hitlers vom 5. November 1937 auf Sie gehabt haben, und Ihr Verteidiger hat eine Aussage der Baroneß von Ritter vorgelegt.
VON NEURATH: Im November?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, im November 1937.
VON NEURATH: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, nachdem diese Worte solch eine Wirkung auf Sie gehabt haben: Mit welchen bei der Hoßbach-Konferenz anwesenden Persönlichkeiten haben Sie denn diese Rede erörtert?
[Hoßbach-Konferenz wurde vom Dolmetscher mit Berchtesgaden übersetzt.]
VON NEURATH: In Berchtesgaden war diese Rede überhaupt nicht, das ist ein Irrtum, das war in Berlin, diese Ansprache...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich sagte nicht Berchtesgaden, ich sagte bei der Hoßbach-Konferenz. Wir nennen es Hoßbach-Konferenz, weil Hoßbach das Protokoll führte.
VON NEURATH: Mit wem ich gesprochen habe, habe ich gestern schon gesagt, mit Generaloberst von Fritsch und mit dem damaligen Generalstabschef Beck, und ich habe auch ausgeführt, daß wir damals übereingekommen seien, gemeinschaftlich gegen Hitler und gegen seine in dieser Rede zu Tage gekommene Tendenz Front zu machen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sprachen Sie darüber mit Hitler?
VON NEURATH: Ja, das war...
Ich habe das gestern eingehend ausgeführt, daß ich erst dazu gekommen bin, mit Hitler zu reden am 14. oder 15. Januar, weil er nämlich von Berlin weg ist und ich ihn nicht sehen konnte. Das war ja der Anlaß, weshalb ich um meinen Abschied eingekommen bin damals.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sprachen Sie darüber mit Göring oder mit Raeder?
VON NEURATH: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun möchte ich von Ihnen mit einem oder zwei Worten etwas über diesen Geheimen Kabinettsrat hören, zu dessen Vorsitzenden Sie ernannt worden sind, nachdem Sie das Auswärtige Amt verlassen hatten.
[60] Sehen Sie sich bitte die ersten Sätze des Berichts über die Zusammenkunft vom 5. November an!
Euer Lordschaft! Es ist Seite 82 im englischen Dokumentenbuch und Seite 93 im deutschen Dokumentenbuch.
Nur die ersten zwei Sätze, Angeklagter:
»Der Führer stellte einleitend fest, daß der Gegenstand der heutigen Besprechung von derartiger Bedeutung sei, daß dessen Erörterung in anderen Staaten wohl vor das Forum des Regierungskabinetts gehörte, er – der Führer – sähe aber gerade im Hinblick auf die Bedeutung der Materie ab, diese in dem großen Kreise des Reichskabinetts zum Gegenstand der Besprechung zu machen.«
Und sehen Sie sich die Leute an, die anwesend waren: Der Führer, der Reichskriegsminister, die drei Oberbefehlshaber und der Minister des Auswärtigen.
Angeklagter! Nehmen wir nun an, Hitler hätte im Februar oder März 1938 die österreichische Frage vor demselben Rat, vor derselben begrenzten Anzahl von Leuten erörtern wollen. Wollen wir einmal sehen, wer die Plätze der Leute, die ich eben genannt habe, eingenommen hätte: An Stelle des Herrn von Blomberg und des Herrn von Fritsch würden wir den Angeklagten Keitel als Chef des OKW gehabt haben und von Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres, nicht wahr?
VON NEURATH: Ja, ich glaube.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Raeder und Göring hätten ihre Stellungen beibehalten. Der Angeklagte von Ribbentrop hätte Ihre Stelle eingenommen, und Sie wären Vorsitzender des Geheimen Kabinettsrates gewesen. Lammers wäre Chef der Reichskanzlei gewesen, und Goebbels als Propagandaminister wäre noch wichtiger geworden.
Ich möchte, daß Sie sieh nunmehr ansehen, wer die Leute waren, die den Geheimen Kabinettsrat bildeten.
Euer Lordschaft! Sie werden es auf Seite 8 des Dokumentenbuches 12 finden, und es ist Seite 7 des deutschen Dokumentenbuches.
[Zum Zeugen gewandt:]
Nun, sehen Sie, wer diese Leute sind: Der Angeklagte von Ribbentrop, der Angeklagte Göring, der Stellvertreter des Führers, Heß, Dr. Goebbels, Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, von Brauchitsch, Raeder und Keitel.
Wenn ich Sie richtig verstehe, behaupten Sie, daß dieser Geheime Kabinettsrat in Wirklichkeit gar nicht existiert?
Das ist doch Ihre Ansicht, nicht wahr?
[61] VON NEURATH: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Warum haben Sie denn als Vorsitzender des Geheimen Kabinettsrates besondere Fonds bekommen, um diplomatische Informationen zu erhalten?
VON NEURATH: Habe ich keine bekommen. Ich möchte wissen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wirklich nicht?
VON NEURATH: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, sehen Sie sich doch dies an. Wollen Sie Dokument 3945-PS betrachten!
Euer Lordschaft! Es ist auf Seite 129 des Dokumentenbuches 12a, es wird GB-518.
[Zum Zeugen gewandt:]
Sehen Sie sich Lammers' Brief an Sie vom 28. August 1939 an! Es heißt darin:
»Ihrer Bitte entsprechend habe ich den Ihnen für besondere Ausgaben zur Erlangung diplomatischer Informationen zur Verfügung gestellten Betrag von 10.000,00 RM an Amtsrat Köppen übergeben lassen.
Den Entwurf einer Verwendungsbescheinigung füge ich mit der Bitte bei, mir die Bescheinigung nach Vollziehung, spätestens am Schlusse des Rechnungsjahres, zugehen zu lassen.«
Und wenn Sie sich der nächsten Seite, 131, zuwenden, werden Sie sehen, daß Sie Ende März, also am Ende des Finanzjahres, eine Verwendungsbescheinigung unterschrieben haben, in der es heißt:
»10.000,00 RM ›Zehntausend Reichsmark‹ habe ich von der Reichskanzlei für besondere Ausgaben zur Erlangung diplomatischer Informationen erhalten.«
Wollen Sie uns jetzt sagen, warum Sie besondere Gelder zur Erlangung diplomatischer Informationen bekamen?
VON NEURATH: Ja, das kann ich Ihnen sagen. Dieses ist ein Ausdruck, den ich auf Bitten von Lammers, der ja die Kassen der Reichskanzlei unter sich hatte, gebraucht habe, um die Kosten für mein Büro, nämlich das Gehalt für einen Sekretär und ein Schreibfräulein, zu bezahlen, und um das gegenüber... ich weiß nicht welcher Behörde gegenüber... wie heißt diese Behörde... dem Finanzministerium gegenüber rechtfertigen zu können – ich hatte ja keinen besonderen Etat –, hat Herr Lammers verlangt, daß ich diesen Ausdruck benütze. Das geht aus einer Bescheinigung, die auch da drin ist, hervor.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schon gut. Ich werde mich noch auf die anderen Briefe beziehen. Warum durften die Kosten für [62] Ihren einen Sekretär und eine Stenotypistin nicht berechnet werden? Wie wir es auf den Seiten...
Euer Lordschaft! Das ist auf Seite 134 und 135.
VON NEURATH: Ich habe ja eben gesagt, daß...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich auf Seite 134 den Brief von Ihnen an Lammers an, worin es heißt:
»In meiner Dienststelle besteht die Notwendigkeit besonderer Ausgaben, deren Belegung mir nicht angezeigt erscheint.«
Warum war es nicht angezeigt, die Ausgaben für Ihren Sekretär und Ihre Stenotypistin zu belegen?
VON NEURATH: Ich kann es im Moment nicht mehr sagen, ich habe aber jedenfalls keinerlei Ausgaben für diplomatische Informationen mehr gebraucht, sondern das sind lediglich Bürokosten, die ich darin berechnete. Es steht also hinten in diesem mir vorgelegten...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber wenn...
VON NEURATH: Bitte, lassen Sie mich ausreden!
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sicherlich.
VON NEURATH: Es steht hier eine Meldung an mich von meinem, von diesem Sekretär, worin er sagt, daß... es solle... nein, das ist dieses Schreiben nicht...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich kann wohl voraussehen, daß Sie, wenn Sie zu Ende sind, wohl sagen wollen, es seien Büroausgaben gewesen. Wollen Sie sich bitte 3958-PS ansehen!
Euer Lordschaft! Das wird GB-519.
[Zum Zeugen gewandt:]
Es zeigt dies, daß Ihre Büroausgaben in dem gewöhnlichen Budget erscheinen. Es ist ein Brief an Sie vom 8. April 1942.
VORSITZENDER: Ist das im Buch?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, das ist im Buch, es ist Seite 140, ich bitte um Verzeihung.
[Zum Zeugen gewandt:]
Es ist ein Brief an Sie, in dem es heißt:
»Der Reichsminister der Finanzen hat zugestimmt, daß der von Ihnen für das Rechnungsjahr 1942 angemeldete Bedarf an Haushaltsmitteln in den Einzelplan I eingestellt wird. Ich trage daher keine Bedenken, bereits vor Feststellung des Einzelplanes I im Rahmen dieser Beträge, und zwar [63] für persönliche Verwaltungsausgaben bis zu 28.500,00 RM, für sächliche Verwaltungsausgaben bis zu 25.500,00 RM
54.000,00 RM zusammen
die notwendigen Ausgaben leisten zu lassen.«
Das war doch für Ihr Büro und Ihre persönlichen Ausgaben bestimmt während derselben Periode, für die Sie diese Sonderfonds erhielten.
Ich behaupte daher, daß diese Summe von 10.000 RM, die Sie hie und da erhielten, nicht für Büroausgaben bestimmt war und bitte Sie, dem Gerichtshof mitzuteilen, wofür Sie diese Gelder erhielten.
VON NEURATH: Ja bitte, mir wäre es lieber, wenn ich es auch erfahren würde, ich weiß es nicht mehr.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wir haben Ihre Briefe, und Sie bekamen das Geld. Können Sie nicht dem Gerichtshof sagen, wofür Sie es erhalten haben?
VON NEURATH: Nein, ich kann das im Moment nicht. Vielleicht Kann ich es Ihnen nachher sagen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Möglicherweise zur Erlangung von diplomatischen Informationen, es heißt...
