[418] VORSITZENDER: Artikel 24 D (j) sieht vor, daß jeder Angeklagte vor dem Gerichtshof eine Erklärung abgeben kann. Ich frage deshalb jetzt die Angeklagten, ob sie Erklärungen abgeben wollen. Angeklagter Hermann Wilhelm Göring.
HERMANN WILHELM GÖRING: Die Anklagebehörde hat in ihren Schlußplädoyers die Verteidigung und ihre Beweisführung als völlig wertlos behandelt. Die unter Eid gemachten Ausführungen der Angeklagten wurden von ihr dort als absolut wahr angenommen, wo diese zur Stützung der Anklage dienen konnten, aber im gleichen Augenblick als Meineid bezeichnet, wo diese Aussagen die Anklage widerlegten. Das ist sehr primitiv, aber keine überzeugende Grundlage für die Beweisführung.
Die Anklage führt die Tatsache, daß ich der zweite Mann im Staate war, als Beweis an, daß ich alles, was geschehen sei, gewußt haben müsse.
Sie bringt keinerlei dokumentarisches oder sonstiges stichhaltiges Beweismaterial dort vor, wo ich dieses Wissen oder gar Wollen unter Eid bestritten habe. Es ist also nur eine Behauptung und Vermutung, wenn die Anklage sagt: Wer sollte dies nicht gewußt haben, wenn nicht Göring als Nachfolger des Führers. Wiederholt aber haben wir hier gehört, wie gerade die schwersten Verbrechen am geheimnisvollsten verschleiert wurden. Daß ich diese furchtbaren Massenmorde auf das schärfste verurteile und mir jedes Verständnis hierfür fehlt, stelle ich ausdrücklich fest. Ich möchte es aber noch einmal vor dem Hohen Gericht klar aussprechen:
Ich habe niemals, an keinem Menschen und zu keinem Zeitpunkt einen Mord befohlen und ebensowenig sonstige Grausamkeiten angeordnet oder geduldet, wo ich die Macht und das Wissen gehabt hatte, solche zu verhindern. Für die von Herrn Dodd in seinem Schlußplädoyer neu aufgestellte Behauptung, ich hätte Heydrich befohlen, die Juden zu töten, fehlt es an jedem Beweis; sie ist auch nicht wahr. Es gibt nicht einen einzigen von mir oder in meinem Auftrag unterzeichneten Befehl, daß feindliche Flieger erschossen oder dem SD übergeben werden sollten. Es ist auch kein einziger Fall festgestellt, wo Einheiten meiner Luftwaffe derartiges ausgeführt haben. Von der Anklage sind teilweise Dokumente vorgebracht worden, die angebliche Äußerungen enthalten, von dritten oder vierten Personen mitgeteilt oder mitgeschrieben, ohne [418] daß ich je vorher diese gesehen habe, um dortige irrige Auffassungen richtigzustellen oder Mißverständnisse auszuschließen. Wie leicht aber bei Aufzeichnungen durch Dritte völlig sinnentstellende Niederschriften entstehen können, beweisen unter anderm auch die stenographischen Protokolle dieser Gerichtssitzungen, die oft erst bei ihrer Überprüfung der Richtigstellung bedurften.
Die Anklage bringt aus einem Zeitraum von 25 Jahren einzelne Äußerungen, die unter ganz anderen Verhältnissen und ohne jegliche Folgen daraus zu ziehen, getan wurden als Beweis von Absicht und Schuld. Äußerungen, wie sie leicht aus der Erregung des Augenblicks und der herrschenden Atmosphäre gefallen sind. Es gibt wohl kaum eine führende Persönlichkeit auf der Gegenseite, von welcher nicht ähnliches im Ablauf eines Vierteljahrhunderts in Wort und Schrift gebracht worden wäre.
Die Anklage stellt aus allem Geschehen dieser 25 Jahre, aus Besprechungen, Reden, Gesetzen, Teilhandlungen und Entscheidungen eine bewußte Folgemäßigkeit und lückenlosen Zusammenhang fest, wonach alles von Anfang an so gewollt und beabsichtigt gewesen sei. Dieses ist eine derartig irrige und jeder Logik entbehrende Auffassung, die einst die Geschichte richtigstellen wird, nachdem schon das Beweisverfahren hier die Unrichtigkeit dieser Behauptungen ergeben hat.
Herr Jackson weist in seiner Schlußansprache darauf hin, daß die Signatarstaaten sich noch im Kriegszustand mit Deutschland befinden und lediglich ein Waffenstillstand durch bedingungslose Kapitulation herrsche. Nun ist das Völkerrecht aber einheitlich. Es muß dasselbe für beide Teile gelten. Wenn also alles, was heute seitens der Besatzungsmächte in Deutschland geschieht, völkerrechtlich zulässig ist, dann war vorher Deutschland zum mindesten Frankreich, Holland, Belgien, Norwegen, Jugoslawien und Griechenland gegenüber in der gleichen Lage. Wenn heute die Genfer Konvention Deutschen gegenüber keine Geltung mehr hat, wenn heute in allen Teilen Deutschlands die Industrie abgebaut und ebenso, wenn andere große Werte auf allen Gebieten in die anderen Staaten verbracht werden können, wenn heute das Vermögen von Millionen Deutschen beschlagnahmt wird und viele andere schwerste Eingriffe in Freiheit und Eigentum erfolgen, so können derartige Maßnahmen seitens Deutschland in den oben angeführten Ländern völkerrechtlich auch nicht verbrecherisch gewesen sein.
Herr Jackson hat weiter ausgeführt, daß man nicht den Staat anklagen und bestrafen kann, sondern daß man dafür die Führer verantwortlich machen müsse. Man scheint zu vergessen, daß Deutschland ein souveräner Staat, ein souveränes Reich war und seine Gesetzgebung innerhalb des deutschen Volkes nicht der [419] Jurisdiktion des Auslandes unterworfen war. Kein Staat hat je durch eine Notifizierung das Reich rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß man die Tätigkeit für den Nationalsozialismus unter Strafe und Verfolgung stellen werde. Im Gegenteil: Wenn man also jetzt Einzelpersonen, in erster Linie uns, die Führer, zur Rechenschaft zieht und verurteilt, gut; dann aber darf man nicht gleichzeitig das deutsche Volk bestrafen. Das deutsche Volk vertraute dem Führer, und es hatte bei seiner autoritären Staatsführung keinen Einfluß auf das Geschehen. Ohne Kenntnis über die schweren Verbrechen, die heute bekanntgeworden sind, hat das Volk treu, opferwillig und tapfer den ohne seinen Willen entbrannten Existenzkampf auf Leben und Tod durchgekämpft und durchgelitten. Das deutsche Volk ist frei von Schuld.
Ich habe keinen Krieg gewollt oder herbeigeführt, ich habe alles getan, ihn durch Verhandlungen zu vermeiden. Als er ausgebrochen war, tat ich alles, den Sieg zu sichern. Da die drei größten Weltmächte mit vielen anderen Nationen gegen uns kämpften, erlagen wir schließlich der gewaltigen Übermacht. Ich stehe zu dem, was ich getan habe. Ich weise aber auf das entschiedenste zurück, daß meine Handlungen diktiert waren von dem Willen, fremde Völker durch Kriege zu unterjochen, zu morden, zu rauben oder zu versklaven, Grausamkeiten oder Verbrechen zu begehen.
Das einzigste Motiv, das mich leitete, war heiße Liebe zu meinem Volk, sein Glück, seine Freiheit und sein Leben. Dafür rufe ich den Allmächtigen und mein deutsches Volk zum Zeugen an.
VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Rudolf Heß.
RUDOLF HESS: Vorweg äußere ich die Bitte an das Gericht, im Hinblick auf meinen Gesundheitszustand sitzenbleiben zu dürfen.
VORSITZENDER: Ja, gewiß.
HESS: Einige meiner Kameraden hier können bestätigen, daß ich bereits zu Beginn des Prozesses folgendes voraussagte: Erstens: Es würden hier Zeugen auftreten, die unter Eid unwahre Aussagen machen, dabei könnten diese Zeugen einen absolut zuverlässigen Eindruck machen und über den besten Leumund verfügen. Zweitens: Es sei damit zu rechnen, daß dem Gericht eidesstattliche Versicherungen vorgelegt werden, die unwahre Angaben enthalten. Drittens: Die Angeklagten würden mit einigen deutschen Zeugen erstaunliche Überraschungen erleben. Viertens: Einige Angeklagte würden ein eigenartiges Verhalten zeigen. Sie würden schamlose Äußerungen über den Führer machen. Sie würden ihr eigenes Volk belasten. Sie würden sich gegenseitig zum Teil belasten, und zwar falsch. Vielleicht sogar würden sie sich selbst belasten, und zwar falsch. Alle diese Voraussagen sind eingetroffen, und zwar – soweit sie die Zeugen und eidesstattlichen Versicherungen [420] betreffen – in Dutzenden von Fallen; Fälle, in denen der eindeutige Eid der Angeklagten deren eidlicher Aussage gegenübersteht. Ich spreche nur den Namen Messersmith in diesem Zusammenhang aus. Mr. Messersmith, der zum Beispiel Großadmiral Dönitz in Berlin zu einer Zeit gesprochen haben will, wo dieser sich auf dem Stillen Ozean oder auf dem Indischen Ozean – meines Wissens – befand.
Ich habe diese Voraussagen aber nicht nur hier zu Beginn des Prozesses gesagt und gemacht, sondern bereits Monate vor Beginn des Prozesses in England unter anderem dem bei mir befindlichen Arzt Dr. Johnston gegenüber in Abergavenny.
Ich habe zum gleichen Zeitpunkt damals bereits diese Voraussagen schriftlich niedergelegt, nachweisbar. Ich fuße mit meinen Voraussagen auf einigen Vorgängen in außerdeutschen Ländern. Dabei möchte ich jetzt schon betonen, wenn ich diese Vorgänge erwähne, bin ich von vornherein überzeugt, daß die betreffenden Regierungen nichts von diesen Vorgängen gewußt haben. Ich erhebe daher auch keinen Vorwurf gegen diese Regierungen.
In den Jahren 1936 bis 1938 fanden in einem dieser Länder politische Prozesse statt. Diese waren dadurch gekennzeichnet, daß die Angeklagten sich in einer erstaunlichen Weise selbst bezichtigten, zum Teil haben sie ganze Reihen von Verbrechen aufgezählt, die sie begangen hatten oder von denen sie behaupteten, sie begangen zu haben. Als zum Schluß ein Todesurteil oder Todesurteile gegen sie gefällt wurde, klatschten sie frenetisch Beifall zum Staunen der Welt. Einige ausländische Berichterstatter, Presseberichterstatter, aber berichteten, man habe den Eindruck gehabt, daß diese Angeklagten durch ein bisher unbekanntes Mittel in einen anomalen Geisteszustand versetzt worden seien, demzufolge sie sich verhielten, wie sie sich verhielten. Ich wurde an diese Vorgänge aus einem bestimmten Anlaß an England erinnert. Es war mir nicht möglich, dort die Berichte aus den damaligen Prozessen noch einmal zu bekommen, so wenig wie hier. Wohl aber standen mir hier die entsprechenden Jahrgänge des »Völkischen Beobachters« zur Verfügung. Bei Durchsicht derselben bin ich auf folgende Stelle gestoßen, und zwar in der Nummer vom 8. März 1938. Hier heißt es in einem Bericht aus Paris, datiert 7. März 1938, wie folgt:
Die große Pariser Zeitung »Le Jour« habe Enthüllungen gebracht über das Mittel, das anscheinend verwandt wurde in den besagten Prozessen. Es handelt sich um ein geheimnisvolles Mittel. Wörtlich heißt es: ich zitiere hier wörtlich, was der »Völkische Beobachter« aus »Le Jour« bringt: »Das Mittel gewährt die Möglichkeit, die ausersehenen Opfer handeln und sprechen zu lassen ganz nach ihnen gegebenen Befehlen.«
[421] Ich betone und weise darauf hin, daß es in diesem Bericht der Zeitung »Le Jour« nicht nur heißt »sprechen zu lassen nach ihnen gegebenen Befehlen«, sondern auch »handeln zu lassen nach ihnen gegebenen Befehlen«. Letzteres ist von unerhörter Wichtigkeit im Hinblick auf das Handeln, das bisher unerklärliche Handeln des Personals der deutschen Konzentrationslager einschließlich der Wissenschaftler und Ärzte, die die furchtbaren, grausamen Versuche an den Häftlingen gemacht haben; Vorgänge, die normale Menschen, besonders aber Wissenschaftler und Ärzte unmöglich sich leisten können.
Dies ist aber auch von ebenso großer Bedeutung im Hinblick auf das Handeln der Personen, die zweifellos die Befehle und Weisungen gegeben haben zu den Greueln in den Konzentrationslagern und die Befehle gegeben haben zum Erschießen von Kriegsgefangenen, zur Lynchjustiz und ähnlichem mehr bis herauf zum Führer selbst.
Ich erinnere daran, daß der Zeuge, Generalfeldmarschall Milch, hier ausgesagt hat, er habe den Eindruck gehabt, daß der Führer die letzten Jahre geistig nicht normal gewesen sei, und eine Reihe meiner Kameraden hier haben mir unabhängig voneinander und ohne daß sie von dem wußten, was ich jetzt hier aussage, gesagt, daß der Gesichtsausdruck und Augenausdruck des Führers in den letzten Jahren etwas Grausames hatte, ja einen Hang zum Wahnsinn hatte. Ich kann die betreffenden Kameraden als Zeugen benennen.
Ich sagte zuvor, daß ein bestimmter Anlaß in England mich veranlaßte, an die Berichte zu denken aus den damaligen Prozessen. Der Anlaß war, daß meine Umgebung während meiner Gefangenschaft sich in einer eigenartigen und unverständlichen Weise mir gegenüber verhielt, in einer Weise, die darauf schließen ließ, daß diese Menschen irgendwie in einem geistig anomalen Zustand handelten. Diese Menschen und Personen meiner Umgebung wurden von Zeit zu Zeit ausgetauscht. Dabei hatten einige der Ausgetauschten und neu zu mir Kammenden eigenartige Augen. Es waren glasige und wie verträumte Augen. Dieses Symptom hielt aber nur wenige Tage an; dann machten sie einen völlig normalen Eindruck. Sie waren von normalen Menschen nicht mehr zu unterscheiden.
Nicht nur ich allein habe diese eigenartigen Augen bemerkt, sondern auch der damals bei mir befindliche Arzt Dr. Johnston, ein britischer Militärarzt, ein Schotte.
Es kam nämlich im Frühjahr 1942 ein Besucher zu mir, der ganz offensichtlich mich zu provozieren suchte und sich in einer eigenartigen Weise mir gegenüber verhielt. Dabei hatte auch dieser Besucher diese eigenartigen Augen. Hinterher frug mich Dr. Johnston, was ich von diesem Besucher hielte. Ich sagte ihm, ich hätte den [422] Eindruck gehabt, daß er aus irgendeinem Grunde nicht geistig vollkommen normal war, worauf Dr. Johnston nicht etwa, wie ich erwartet hatte, protestierte, sondern seinerseits zustimmte, ob mir nicht diese eigenartigen Augen aufgefallen seien, diese wie verträumten Augen. Dr. Johnston ahnte nicht, daß er selbst, als er zu mir kam, genau die gleichen Augen hatte. Das Wesentliche ist aber, in einem der damaligen Berichte, die in den Pressearchiven noch zu finden sein müssen – es handelt sich um Prozesse in Moskau – hieß es, daß die Angeklagten eigenartige Augen gehabt hätten. Sie hätten wie verglaste und verträumte Augen gehabt! Ich sagte bereits, daß ich die Überzeugung habe, daß die betreffenden Regierungen nichts von den Vorgängen wußten. Es würde daher auch nicht im Interesse der Britischen Regierung gelegen sein, wenn bei meinen Ausführungen über das, was ich während meiner Gefangenschaft erlebt habe, etwa die Öffentlichkeit ausgeschlossen würde; denn es würde dadurch der Eindruck entstehen, als ob doch tatsächlich hier etwas vertuscht werden sollte, oder tatsächlich die Britische Regierung ihre Hände im Spiel gehabt hätte.
Ich bin aber im Gegenteil überzeugt, daß sowohl die Regierung Churchill wie auch die jetzige Regierung Weisung gab, daß ich fair bis zum letzten und nach den Regeln der Genfer Konvention behandelt werde. Ich bin mir darüber bewußt, daß das, was ich auszusagen habe über die mir zuteil gewordene Behandlung fürs erste unglaubwürdig scheint. Zu meinem Glück haben aber schon au einem sehr viel früheren Zeitpunkt Gefangenenwärter ihre Gefangenen in einer Weise behandelt, die fürs erste absolut unglaubhaft schien, als die ersten Gerüchte darüber in die Welt drangen. Die Gerüchte lauteten dahin, daß man absichtlich Gefangene habe verhungern lassen, daß man in die geringe Kost, die man ihnen gegeben habe, unter anderem gemahlenes Glas gegeben habe, daß die Ärzte, die die Gefangenen, die auf diese Weise erkrankt waren, behandelten, den Medikamenten schädliche Stoffe beifügten, wodurch die Leiden erhöht und die Zahl der Opfer desgleichen erhöht wurde. Tatsächlich haben all diese Gerüchte sich hinterher als richtig herausgestellt. Es ist historische Tatsache, daß ein Denkmal errichtet wurde für 26370 burische Frauen und Kinder, die in britiwchen Konzentrationslagern starben, und zwar größtenteils verhungerten. Viele Engländer, unter anderem Lloyd George, haben damals schärfstens gegen diese Vorgänge in diesen britischen Konzentrationslagern protestiert, desgleichen auch die englische Augenzeugin Miß Emily Hopfords.
Die Welt stand aber damals vor einem unerklärlichen Rätsel, vor dem gleichen Rätsel, vor dem heute die Welt steht hinsichtlich der Vorgänge in den deutschen Konzentrationslagern.
[423] Das englische Volk stand damals vor einem unerklärlichen Rätsel, vor dem gleichen Rätsel, vor dem heute das deutsche Volk steht hinsichtlich der Vorgänge in den deutschen Konzentrationslagern. Ja selbst die Britische Regierung stand damals hinsichtlich der Vorgänge in den südafrikanischen Konzentrationslagern vor einem Rätsel, vor dem gleichen Rätsel, vor dem heute die Angehörigen der Reichsregierung und die übrigen Angeklagten hier und in anderen Prozessen stehen hinsichtlich der Vorgänge in den deutschen Konzentrationslagern.
Es wäre selbstverständlich von höchster Bedeutung gewesen, daß ich das, was ich zu sagen habe über die Vorgänge während meiner eigenen Gefangenschaft in England unter Eid ausgesagt hätte. Es war mir aber unmöglich, meinen Verteidiger dazu zu bringen, sich bereit zu erklären, die entsprechenden Fragen an mich zu stellen. Ebenso ist es mir unmöglich gewesen, einen anderen Verteidiger dazu zu bestimmen, die entsprechenden Fragen an mich zu stellen. Es ist aber von höchster Bedeutung, daß das, was ich sage, unter Eid gesagt habe. Daher erkläre ich nunmehr:
[Der Angeklagte Heß erhebt sich.]
»Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«
Ich bitte das Hohe Gericht, alles, was ich weiter sage, daher als unter meinem Eid stehend anzusehen.
[Der Angeklagte Heß setzt sich wieder.]
Zwischenfügen möchte ich noch hinsichtlich meines Eides: Ich bin kein kirchlicher Mensch; ich habe kein inneres Verhältnis zu den Kirchen, aber ich bin ein tief religiöser Mensch. Ich bin überzeugt, daß mein Gottglaube stärker ist, als der der meisten anderen Menschen. Um so höher bitte ich das Gericht zu werten, was ich unter Eid, unter ausdrücklicher Berufung auf Gott, aussage:
[Zu Göring gewandt:]
Bitte unterbrich mich nicht.
Im Frühjahr 1942 trat bei mir...
VORSITZENDER: Ich muß die Aufmerksamkeit des Angeklagten Heß darauf lenken, daß er bereits 20 Minuten gesprochen hat. Der Gerichtshof hat den Angeklagten gesagt, daß er ihnen in diesem Stadium des Prozesses nicht gestatten kann, Erklärungen von großer Länge abzugeben.
Wir müssen alle Angeklagten hören. Der Gerichtshof hofft deshalb, daß der Angeklagte Heß seine Rede zum Abschluß bringen wird.
[424] HESS: Herr Präsident! Ich darf darauf aufmerksam machen, daß ich damit gerechnet habe, daß ich der einzige Angeklagte bin, der bisher in keiner Weise noch hier sich äußern konnte. Denn das, was ich hier zu sagen habe, hätte ich als Zeuge nur dann sagen können, wenn entsprechende Fragen an mich gerichtet worden wären. Wie ich aber bereits ausführte...
VORSITZENDER: Ich beabsichtige nicht, mich mit dem Angeklagten auf Argumente einzulassen. Der Gerichtshof hat verfügt, daß die Angeklagten nur kurze Erklärungen abgeben dürfen. Der Angeklagte Heß hatte volle Gelegenheit, in den Zeugenstand zu gehen und unter Eid auszusagen. Er entschied sich dahin, dies nicht zu tun. Jetzt gibt er eine Erklärung ab; er wird ebenso wie die anderen Angeklagten behandelt und auf eine kurze Erklärung beschränkt wer den.
HESS: Ich werde daher, Herr Präsident, auf meine weiteren Ausführungen, die ich in dem Zusammenhang mit dem, was ich eben sagte, machen wollte, verzichten. Ich bitte, bloß noch ein paar Schlußworte anzuhören, die mehr allgemeiner Art sind, mit dem, was ich eben gesagt habe, nichts zu tun haben.
Feststellungen, die mein Verteidiger in meinem Namen vor diesem Gericht traf, ließ ich um des dereinstigen Urteils meines Volkes und um der Geschichte willen treffen. Nur dieses ist mir wesentlich.
Ich verteidige mich nicht gegen Ankläger, denen ich das Recht abspreche, gegen mich und meine Volksgenossen Anklage zu erheben. Ich setze mich nicht mit Vorwürfen auseinander, die sich mit Dingen befassen, die innerdeutsche Angelegenheiten sind und daher Ausländer nichts angehen. Ich erhebe keinen Einspruch gegen Äußerungen, die darauf abzielen, mich oder das ganze deutsche Volk in der Ehre zu treffen. Ich betrachte solche Anwürfe von Gegnern als Ehrenerweisung. Es war mir vergönnt, viele Jahre meines Lebens unter dem größten Sohne zu wirken, den mein Volk in seiner tausendjährigen Geschichte hervorgebracht hat. Selbst wenn ich es könnte, wollte ich diese Zeit nicht auslöschen aus meinem Dasein.
Ich bin glücklich, zu wissen, daß ich meine Pflicht getan habe meinem Volk gegenüber, meine Pflicht als Deutscher, als Nationalsozialist, als treuer Gefolgsmann meines Führers. Ich bereue nichts.
Stünde ich wieder am Anfang, würde ich wieder handeln wie ich handelte, auch wenn ich wüßte, daß am Ende ein Scheiterhaufen für meinen Flammentod brennt. Gleichgültig was Menschen tun, dereinst stehe ich vor dem Richterstuhl des Ewigen. Ihm werde ich mich verantworten, und ich weiß, er spricht mich frei.
[425] VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Joachim von Ribbentrop.
JOACHIM VON RIBBENTROP: Dieser Prozeß sollte zur Erforschung der geschichtlichen Wahrheit geführt werden.
Vom Standpunkt der deutschen Außenpolitik kann ich nur sagen: Dieser Prozeß wird in die Geschichte eingehen als ein Musterbeispiel, wie man unter Berufung auf bisher unbekannte juristische Formeln und auf die Fairneß um die Kardinalprobleme von 25 Jahren schwerster Menschheitsgeschichte herumgehen kann.
Wenn die Wurzeln unseres Übels in Versailles liegen – und sie liegen dort – war es dann wirklich zweckmäßig, eine Auseinandersetzung über einen Vertrag zu inhibieren, den schon die Einsichtigen unter seinen Urhebern als die Quelle künftigen Übels bezeichnet hatten und während die Gescheitesten schon damals voraussagten, über welchen Fehler von Versailles es zu einem neuen Weltkrieg kommen würde.
Über 20 Jahre meines Lebens habe ich der Beseitigung dieses Übels gewidmet mit dem Ergebnis, daß ausländische Staatsmänner, die darum wußten, heute in ihren Affidavits schreiben, sie hätten mir das nicht geglaubt. Sie hätten schreiben müssen, daß sie mir im Interesse ihres Landes das nicht glauben dürfen.
Man macht mich für die Führung der Außenpolitik verantwortlich, die ein anderer bestimmte. Ich weiß von ihr immerhin so viel, daß sie sich niemals mit Weltherrschaftsplänen beschäftigte, wohl aber zum Beispiel mit der Beseitigung der Folgen von Versailles und mit der Ernährungsfrage des deutschen Volkes.
Wenn ich bestreite, daß diese deutsche Außenpolitik einen Angriffskrieg geplant und vorbereitet habe, so ist das keine Ausrede. Diese Wahrheit wird bewiesen durch die Tatsache, welche Stärke im Verlauf des zweiten Weltkrieges wir entfalteten und wie schwach wir dagegen zu Beginn dieses Krieges waren. Die Geschichte wird es uns glauben, wenn ich sage, daß wir einen Angriffskrieg ungleich besser vorbereitet haben würden, sofern wir ihn tatsächlich beabsichtigt hätten.
Was wir beabsichtigten war, unsere elementaren Daseinsbedingungen wahrzunehmen, genauso wie England seine Interessen wahrgenommen hat, um sich ein Fünftel der Welt Untertan zu machen, wie die USA einen ganzen Kontinent und Rußland, die größte Binnenländermasse der Erde, unter ihre Hegemonie brachten.
Der einzige Unterschied der Politik dieser Länder zu der unseren lag darin, daß wir die gegen jedes Recht uns genommenen Länderpartikel, wie Danzig und den Korridor, beanspruchten, während jene Mächte nur in Kontinenten zu denken gewohnt sind.
[426] Vor der Errichtung des Statuts dieses Gerichtshofs müssen wohl auch die Signatarmächte des Londoner Abkommens andere Absichten über Völkerrecht und Politik gehabt haben als heute.
Als ich 1939 nach Moskau zu Marschall Stalin kam, besprach er mit mir nicht die Möglichkeiten einer friedlichen Beilegung des deutsch-polnischen Konfliktes im Rahmen des Briand-Kellogg-Paktes, sondern er ließ durchblicken, wenn er zur Hälfte Polens und den baltischen Ländern nicht noch Litauen mit dem Hafen Libau bekäme, könne ich wohl gleich wieder zurückfliegen.
Das Kriegführen galt dort offensichtlich 1939 auch noch nicht als ein internationales Verbrechen gegen den Frieden, sonst könnte ich mir Stalins Telegramm nach Abschluß des Polenfeldzuges nicht erklären, dieses lautet – ich zitiere: »Die Freundschaft Deutschlands und der Sowjetunion, begründet durch gemeinsam vergossenes Blut, hat alle Aussicht darauf, dauerhaft und fest zu sein.«
Ich möchte das hier unterstreichen und betonen: Auch ich habe diese Freundschaft damals heiß gewünscht.
Von derselben ist heute für Europa und die Welt nur noch das Kernproblem geblieben: Wird Asien Europa beherrschen, oder werden die Westmächte den Einfluß der Sowjets an der Elbe, an der Adriatischen Küste und an den Dardanellen aufhalten oder gar zurückdrängen können?
Mit anderen Worten, Großbritannien und die USA stehen heute praktisch vor dem gleichen Dilemma, wie Deutschland zur Zeit der von mir geführten Verhandlungen mit Rußland. Ich hoffe von ganzem Herzen für mein Land, daß sie im Ergebnis erfolgreicher sein mögen.
Was ist nun in diesem Prozeß über den kriminellen Charakter der deutschen Außenpolitik schon bewiesen worden? Daß von über 300 vorgelegten Verteidigungsurkunden 150 ohne stichhaltige Begründung abgelehnt wurden. Daß die Archive der Gegenseite und sogar die deutschen für die Verteidigung unzugänglich waren. Daß Churchills freundliche Andeutung mir gegenüber, ein zu starkes Deutschland werde vernichtet werden, für die Beurteilung der Motive der deutschen Außenpolitik vor diesem Forum für unerheblich erklärt wird.
Eine Revolution wird nicht verständlicher, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt einer Verschwörung betrachtet.
Das Schicksal hat mich zu einem der Exponenten dieser Revolution gemacht. Ich beklage die mir hier bekanntgewordenen scheußlichen Verbrechen, die diese Revolution beschmutzen. Ich vermag sie aber nicht alle an puritanischen Moralmaßstäben zu messen, um so weniger, nachdem ich gesehen habe, daß auch die Gegenseite trotz eines totalen Sieges Scheußlichkeiten größten Ausmaßes weder verhindern konnte noch will.
[427] Man mag zur Theorie der Verschwörung stehen wie man will, für den kritischen Beobachter ist sie eine Verlegenheitslösung. Wer an entscheidender Stelle im Dritten Reich gewirkt hat, weiß, daß sie einfach eine geschichtliche Unwahrheit darstellt, und der Vater des Statuts dieses Gerichtshofs beweist mit seiner Erfindung nur, welchem Milieu sein Denken entspringt.
Ich könnte ebensogut behaupten, daß die Signatarmächte dieses Statuts eine Verschwörung zur Unterdrückung elementarster Bedürfnisse eines hochentwickelten, tüchtigen und tapferen Volkes gebildet hätten.
Wenn ich auf mein Tun und Wollen zurückblicke, so kann ich nur schließen: Das einzige, dessen ich mich vor meinem Volke, und nicht vor diesem Gericht, schuldig fühle, ist, daß mein außenpolitisches Wollen ohne Erfolg geblieben ist.
VORSITZENDER: Angeklagter Wilhelm Keitel.
WILHELM KEITEL: Ich habe auf dem Zeugenstand meine Verantwortlichkeit im Rahmen meiner Dienststellung bekannt und habe die Bedeutung dieser Dienststellung durch die Beweisführung und durch das Plädoyer meines Verteidigers dargelegt.
Es liegt mir fern, meinen Anteil an dem, was geschehen ist, zu verkleinern.
Im Interesse der geschichtlichen Wahrheit erscheint es mir aber geboten, einige Irrtümer in den Schlußansprachen der Anklagebehörde richtigzustellen.
Der amerikanische Herr Anklagevertreter hat in seiner Schlußansprache ausgeführt – ich zitiere: »Keitel, ein schwächliches, ergebenes Werkzeug, lieferte die Wehrmacht, das Angriffsmittel, an die Partei aus!«
Eine »Auslieferung« der Wehrmacht an die Partei durch mich läßt sich mit meinen Funktionen nicht in Einklang bringen, weder bis zum 4. Februar 1938, noch nach diesem Zeitpunkt, in dem Hitler sich selbst zum Obersten Befehlshaber der Wehrmacht machte und damit Partei und Wehrmacht unumschränkt beherrschte. Ich erinnere mich nicht, daß im Laufe dieses Verfahrens ein Beweismittel vorgebracht worden ist, das diese schwerwiegende Behauptung der Anklagebehörde rechtfertigen könnte.
Das Beweisverfahren hat aber auch ergeben, daß die weitere Behauptung: daß Keitel die Wehrmacht bei der Durchführung ihrer verbrecherischen Absichten leitete, irrig ist. Diese Behauptung in dem englisch-amerikanischen Trial-Brief steht mit diesem in Widerspruch, in dem ausdrücklich gesagt ist, daß ich keine Befehlsbefugnisse hatte. Deshalb irrt auch der britische Herr Hauptanklagevertreter, wenn er von mir spricht – ich zitiere: »einem Feldmarschall, der der Wehrmacht Befehle erteilte«, und wenn er [428] mir unterstellt, gesagt zu haben, daß ich: »keine Ahnung hatte, welche praktischen Ergebnisse damit erzielt würden« – so lautet das Zitat –, so glaube ich, daß dies etwas anderes ist, als ich auf dem Zeugenstand sagte, nämlich – ich zitiere meine Worte von dem Zeugenstand: »Wenn ein Befehl aber gegeben war, handelte ich nach meiner Auffassung pflichtgemäß, ohne mich durch die möglichen, aber nicht immer erkennbaren Auswirkungen beirren zu lassen.« Auch die Behauptung – ich zitiere: »Keitel und Jodl können die Verantwortung für die Operationen der Einsatzkommandos nicht leugnen, mit denen ihre eigenen Kommandeure eng und kordial zusammenarbeiteten«, ist mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht in Einklang zu bringen. Das OKW war von dem sowjetrussischen Kriegsschauplatz ausgeschaltet, ihm unterstanden auch keine Truppenbefehlshaber. Der französische Herr Anklagevertreter hat in seiner Schlußansprache gesagt: »Ist es nötig, an das schreckliche Wort des Angeklagten Keitel zu erinnern, daß das menschliche Leben in den besetzten Gebieten weniger als nichts gilt?« Schluß des Zitats.
Diese schrecklichen Worte sind nicht meine Worte. Ich habe sie nicht erdacht und auch nicht zum Inhalt eines Befehls gemacht. Schwer genug lastet auf mir die Tatsache, daß mein Name mit der Weitergabe dieses Führerbefehls verbunden ist.
An anderer Stelle führt Herr Champetier de Ribes aus – ich zitiere: »Die Ausführung dieses Befehls« – es handelte sich um die Partisanenbekämpfung – »erfolgte auf Grund der Anweisungen des Befehlshabers der Heeresgruppe, der seinerseits wieder nach allgemeineren Anweisungen des Angeklagten Keitel handelte.«
Auch hier wird wieder von »Anweisungen Keitels« gesprochen, obwohl in der französischen Anklageschrift selbst ausgeführt ist, daß ich als Chef des OKW den Wehrmachtsteilen unmittelbar keine Befehle erteilen konnte.
In der Schlußansprache des Herrn sowjetrussischen Anklagevertreters heißt es – ich zitiere: »Angefangen mit den Dokumenten über Hinrichtung politischer Personen hat Keitel, dieser Soldat, worauf er sich so gerne beruft, bei der Voruntersuchung die Amerikanische Anklagebehörde – über seinen Eid weggehend – unverschämt belogen, indem er sagte, daß dieser Erlaß einmal den Charakter einer Repressalie habe und daß politische Personen von den anderen Kriegsgefangenen auf eigenen Wunsch der letzteren getrennt gehalten wurden. Vor dem Gericht wurde er entlarvt.« Schluß des Zitats. Es handelt sich um das Dokument 884-PS.
Der Vorwurf der Lüge ist unbegründet. Die Sowjetrussische Anklage hat übersehen, daß das Protokoll über meine Vernehmung im Vorverfahren zu dieser Frage nicht Gegenstand der Beweisaufnahme vor diesem Gerichtshof war. Es hätte daher auch im[429] Schlußvortrag der Anklagebehörde nicht Verwendung finden dürfen. Ich habe das Protokoll des Vorverhörs nicht gesehen und kenne seinen Wortlaut nicht. Wenn es vollständig ist, so wird es auch die Klarstellung des Irrtums enthalten, der dadurch entstanden war, daß mir das fragliche Dokument nicht vorgelegt worden war. In der Vernehmung durch meinen Verteidiger habe ich den Sachverhalt auf dem Zeugenstand richtig dargestellt.
Im letzten Stadium des Prozesses wurde durch die Anklagebehörde noch einmal der Versuch gemacht, mich dadurch schwer zu belasten, daß mein Name mit einem Befehl zur Vorbereitung des bakteriologischen Krieges in Verbindung gebracht wurde. Ein Zeuge, der ehemalige Generalarzt Dr. Schreiber, hatte in seinem Bericht gesagt: »Der Chef OKW, Feldmarschall Keitel, hatte den Befehl erlassen, den bakteriologischen Krieg gegen die Sowjetunion vorzubereiten.« Ende des Zitats.
Auf dem Zeugenstand hier hat dieser Zeuge allerdings von einem Führerbefehl gesprochen. Aber auch dieses ist nicht richtig.
Die im Einverständnis mit der Anklagebehörde von dem Tribunal genehmigte Einführung der Bekundungen des Oberst Bürker ergibt, daß ich im Herbst 1943 die mir vorgetragene Anregung der Heeressanitätsinspektion, des Heereswaffenamtes, zu einer Aktivierung der Bakterienversuche, wie Bürker wörtlich sagt, scharf und kategorisch zurückwies mit dem Hinweis, das komme gar nicht in Frage, es sei ja doch verboten.
Dies ist richtig. Auch Generaloberst Jodl kann bestätigen, daß niemals ein Befehl der von dem Zeugen behaupteten Art erlassen worden ist, vielmehr Hitler den von einigen Stellen erörterten bakteriologischen Krieg verboten hat. Damit erweist sich die gegenteilige Behauptung des Zeugen Dr. Schreiber als unwahr.
Ich nehme für mich in Anspruch, in allen Dingen, auch dann, wenn sie mich belasteten, die Wahrheit gesagt, mich jedenfalls bemüht zu haben, trotz des großen Umfanges meines Tätigkeitsbereichs zur Aufklärung des wahren Sachverhalts nach bestem Wissen beizutragen.
So will ich auch am Schluß dieses Prozesses offen meine heutige Erkenntnis und mein Bekenntnis darlegen:
Mein Verteidiger hat mir im Laufe des Verfahrens zwei grundsätzliche Fragen vorgelegt; die erste schon vor Monaten. Sie lautete:
»Würden Sie im Falle eines Sieges abgelehnt haben, an dem Erfolg zu einem Teil beteiligt gewesen zu sein?«
Ich habe geantwortet: »Nein, ich würde sicher stolz darauf gewesen sein.«
Die zweite Frage war:
»Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie noch einmal in die gleiche Lage kämen?«
[430] Meine Antwort: »Dann würde ich lieber den Tod wählen, als mich in die Netze so verderblicher Methoden ziehen zu lassen.«
Aus diesen beiden Antworten möge das Hohe Gericht meine Beurteilung erkennen.
Ich habe geglaubt, ich habe geirrt und war nicht imstande zu verhindern, was hätte verhindert werden müssen.
Das ist meine Schuld.
Es ist tragisch, einsehen zu müssen, daß das beste, was ich als Soldat zu geben hatte, Gehorsam und Treue, für nicht erkennbare Absichten ausgenutzt wurde und daß ich nicht sah, daß auch der soldatischen Pflichterfüllung eine Grenze gesetzt ist.
Das ist mein Schicksal.
Möge aus der klaren Erkenntnis der Ursachen, der unheilvollen Methoden und der schrecklichen Folgen dieses Kriegsgeschehens für das deutsche Volk die Hoffnung erwachsen auf eine neue Zukunft in der Gemeinschaft der Völker.
VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Ernst Kaltenbrunner.
ERNST KALTENBRUNNER: Die Ankläger machen mich verantwortlich für die Konzentrationslager, für die Vernichtung jüdischen Menschenlebens, für Einsatzgruppen und anderes mehr.
Dies alles entspricht weder dem Beweisergebnis noch der Wahrheit. Die Ankläger sind, so wie die Angeklagten, den Gefahren eines summarischen Verfahrens unterlegen.
Richtig ist, daß ich das Reichssicherheitshauptamt übernehmen mußte. Darin allein lag keine Schuld. Solche Ämter bestehen auch in Staaten anderer Nationen. Dennoch bestand meine mir übertragene Aufgabe und Tätigkeit im Jahre 1943 fast ausschließlich in der Reorganisation des deutschen politischen und militärischen Nachrichtendienstes, nicht als Nachfolger Heydrichs, sondern fast ein Jahr nach seinem Tode, als nämlich der Verdacht jahrelanger Zusammenarbeit des Admirals Canaris mit dem Feinde bestand, mußte ich befehlsgemäß und als Offizier dieses Kommando antreten.
Ich habe in kurzer Zeit in ungeheuerlichstem Ausmaße den Verrat Canaris und seiner Helfer festgestellt. Die Ämter IV und V des Reichssicherheitshauptamtes unterstanden mir nur formell und nie de facto.
Die hier gezeigte Gruppenskizzierung und daraus abzuleitende Befehlsfolgerung ist falsch und irreführend.
Himmler, der es meisterhaft verstand, die längst nicht mehr eine organisatorische und weltanschauliche Einheit bildende SS in kleinste Gruppen aufzusplittern und seiner unmittelbaren Einflußnahme zuzuführen, soweit er es brauchte, hat mit Müller, dem Chef der Geheimen Staatspolizei, Verbrechen begangen, die wir heute [431] kennen. Entgegen der öffentlichen Meinung behaupte ich entschieden und leidenschaftlich, daß ich von der Tätigkeit dieser Himmler und Konsorten sachlich unterstehenden Ämter nur den geringsten Bruchteil und nur soweit er meinen Spezialauftrag umfaßte, erfahren habe.
In der Judenfrage wurde ich ebensolange getäuscht wie andere hohe Funktionäre. Ich habe niemals die biologische Ausrottung des Judentums gebilligt oder geduldet. Der Antisemitismus in Partei- und Staatsgesetzen war im Kriege noch als Notwehrmaßnahme hinzunehmen. Der Antisemitismus Hitlers, wie wir ihn heute feststellen, war Barbarei.
An beiden Fällen war ich unbeteiligt. Ich behaupte aber, wie ich noch ausführen werde, daß die Einstellung der Judenvernichtung auf mein Einwirken auf Hitler zurückzuführen ist.
Nach der Beweisaufnahme sind verschiedene Photographien vorgelegt worden, die meine Kenntnis von Verbrechen in Konzentrationslagern, im Konzentrationslager Mauthausen, und Kenntnis seiner Verbrechenswerkzeuge beweisen sollen. Ich habe nie das Haftlager Mauthausen betreten, lediglich den Teil des Arbeitslagers im Steinbruch, in welchem Schwerverbrecher auf Grund des Gesetzes beschäftigt waren, nicht aber Juden oder politische Häftlinge. Die Bilder zeigen neben einem Verwaltungsgebäude auch nichts anderes. Die eidesstattlichen Versicherungen US-909, die Bilder 894 bis 897 F sind daher sachlich unmöglich und falsch. Das Bild mit Hitler stellt den Besuch einer Baustelle in Linz dar, 35 km entfernt von diesem Lager Mauthausen.
Die Aussage des Zeugen Dr. Morgen erscheint im wesentlichen richtig, aber ergänzungsbedürftig, soweit sie meine Person und meine Reaktion hierauf betrifft. Der Zeuge bezieht im Notstande eigener Haft und Verteidigung zuviel auf sich und führte nicht aus, daß er auf meine Bitte vom Chef des Hauptamtes SS-Gericht in das Amt V des Reichssicherheitshauptamtes versetzt wurde, um als richterlicher Beamter die Spezialkommission, die dort vom Chef der Kriminalpolizei Nebe und mir zur Untersuchung der Konzentrationslager zusammengestellt worden war, zu ergänzen. Er vermag meine Kenntnis der weiteren Vorgänge nicht zu bekunden, was ich – starr von seinem Bericht – im Gegensatz zu Müller, der wie ein Entlarvter tobte, nach seinem Vortrag getan habe; am selben Tage ging mit Kurier ein genauer schriftlicher Bericht an Hitler ins Hauptquartier. Ich wurde tags darauf bestellt und flog hin. Nach langem Vortrag sagte mir Hitler Untersuchung gegen Himmler und Pohl zu. Er erklärte ein Sondergericht für alle weiteren Untersuchungen und notwendigen Festnahmen für zuständig. Pohl sollte sofort des Dienstes enthoben werden. Vor mir gab Hitler an Fegelein als Verbindungsführer zu[432] Himmler Befehl, daß dieser zu ihm kommen solle, und versprach mir in die Hand, noch heute alle Maß nahmen gegen jede weitere Untat zu erteilen. Meine Bitte um Enthebung und Frontverwendung lehnte er mit dem Hinweis auf meine Unentbehrlichkeit Im Nachrichtenwesen ab. Eichmann wurde verhaftet und festgenommen und mir gemeldet. Der Erlaß Himmlers im Oktober 1944, der dies letztlich bestätigt und finalisiert, ist in seinem Wortlaut eine letzte Teufelei Himmlers.
Sieht die Anklage noch immer keine Diskrepanz in dem Umstand, daß das Amt V des Reichssicherheitshauptamtes Verbrechen des Amtes IV des Reichssicherheitshauptamtes und einer geheimen Verbrecherclique aufgedeckt hat? Ich ersehe darin den Beweis, daß ich die wahren Vorgänge nie kannte und in dem Augenblick meiner Kenntnisnahme dagegen im eigenen Amte auftrat. Hätte ich in diesem Zeitpunkte unter Vortäuschung einer Krankheit mich in die Verantwortungslosigkeit zurückziehen sollen, oder hatte ich die Pflicht, alles aufzubieten und darum zu ringen, daß einer Barbarei ohnegleichen Einhalt geboten werde? Das allein steht hier als meine Schuld zur Entscheidung. Daran ändern auch die weiteren Diffamierungen der Anklage gegen mich nichts. Der so belastend erscheinende Brief an den Bürgermeister von Wien, den unterschrieben zu haben ich mich nicht erinnerte, ist heute für mich aufgeklärt. Alle 12000 Personen, die damals zusammen mit Zehntausenden deutscher Frauen und Männer östlich Wiens zum Festungsbau eingesetzt wurden, sind mit weiteren 2000 Personen in Gunskirchen in Oberösterreich vom Internationalen Roten Kreuz durch meine Vermittlung betreut und in Freiheit geführt worden. Tempo und Aufregung des Kreuzverhörs ließen mir nicht einfallen, daß ich um diese Zeit, in welcher längst die Kommissionen des Amtes V in den Lagern tätig waren, an eine Gefahr für jüdisches Leben nicht mehr glauben konnte. Meine Glaubwürdigkeit stand seit damals auf dem Spiele. Eine Anfrage der Ankläger in einem nicht summarischen Verfahren an das Rote Kreuz in Genf hätte diese Glaubwürdigkeit sofort wieder herstellen können.
Wenn aber an mich die Frage gestellt wird: Warum blieben Sie, nachdem Sie wußten, daß Ihre Vorgesetzten Verbrechen begangen hatten, darauf kann ich nur antworten, daß ich mich nicht zu ihrem Richter aufwerfen konnte, ja, daß nicht einmal dieses Gericht hier dieser Tat Sühne folgen zu lassen imstande sein wird.
In den letzten Tagen wird mir von den Anklägern die Beteiligung an der Ermordung eines französischen Generals vorgeworfen. Ich hörte von der Ermordung eines deutschen Generals Brodowski und dem Befehl Hitlers, die Frage einer Repressalie zu prüfen. Von der Ermordung habe ich erstmals hier vor wenigen Tagen gehört. Panzinger war Chef der Kriegsfahndungsabteilung [433] im Reichskriminalpolizeiamt und unterstand niemand anderem als Himmler in dessen Eigenschaft als Chef des Ersatzheeres und des Kriegsgefangenenwesens. Er war nicht, wie die Anklage behauptet, Beamter der Geheimen Staatspolizei. Zu der Unterschrift unter dem Fernschreiben vom 30. Dezember 1944 mit meinem Namen, in welchem die Art der Ausführung des Planes von Berlin an Himmler in dessen Hauptquartier gemeldet wurde, bemerke ich, daß ich vom 23. Dezember bis 3. Jänner in Österreich bei meiner Familie war, das Fernschreiben nicht gesehen und unterzeichnet haben konnte. Ich hatte im November 1944 ausschließlich den Befehl, den Bericht des Reichspressechefs Dietrich über den Mord an dem deutschen General in Frankreich zu überprüfen. Die Ergebnisse Hierüber erhielt das Hauptquartier von den dortigen Dienststellen. Ich habe es bedauert, daß Hitler in einer Situation, wie ich sie zur Zeit meines Dienstantritts 1943 vorfand, in keinem besseren Verhältnis zu den Kirchen stand, die ein nicht wegzudenkender Ordnungsfaktor jedes Staates sind. Meine Vorstellungen schlugen fehl. Ich habe mich ehrlich bemüht, das Beweisverfahren hat es ergeben, die Anklage hat auch daraus keine Konsequenzen gezogen.
Ich weiß nur, daß ich meine ganze Kraft meinem Volk in meinem Glauben an Adolf Hitler zur Verfügung stellte. Ich konnte als deutscher Soldat nur in den Dienst der Abwehr jener zerstörenden Kräfte mich stellen, die Deutschland einst schon nahe an den Abgrund gebracht hatten und heute, nach dem Zusammenbruch des Reiches, weiterhin die Welt bedrohen.
Wenn ich in meinem Wirken Irrtümer aus falschem Gehorsamsbegriff begangen habe, wenn ich Befehle, die alle – soweit sie hier als Kardinalbefehle angeklagt gewesen sind – vor meiner Zeit erlassen worden waren, ausgeführt habe, so liegen sie in einem mich mitreißenden mächtigeren Schicksal beschlossen.
Ich bin hier angeklagt, weil man für den fehlenden Himmler und andere mir vollkommen konträre Elemente Stellvertreterschaft braucht. Ob meine Haltung und Darstellung nun angenommen oder verworfen werden, ich bitte Sie, das Schicksal und die Ehre Hunderttausender gefallener und lebender Männer der Allgemeinen SS, der Waffen-SS und der Beamtenschaft, die bis zum letzten tapfer und ideal gläubig ihr Reich verteidigt haben, nicht mit Ihrem gerechten Fluche gegen Himmler zu verknüpfen. Sie meinten, so wie ich, nach Gesetz gehandelt zu haben.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird nun eine Pause einschalten.
[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Alfred Rosenberg.
ALFRED ROSENBERG: Die Ankläger haben über die Wiederholung der alten Beschuldigungen hinaus in stärkster Weise neue [434] erhoben; so seien wir alle »zu geheimen Beratungen zugelassen« gewesen, um einen Angriffskrieg zu planen; ferner sollen wir die behauptete Ermordung von zwölf Millionen Menschen befohlen haben. Man hat alle diese Anklagen unter dem Worte »Genocidium«, Völkermord, zusammengefaßt. Hierzu habe ich folgendes zu erklären:
Ich weiß mein Gewissen völlig frei von einer solchen Schuld, von einer Beihilfe zum Völkermord. Statt die Auflösung der Kultur und des nationalen Gefühls der Völker Osteuropas zu betreiben, bin ich eingetreten für die Forderung ihrer physischen und seelischen Daseinsbedingungen, statt ihre persönliche Sicherheit und menschliche Würde zu zerstören, bin ich nachgewiesenermaßen gegen jede Politik gewaltsamer Maßnahmen mit ganzer Kraft aufgetreten und habe mit Schärfe eine gerechte Haltung der deutschen Beamten und eine humane Behandlung der Ostarbeiter gefordert. Statt »Kindersklaverei« zu betreiben, wie man sagt, habe ich Jugendlichen aus kampfgefährdeten Gebieten Schutz und besondere Pflege angedeihen lassen. Statt die Religion auszurotten, habe ich durch ein Toleranzedikt die Freiheit der Kirchen in den Ostgebieten wieder hergestellt. In Deutschland habe ich in Vertretung meiner weltanschaulichen Überzeugungen Gewissensfreiheit verlangt, jedem Gegner zugebilligt und nie eine Religionsverfolgung veranlaßt.
Der Gedanke an eine physische Vernichtung von Slawen und Juden, also der eigentliche Völkermord, ist mir nie in den Sinn gekommen, geschweige denn, daß ich ihn irgendwie propagiert habe. Ich war der Anschauung, daß die vorhandene Judenfrage gelöst werden müsse durch Schaffung eines Minderheitenrechtes, Auswanderung oder durch Ansiedlung der Juden in einem nationalen Territorium in einem jahrzehntelangen Zeitraum. Wie geschichtliche Entwicklungen früher nie geplante Maßnahmen hervorrufen können, zeigt das »Weiße Papier« der Britischen Regierung vom 24. Juli 1946.
Völlig anders als meine Auffassung war die hier im Prozeß erwiesene Praxis der deutschen Staatsführung im Kriege. Adolf Hitler zog in steigendem Maße Personen heran, die nicht meine Kameraden, sondern meine Gegner waren. Zu deren unheilvollen Taten habe ich zu erklären: Dies war nicht die Durchführung des Nationalsozialismus, für den Millionen gläubiger Männer und Frauen gekämpft hatten, sondern sein schmählicher Mißbrauch, eine auch von mir zutiefst verurteilte Entartung.
Den Gedanken, daß ein Verbrechen des Genocidiums durch internationale Abmachung geächtet und unter schwerste Strafe gestellt werden soll, begrüße ich aufrichtig unter der natürlichen Voraussetzung, daß das Genocidium jetzt und in Zukunft auch nicht gegen das deutsche Volk in irgendeiner Art erlaubt sein darf.
[435] Der Sowjetankläger hat unter anderem erklärt, die »ganze sogenannte ideologische Tätigkeit« sei »eine Vorbereitung für Verbrechen« gewesen. Dazu möchte ich erklären. Der Nationalsozialismus vertrat den Gedanken einer Überwindung des volkzersetzenden Klassenkampfes und der Einheit aller Stände in einer großen Volksgemeinschaft. Er stellte zum Beispiel durch den Arbeitsdienst die Ehre der Handarbeit an der Muttererde wieder her und richtete die Augen aller Deutschen auf die Notwendigkeit eines starken Bauerntums. Er bildete im Winterhilfswerk eine Kameradschaft der ganzen Nation für alle in Not geratenen Volksgenossen, ohne Rücksicht auf frühere Parteizugehörigkeit. Er baute Mütterheime, Jugendherbergen, Gemeinschaftshäuser in den Fabriken und führte Millionen an noch ungekannte Schätze der Kunst heran.
Dem allen diente auch ich.
Nie aber habe ich neben meiner Liebe zu einem freien und starken Reich die Pflicht gegenüber dem ehrwürdigen Europa vergessen. Zu seiner Erhaltung und friedlichen Entwicklung rief ich schon 1932 in Rom auf, und für den Gedanken der inneren Gewinnung der Völker Osteuropas kämpfte ich, als ich 1941 Ostminister wurde, solange ich es vermochte.
Ich kann deshalb in der Stunde der Not der Idee auch meines Lebens, dem Ideal eines sozial befriedeten Deutschlands und eines seiner Werte bewußten Europas nicht abschwören und bleibe ihr treu.
Der bei allen menschlichen Unzulänglichkeiten ehrliche Dienst für diese Weltanschauung war keine Verschwörung, mein Handeln niemals ein Verbrechen, sondern ich verstand auch meinen Kampf, wie den Kampf der vielen Tausenden von Kameraden, geführt für die edelste Idee, um die seit über 100 Jahren gerungen und eine Fahne erhoben wurde.
Ich bitte, dies als Wahrheit zu erkennen. Dann würde aus diesem Prozeß keine Glaubensverfolgung entstehen können, dann wäre nach meiner Überzeugung ein erster Schritt getan für ein neues gegenseitiges Verstehen der Völker, ohne Vorurteile, ohne böse Gefühle und ohne Haß.
VORSITZENDER: Angeklagter Hans Frank.
HANS FRANK: Meine Herren Richter!
Adolf Hitler, der Hauptangeklagte, ist dem deutschen Volk und der Welt sein Schlußwort schuldig geblieben. In der tiefsten Not seiner Nation fand er kein heilsames Wort. Er erstarrte und waltete nicht seines Führeramtes, sondern ging als Selbstmörder fort ins Dunkle. War es Verstocktheit, Verzweiflung oder Trotz gegen Gott [436] und Menschen in dem Sinne etwa: »Wenn ich zugrunde gehe, mag auch das deutsche Volk zur Tiefe fahren!« Wer mag es ergründen?
Wir – und wenn ich nun per »wir« spreche, dann meine ich mich und jene Nationalsozialisten, die mit mir in diesem Bekenntnis einig sind, nicht die Mitangeklagten, für die zu sprechen ich nicht befugt bin – wir wollen nicht in gleicher Weise das deutsche Volk seinem Schicksal wortlos überlassen. Wir wollen nicht einfach sagen: »Nun seht zu, wie ihr mit dem Zusammenbruch fertig werden könnt, den wir euch hinterlassen haben!« Wir tragen auch jetzt noch – vielleicht wie nie zuvor – eine große geistige Verantwortung. Wir haben am Anfang unseres Weges nicht geahnt, daß die Abwendung von Gott solche verderblichen, tödlichen Folgen haben könnte und daß wir zwangsläufig immer tiefer in Schuld verstrickt werden könnten. Wir haben es damals nicht wissen können, daß soviel Treue und Opfersinn des deutschen Volkes von uns so schlecht verwaltet werden könnte. So sind wir in der Abwendung von Gott zuschanden geworden und mußten untergehen. Es waren nicht technische Mängel und unglückliche Umstände allem, wodurch wir den Krieg verloren haben. Es war auch nicht Unheil und Verrat. Gott vor allem hat das Urteil über Hitler gesprochen und vollzogen über ihn und das System, dem wir in gottferner Geisteshaltung dienten. Darum möge auch unser Volk von dem Weg zurückgerufen sein, auf dem Hitler und wir mit ihm es geführt haben. Ich bitte unser Volk, daß es nicht verharrt in dieser Richtung, auch nicht einen Schritt. Denn Hitlers Weg war der vermessene Weg ohne Gott, der Weg der Abwendung von Christus und in allem letzten Endes der Weg politischer Torheit, der Weg des Verderbens und des Todes. Sein Gang wurde mehr und mehr der eines entsetzlichen Abenteurers ohne Gewissen und Ehrlichkeit, wie ich heute weiß am Schlusse dieses Prozesses.
Wir rufen das deutsche Volk, dessen Machtträger wir mit waren, von diesem Weg zurück, auf dem wir und unser System nach Gottes Recht und Gerechtigkeit scheitern mußten und auf dem jeder scheitern wird, der ihn zu gehen versucht oder fortsetzt, allüberall in der Welt!
Über den Gräbern der Millionen Toten dieses furchtbaren zweiten Weltkrieges stieg dieser monatelange Staatsprozeß als das zentrale juristische Nachspiel auf, und die Geister der Toten zogen anklagend durch diesen Raum.
Ich danke, daß man mir die Möglichkeit einer Verteidigung und damit einer Rechtfertigung gegeben hat zu den Belastungen, die gegen mich vorgebracht wurden. Ich denke dabei an all diese Opfer von Gewalt und Grauen der furchtbaren Kriegsereignisse. Mußten doch Millionen vergehen, ungefragt und ungehört.
[437] Ich habe das Kriegstagebuch über meine Erklärungen und Handlungen in der Stunde abgegeben, die mir die Freiheit nahm. Wenn ich wirklich einmal hart war, dann war ich es in diesem Augenblick der Offenlegung meines Handelns im Kriege, vor allem mir selbst gegenüber. Ich will auf der Welt keine versteckte. Schuld unerledigt zurücklassen. Im Zeugenstand habe ich die Verantwortung für das übernommen, für was ich einzustehen habe. Ich habe auch jenes Maß von Schuld anerkannt, das auf mich als Vorkämpfer Adolf Hitlers, seiner Bewegung und seines Reiches trifft.
Den Worten meines Verteidigers habe ich nichts hinzuzufügen.
Ich muß nur noch ein Wort von mir berichtigen. Ich sprach im Zeugenstand von tausend Jahren, die die Schuld von unserem Volke wegen des Verhaltens Hitlers in diesem Krieg nicht nehmen könnten. Nicht nur das sorgsam aus diesem Verfahren ferngehaltene Verhalten unserer Kriegsfeinde unserem Volk und seinen Soldaten gegenüber, sondern die riesigen Massenverbrechen entsetzlichster Art, die, wie ich jetzt erst erfahren habe, vor allem in Ostpreußen, Schlesien, Pommern und im Sudetenland von Bussen, Polen und Tschechen an Deutschen verübt wurden und noch verübt werden, haben jede nur mögliche Schuld unseres Volkes schon heute restlos getilgt. Wer wird diese Verbrechen gegen das deutsche Volk einmal richten?
Mit der gewissen Hoffnung, daß aus all dem Grauen der Kriegszeit und den schon wieder überall drohenden Entwicklungen vielleicht doch noch ein Friede ersteht, an dem auch unser Volk seinen segnenden Anteil gewinnen möge, beende ich mein Schlußwort. Die ewige Gerechtigkeit Gottes aber ist es, in der ich unser Volk geborgen hoffe und der allein auch ich mich vertrauensvoll beuge.
VORSITZENDER: Angeklagter Wilhelm Frick.
WILHELM FRICK: Der Anklage gegenüber habe ich ein reines Gewissen. Mein ganzes Leben war Dienst an Volk und Vaterland. Ihnen habe ich meine beste Kraft in treuester Pflichterfüllung gewidmet. Ich bin überzeugt, daß kein patriotischer Amerikaner oder Angehöriger eines anderen Landes in gleicher Lage seines Landes an meiner Stelle anders gehandelt hätte. Denn jede andere Handlungsweise wäre Bruch meines Treueides, Hoch- und Landesverrat gewesen. Für die Erfüllung meiner gesetzlichen und moralischen Pflicht glaube ich, ebensowenig Strafe verdient zu haben, wie die Zehntausende pflichttreuer deutscher Beamter und Angestellter des öffentlichen Dienstes, die heute noch wie schon seit Jahr und Tag nur wegen Erfüllung ihrer Pflicht in Lagern festgehalten werden. Ihrer hier in Treue zu gedenken, ist mir als ehemaligem langjährigen Beamtenminister des Reiches eine besondere Ehrenpflicht.
[438] VORSITZENDER: Angeklagter Julius Streicher!
JULIUS STREICHER: Meine Herren Richter! Zu Beginn dieses Prozesses bin ich vom Herrn Präsidenten gefragt worden, ob ich mich im Sinne der Anklage schuldig bekenne. Ich habe diese Frage verneint.
Das durchgeführte Verfahren und die Beweisaufnahme haben die Richtigkeit meiner damals abgegebenen Erklärung bestätigt. Es ist festgestellt:
Erstens: Die Massentötungen sind ausschließlich und ohne Beeinflussung auf Befehl des Staatsführers Adolf Hitler erfolgt.
Zweitens: Die Durchführung der Massentötungen ist ohne Wissen des deutschen Volkes unter völliger Geheimhaltung durch den Reichsführer Heinrich Himmler vollzogen worden.
Die Staatsanwaltschaft hatte behauptet, ohne Streicher und ohne seinen »Stürmer« wären die Massentötungen nicht möglich gewesen. Die Staatsanwaltschaft hat für diese Behauptung weder Beweise angeboten noch erbracht. Es steht fest, daß ich anläßlich des von mir im Auftrag geleiteten Anti-Boykott-Tages im Jahre 1933 und anläßlich der vom Reichsminister Dr. Goebbels befohlenen Demonstration im Jahre 1938 in meiner Eigenschaft als Gauleiter irgendwelche Gewalttätigkeiten gegen die Juden weder angeordnet noch verlangt oder mich an solchen beteiligt habe. Es steht weiter fest, daß ich in mehreren Artikeln in meinem Wochenblatt »Der Stürmer« die zionistische Forderung zur Schaffung eines Judenstaates als natürliche Lösung des Judenproblems vertreten habe. Diese Tatsachen sind ein Beweis dafür, daß ich die Judenfrage nicht auf gewaltsame Weise gelöst haben wollte.
Wenn in einigen Artikeln meines Wochenblattes »Der Stürmer« von mir oder anderen Verfassern von einer Vernichtung oder Ausrottung des Judentums gesprochen wurde, so waren dies scharfe Gegenäußerungen gegen provozierende Auslassungen jüdischer Schriftsteller, in denen die Ausrottung des deutschen Volkes verlangt worden war!
Die vom Staatsführer Adolf Hitler befohlenen Massentötungen sollten nach seiner letztwilligen Erklärung eine Vergeltung sein, die nur bedingt war durch den damals erkennbar gewordenen ungünstigen Verlauf des Krieges. Dieses Vorgehen des Staatsführers gegen das Judentum ist aus einer von der meinigen durchaus verschiedenen Einstellung zur jüdischen Frage zu erklären. Hitler wollte das Judentum bestrafen, weil er es für die Entfesselung des Krieges und für die Bombenwürfe auf die deutsche Zivilbevölkerung verantwortlich hielt. Es ist tief bedauerlich, daß die auf persönlichen Entschluß des Staatsführers Adolf Hitler zurückzuführenden Massentötungen zu einer Behandlung des deutschen [439] Volkes geführt haben, die ebenfalls als nicht menschlich empfunden werden muß. Die durchgeführten Massentötungen lehne ich ebenso ab, wie sie von jedem anständigen Deutschen abgelehnt werden.
Meine Herren Richter! Ich habe weder in meiner Eigenschaft als Gauleiter noch als politischer Schriftsteller ein Verbrechen begangen und sehe deshalb Ihrem Urteil mit gutem Gewissen entgegen.
Ich habe für mich keine Bitte. Ich habe eine solche für das deutsche Volk, dem ich entstamme: Ihnen, meine Herren Richter, hat das Schicksal die Macht gegeben, jedes Urteil zu sprechen. Sprechen Sie, meine Herren Richter, kein Urteil, in dem Sie einem ganzen Volk den Stempel der Unehre auf die Stirne drücken.
VORSITZENDER: Angeklagter Walther Funk.
WALTHER FUNK: In Zeiten schwerster Not meines Volkes habe ich mich der politischen Bewegung angeschlossen, deren Ziel der Kampf für die Freiheit und die Ehre meines Vaterlandes und für eine wahre soziale Volksgemeinschaft war.
Diese Bewegung erhielt auf legalem Wege die Führung des Staates.
Diesem Staat habe ich gedient auf Grund meiner Dienstpflicht als Beamter und in Vollzug der deutschen Gesetze.
An diese Pflichterfüllung fühlte ich mich in erhöhtem Maße gebunden in Zeiten der Kriegsgefahr und im Kriege selbst, in welchem die Existenz des Vaterlandes auf das höchste bedroht war. Im Kriege aber ist der Staat unbedingt auf die Treue und Loyalität seiner Beamten angewiesen.
Nun sind hier grauenvolle Verbrechen bekanntgeworden, in die zum Teil auch die von mir geleiteten Behörden hineingezogen wurden. Das habe ich erst hier vor Gericht erfahren. Ich habe diese Verbrechen nicht gekannt und nicht zu erkennen vermocht. Diese verbrecherischen Taten erfüllen mich wie jeden Deutschen mit tiefer Scham.
Ich habe mein Gewissen und mein Gedächtnis auf das sorgfältigste geprüft, ich habe dem Gericht offen und ehrlich alles gesagt, was ich wußte, und ich habe nichts verschwiegen. Auch hinsichtlich dieser SS-Depots bei der Reichsbank handelte ich in Erfüllung der mir als Präsident der Reichsbank obliegenden Amtspflichten. Die Annahme von Gold und Devisen gehörte nach den gesetzlichen Bestimmungen zu den geschäftlichen Aufgaben der Reichsbank. Daß die Beschlagnahme dieser Werte durch die Himmler unterstehenden SS-Organe erfolgte, konnte in mir keinen Verdacht aufkommen lassen. Himmler unterstand die gesamte Polizei, die Grenzkontrolle und insbesondere auch die gesamte Devisenfahndung im Reich und in allen besetzten Gebieten; aber [440] ich bin hier von Himmler getäuscht und hintergangen worden. Ich habe bis zu diesem Prozeß nicht gewußt und nicht geahnt, daß unter den bei der Reichsbank eingelieferten Werten sich Riesenmengen von Perlen, Edelsteinen, Schmuck, Goldsachen sogar Brillengestelle und – entsetzlich zu sagen – Goldzähne befanden. Das ist mir niemals mitgeteilt worden, und ich habe es auch niemals wahrgenommen. Ich habe diese Dinge nie gesehen.
Ich wußte aber bis zu diesem Prozeß ebenfalls nichts davon, daß Millionen von Juden in Konzentrationslagern oder durch Einsatzkommandos im Osten ermordet worden sind.
Niemals hat ein Mensch auch nur ein Wort mit mir über diese Dinge gesprochen. Die Existenz derartiger Vernichtungslager war mir völlig unbekannt. Ich kannte keinen einzigen dieser Namen. Ich habe auch niemals ein Konzentrationslager betreten.
Daß die bei der Reichsbank abgelieferten Gold-und Devisenwerte zum Teil auch aus Konzentrationslagern stammten, habe auch ich angenommen und das habe ich von Anfang an bei allen Vernehmungen auch offen gesagt. Aber jedermann mußte nach deutschem Gesetz solche Werte abliefern.
Im übrigen waren mir Art und Umfang auch dieser Lieferungen der SS nie bekanntgegeben worden. Wie konnte ich aber auch nur ahnen, daß die SS diese Werte im Wege der Leichenschändung erworben hatte!
Hätte ich diese grauenvollen Zusammenhänge gekannt, so hätte meine Reichsbank niemals solche Werte zur Aufbewahrung und zur Verwertung angenommen! Ich hätte dies abgelehnt, selbst auf die Gefahr hin, daß es mich den Kopf gekostet hätte. Wenn ich diese Verbrechen gekannt hätte, dann würde ich, meine Herren Richter, hier heute nicht auf dieser Anklagebank sitzen, davon können Sie überzeugt sein.
Dann würde mir die Erde leichter sein als dieses qualvolle Leben, dieses Leben voll von Verdächtigungen, Verleumdungen und gemeinen Beschuldigungen.
Durch von mir angeordnete Maßnahmen ist kein Mensch ums Leben gekommen.
Fremdes Eigentum habe ich stets geachtet. Immer war ich darauf bedacht, Menschen in der Not zu helfen und, soweit dies in meinen Kräften stand, Glück und Freude in ihr Dasein zu bringen. Und dafür wer den mir auch viele dankbar sein und bleiben.
Das menschliche Leben besteht aus Irrtum und Schuld.
Auch ich habe in vielem geirrt, auch ich habe mich in vielem täuschen lassen, und ich gestehe offen, ich gebe dies zu, allzu leicht habe ich mich täuschen lassen und bin in vielem viel zu unbekümmert und zu gutgläubig gewesen. Darin ersehe ich meine [441] Schuld; aber von einer strafrechtlichen Schuld, die ich durch pflichtgemäße Führung meiner Ämter begangen haben soll, fühle ich mich frei.
In dieser Hinsicht habe ich heute am Ende dieses Prozesses genauso ein reines Gewissen als an dem Tage, als ich vor zehn Monaten zum erstenmal diesen Gerichtssaal betreten habe.
VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Hjalmar Schacht!
HJALMAR SCHACHT: Es hat mein Rechtsgefühl tief verletzt, daß die Schlußreden der Anklage völlig vorübergegangen sind an dem Beweisergebnis dieses Prozesses. Die einzige Anklage gegen mich unter der Charter ist die, daß ich den Krieg gewollt habe. Die erdrückende Reihe von Beweisen in meinem Falle aber hat ergeben, daß ich fanatischer Kriegsgegner war und aktiv und passiv durch Widerspruch, Sabotage, List und Gewalt versucht habe, den Krieg zu verhindern.
Wie kann da die Anklage behaupten, ich sei für Krieg gewesen! Wie kann der russische Ankläger behaupten, ich hätte mich erst 1943 von Hitler abgewandt, nachdem mein erster Staatsstreichversuch schon im Herbst 1938 unternommen wurde!
Nun hat Justice Jackson in seiner Schlußrede noch einen Vorwurf gegen mich erhoben, der bisher im ganzen Prozeß überhaupt nicht zur Sprache gekommen ist. Ich soll geplant haben, die Juden aus Deutschland freizugeben gegen Lösegeld in fremder Valuta. Auch dies ist unwahr.
Empört über den Judenpogrom vom November 1938 habe ich bei Hitler die Zustimmung zu einem Plan durchgesetzt, der den Juden die Auswanderung erleichtern sollte. Ich wollte aus dem beschlagnahmten jüdischen Vermögen einundeinhalb Milliarden Reichsmark unter die Verwaltung eines Internationalen Komitees stellen, und Deutschland sollte die Verpflichtung übernehmen, diesen Betrag in zwanzig Jahresraten an das Komitee auszuzahlen, und zwar in fremder Valuta, also das genaue Gegenteil von dem, was Justice Jackson hier behauptet hat. Ich habe diesen Plan im Dezember 1938 in London mit Lord Berstedt, von Samuel and Samuel, mit Lord Winterton und mit dem amerikanischen Vertreter Mr. Rublee besprochen. Sie alle nahmen den Plan sympathisch auf. Da ich aber kurz danach von Hitler aus der Reichsbank entfernt wurde, verfiel die Angelegenheit. Wäre sie durchgeführt worden, so wäre kein einziger deutscher Jude ums Leben gekommen.
Meine Gegnerschaft gegen Hitlers Politik war im Inlande und Auslande bekannt, und zwar so eindeutig, daß der Geschäftsträger der Vereinigten Staaten, Mr. Kirk, noch im Jahre 1940, bevor er [442] seinen Berliner Posten verließ, mich grüßen ließ mit dem Hinzufügen, daß man nach dem Kriege mit mir rechne als einem unbelasteten Manne, worüber der Zeuge Hülse in seinem Affidavit ausführlich berichtet, Beweisstück 37 b meines Dokumentenbuches.
Statt dessen hat mich die Anklage ein volles Jahr in der Weltpresse als Räuber, Mörder und Betrüger an den Pranger gestellt. Dieser Anklage allein verdanke ich es, daß ich am Abend meines Lebens dastehe ohne Subsistenzmittel und ohne Heimat. Aber die Anklage irrt, wenn sie glaubt, wie dies in ihrer ersten Rede gesagt wurde, mich unter die jämmerlichen gebrochenen Gestalten zählen zu können.
Gewiß, ich habe politisch geirrt. Ich habe nie beansprucht, ein Politiker zu sein, aber meine Wirtschafts-und Finanzpolitik der Arbeitsbeschaffung durch Kredithilfe hatte sich glänzend bewährt. Die Arbeitslosenziffer von sieben Millionen war auf Null gesunken. Im Jahre 1938 waren die Staatseinnahmen so gestiegen, daß die Rückzahlung der Reichsbankkredite voll gesichert war. Daß Hitler diese von ihm feierlich verbriefte Rückzahlung verweigerte, war ein ungeheuerlicher Betrug, den ich nicht voraussehen konnte. Mein politischer Irrtum war, daß ich das Ausmaß der Verbrechernatur Hitlers nicht früh genug erkannt habe. Aber ich habe meine Hände nicht befleckt mit einer einzigen ungesetzlichen oder unsittlichen Handlung. Der Terror der Geheimen Staatspolizei hat mich nicht geschreckt. Denn jeder Terror muß versagen vor der Berufung auf das Gewissen. Hier liegt die große Kraftquelle, die uns die Religion verleiht.
Trotzdem hat Justice Jackson es für gut befunden, mich des Opportunismus' und der Feigheit zu bezichtigen. Dies, nachdem mich das Kriegsende nach zehnmonatiger Gefangenschaft im Vernichtungslager Flossenbürg angetroffen hat, wo ich dem Mordbefehl Hitlers nur durch ein gnädiges Geschick entgangen bin.
Ich stehe am Ausgang dieses Prozesses in tiefster Seele erschüttert über das unsagbare Elend, das zu verhindern ich versucht habe mit allem persönlichen Einsatz und mit allen erreichbaren Mitteln, das aber zu verhindern mir versagt geblieben ist, nicht durch meine Schuld.
Darum trage ich mein Haupt aufrecht, und ich bin unerschüttert in dem Glauben, daß die Welt genesen wird nicht durch die Macht der Gewalt, sondern allein durch die Kraft des Geistes und die Sittlichkeit des Handelns.
VORSITZENDER: Angeklagter Karl Dönitz!
KARL DÖNITZ: Ich möchte drei Dinge sagen:
Das erste: Mögen Sie über die Rechtmäßigkeit des deutschen U-Bootkrieges urteilen, wie es Ihnen Ihr Gewissen gebietet. Ich [443] halte diese Kriegführung für berechtigt und habe nach meinem Gewissen gehandelt. Ich müßte das genauso wieder tun.
Meine Untergebenen aber, die meine Befehle befolgt haben, haben gehandelt im Vertrauen auf mich und ohne auch nur den Schatten eines Zweifels an der Notwendigkeit und an der Rechtmäßigkeit dieser Befehle. In meinen Augen kann ihnen kein nachträgliches Urteil den guten Glauben absprechen an die Ehrenhaftigkeit eines Kampfes, in dem sie freiwillig bis zur letzten Stunde Opfer über Opfer gebracht haben.
Das zweite: Man hat hier viel von einer Verschwörung geredet, die unter den Angeklagten bestanden haben soll. Ich halte diese Behauptung für ein politisches Dogma. Als solches kann man es nicht beweisen, sondern nur glauben oder ablehnen. Große Teile des deutschen Volkes werden aber niemals daran glauben, daß eine solche Verschwörung die Ursache ihres Unglücks ist. Mögen Politiker und Juristen darüber streiten. Sie werden es dem deutschen Volk nur erschweren, aus diesem Verfahren eine Lehre zu ziehen, die entscheidend wichtig ist für seine Stellungnahme zur Vergangenheit und für seine Gestaltung der Zukunft, die Erkenntnis, daß das Führerprinzip als politisches Prinzip falsch ist.
Das Führerprinzip hat sich in der militärischen Führung aller Armeen der Welt aufs beste bewährt. Auf Grund dieser Erfahrung hielt ich es auch in der politischen Führung für richtig, besonders bei einem Volk in der trostlosen Lage des deutschen Volkes im Jahre 1932. Die großen Erfolge der neuen Regierung, ein in der ganzen Nation nie gekanntes Gefühl des Glücks, schien dem recht zu geben.
Wenn aber trotz allem Idealismus, trotz aller Anständigkeit und aller Hingabe der großen Masse des deutschen Volkes letzten Endes mit dem Führerprinzip kein anderes Ergebnis erreicht worden ist als das Unglück dieses Volkes, dann muß dieses Prinzip als solches falsch sein. Falsch, weil die menschliche Natur offenbar nicht in der Lage ist, die Macht dieses Prinzips zum Guten zu nutzen, ohne den Versuchungen dieser Macht zu unterliegen.
Das dritte: Mein Leben galt meinem Beruf und damit dem Dienst am deutschen Volk.
Als letzter Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine und als letztes Staatsoberhaupt fühle ich mich dem deutschen Volk gegenüber verantwortlich für alles, was ich tat und ließ.
VORSITZENDER: Angeklagter Erich Raeder!
ERICH RAEDER: Der Prozeß hat am Schlusse der Beweisaufnahme ein für Deutschland segensreiches, für die Anklage aber unerwartetes Ergebnis gehabt: Durch einwandfreie Zeugenaussagen ist das deutsche Volk – und damit auch alle mit mir in gleicher [444] Lage befindlichen Personen – von dem schwersten Vorwurf entlastet, um die Tötung von Millionen von Juden und anderen Menschen gewußt, wenn nicht gar daran mitgewirkt zu haben.
Der Versuch der Anklage, die durch frühere Vernehmungen die Wahrheit schon lange kannte und trotzdem ihre Beschuldigungen in den Trial-Briefen und bei den Kreuzverhören – mit dem erhobenen Finger des Moralpredigers – aufrechterhielt und immer wiederholte, dieser Versuch, das ganze deutsche Volk zu diffamieren, ist in sich zusammengebrochen.
Das zweite allgemeine, daher auch für mich wichtige Ergebnis des Prozesses ist die Tatsache, daß der deutschen Marine grundsätzlich ihre Sauberkeit und Kampfsittlichkeit auf Grund der Beweisaufnahme hat bestätigt werden müssen. Sie steht vor diesem Gericht und vor der Welt mit reinem Schild und unbefleckter Flagge da.
Die Versuche im Plädoyer Shawcross, den U-Boot krieg auf eine Stufe mit Greueltaten zu stellen, können wir mit reinem Gewissen nachdrücklichst zurückweisen; denn sie sind nach den klaren Ergebnissen der Beweisaufnahme unhaltbar. Insbesondere ist der Vorwurf, daß die Marine »niemals die Absicht gehabt habe, die Seekriegsgesetze einzuhalten«, Shawcross, Seite 70/71, völlig entkräftet; ebenso ist es erwiesen, daß die Seekriegsleitung und ihr Chef niemals »Verachtung für das Internationale Recht« gezeigt haben, Schlußrede Dubost, Seite CC 8, sondern vielmehr vom ersten bis zum letzten Augenblick ehrlich bestrebt gewesen ist, die moderne Seekriegführung mit den völkerrechtlichen und menschlichen Forderungen in Einklang zu bringen, – auf der gleichen Basis wie unsere Gegner.
Ich bedauere, daß die Anklage immer wieder versuchte, mich und die Marine zu diffamieren, wie schon die Überreichung eines zweiten, abgeänderten Trial-Briefs zeigte, der nur darin von der ersten Fassung abweicht, daß er die Zahl und Schärfe der beleidigenden Ausdrücke vermehrte. Diese Tatsache zeigt, daß die Anklage selbst fühlte, daß die sachlichen Anschuldigungen zu schwach waren. Ich bin aber auch der Überzeugung, daß die Britische und Amerikanische Anklage der eigenen Marine einen schlechten Dienst erwiesen hat, wenn sie den Gegner moralisch herabsetzte und als minderwertig hinstellte, gegen den die alliierten Seestreitkräfte einen jahrelangen, schweren und ehrenvollen Seekrieg führten. Ich bin überzeugt, daß die Admiralitäten der alliierten Länder mich verstehen und wissen, daß sie nicht gegen einen Verbrecher gekämpft haben.
Ich kann mir dieses Verhalten der Anklage nur damit erklären, daß ihre Vertreter, wie ich immer wieder feststellen mußte, nur sehr wenig Urteil über die Grundsätze wahren Soldatentums und soldatischer Führung erkennen ließen und daher kaum dazu berufen erscheinen, über Soldatenehre zu urteilen.
[445] Ich fasse zusammen:
Ich habe als Soldat meine Pflicht getan, weil ich der Überzeugung war, dem deutschen Volk und Vaterland, für das ich gelebt habe und für das zu sterben ich jederzeit bereit bin, damit am besten zu dienen. Wenn ich mich irgendwie schuldig gemacht haben sollte, so höchstens in der Richtung, daß ich trotz meiner rein militärischen Stellung vielleicht nicht nur Soldat, sondern doch bis zu einem gewissen Grade auch Politiker hätte sein sollen, was mir aber nach meinem ganzen Werdegang und der Tradition der deutschen Wehrmacht widerstrebte. Dies wäre dann aber eine moralische Schuld gegenüber dem deutschen Volk und kann mich nie und nimmer zum Kriegsverbrecher stempeln; es wäre keine Schuld vor einem Strafgericht der Menschen, sondern eine Schuld vor Gott.
VORSITZENDER: Ich rufe den Angeklagten Baldur von Schirach.
BALDUR VON SCHIRACH: Am 24. Mai habe ich hier eine Erklärung abgegeben, die ich vor Gott und meinem Gewissen verantworte und auch heute, am Ende des Prozesses, voll aufrechterhalte, weil sie meiner innersten ehrlichen Überzeugung entspricht.
Die Englische Anklagevertretung hat in ihrem Schlußwort den Satz gesprochen:
»Schirach hat Millionen deutscher Kinder verdorben, damit sie zu dem wurden, was sie dann auch wirklich geworden sind: die blinden Instrumente jener Mord- und Herrscherpolitik, die diese Männer durchgeführt haben.«
Wäre dieser Vorwurf begründet, würde ich kein Wort zu meiner Verteidigung sagen. Er ist aber unbegründet, er ist unwahr. Wer die Ergebnisse der Beweisaufnahme dieses Prozesses auch nur einigermaßen berücksichtigt und ehrlich würdigt, kann nie und nimmer gegen mich den Vorwurf erheben, ich hätte »durch meine erzieherische Arbeit die Jugend verdorben«, ich hätte »ihre Seele vergiftet«.
Die Grundsätze und Ziele, die ich der Jugend gab und die für die Gemeinschaft maßgebend wurden, die unsere Jugend aus eigener Kraft unter meiner Führung aufgebaut hat, waren: opferbereite Vaterlandsliebe, Überwindung von Standesdünkel und Klassenhaß, planmäßige Gesundheitspflege, Ertüchtigung durch Wandern, Spiel und Sport, Förderung der Berufsausbildung und insbesondere: kameradschaftliche Verständigung mit der Jugend anderer Völker.
Diese Grundsätze und Ziele standen mir seit meiner eigenen Jugendzeit als Ideale einer deutschen Nationalerziehung vor Augen. Diese Grundsätze und Ziele sind mir nicht von der Partei und nicht vom Staate vorgeschrieben worden, und wäre Hitler hier anwesend, so wäre das für meine Verteidigung völlig belanglos; denn als [446] Reichsjugendführer berufe ich mich nicht auf ihn, ich berufe mich auf mich selbst.
Diese Erziehungsgrundsätze, die durch alle meine Reden, Schriften und Weisungen tausendfach bewiesen wurden und denen ich als Reichsjugendführer stets treugeblieben bin, sie sind nach meiner festen Überzeugung Grundsätze jeder Jugendführung, die sich ihrer Pflicht gegenüber Volk und Jugend bewußt ist.
Die Leistungen unserer Jugend und ihre sittliche Haltung haben mir recht gegeben und beweisen, daß sie nie verdorben war und auch durch mich nicht verdorben wurde.
Die deutsche Jugend war und ist fleißig, ehrlich, anständig und idealistisch. Sie hat im Frieden redlich an ihrer Fortbildung gearbeitet, und im Kriege bis zum äußersten tapfer ihre Pflicht getan, ihre Pflicht für unser Volk, für unser deutsches Vaterland.
In dieser Stunde, da ich ein letztes Mal zu dem Militärgericht der vier Siegermächte spreche, möchte ich mit reinem Gewissen unserer deutschen Jugend bestätigen, daß sie an den durch diesen Prozeß festgestellten Auswüchsen und Entartungen des Hitler-Regimes vollständig unschuldig ist, daß sie den Krieg niemals gewollt hat und daß sie sich weder im Frieden noch im Kriege an irgendwelchen Verbrechen beteiligt hat.
Als langjähriger Jugendführer des Deutschen Reiches kenne ich die Entwicklung, die Gesinnung, die Haltung unserer jungen Generation. Wer kann sie besser kennen als ich? Ich hatte an dieser Jugend stets meine Freude, in ihrer Mitte war ich immer glücklich, auf sie bin ich allezeit stolz gewesen. Ich weiß, daß in all den Jahren meiner Reichsjugendführung trotz der Millionen umfassenden Mitgliederzahl die Jugend sich grundsätzlich und ausnahmslos ferngehalten hat von allen Handlungen, deren sie sich heute schämen müßte. Sie hat nichts von den zahllosen Greueltaten gewußt, die von Deutschen begangen wurden, und wie sie von keinem Unrecht wußte, so hat sie auch kein Unrecht gewollt.
Es kann und darf nicht übersehen werden, daß selbst in der stärksten Erbitterung der Nachkriegszeit niemand daran denken konnte, die Organisation der deutschen Jugend und ihre Führerschaft als verbrecherisch anzuklagen.
Selbstlose Kameradschaft in einer Jugendbewegung, die gerade den ärmsten Kindern des Volkes die stärkste Liebe entgegenbrachte, Treue zur Heimat, Freude am Sport und ehrliche Verständigung mit der Jugend anderer Völker – das war das Ziel unserer Jugend und der Inhalt ihrer Erziehung vom ersten bis zum letzten Tage meiner Zeit als Reichsjugendführer.
Diese Jugend hat das schwere Schicksal nicht verdient, das über sie hereingebrochen ist!
[447] Mein persönliches Schicksal ist nebensächlich, aber die Jugend ist die Hoffnung unseres Volkes. Und wenn ich im letzten Augenblick eine Bitte ausspreche, so ist es die:
Helfen Sie als Richter mit, das Zerrbild zu beseitigen, das sich vielfach die Welt heute noch von der deutschen Jugend macht und das vor der historischen Prüfung nicht standhalten kann. Sagen Sie der Welt in Ihrem Urteil, daß die von der Anklage benützte Schmähschrift eines Gregor Ziemer nichts enthält, als böswillige Verleumdungen eines Menschen, der seinen Haß gegen alles Deutsche auch auf die Jugend übertragen hat! Helfen auch Sie als Richter, daß die Jugendorganisationen Ihrer Völker die Zusammenarbeit mit der deutschen Jugend da wieder aufnehmen, wo sie 1939 – ohne Schuld der jungen Generation – unterbrochen wurde!
Dankbaren Herzens hat unsere Jugend die Worte des Lord Beveridge gehört, der sich mit Weitblick und Leidenschaft für eine Schuldloserklärung der deutschen Jugend eingesetzt hat. Freudig wird sie die Hand ergreifen, die ihr über Trümmer und Ruinen hinweg gereicht wird.
Tragen Sie, meine Herren Richter, durch Ihr Urteil dazu bei, für die junge Generation eine Atmosphäre gegenseitiger Achtung zu schaffen, eine Atmosphäre, die frei ist von Haß und Rache. Das ist meine letzte Bitte, eine herzliche Bitte für unsere deutsche Jugend.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird nun die Sitzung unterbrechen.
[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
Buchempfehlung
Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro