Tantalvs

[2281] TANTĂLVS, i, Gr. Τὰνταλος, ου, ( Tab. XXX.)

1 §. Namen. Dieser soll von dem griechischen Worte ταλάντατος höchst unglücklich, Plato in Cratyl p. 272. oder doch von τάλας, elend, gleichsam ταντάλας, herkommen. Becm. Orig. L. L. in Tantalus, p. 1076. Allein, da solche Ableitung erst thr Absehen auf des Tantalus Zustand nach dessen Tode hat, so muß er entweder bey Lebzeiten einen andern Namen geführet, oder solcher eine andere Ableitung haben.

2 §. Aeltern. Nach einigen waren solche Jupiter und die Nymphe Pluto. Anton Liberal. c. 36. Hygin. Fab. 82. Cf. Meziriac sur les epitr. d'Ovid. T. II. p. 327. sqq. Allein, andere nennen dessen Vater Tmolus; Schol. Eurip. ad Orest. v. 5. oder Aethon; Lucian. ap. Nat. Com. l. VI. c. 18. Doch die Stelle ist bey ihm verderbt, und man liest jetzt für Ἄιθονος ὕιον lieber ἄθοπος ἰοῦ. Lucian. de dipsadib. p. 484. T. II. Opp. So wird auch der Namen seiner Mutter etwas verändert, bald Plotis. Luctat. ad Stat. Theb. II. v. 436. bald Plote, Euseb. ap. Nat. Com. l. c. genannt.

3 §. Stand und Thaten. Wie einige melden, so war er ein König in Paphlagonien: Diod. Sicul. l. IV. c. 77. p. 191. wie aber andere wollen, der Achiver; Hygin. Fab. 124. und nach den dritten der Phrygier. Euseb. Chron. ad A.M. 3839. p. 28. a. Er hatte aber seinen Aufenthalt gemeiniglich am Berge Sipylus, welchen einige in Lydien, andere in Phrygien setzen, und legete daselbst so gar eine Stadt an, [2281] welche Sipylus genannt wurde. Mezir. comment. sur les epit. d'Ovid. T. II. p. 331. Es dekam auch diese Stadt den Zunamen Tantalis nach ihm. Plin. H. N. l. V. c. 29. Er war überaus reich; daher denn das Sprüchwort entstund: Ταντάλου τάλαντα, Tantals Talente; welches von einem sehr großen Reichthume gesaget wurde Suid. in Τάνταλος, T. III. p. 433. Erasm. Chil. Adag. p. 214. Weil er Jupiters Sohn war, so hatte er nicht nur die Ehre, oft selbst mit an der Götter Tafel zu speisen; Diod. Sicul. l. c. sondern er bath auch solche selbst zu Gaste. Hier wollte er eines Males versuchen, ob sie auch wohl wissen würden, was sie ässen, und setzete ihnen seinen abgeschlachteten Sohn, Pelops, mit vor. Sieh Pelops. Außerdem nahm er an des Pandareus Diebstahl mit Antheil, und that bey solcher Gelegenheit einen Meyneid. Pausan. Phoc. c. 30. p. 667. Sieh Pandareus. Da er hiernächst des Tros, Königs zu Troja Sohn, Ganymedes, rauben ließ, so gerieth er mit dessen Vater in einen solchen Krieg, daß sein Sohn, Pelops, endlich vom Ilus gezwungen wurde, Phrygien zu verlassen, und sich zum Oenomaus, nach Pisa zu flüchten. Phanocl. ap. Euseb. ad A.M. 3842. & Pausan. Corinth. c. 22. p. 125.

4 §. Tod und Zustand nach demselben. Weil er sich so freventlich falsch gegen den Pandareus los schwuhr, so stürzete ihn Jupiter von dem Berge Sipylus hinab, daß er den Hals brach. Anton. Liberal. cap. 36. Nach seinem Tode wurde er noch dadurch bestrafet, daß er in dem höllischen Flusse, Eridanus. Serv. ad Aen. VI. v. 603. bis an den Hals im Wasser stehen, und dennoch einen unerträglichen Durst leiden mußte. Denn wenn er sich nach dem Wasser bückete, so fuhr selbiges ihm vor dem Munde weg, welches denn auch die Aepfel und andern Früchte thaten, die ihm auf ihren Aesten vor dem Maule hiengen; allein, wenn er nach solchen schnappete, oder die Hände ausstreckete, der Wind allemal mit den Aesten zurück wehete. [2282] Homer. Od. Λ. v. 581. Hygin. Fab. 82. & Lucian. Dial. Mortuorum 16. p. 300. Außerdem schwebete ihm auch noch ein ungeheuerer Stein über dem Kopfe, welcher ihm alle Augenblicke auf den Hals fallen zu wollen schien. Euripid. Orest. 4. Diese Strafe soll er, nach einigen, damit verdienet haben, daß er der Götter Heimlichkeiten ausgeschwatzet: Diod. Sicul. l. IV. c. 76. p. 191. Lucian. de sacrific. p. 367. T. I. Opp. Ovid. Amor. l. II. eleg. 2. v. 43. nach andern aber, weil er einigen Nektar und Ambrosia von der Götter Tafel entwendet, und seinen guten Freunden gegeben; Pindar. Ol. I. 98. & Didym. ad Homer. l. c. nach den dritten, weil er ihnen seinen Sohn zu essen vorgesetzet habe, Acron ad Horat. l. I. Od. 28. v. 7. und nach den vierren, weil er es dem Asopus verrathen, daß ihm Jupiter dessen Tochter, die Aegina, geraubet. Schmid. ad Pind. Ol. I. Β. 11. p. 79.

5 §. Familie. Seine Gemahlinn war, nach einigen, Euryanassa, mit welcher er den Broteas, Pelops und die Niobe zeugete. Schol. Eurip. ad Orest. v. 5. Man giebt auch wohl des Lykus Tochter, Anthemoisia, dafür an. Nat. Com. l. IV. c. 18. Andere nennen dagegen, wenigstens des Pelops Mutter, bald Dione, Hygin. Fab. 83. bald Euprytone, bald Eurysthemiste, bald Clytia u.s.f. Muncker. ad Hygin. l. c. Cf. Meziriac sur les epitr. d'Ovid. T. II. p. 331.

6 §. Wahre Beschaffenheit. Man kann wohl nicht leugnen, daß er ein König in Kleinasien, und zwar in Phrygien und Paphlagonien, gewesen. Voss. Theol. gent. l. I. c. 14. Er lebete ungefähr ums Jahr der Welt 2587. Euseb. ap. Calvis. Chron. ad An. 2587. Er war in Ausübung der Pflichten seiner Religion sehr sorgfältig, und trieb den Aberglauben so hoch, daß er den Göttern auch Menschen opferte. Tzetz. Hist. X. Chil. 5. ap. Banier. P. I. p. 282. Dess. Erl. der Götterl. IV B. 166 S. Weil er zugleich derselben Priester war, allein die Heimlichkeiten ausschwatzete, so stieß man ihn [2283] aus dem Tempel. Tzetz. ad Lycophr. v. 152. Daher ist denn das Gedicht gekommen, er sey aus dem Himmel verstoßen worden. Da auch Neptun, oder vielmehr ein Seeräuber, dessen Sohn, Pelops, entführete; Pindar. Ol. I. 64 oder, da solcher am ganzen Leibe krank und voller Schäden war, und er ihn durch die Wundärzte schneiden und brennen ließ: Tzetz. ad Lycophr. l. c. so hieß es, er habe ihn geschlachtet, gekocht, und den Göttern vorgesetzet. Er lebete hierbey zu Sipylus, als seiner Residenz, wurde auch daselbst endlich begraben, und ihm ein schönes und langwieriges Begräbnißmaal errichtet. Pausan. Cor. c. 22. p. 125. Einige wollen, er habe sich auf die Naturkunde beflissen, und zu erweisen gesuchet, die Sonne sey ein glühendes Eisen, oder ein feuriger Stein. Schmid. ad Pind. Olym. I. Β. 11. p. 79. Uebrigens soll er sehr gütig gegen die Menschen gewesen seyn, und ihnen seinen Rath und Unterricht mitgetheilet haben, so daß auch sein Ruhm bis nach Indien gekommen. Philostr. vit. Apollon. l. III. c. 25. p. 116.

7 §. Anderweitige Deutung. Da er Essen und Trinken vor dem Munde hat, und dennoch den empfindlichsten Hunger und Durst leiden muß, so soll er ein Bild derer seyn, welche bey ihrem Reichthume dennoch arm sind, und bey großem Ueberflusse immer nach einem mehrern trachten. Horat. Serm. l. I. 1. 68. Macrob. Somn. Scip. c. 10. Lucian. Tim. p. 94. Andere machen ihn zu einem Bilde eines, der sich vergebliche Sorge und Furcht machet, indem er sich fürchtet, der über ihm schwebende Stein werde ihm auf den Hals fallen, da doch solches nimmermehr geschehen wird. Cicer. Quæst. Tusc. l. IV. c. 16. p. 1144. & Lucret. l. III. v. 995. Noch andere wollen, daß, nach seinem Exempel, die Menschen sich vor der Frechheit der Mäuler, der Gottlosigkeit, Grausamkeit und dergleichen Lastern, die er an sich gehabt, und dafür bestrafet worden, hüten sollen. Nat. Com. l. VI. c. 18. Er scheint, sich in seinem Leben [2284] mit leerer Hoffnung gespeiset zu haben. Dam. Lex. etym. p. 3013.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 2281-2285.
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