Euer Lordschaft! Dr. von Lüdinghausen weist darauf hin, daß der Brief, den ich vorhalte, aus dem Jahre 1939 stammt. Es gab natürlich auch noch andere Briefe, und ich habe dem Gerichtshof nicht jeden einzelnen vorgelegt. Hier ist aber ein anderer Brief mit dem Hinweis auf eine Zahlung am 9. Mai 1941 und dann noch ein anderer Hinweis auf eine Zahlung am 30. Juni 1943.
Euer Lordschaft! Es ist auf den Seiten 133 und 134. Es tut mir leid, daß ich die Einzelheiten nicht vorgebracht habe. Vielleicht hätte ich sie anführen sollen.
VORSITZENDER: Der Brief auf Seite 137, der sich vielleicht auf diese Sache bezieht, ist von einem gewissen »K.« unterschrieben; ist das der Mann, der die früheren Gesuche gestellt hat?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl.
Angeklagter! Wollen Sie das Dokument Nummer 3945-PS ansehen, es ist ein Brief vom 14. Juli 1943 mit »K.« unterschrieben.
»Bei meiner Sondierung in der Angelegenheit des besonderen Fonds waren die Sachbearbeiter in der Reichskanzlei durchaus verständnisvoll für die Sache eingestellt und baten um einen schriftlichen Antrag Eurer Exzellenz. Auf meine Erwiderung, daß ich diesen Antrag nicht vor der Gewähr eines sicheren Erfolges beibringen möchte, erbaten sie sich noch etwas Zeit zur weiteren Fühlungnahme. Nach einigen Tagen ist mir dann mitgeteilt worden, daß ich den Antrag ohne [64] Bedenken beibringen könne, worauf ich das bisher zurückgehaltene Schreiben überreicht habe. Nun ist mir heute die beantragte Summe übergeben worden, die ich ordnungsgemäß in meinem besonderen Kassenbuch als Einnahme gebucht habe.«
VON NEURATH: Ja, trotzdem...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, hilft Ihnen das weiter? Können Sie jetzt dem Gerichtshof mitteilen, was das für besondere Ausgaben zur Erlangung von diplomatischen Informationen waren, für die Sie das Geld bekamen?
VON NEURATH: Es tut mir sehr leid, ich kann's absolut nicht... ich kann mich dieser ganzen Geschichte nicht mehr erinnern. Das Auffallende ist ja, daß dieser Brief vom 14. Juli 1943 ist, wo ich überhaupt keine Tätigkeit mehr entfaltete, wo ich ganz weg war. Ich weiß es im Moment nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist aber sehr merkwürdig. In einem weiteren Brief, 3958-PS, vom 8. Januar 1943, und in den folgenden vom 4. März und vom 20. April, wird das Ende Ihres Aufenthaltes in Ihrem Haus in der Rheinbabenallee 23, der Zeitpunkt des Aufhörens Ihrer Ausgaben und Ihre Übersiedlung auf das Land erklärt.
Ich wollte Sie gerade etwas über dieses Haus fragen. Sehen Sie sich das Affidavit des Herrn Geist, des Amerikanischen Konsuls, an.
Euer Lordschaft! Das ist 1759-PS, US-420. Ich habe mich heute morgen darauf bezogen.
[Zum Zeugen gewandt:]
Die Stelle, über die ich Sie verhören möchte, ist ungefähr in der Mitte des Absatzes.
Euer Lordschaft! Es ist unten auf Seite 11 der eidesstattlichen Versicherung in der englischen Fassung.
VORSITZENDER: Haben Sie das separate Dokument?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft! Es ist auf Seite 11 unten. Der Absatz beginnt mit: »Ein anderer Fall derselben Art ereignete sich im Zusammenhang mit meinem Hausbesitzer...«
VORSITZENDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Wenn Euer Lordschaft noch ungefähr zehn Zeilen weitergehen möchten, bis dahin, wo er, nachdem er beschrieben hat, wie sein Hauswirt das Haus an die SS abgeben mußte, erklärt:
»Ich weiß, daß in vielen Fällen, in denen man es für notwendig hielt, den Druck zu vergrößern, der zukünftige Käufer oder sein Agent gewöhnlich von einem uniformierten SA- oder SS-Mann begleitet waren. Da ich in der unmittelbaren [65] Nachbarschaft wohnte und die betreffenden Menschen kannte, weiß ich, daß Baron von Neurath, ehemaliger deutscher Außenminister, sein Haus auf diese Weise von einem Juden erwarb. Er war in der Tat mein nächster Nachbar in Dahlem. Von Neuraths Haus war ungefähr 250000 Dollar wert.«
[Zum Zeugen gewandt:]
War das Rheinbabenallee 23?
VON NEURATH: Ja, ja...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und wer hat es für Sie erworben, so daß der Vorsitzende eines nicht bestehenden Geheimen Kabinettsrates es als Dienstwohnung gebrauchen konnte? Wer hat es für Sie erworben?
VON NEURATH: Ich habe das nicht verstanden. Wer hat... ?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wer hat es für Sie erworben, Rheinbabenallee 23?
VON NEURATH: Das kann ich Ihnen erzählen.
Im Jahre 1937, als Hitler die großen Bauten für seine Reichskanzlei machte, erklärte er mir eines Tages, ich müßte aus meiner damaligen Wohnung, die hinter dem Außenministerium lag, ausziehen, weil er den Garten für seine Reichskanzlei wolle, und das Haus werde abgerissen. Er habe Anweisung gegeben, und zwar an die Reichsbauverwaltung, mir andere Wohnungen zu suchen. Die Reichsbauverwaltung schlug mir verschiedentlich enteignete jüdische Villen vor. Ich lehnte sie aber ab. Ich mußte nun aber selbst nach einer Wohnung suchen, und mein Hausarzt, dem ich dieses mitteilte gelegentlich, sagte, er wisse eine in Dahlem, das ist die Rheinbabenallee 23 gewesen; er sei dort auch Hausarzt bei dem betreffenden Besitzer. Dieser Besitzer war ein Oberstleutnant Glotz, der Bruder eines intimen Freundes von mir. Ich habe das der Reichsbauverwaltung mitgeteilt und habe gesagt, sie solle mit diesem Herrn in Verbindung treten. Im Laufe dieser Verhandlungen, die von der Reichsbauverwaltung geführt wurden, ist dann ein Kaufvertrag zustande gekommen zu diesem von Herrn Geist angegebenen Preis, aber nicht in Dollars, sondern in Mark. Dieser Betrag ist auf Bitten des Oberstleutnants Glotz ihm ausgezahlt worden in bar und sogar noch auf seinen Wunsch, und das habe ich beim Finanzminister durchgesetzt, nach der Schweiz überwiesen worden.
Ich bemerke, daß ich damals noch Außenminister war. Nachher bin ich in dieser Wohnung dringeblieben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich keine andere bekam und Herr von Ribbentrop, mein Nachfolger, in das alte Reichspräsidentenpalais einzog.
Im Jahre 1943 wurde dieses Haus dann zerstört.
Ich kann mir im Moment also immer noch nicht erklären, wofür diese Gelder waren, ob das durch Abzahlung war, die von der [66] Reichskasse geleistet wurden; ich kann es beim besten Willen nicht sagen. Aber die Ausführungen des Herrn Geist da drin sind völlig unrichtig, wie ich eben beschrieben habe. Ich habe es nicht von einem Juden gekauft oder übergeben lassen, sondern von dem christlichen Oberstleutnant Glotz.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie behaupten, Sie hätten das Geld nach der Schweiz auf sein Konto überwiesen?
VON NEURATH: Ich? Ja. Weil Herr... Herr Glotz ist nach der Schweiz gegangen. Ich glaube allerdings, seine Frau war nicht arisch.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte noch den nächsten Satz verlesen, und dann wollen wir dieses Dokument verlassen.
»Ich weiß auch, daß Alfred Rosenberg, der in derselben Straße wohnte wie ich, ein Haus von einem Juden auf ähnliche Weise sich zugeeignet hat.«
Wissen Sie etwas darüber?
VON NEURATH: Ich weiß gar nicht, wie Herr Rosenberg zu seinem Haus gekommen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Angeklagter, ich möchte mich jetzt dem März 1938 zuwenden. Ich kann es vielleicht kurz zusammenfassen, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Sie wissen, daß die Anklagevertretung Ihnen Ihre, dem Englischen Gesandten in Bezug auf den Anschluß gegebene Antwort zur Last legt. Soweit ich Sie verstehe, behaupten Sie jetzt, Ihre Antwort sei ungenau gewesen. Sie hätten sie aber damals nach bestem Wissen gegeben. Stimmt das?
VON NEURATH: Ja, das ist ganz richtig. Es ist wahr. Das war eine unrichtige Angabe, die ich aber eben nicht besser wußte, nicht wahr?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie behaupten, daß Sie weder von Hitler noch von Göring ein Wort über diese Ultimaten gehört hätten, die zuerst an Herrn Schuschnigg und dann an den Präsidenten Miklas gerichtet wurden. Es wurde Ihnen also nichts darüber mitgeteilt? Wollen Sie das behaupten?
VON NEURATH: Nein. Damals – damals wußte ich nichts. Ich habe es erst später erfahren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich werde mich jetzt davon abwenden. Da der Angeklagte die Richtigkeit nicht bestreitet, werde ich mich mit diesem Vorfall nicht näher befassen; das haben wir bereits mehrmals getan.
VORSITZENDER: Ich möchte wissen, wann er den wahren Sachverhalt erfahren hat.
[67] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin Ihnen dankbar.
Angeklagter! Wann hörten Sie von dem wahren Sachverhalt des Anschlusses?
VON NEURATH: Die Einzelheiten überhaupt erst hier, als mir dieser Bericht des Gesandtschaftsrates Hewel vorgelegt wurde. Ich habe wohl nachher... schon früher gehört, daß auf Herrn Schuschnigg ein Druck ausgeübt worden sei, aber sonst nichts.
Die genauen Einzelheiten habe ich tatsächlich erst hier in Nürnberg erfahren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte es lediglich klarstellen. Sie sagen, daß Sie zwischen dem 11. März und dem Zeitpunkt, als Sie nach Nürnberg kamen, niemals etwas über die Drohungen eines Einmarsches in Österreich gehört haben, die von dem Angeklagten Göring oder in seinem Namen von Keppler oder General Muff ausgesprochen wurden. Sie haben nie etwas darüber gehört?
VON NEURATH: Nein, da habe ich eben nichts davon gehört.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann möchte ich Sie über die Zusicherung fragen, die Sie Herrn Mastny, dem Tschechoslowakischen Gesandten in Berlin gegeben haben. Ich möchte, daß Sie sich das Dokument 122 ansehen, das Sie im Dokumentenbuch 12 auf Seite 123 finden werden. Die Stelle, über die ich Sie befragen will, ist im 6. Absatz. Nach der Unterredung mit dem Angeklagten Göring über die tschechoslowakische Mobilmachung finden wir dort folgendes:
»Herr Mastny war in der Lage, ihm bestimmte und bindende Zusicherungen in dieser Beziehung zu geben;« – das heißt über die tschechoslowakische Mobilisierung – »er sprach heute« – das ist am 12. März – »mit Baron von Neurath, der ihm unter anderem in Hitlers Namen versicherte, daß Deutschland sich selbst noch immer an die im Oktober 1925 in Locarno abgeschlossene deutsch-tschechoslowakische Schiedsvereinbarung gebunden fühle.« (Dokument TC-27.)
Sie haben nun vor dem Gerichtshof ausgesagt – und in der Aussage der Baronin von Ritter heißt es ebenfalls so –, daß die Zusammenkunft vom 5. November einen sehr beunruhigenden Eindruck auf Sie gemacht und zu einer ernsten Herzattacke geführt habe.
Eine der Fragen, die damals erörtert wurden, war nicht nur ein Überfall auf Österreich, sondern auch auf die Tschechoslowakei, um die deutsche Flanke zu sichern. Warum dachten Sie am 12. März, daß Hitler sich jemals durch den deutsch-tschechoslowakischen Schiedsvertrag gebunden fühlen würde, gemäß dem jeder Streitfall [68] mit der Tschechoslowakei an den Völkerbundsrat oder an den Internationalen Gerichtshof verwiesen werden mußte? Warum in aller Welt dachten Sie, daß es überhaupt möglich wäre, daß Hitler eine Streitfrage mit der Tschechoslowakei an eine dieser beiden Körperschaften verweisen würde?
VON NEURATH: Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Ich habe gestern schon ausgeführt, daß Hitler am 11. mich abends aus mir bis heute noch nicht ganz geklärten Gründen kommen ließ und mir mitteilte, daß der Einmarsch nach Österreich in der Nacht erfolgen solle, und auf meine Frage oder auf meine Bemerkung, das werde in der Tschechoslowakei eine große Unruhe hervorrufen, erklärt hat, er habe keinerlei Absichten jetzt gegen die Tschechei, und er sei... er hoffe sogar, daß durch den Einmarsch oder die Besetzung Österreichs die Beziehungen zur Tschechoslowakei sich jetzt erheblich bessern würden.
Aus diesem Satz und aus der Zusicherung, daß nichts erfolgen würde, habe ich geschlossen, daß die Dinge so bleiben, wie sie sind und wir natürlich auch noch gebunden sind an diesen Vertrag vom Jahre 1925. Also ich habe es mit absolut gutem Gewissen dem Herrn Mastny versichern können.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie am 12. März an die Worte Hitlers geglaubt? Haben Sie am 12. März 1938 immer noch an die Worte Hitlers geglaubt?
VON NEURATH: Immerhin, damals noch.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich dachte, von Fritsch war einer Ihrer Freunde, nicht wahr?
VON NEURATH: Wer?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Generaloberst von Fritsch, er war doch einer Ihrer Freunde?
VON NEURATH: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie haben nicht daran geglaubt, daß er homosexuell veranlagt war?
VON NEURATH: Nein, niemals.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie nicht, daß er im Januar 1938 einer künstlich fabrizierten Anklage ausgesetzt wurde?
VORSITZENDER: Wollen Sie bitte antworten, statt mit dem Kopf zu nicken?
VON NEURATH: Ja, ja, das wußte ich freilich, das habe ich erfahren, und zwar, daß diese Anklage fabriziert war, nach meiner Annahme wenigstens, von der Gestapo, aber nicht von Hitler.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wußten Sie denn nicht, daß diese widerlichen Geschichten über Feldmarschall von Blomberg [69] und Generaloberst von Fritsch von Mitgliedern der Nazi-Bande, die ja Ihre Kollegen in der Regierung waren, gefälscht wurden?
VON NEURATH: Ja, die Einzelheiten wußte ich ja nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Sie erinnern sich, daß in der Zeit von München, als Sie noch einmal für eine Zeitlang in die aktive Tätigkeit zurückkehrten, Präsident Benesch sich auf dieses deutsch-tschechoslowakische Schiedsabkommen berufen hat und daß Hitler diesen Appell einfach zur Seite geschoben hat. Erinnern Sie sich daran? Es war im September 1938?
VON NEURATH: Nein, das weiß ich nicht, ich war ja da nicht mehr im Amt. Diese Sachen habe ich gar nicht zu sehen bekommen. Das weiß ich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Sie wissen es nicht? Natürlich ist es in der deutschen Presse und in jeder anderen Presse erschienen, daß er sich auf diesen Vertrag berufen hat und daß Hitler sich geweigert hat, ihn in Betracht zu ziehen. Aber Sie behaupten, Sie hätten am 12. März noch aufrichtig daran geglaubt, daß Hitler sich an dieses Schiedsabkommen halten würde; das wollten Sie doch zum Ausdruck bringen?
VON NEURATH: Ja, ich hatte keine Bedenken.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Das mag ein günstiger Zeitpunkt zur Unterbrechung sein.
[Pause von 10 Minuten.]
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Sie sprachen gestern über das Memorandum des Generalleutnants Friderici. Wissen Sie noch, daß er sich in diesem Memorandum auf eine von Ihnen verfaßte Denkschrift über die Behandlung der Tschechoslowakei bezogen hat? Ich möchte, daß Sie sich Dokument Nummer 3859-PS ansehen, damit der Gerichtshof Ihre Haltung den Tschechen gegenüber aus Ihren eigenen Worten ersehen kann.
Euer Lordschaft! Es ist auf Seite 107 des Dokumentenbuches 12a.
[Zum Zeugen gewandt:]
Ich will Ihnen zuerst Ihren Brief an Lammers vom 31. August 1940 vorlesen.
Euer Lordschaft! Es wird GB-520.
[Zum Zeugen gewandt:]
Sie schreiben:
»Lieber Herr Lammers!
In der Anlage übersende ich Ihnen die in meinem Schreiben vom 13. Juli d. J.... in Aussicht gestellte Aufzeichnung [70] über die Frage der zukünftigen Gestaltung des böhmischmährischen Raumes. Ich füge eine zweite Aufzeichnung über dieselbe Frage bei, die mein Staatssekretär K. H. Frank unabhängig von mir verfaßt hat, die in ihren Gedankengängen zu demselben Ergebnis gelangt« – ich bitte Sie, die nächsten Worte zu beachten – »und der ich mich voll anschließe. Ich bitte Sie, beide Aufzeichnungen dem Führer vorzulegen und einen Termin zum persönlichen Vortrag für mich und Staatssekretär Frank anzuberaumen.
Da, wie ich unter der Hand erfahren habe, von seiten einzelner Partei- und anderer Stellen beabsichtigt ist, dem Führer Vorschläge hinsichtlich der Lostrennung verschiedener Teile des mir unterstellten Protektorates zu unterbreiten, ohne daß ich diese Projekte im einzelnen kenne, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie den Termin für meinen Vortrag so rechtzeitig ansetzen wollen, daß ich als zuständiger Reichsprotektor und Kenner des tschechischen Problems mit meinem Staatssekretär Gelegenheit habe, unsere Ansicht dem Führer gegenüber zu vertreten, bevor von anderer Seite alle möglichen Pläne an ihn herangebracht werden.«
Nun, jetzt will ich auf den von mir als Kernpunkt Ihres Memorandums angesehenen Teil übergehen. Wollen Sie bitte umblättern, dort steht Ihr Memorandum. Nehmen Sie den ersten Absatz, Abschnitt I!
»Jede Betrachtung über die künftige Gestaltung von Böhmen und Mähren muß von dem Ziel ausgehen, das staatspolitisch und volkspolitisch für diesen Raum aufzustellen ist.
Staatspolitisch kann das Ziel nur sein: Die rest lose Eingliederung in das Großdeutsche Reich; volkspolitisch: Die Füllung dieses Raumes mit deutschen Menschen.«
Und dann verweisen Sie auf den einzuschlagenden Weg. Wenn Sie nun zum Abschnitt II übergehen, finden Sie in der Mitte des Punktes 2 einen Unterabschnitt.
Das ist oben auf Seite 109 in Ihrem Buch, Euer Lordschaft.
Ich verlese:
»Diese 7,2 Millionen Tschechen, von denen 3,4 Millionen in Städten und Gemeinden über 2000 Einwohner, und 3,8 Millionen in Gemeinden unter 2000 Einwohner und auf dem Lande wohnen, werden geführt und beeinflußt von einer der Größe des Landes nach ungebührlich aufgeblähten Intelligenzschicht. Dieser Teil der Bevölkerung hat auch nach der Änderung der staatsrechtlichen Lage dieses Raumes mehr oder minder offen versucht, notwendige Maßnahmen, die die Verhältnisse des Landes dem neuen Zustande anpassen sollten, zu sabotieren oder mindestens zu verzögern. Der [71] übrige Teil der Bevölkerung, die Kleingewerbetreibenden, die Bauern und Arbeiter, hat sich besser mit den neuen Verhältnissen abgefunden.«
Wollen Sie dann zu Punkt 3 übergehen. Sie schreiben:
»Es wäre aber ein verhängnisvoller Irrtum, hieraus zu schließen, daß die Regierung und die Bevölke rung dieses Wohlverhalten zeigten, weil sie sich innerlich mit dem Wegfall ihres selbständigen Staates und der Eingliederung in den großdeutschen Raum abgefunden hätten. Der Deutsche wird nach wie vor als lästiger Eindringling angesehen, und die Sehnsucht nach Wiederkehr der alten Zustände ist weitgehend vorhanden, auch wenn sie nicht ausgesprochen wird.
Die Bevölkerung fügt sich in die neuen Verhältnisse im großen und ganzen, aber sie tut es nur, weil sie entweder die erforderliche verstandesmäßige Einsicht besitzt oder weil sie die Folgen des Ungehorsams fürchtet. Sie tut es sicher nicht aus ihrem Herzen heraus. Diese Einstellung wird noch längere Zeit so bleiben.«
Lesen wir jetzt Abschnitt III:
»Wenn aber nun, die Verhältnisse so liegen, so wird entschieden werden müssen, was mit dem tschechischen Volk zu geschehen hat, damit das Ziel der Eingliederung des Landes und der Füllung des Raumes mit deutschen Menschen so rasch als möglich und so gründlich als möglich erreicht wird.
Die radikalste und theoretisch vollkommenste Lösung des Problems wäre die totale Aussiedlung aller Tschechen aus diesem Lande und seine Besiedlung mit Deutschen.«
Sie sagen dann:
»Diese Lösung ist aber nicht möglich, weil es nicht genug deutsche Menschen gibt, um sofort alle Räume zu füllen...«
Und wenn Sie dann zu der zweiten Hälfte des Punktes 2 übergehen – Euer Lordschaft, das sind die letzten sechs Zeilen der Seite 110 – finden Sie:
»Es wird vielmehr bei den Tschechen darauf ankommen, einerseits durch individuelle Zuchtwahl die rassenmäßig für die Germanisierung geeigneten Tschechen zu erhalten, andererseits die rassisch unbrauchbaren oder reichsfeindlichen Elemente (die in den letzten 20 Jahren entwickelte Intelligenzschicht) abzustoßen. Durch einen solchen Prozeß wird die Germanisierung erfolgreich durchgeführt werden können.«
Angeklagter! Sie wissen, daß wir Ihnen und Ihren Mitangeklagten in der Anklageschrift dieses Prozesses unter vielem anderen auch das »Genocidium«, das heißt die Ausrottung rassischer und [72] nationaler Gruppen, oder wie es in dem bekannten Buch von Professor Lemkin heißt: »Ein zusammengefaßter Plan verschiedener Aktionen, mit dem Ziel der Vernichtung der für das Leben nationaler Gruppen wichtigen Grundlagen und mit dem Endziel, diese Gruppen selbst auszurotten« zur Last legen. Sie wollten die Lehrer, die Schriftsteller und die Künstler der Tschechoslowakei, die Sie als Intelligenzschicht bezeichnen, loswerden, das heißt die Leute, die die Geschichte und Tradition der Tschechoslowakei zu erhalten und an die kommenden Generationen zu überliefern hatten. Das waren die Leute, die Sie nach Ihren Äußerungen in diesem Memorandum vernichten wollten, nicht wahr?
VON NEURATH: Nicht ganz. Es sind hier...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bevor Sie Ihre Antwort geben, möchte ich wissen, was Sie mit dem Satz in der letzten von mir verlesenen Stelle meinten, nämlich mit dem Satz:
»...die rassisch unbrauchbaren oder reichsfeindlichen Elemente (die in den letzten 20 Jahren entwickelte Intelligenzschicht) abzustoßen.«
Meinten Sie, was Sie sagten? Sprachen Sie die Wahrheit, als Sie sagten, es sei notwendig, die Intelligenzschicht abzustoßen?
VON NEURATH: Da kann ich nur eines sagen, ja und nein, das heißt, ich möchte aber auch zunächst vorausschicken, aus diesem Bericht geht hervor, daß diese Denkschrift verfaßt ist von Frank. Ich habe mich ihr angeschlossen, es ist am 31, August 1940 gewesen. Die Denkschrift, die mir... Die Denkschrift, die erwähnt ist in dem Friderici-Bericht, glaube ich, aus einem... ist von einem späteren Zeitpunkt. Ich weiß es auswendig jetzt nicht mehr.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich denke, Sie werden es finden. Ich werde Ihnen gleich ein Schreiben von Ziemke vorlegen, das Hitlers Ansichten wieder gibt, und Sie werden finden, daß Hitler sich mit diesem Memorandum befaßt hat. Ich zeige Ihnen gleich Franks Denkschrift. Ich mache Sie jetzt darauf aufmerksam, daß Sie an Lammers geschrieben haben, Sie würden Ihrer Denkschrift noch eine andere Aufzeichnung beifügen, deren wichtigsten Teil ich jetzt verlesen werde. Es ist die Aufzeichnung von Karl Hermann Frank. Aber dies ist ein...
VON NEURATH: Sie sind beide von Frank.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde es Ihnen zeigen... Nein. Sehen Sie sich Ihr eigenes Schreiben vom 31. August an:
»In der Anlage übersende ich Ihnen die... Aufzeichnung.« Und dann fahren Sie fort: »Ich füge eine zweite Aufzeichnung... bei, die mein Staatssekretär Frank unabhängig von mir verfaßt hat,... und der ich mich voll anschließe.«
[73] Ich behaupte, Sie wissen, daß es sich hier um Ihre Denkschrift handelt, auf die im Friderici-Dokument Bezug genommen wurde, wo...
Euer Lordschaft! Es ist Seite 132 des Dokumentenbuches 12.
[Zum Zeugen gewandt:]
...General Friderici folgendes sagt:
»Der Reichsprotektor hat zu den verschiedentli chen Planungen nach reiflicher Prüfung in einer Denkschrift Stellung genommen.«
Ich behaupte, daß es sich hier um Ihr Memorandum handelt, das Sie an Lammers zur Vorlage an den Führer geschickt haben. Wollen Sie wirklich vor diesem Gerichtshof behaupten, es sei nicht Ihre Denkschrift?
VON NEURATH: Nein, das will ich gar nicht behaupten, ich weiß es tatsächlich im Moment nicht mehr. Verfaßt ist sie nicht von mir, aber ich habe mich seinem Inhalt angeschlossen, das steht ja in dem Brief an Lammers.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wenn Sie sich seinem Inhalt angeschlossen haben, was haben Sie dann mit dem Ausdruck, die Intelligenzschicht müsse abgestoßen werden, sagen wollen, wenn nicht, daß Sie die Tschechen als eine nationale Einheit vernichten wollten und die Menschen, die die Geschichte, Tradition und Sprache aufrechterhalten sollten, abzustoßen im Sinne hatten. Ist das nicht der Grund, warum Sie die Intelligenzschicht abstoßen wollten?
VON NEURATH: Von »Vernichten« habe ich nie gesprochen, aber daß die Intelligenz...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich sagte »abstoßen«.
VON NEURATH: Ach so.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist Ihr eigenes Wort.
VON NEURATH: Die Intelligenzschicht war das größte Hindernis für eine Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Tschechen, und aus diesem Grunde, wenn man das erreichen wollte, und das war ja doch das Ziel der Politik, so mußten diese Intelligenzschichten in irgendeiner Weise vermindert und hauptsächlich in ihrem Einfluß vermindert werden; das war der Sinn dieser Ausführung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Sie sagen, »das Ziel der Politik«, Sie meinen doch damit die Zerstörung der tschechischen Bevölkerung als nationale Einheit mit ihrer eigenen Sprache, Geschichte und Tradition, und ihre Einverleibung in das Großdeutsche Reich. Das war Ihre Politik, nicht wahr?
[74] VON NEURATH: Meine Politik war, zunächst die Tschechoslowakei soweit wie möglich anzugleichen. Im Endeffekt war das aber auf Generationen hin nicht zu erreichen gewesen. Zunächst handelte es sich darum, eine Zusammenarbeit zustande zu bringen, um Ruhe und Ordnung zu haben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Nun, bevor... bevor ich Ihnen Franks Memorandum, mit dem Sie sich ja völlig einverstanden erklärt haben, vorlege, verweise ich Sie auf Abschnitt VII Ihrer eigenen Denkschrift.
Euer Lordschaft! Es ist Seite 113 im Dokumentenbuch 12a.
[Zum Zeugen gewandt:]
In Abschnitt VII sagen Sie:
»Wenn man die gigantischen Aufgaben betrachtet, die dem deutschen Volk nach einem siegreichen Krieg bevorstehen, so wird jedem die Notwendigkeit eines sparsamen und rationellen Einsatzes der deutschen Menschen klar werden. Es sind so viele Aufgaben sofort und gleichzeitig anzupacken, daß eine vorsichtige, wohlerwogene Disposition über die für die Lösung dieser Aufgaben geeigneten deutschen Menschen unbedingt notwendig ist. Das Großdeutsche Reich wird sich in weitem Umfange auf allen Gebieten der Hilfsarbeit volksfremder Menschen bedienen müssen und sich darauf beschränken müssen, Schlüsselstellungen mit deutschen Menschen zu besetzen und die Sparten der öffentlichen Verwaltung zu übernehmen, bei denen es das Reichsinteresse unbedingt erfordert.«
In dieser Denkschrift haben Sie die Pläne entworfen, nach denen man mit den Tschechen nach einem angenommenen siegreichen Krieg verfahren Sollte. Mit anderen Worten, die Tschechen sollten als Volk verschwinden und in das Großdeutsche Reich einverleibt werden. War das Ihre Absicht?
VON NEURATH: Die Tschechen als Volk verschwinden zu lassen, war überhaupt unmöglich. Das war nicht möglich. Wohl aber sollten sie sich enger in das Reich eingliedern, und das meine ich mit dem Wort »assimilieren«.
Es ist in diesem Memorandum übrigens auch ausgeführt – vorne, weiter vorne – daß ja rassisch gesehen, wenn man so diesen..., diesen unerfreulichen Ausdruck benützen will, außerordentlich viel Deutsche in der Tschechoslowakei vorhanden waren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun wenden Sie bitte die Seite um, und schauen Sie sich einmal an, wie die Denkschrift Ihres Staatssekretärs, der Sie sich ja angeschlossen haben, lautet.
Euer Lordschaft! Sie finden es auf Seite 115 in der Anlage Nummer 2.
[75] [Zum Zeugen gewandt:]
Da entwickelt der Staatssekretär das Problem und sagt im zweiten Satz:
»Die Frage, ob das Protektorat mit einem Reichsprotektor an der Spitze zur Regelung des tschechischen Problems angemessen ist, daher aufrechterhalten werden oder einer anderen Konstruktion Platz machen soll, wird von verschiedenen Seiten aufgeworfen und ist Anlaß dieser Denkschrift. Sie will in knappen Zügen
A) die Natur des tschechischen Problems aufzeigen,
B) die gegenwärtige Form seiner Regelung analysieren,
C) die vorgeschlagenen Abänderungen auf ihre Zweckmäßigkeit prüfen und schließlich
D) zur Gesamtfrage selbständig Stellung nehmen.«
Ich möchte nun, daß Sie sich die unabhängige Meinung Ihres Staatssekretärs, der Sie sich vollständig angeschlossen haben, ansehen.
VORSITZENDER: Sollten Sie nicht auch die letzten zwei Zeilen erlesen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft!
»Von der richtigen Entscheidung hängt die Lösung des tschechischen Problems ab. Wir tragen damit die Verantwortung für kommende Jahrhunderte.«
Euer Lordschaft! Franks eigene Stellungnahme beginnt auf Seite 121, Abschnitt D des Memorandums, sie fängt mit folgenden Worten an:
»Das Ziel der Reichspolitik in Böhmen und Mähren muß die restlose Germanisierung von Raum und Menschen sein. Um sie zu erreichen, gibt es zwei Möglichkeiten:
I. Die totale Aussiedlung der Tschechen aus Böh men und Mähren in ein Gebiet außerhalb des Reiches und Besiedlung des freigewordenen Raumes mit Deutschen, oder
II. Bei Verbleiben des Großteils der Tschechen in Böhmen und Mähren die gleichzeitige Anwendung vielfältigster, der Germanisierung dienender Methoden nach einem X-Jahresplan.
Eine solche Germanisierung sieht vor:
1.) Die Umvolkung der rassisch geeigneten Tschechen,
2.) Die Aussiedlung von rassisch unverdaulichen Tschechen und der reichsfeindlichen Intelligenzschicht beziehungsweise Sonderbehandlung dieser und aller destruktiven Elemente,
3.) Die Neubesiedlung dadurch freigewordenen Raumes mit frischem deutschen Blut.«
[76] Dann möchte ich, daß Sie sich die Stelle ansehen, wo Ihr Staatssekretär konkrete Vorschläge zur Germanisierungspolitik macht. Behalten Sie bitte im Gedächtnis, daß Sie sich in Ihrem Brief an Lammers diesen Vorschlägen voll angeschlossen haben.
Ich verweise Euer Lordschaft auf Seite 123, mit der Überschrift »Jugend«.
»Grundlegende Änderung der Schulbildung – Ausrottung des tschechischen Geschichtsmythos.«
[Zum Zeugen gewandt:]
Das ist also der erste Punkt. Die Vernichtung jedes Gedankens, den die Tschechen über ihre mit der Zeit des heiligen Wenzel vor nahezu tausend Jahren beginnende Geschichte haben könnten.
Das ist also Ihr erster Punkt:
»Erziehung zum Reichsgedanken – Ohne perfekte Kenntnis der deutschen Sprache kein Vorwärtskommen – Erst Abschaffung der Mittelschulen, dann auch der Volksschulen. – Nie mehr tschechische Hochschulen, nur für Übergang ›Collegium bohemicum‹ bei der deutschen Universität in Prag – Zweijährige Arbeitsdienstpflicht.
Großzügige Bodenpolitik, Schaffung deutscher Stützpunkte und deutscher Landbrücken, vor allem Vortreiben des deutschen Volksbodens vom Norden her bis in die Vororte Prags.
Kampf gegen die tschechische Sprache, die wie im 17. und 18. Jahrhundert nur Umgangssprache (Mundart), als Amtssprache vollständig verschwinden soll.
Ehepolitik nach vorhergegangener rassischer Untersuchung.
Bei Assimilierungsversuchen im Altreich müssen die Grenzgaue ausgeschaltet bleiben.
Neben ständiger Werbung für das Deutschtum und Gewährung von Vorteilen als Anreiz schärfste Polizeimethoden mit Landesverweisung und Sonderbehandlung gegen alle Saboteure. Grundsatz: ›Zuckerbrot und Peitsche‹.«
Was ist das »Zuckerbrot und die Peitsche«?
»Die Anwendung aller dieser Methoden hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine einzige zentrale Reichsgewalt mit einem Mann an der Spitze ihre Planung, Lenkung und Durchführung bestimmt. Die direkte Unterstellung des ›Herrn in Böhmen‹ unter den Führer stellt den politischen Charakter des Amtes und der Aufgabe klar und verhindert das Absinken des politischen Problems zu einem Verwaltungsproblem.«
Mit anderen Worten: Das Wesentliche dieser Politik war, daß Sie Reichsprotektor und Frank Staatssekretär bleiben konnten und [77] daß der Gauleiter von Niederdonau nicht imstande sein sollte, sich einzumischen, und Brünn als Gauhauptstadt wegzunehmen.
Angeklagter! Behaupten Sie vor diesem Hohen Gericht, so wie Sie es Dr. Lammers gegenüber getan haben, Sie seien mit diesen, wie ich behaupte, schrecklichen, harten und gewissenlosen Vorschlägen völlig einverstanden gewesen? Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden?
VON NEURATH: Nein, ich bin keineswegs damit einverstanden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und, warum haben Sie Lammers gesagt, Sie seien damit einverstanden? Warum sagten Sie denn Lammers damals, als alles glatt ging, Sie seien damit einverstanden?
VON NEURATH: Ich habe ja nachher dem Führer darüber Vortrag gehalten. Im übrigen geht aus diesen Ausführungen, die Sie eben gemacht haben, klar und deutlich hervor, daß auch diese erste Denkschrift von Frank verfaßt ist, der dann eine zweite noch dazu gemacht hat, und wenn Sie sagen, zum Schluß eben, es sei der Zweck gewesen zu erreichen, daß ich Reichsprotektor bleibe, so kann ich Ihnen nur sagen, der Zweck, wenn er überhaupt in dieser Beziehung einen hatte, war der, daß Frank Reichsprotektor werden wollte; aber inhaltlich kann ich mich mit diesen Ausführungen heute jedenfalls nicht mehr identifizieren und habe es auch seinerzeit bei dem Vortrag an den Führer nicht getan. Das geht ja aus den Aussagen hervor, die ich gestern gemacht habe. Ich habe diese Aussagen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich befasse mich nicht mit Ihren gestrigen Aussagen. Ich befasse mich mit dem, was Sie 1940 geschrieben haben. Damals schrieben Sie – ich lese die Worte noch einmal vor, ich habe sie bereits dreimal verlesen:
»Ich füge eine zweite Aufzeichnung über dieselbe Frage bei, die mein Staatssekretär K. H. Frank unabhängig von mir verfaßt hat, die in ihren Gedankengängen zu demselben Ergebnis gelangt und der ich mich voll anschließe.«
Warum haben Sie...
VON NEURATH: Ich sagte Ihnen ja eben, daß ich mich diesen Ausführungen heute nicht mehr anschließe und daß ich seinerzeit dem Führer gegenüber, wie ich es ihm mündlich vorgetragen habe, sie auch nicht unterstützt habe, sondern im Gegenteil die Ausführungen, die ich gestern machte und zu denen ich seine Zustimmung bekam, ihm vorgeschlagen habe.
VORSITZENDER: Sir David! Ist dies eine genaue Abschrift der Dokumente? In dem Brief vom 31. August 1940 steht am Rande eine Bemerkung: »Anlage 1, Anlage 2«.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft.
VORSITZENDER: Demnach weist der Brief das Dokument nach.
[78] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So verhält es sich, Euer Lordschaft. Das eine ist, wie ich behaupte, vom Angeklagten, das andere von Frank.
VORSITZENDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie, Angeklagter, haben gesagt, über was...
Sie hätten mit dem Führer ganz anders darüber gesprochen? Ich behaupte, daß es nicht stimmt. Es ist nicht wahr, daß Sie mit dem Führer ganz anders darüber gesprochen haben. Ich sage es Ihnen ins Gesicht, es ist nicht wahr.
VON NEURATH: Ja, dann bedaure ich sehr, dann lügen Sie eben, denn ich habe... ich muß doch wissen – ich muß doch wissen, ob ich mit dem Führer gesprochen habe. Ich habe persönlich ihm Vortrag gehalten, und zwar ohne Frank.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann wollen wir den Bericht lesen, Ihren Bericht.
Euer Lordschaft! Es ist auf Seite 7. Wir werden ja sehen, ob das wahr ist.
VORSITZENDER: Welche Seite?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Seite 7, Euer Lordschaft, Dokument D-739 desselben Dokumentenbuches 12a. Es ist GB-521. Es handelt sich um einen Bericht, einen geheimen Bericht des Vertreters des Auswärtigen Amtes beim Amt des Reichsprotektors vom 5. Oktober.
[Zum Zeugen gewandt:]
Sie werden sich erinnern, daß Ihr Schreiben vom 31. August stammt. In dem Bericht heißt es:
»Über den Empfang des Reichsprotektors und des Staatssekretärs Frank durch den Führer erfahre ich von authentischer Seite folgendes:
Reichsjustizminister Gürtner hielt einleitend einen Vortrag über die tschechische Widerstandsbewegung, wobei er ausführte, daß in der nächsten Zeit der erste Prozeß gegen die vier Haupträdelsführer vor dem Volksgerichtshof stattfinden werde.
Der Führer wandte sich gegen diese Ausführungen und erklärte, daß für tschechische Aufrührer und Rebellen Exekutionskommandos genügten. Es sei falsch, durch Gerichtsurteile Märtyrer zu schaffen, was Beispiele von Andreas Hofer und Schlageter bewiesen. Die Tschechen würden jedes Urteil als Unrecht empfinden. Da die Sache nun einmal auf das gerichtliche Geleise gebracht sei, solle es damit sein Bewenden [79] haben. Die Prozesse seien bis zum Friedensschluß zu vertagen und später im Lärm der Siegesfeier würden die Gerichtsverhandlungen ungehört verhallen. Die Urteile könnten nur auf Tod lauten, doch würde dann eine Begnadigung zu lebenslanger Festungshaft oder Deportation erfolgen.
Zur Frage der Zukunft des Protektorats streifte der Führer folgende drei Möglichkeiten:
1.) Belassung einer tschechischen Autonomie, wobei die Deutschen im Protektorat als gleichberechtigte Mitbürger lebten. Diese Möglichkeit scheidet aber aus, da immer mit tschechischen Umtrieben gerechnet werden müsse.
2.) Die Aussiedlung der Tschechen und die Verdeutschung des böhmisch-mährischen Raumes durch deutsche Siedler. Auch diese Möglichkeit käme nicht in Frage, da ihre Durchführung 100 Jahre beanspruchte.
3.) Die Verdeutschung des böhmisch-mährischen Raumes durch Germanisierung der Tschechen, d.h. durch ihre Assimilierung. Letztere wäre für den größeren Teil des tschechischen Volkes möglich. Von der Assimilierung seien auszunehmen diejenigen Tschechen, gegen welche rassische Bedenken beständen oder welche reichsfeindlich eingestellt seien. Diese Kategorie sei auszumerzen.
Der Führer entschied sich für die dritte Möglichkeit; er ordnete über Reichsminister Lammers an, daß der Vielheit der Pläne über die Aufteilung des Protektorats Einhalt geboten werde. Der Führer entschied ferner, daß im Interesse einer einheitlichen Tschechen-Politik eine zentrale Reichsgewalt in Prag für den gesamten böhmisch-mährischen Raum verbleibt.
Es verbleibt somit bei dem bisherigen Status des Protektorats.«
Und schauen Sie sich den letzten Satz an:
»Die Entscheidung des Führers erfolgte im Sinne der vom Reichsprotektor und von Staatssekretär Frank vorgelegten Denkschriften.«
Angeklagter! Obwohl Sie mir vorhin eine so scharfe Antwort gegeben haben, heißt es doch in diesem Dokument, daß nach dem Empfang des Reichsprotektors und des Staatssekretärs – es schreibt der Vertreter des Auswärtigen Amtes in Ihrem Amt – die Entscheidung des Führers im Sinne der von Ihnen und Ihrem Staatssekretär Frank vorgelegten Denkschriften erfolgt sei. Warum behaupten Sie, ich hätte Unrecht mit meiner Feststellung, es sei unwahr, daß der Führer andere Richtlinien verfolgt habe? Es steht doch klar in diesem Dokument.
[80] VON NEURATH: Ich habe darauf folgendes zu antworten: Zunächst geht daraus hervor: In der Frage der Zukunft des Protektorats streift der Führer folgende drei Möglichkeiten. Das sind die drei Möglichkeiten, die ich gestern als Vorschlag erwähnt habe. Es geht daraus weiter hervor, aber das nicht unmittelbar, daß der Anlaß zu dieser Besprechung mit dem Führer zunächst ein ganz anderer war, als bloß die Frage des Protektorats zu entscheiden. Sondern da war ja der Justizminister dabei. Eine juristische Frage über die Behandlung der Angehörigen der Widerstandsbewegung war der Anlaß, und dazu ist auch Frank nach Berlin gekommen, und ich war vorher in Berlin und habe dem Führer über diese... nicht über diese Denkschrift, die ich nicht in der Hand hatte, wohl aber im allgemeinen über die Tendenzen und über die zukünftige Politik im Protektorat Vortrag gehalten, und zwar Vortrag gehalten mit den Vorschlägen, die hier unter 1, 2, 3 genannt sind. Daß dahinten, da am Schlusse steht: »Die Entscheidung erfolgte also im Sinne vom Reichsprotektor und von Staatssekretär Frank«, so ist das eine Bemerkung von Herrn Ziemke oder wer das verfaßt hat, aber das, was ich gestern sagte über die Politik, das ist das richtige, und hier... wenn ich auch zugebe, daß ich damals in dem Schreiben an Herrn Lammers mich identifiziert habe mit diesen Anlagen, das ist weggefallen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So will ich Sie noch daran erinnern, daß in dem Absatz, den ich in Ihrer Denkschrift zuletzt angeführt habe, Sie im Gegensatz zu Franks Denkschrift die Organisation des Großdeutschen Reiches in den Vordergrund gestellt haben. Ich lege es so aus, daß Sie sich vorgestellt haben, im Falle eines deutschen Sieges werde der tschechische Teil der Tschechoslowakei Bestandteil eines Großdeutschen Reiches bleiben.
VON NEURATH: Nein, verzeihen Sie mal, es ist ja schon eingegliedert gewesen, und hier ist auch ausdrücklich gesagt, daß es in diesem Zustande verbleiben soll als Protektorat, aber als Sondergebilde.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Behaupten Sie, daß Ihre Politik nach dieser Zeit, also nach dem Herbst 1940, tschechenfreundlich war?
VON NEURATH: Ich glaube, die hat sich nicht geändert, außer wenn dort starke Widerstandsbewegungen waren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, wie kommt es dann, daß Sie Mitte 1941 jede Diskussion über die Fragen des deutsch-tschechischen Problems untersagt haben? Warum haben Sie derartige Diskussionen verboten?
VON NEURATH: Um zu verhindern, daß diese Fragen von neuem auftauchten, die den Anlaß gegeben haben zu dieser Denkschrift, [81] nämlich die Fragen der Losreißung einzelner Teile des Protektoratsgebietes nach Niederdonau, nach Sudetenland, unter generellen Aussiedlungen. Das war der Zweck meines Vortrags beim Führer, wie ich gestern gesagt habe, um ein für allemal diese Diskussion zum Ende zu bringen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie haben doch auch... Sie haben insbesondere jede öffentliche Erklärung an die tschechische Bevölkerung verboten. Nun, wollen wir uns das Dokument ansehen!
Es ist Dokument 3862-PS. Euer Lordschaft finden es auf Seite 126 des Dokumentenbuches 12a. Es wird GB-522, Euer Lordschaft.
[Zum Zeugen gewandt:]
Es war zur Verteilung an Ihre verschiedenen Ämter bestimmt. In diesem Dokument schreiben Sie:
»Aus gegebener Veranlassung ordne ich an, daß in Zukunft bei Veranstaltungen und Verlautbarungen jeder Art, die sich mit dem deutsch-tschechischen Problem befassen, die Blickrichtung der gesamten Bevölkerung mehr als je auf den Krieg und seine Erfordernisse gelenkt wird und die Verpflichtung auch des tschechischen Volkes zur Leistung der ihm im Verband des Großdeutschen Reiches gestellten Kriegsaufgaben in den Vordergrund gestellt wird.
Andere Fragen des deutsch-tschechischen Problems sind zur Zeit für eine öffentliche Erörterung ungeeignet. Dabei weise ich darauf hin, daß unbeschadet meiner Anordnung die verwaltungsmäßige Behandlung und Bearbeitung aller Fragen des deutsch-tschechischen Problems in keiner Weise berührt wird.«
Und dann im letzten Absatz:
»Die erforderlichen öffentlichen Erklärungen über die politischen Fragen des Protektorats, insbesondere solche Ausführungen an die Adresse der tschechischen Bevölkerung, sind einzig und allein meine Angelegenheit und werden von mir zur gegebenen Zeit veranlaßt.«
Warum haben Sie alle öffentlichen Erklärungen an die tschechische Bevölkerung so scharf verboten?
VON NEURATH: Das ist nicht bloß an die tschechische Bevölkerung, sondern das ist speziell an die Deutschen gerichtet, und zwar gerade, um das nämlich... da ist irgendein besonderer Vorfall, dessen ich mich nicht mehr entsinne, gewesen... es steht hier »ausgegebener Veranlassung ordne ich an...,« wo wieder mal über die Zukunft des Protektorats gesprochen oder etwas veröffentlicht worden ist. Das war der Anlaß, und darauf habe ich hingewiesen, daß das verboten sei.
[82] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich bin der Meinung, daß Ihre und Franks Vorschläge für sich selbst sprechen. Ich möchte nun, daß Sie mir in einer anderen Angelegenheit behilflich sind.
Wissen Sie noch, daß nach Schließung der Universität die Frage aufkam, was mit den Studenten geschehen solle? Es waren ungefähr 18000 Studenten, die natürlich beschäftigungslos waren, denn sie konnten nicht...
VON NEURATH: Verzeihung, Verzeihung, Verzeihung, nein, soviel waren es nicht. Das waren höchstens 1800 im ganzen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, erlauben Sie mir zu sagen, daß es sich entweder um einen Irrtum Ihrerseits oder seitens Ihres Amtes handeln muß. Nach dem Vermerk der Gruppe X Ihres Amtes heißt es:
»Nach den mir vorliegenden Unterlagen beträgt die Zahl der durch die auf drei Jahre erfolgte Schließung« – ich möchte annehmen, daß auch die höheren Schulen inbegriffen sind – »der tschechi schen Hochschulen betroffenen Studenten 18998.
Nach den Pressemitteilungen vom 21. dieses Monats sind im Zusammenhang mit den Vorkommnissen vom 15. d. M. lediglich 1200 Personen festgenommen worden.«
Ihr Amt sagt weiterhin, daß nach Abzug dieser Zahl immer noch 17800 Menschen verbleiben, die von Ihnen nun beschäftigt werden mußten.
Euer Lordschaft! Es ist Seite 104, Dokument 3858-PS, GB-523.
VON NEURATH: Ich will diese Feststellung meines Beamten da nicht bestreiten. Er muß es besser gewußt haben als ich. Ich wundere mich nur, daß auf zwei tschechischen Universitäten 18000 Studenten gewesen sein sollen bei einer Bevölkerung von sieben Millionen.
VORSITZENDER: Wollen Sie es vielleicht mit dem Original vergleichen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde es gern vergleichen, Euer Lordschaft.
Es scheint ziemlich klar zu sein, Euer Lordschaft, daß beide Zahlen... Sie sind in Ziffern angegeben, es steht hier 18998, unten wird die Änderung erwähnt, nach der 1200 Menschen abgerechnet werden müssen. Es bleiben noch 17800 Personen übrig. Wenn es nur 1800 gewesen wären, könnte die zweite Zahl nicht stimmen.
DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Es muß irgendwie ein Irrtum davorliegen. Das wären ja mehr für die Tschechei für zwei Universitäten... für eine Universität, wie sie Berlin in seinen besten Zeiten gehabt hat. Berlin hat höchstens 8000 bis 9000 Studenten im Jahr gehabt, und dann sollen bei einem Lande von [83] nur sieben Millionen 18000 Studenten auf zwei Universitäten gewesen sein. Das kann nicht stimmen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es kann sich um drei Altersgruppen handeln. Es heißt hier:
»Nach den mir vorliegenden Unterlagen beträgt die Zahl der durch die auf drei Jahre erfolgte Schließung der tschechischen Hochschulen betroffenen Studenten 18998.«
Vielleicht handelt es sich um die Aufnahmen für zwei Jahre und dazu kommt noch die Anzahl der bereits studierenden Studenten.
[Zum Zeugen gewandt:]
Jedenfalls ist dies die Zahl, und Ihr Ministerium hat sich mit diesem Problem beschäftigt. Vielleicht sind da auch einige höhere Schulen eingeschlossen, auf jeden Fall aber sind es Dokumente Ihres Ministeriums, und ich will wissen, was sich da ereignet hat. Soviel ich verstehe, handelt es sich hier um einen Entwurf Dr. Dennlers, des Chefs der Gruppe X Ihres Amtes. Dieser Entwurf war an Burgsdorff, der eine höhere Stellung einnahm, gerichtet. Wenn ich zusammenfassen darf, schlägt also dieses Schreiben vom 21. November 1939 vor, die Studenten mit Gewalt aus der Tschechoslowakei zu entfernen und sie im Altreich zur Arbeit einzusetzen. Im nächsten Schreiben vom 25. November – Sie können es im zweiten Absatz nachlesen – schreibt Burgsdorff, der Verfasser des Briefes, daß er sich auf X 119/39 beziehe. Das ist Dennlers Denkschrift. Burgsdorff sagt, er wünsche nicht, daß Leute ins Reich gebracht werden, da damals eine gewisse Arbeitslosigkeit im Reich herrschte. Er schlägt seinerseits vor, diese Studenten zur Zwangsarbeit beim Bau von Landstraßen und Kanälen in der Tschechoslowakei selbst zu verwenden. So lauten die beiden Vorschläge Ihres Amtes.
Euer Lordschaft! Das zweite ist 3857-PS, das GB-524 wird.
[Zum Zeugen gewandt:]
Was ist nun mit diesen unglücklichen Studenten geschehen?
VON NEURATH: Gar nichts ist passiert.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ist Ihnen einer dieser Vorschläge, das heißt Dr. Dennlers Vorschlag über die Zwangsarbeit in Deutschland oder Burgsdorffs Entwurf über die Zwangsarbeit in der Tschechoslowakei unterbreitet worden?
VON NEURATH: Nein, beides nicht...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sind Ihnen diese Vorschläge zur Entscheidung vorgelegt worden?
VON NEURATH: Ich glaube, sie sind mir vorgelegt worden, aber ich kann's nicht mit Sicherheit sagen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, würden Sie mit mir übereinstimmen... oder vielleicht sind Sie in der Lage, uns eines [84] Besseren zu belehren... daß dies der erste Vorschlag... Sie sagten, er wurde nicht durchgeführt... aber daß dies der erste Vorschlag über Zwangsarbeit ist und daß dieser Vorschlag von einem Beamten Ihres Amtes ausging? Kennen Sie irgendeine andere Stelle im Reich, die bereits im November 1939 einen Vorschlag über Zwangsarbeit gemacht hat?
VON NEURATH: Das hat ja gar keinen Zusammenhang. Im übrigen, wenn Sie die Vorschläge all Ihrer Unterbeamten mal durchsehen, so könnten Sie auch finden, daß vielleicht solch ein Vorschlag kommt, den Sie dann ablehnen, Vorschläge eines Referenten, die wollen noch gar nichts besagen.
Im übrigen kann ich diese Zahl 18000 vielleicht aufklären, denn hier steht:
»Nach den mir vorliegenden Unterlagen beträgt die Zahl der durch die auf drei Jahre erfolgte Schließung der tschechischen Universitäten betroffenen Studenten 18000.«
Das sind also dreimal 6000, nicht wahr, dann sind es ungefähr 18000.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe diese Erklärung bereits vor zehn Minuten gegeben, Angeklagter. Ich stimme mit Ihnen überein. Das ist ein Punkt, über den wir nicht verschiedener Meinung sind.
Nun gut. Sie verstehen, was ich meine, wenn ich behaupte, daß diese Vorschläge in Ihrem Amt entstanden sind, da sie ja so ziemlich dieselbe Linie wie die Vorschläge der Denkschriften, die ich hier im Gerichtshof soeben verlesen habe, verfolgten, nämlich daß Sie sich nicht nur der tschechischen Hochschulen entledigen, sondern auch Zwangsarbeit einführen wollten. Erinnern Sie sich daran, es war im Memorandum des Staatssekretärs enthalten. Ich halte Ihnen vor, daß es Ihr Amt war, in dem der Gedanke der Zwangsarbeit bereits am 21. November 1939 aufkam.
Nun, Angeklagter, habe ich nur noch eine Angelegenheit zu behandeln, und da es sich um eine Tatsachenfrage handelt, hoffe ich, Sie werden nach Überlegung mit mir in diesem Punkt übereinstimmen. Sie haben heute früh behauptet, daß die deutsche Universität in Prag nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1919 geschlossen worden sei. So haben wir es wenigstens verstanden. Kommen Sie, wenn Sie jetzt darüber nachdenken, denn nicht zu dem Ergebnis, daß Ihnen das Weiterbestehen der deutschen Universität in Prag und die Tatsache, daß viele Tausende von Studenten zwischen 1919 und 1939 auf ihr promoviert haben, bekannt waren?
VON NEURATH: Meines Wissens war es eine Abteilung der tschechischen Universität, eine deutsche Abteilung der tschechischen Universität, soviel ich weiß.
[85] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber die Universität bestand weiter?
VON NEURATH: Sie ging weiter, aber als tschechische Universität.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, aber deutsche Studenten studierten dort und konnten doch ihr Examen in deutscher Sprache machen. Diese Sprache war erlaubt. Ich behaupte, daß es Tausende von Leuten gab, die dorthin aus dem Altreich und aus Österreich zum Studium gingen. Sie kamen als Deutsche dorthin und promovierten in deutscher Sprache.
VON NEURATH: Ja, bloß die alte deutsche Universität, die sogenannte Karlsuniversität war von den Tschechen geschlossen worden. Aber eine deutsche Abteilung oder wie man das nennen mag, war geblieben. Dort studierten die Deutschen und machten ihr Examen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, dieser Punkt ist aufgeklärt. Ich will über Tatsachen nicht streiten. Daß es aber dort eine deutsche Universität gab, an der Deutsche studieren konnten, das geben Sie doch zu?
VORSITZENDER: Will die Anklage ein weiteres Kreuzverhör durchführen?
STAATSJUSTIZRAT II. KLASSE, M. Y. RAGINSKY, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Angeklagter! Sagen Sie uns bitte: Hat Ribbentrop, als Sie Außenminister waren, versucht, sich in außenpolitische Angelegenheiten Deutschlands einzumischen?
VON NEURATH: Ist das eine Frage?
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ja, eine Frage.
VON NEURATH: Ja.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Wollen Sie mir kurz sagen, wie sich diese Einmischung äußerte?
VON NEURATH: Indem er dem Führer seine eigenen außenpolitischen Gedanken vortrug, ohne sie mir zu geben zur Prüfung.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Gut. Gestern haben Sie hier ausgesagt, daß Sie im Jahre 1936 Meinungsverschiedenheiten mit Hitler hatten und daß Sie am 27. Juli 1936 um Ihre Entlassung als Minister gebeten haben. Dieses Dokument wurde hier gestern vorgelegt. Haben Sie aber damals nicht an Hitler geschrieben – ich werde den letzten Satz Ihres Briefes verlesen:
»Auch wenn ich nicht mehr Minister bin, stehe ich Ihnen, falls Sie es wünschen, mit meinem Rat und meiner langjährigen Erfahrung auf dem Gebiete der Außenpolitik stets zur Verfügung.«
Haben Sie diese Worte an Hitler geschrieben?
[86] VON NEURATH: Jawohl, jawohl.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Und Sie haben Ihr Versprechen an Hitler gehalten. Immer wenn es nötig war, die Angriffshandlungen Hitlers durch diplomatische Manipulationen zu verschleiern, wie zum Beispiel bei der Annexion des Sudetenlandes, beim Einfall in die Tschechoslowakei und so weiter, sind Sie Hitler mit Ihrer Erfahrung zu Hilfe gekommen. Nicht wahr?
VON NEURATH: Das ist ein großer Irrtum, im Gegenteil. Ich habe... Wie ich hier gestern und heute ausgeführt habe, bin ich von Hitler einmal gerufen worden, und zwar bei dem letzten Stadium, den letzten Tagen des Anschlusses Österreichs. Und damit war meine Tätigkeit zu Ende, und im Jahre 1938 allerdings bin ich spontan zu ihm gegangen, um ihn nämlich vom Krieg abzuhalten. Das war meine Tätigkeit.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Das haben wir bereits gehört.
Ich möchte Ihnen noch eine Frage bezüglich der Denkschrift Fridericis vorlegen, ohne jedoch zu wiederholen, was hierüber bereits gesagt worden ist. Sie erinnern sich an diese Denkschrift wohl ziemlich gut, da sie erst vor ganz kurzer Zeit dem Gerichtshof vorgelegt worden ist.
Im letzten Teil dieser Denkschrift heißt es – es ist der vorletzte Absatz – ich verlese:
»Wenn die Leitung des Protektorats in zuverlässige Hände gelegt und ausschließlich durch den Führererlaß vom 16. März geleitet wäre, so würde das Gebiet Böhmen-Mähren ein unverrückbarer Teil Deutschlands werden.«
Hat Hitler Sie aus diesem Grund zum Protektor erwählt? Stimmt das?
VON NEURATH: Keine Rede, das war gar nicht der Grund. Der Grund war... den habe ich gestern auch eingehend dargelegt.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Gut. Wir wollen die Gründe nicht wiederholen, Sie haben darüber gestern gesprochen. Sie bestreiten also, der Mann gewesen zu sein, der den Einfall in die Tschechoslowakei hätte durchführen sollen?
VON NEURATH: Da kann ich nur mit Nein darauf antworten.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Geben Sie zu, daß Sie im Protektorat der einzige Vertreter des Führers und der Reichsregierung waren und Hitler direkt unterstanden?
VON NEURATH: Ja, das stimmt, das steht ja in dem Erlaß Hitlers drin.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Jawohl, das ist dort enthalten. Ich werde den Erlaß nicht verlesen, um das Verhör nicht zu [87] erschweren. Dieser Erlaß ist dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden.
Geben Sie zu, daß alle Verwaltungsorgane und Behörden des Reiches im Protektorat, mit Ausnahme der Wehrmacht, Ihnen unterstanden?
VON NEURATH: Nein, da muß ich leider sagen, das ist ein Irrtum. Das steht ja auch in diesem selben Erlaß vom 1. September 1939 drin. Außerdem gab es noch eine Reihe von Organen beziehungsweise Reichsbehörden, die mir nicht unterstanden, ganz abgesehen von der Polizei.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Nun, was die Polizei betrifft, so werden wir darüber gesondert sprechen. Was ist also Ihrer Meinung nach ein Irrtum? Das, was Sie sagen, oder Ihre Auslegung der Verordnung? Ich werde den ersten Paragraphen dieser Verordnung vom 1. September 1939 verlesen. Dort heißt es:
»Alle Behörden, Dienststellen und Organe des Reichs im Protektorat Böhmen und Mähren, mit Ausnahme der Wehrmacht, unterstehen dem Reichsprotektor.«
In Paragraph 2 heißt es:
»Der Reichsprotektor führt die Aufsicht über die gesamte autonome Verwaltung des Protektorats.«
In Paragraph 3:
»Die Behörde des Reichsprotektors ist zuständig für sämtliche Verwaltungszweige der Reichsverwaltung mit Ausnahme der Wehrmacht.«
Sie sehen also, daß hier ganz klar gesagt wird, daß alle Verwaltungsorgane Ihnen unterstellt waren, während Sie selbst Hitler unmittelbar unterstanden.
VON NEURATH: Ja, ich muß nochmals sagen, Verwaltungsorgane, ja. Aber sonst sind eine Reihe anderer Behörden, Reichsbehörden und Reichs- und Dienststellen gewesen, die mir nicht unterstanden, zum Beispiel der Vierjahresplan.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Gehen wir nun auf die Frage der Polizeizuständigkeit über.
Gestern haben Sie auf eine Frage Ihres Verteidigers dem Gerichtshof gegenüber erklärt, daß der Paragraph 13 dieser Verordnung vom 1. September, die von Göring, Frick und Lammers unterzeichnet ist, Ihnen unverständlich gewesen sei. Wollen wir andere Paragraphen desselben Kapitels über die Polizeizuständigkeit untersuchen.
Der Paragraph 11 lautet:
»Die Organe der deutschen Sicherheitspolizei im Protektorat Böhmen und Mähren haben die Aufgabe, alle staats- und volksfeindlichen Bestrebungen im Gebiet des Protektorats [88] Böhmen und Mähren zu erforschen und zu bekämpfen, das Ergebnis der Erhebungen zu sammeln und auszuwerten, den Reichsprotektor, sowie die ihm nachgeordneten Behörden zu unterrichten und über für sie wichtige Feststellungen auf dem laufenden zu halten und mit Anregungen zu versehen.«
Der Paragraph 14 der gleichen Verordnung lautet:
»Der Reichsminister des Innern (Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei) erläßt im Einvernehmen mit dem Reichsprotektor in Böhmen und Mähren die zur Durchführung... dieser Verordnung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvor schriften.«
Demnach stellen wir an Hand dieses Erlasses fest, daß die Polizei und die SS Sie über alle Maßnahmen in Kenntnis setzen mußten, und es sollten alle Verwaltungs- und Gesetzeshandlungen, sowie alle Maßnahmen nur mit Ihrer Kenntnis ausgeübt werden. Bestätigen Sie das?
VON NEURATH: Nein, das ist nicht richtig. Zunächst einmal ist da zwar angeordnet, daß sie mich unterrichten soll. Das wurde aber nicht durchgeführt und von Herrn Himmler direkt verboten. Und das andere, die zweite Bestimmung, daß sie Verwaltungsmaßnahmen oder wie es da heißt, mit meiner Zustimmung... durchführen könnten oder sollten, die ist nie angewandt worden.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Sie bestreiten das also?
VON NEURATH: Ja.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Ich werde Ihnen nun das Verhör von Karl Hermann Frank vom 7. März 1946 über diese Frage, das heißt über die Frage der Polizeizuständigkeit, vorlegen.
Herr Vorsitzender! Ich lege diese Aussage als USSR-494 vor.
VORSITZENDER: Ist diese auch im englischen Do kumentenbuch enthalten?
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Nein, Herr Vorsitzender, das Dokument, das ich jetzt vorlege, ist ein Originalschriftstück, das von Frank unterschrieben ist.
[Zum Zeugen gewandt:]
Während seines Verhörs hat Karl Hermann Frank wie folgt ausgesagt:
»Nach der Aufbauverordnung über den ›Aufbau der deutschen Verwaltung im Protektorat und die deutsche Sicherheitspolizei‹ sind sämtliche deutschen Behörden und Dienststellen, ausgenommen Wehrmacht, im Protektorat und somit auch die gesamte Polizei dem Reichsprotektor formell unterstellt und an seine Weisungen gebunden. Die Sicherheitspolizei war somit an die vom Reichsprotektor gegebenen und [89] grundsätzlichen politischen Richtlinien gebunden. Befehle zur Durchführung staatspolizeilicher Aktionen wurden im wesentlichen über den BdS vom RSHA in Berlin erteilt. Hat der Reichsprotektor von sich aus eine staatspolizeiliche Aktion gewünscht, so war er an das Einvernehmen mit dem RSHA in Berlin gebunden, d.h., die Staatspolizei hat auch in diesem Falle sich jeden Befehl in Berlin beim RSHA rückbestätigen lassen. Dasselbe galt für die vom Höheren SS- und Polizeiführer an den BdS gegebenen Weisungen zwecks Durchführung staatspolizeilicher Aktionen.«
Ich möchte Ihre besondere Aufmerksamkeit auf den nun folgenden Absatz lenken:
»Diese Art und Weise des Dienst- und Weisungsweges gilt für die ganze Zeit des Protektorates und ist genau so zur Zeit des Reichsprotektors von Neurath gehandhabt worden. Im allgemeinen hatte der Reichsprotektor die Möglichkeit, initiativ Weisungen an die Staatspolizei im Wege des BdS zu erteilen, die Durchführung derselben – wenn sie eine staatspolizeiliche Aktion betrafen – war jedoch abhängig von der Zustimmung des RSHA. Was den SD (Sicherheitsdienst), welcher keine Exekutivgewalt besaß, anbelangt, so war das Weisungsrecht des Reichsprotektors dem SD gegenüber umfassender und nicht unter allen Umständen von einer Zustimmung des RSHA abhängig.«
Bestätigen Sie diese Aussage Franks?
VON NEURATH: Nein.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Sie bestätigen also seine Aussage?
VON NEURATH: Keineswegs, keineswegs.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Gut.
VON NEURATH: Ich verweise Sie auf eine mir hier bekanntgewordene Aussage desselben Frank aus dem vorigen Jahr, wo er nämlich ganz was anderes gesagt hat, wo er gesagt hat, die ganze Polizei unterstand nicht dem Reichsprotektor, sondern dem Chef der Polizei in Berlin, nämlich Himmler. Die muß auch irgendwo hier sein, diese Aussage.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Regen Sie sich nicht auf, ich werde auf diese Aussage später zurückkommen. Sagen Sie mir, wer war der politische Referent in Ihrem Dienst?
VON NEURATH: Politischer Referent?
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Jawohl, politischer Referent.
VON NEURATH: Ich hatte im allgemeinen ja verschiedene politische Referenten.
[90] STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Um keine Zeit zu verschwenden, werde ich Ihnen ein kurzes Dokument zeigen und bitte Sie, dasselbe mitzulesen. Am 21. Juli 1939 hat der Chef der Sicherheitspolizei ein Schreiben an den Staatssekretär und Höheren SS- und Polizeiführer, Karl Hermann Frank, gerichtet. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:
»Durch Erlaß vom 5. Mai 1939 hat der Herr Reichsprotektor in Böhmen und Mähren den SD-Führer und Befehlshaber der Sicherheitspolizei als seinen politischen Referenten eingesetzt. Wie ich festgestellt habe, wurde dieser Erlaß bis jetzt nicht bekanntgegeben und durchgeführt. Ich bitte, die Durchführung dieses Erlasses zu veranlassen.
In Vertretung: gez. Dr. Best.«
(USSR-487.)
Erinnern Sie sich jetzt an Ihren Erlaß?
VON NEURATH: An diesen Erlaß vermag ich mich im Moment nicht zu erinnern. Wohl aber erinnere ich mich daran, daß das niemals durchgeführt worden ist, weil ich nämlich diesen SD-Führer nicht als politischen Referenten haben wollte.
VORSITZENDER: Das wäre ein günstiger Augenblick, um abzubrechen.
STAATSJUSTIZRAT RAGINSKY: Herr Vorsitzender! Darf ich noch um eine Minute bitten, um diese Frage zu Ende zu führen?
[Zum Zeugen gewandt:]
Haben Sie aber nicht am 5. Mai eine derartige Verordnung erlassen?
VON NEURATH: Das kann ich Ihnen heute nicht mehr sagen... aber es wird wohl stimmen, ich will es nicht bestreiten. Ich weiß es nicht mehr.
STAATS JUSTIZRAT RAGINSKY: Gut. Ich danke Ihnen, Herr Vorsitzender. Ich glaube, daß wir jetzt vertagen könnten. Ich werde morgen noch ungefähr 40 Minuten benötigen.
VORSITZENDER: Sehr gut.
[Das Gericht vertagt sich bis
26. Juni 1946, 10.00 Uhr.]
Buchempfehlung
Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro