Thisbe [1]

[2364] THISBE, es, ein schönes Frauenzimmer zu Babylon, machte mit ihres Nachbars Sohne, Pyramus, einem ebenfalls schönen jungen Menschen, Bekanntschaft. Weil aber ihre Aeltern ihnen beyderseits im Wege waren, daß sie ihren Neigungen nicht willfahren konnten, so entdecketen sie eine Spalte in der Mauer zwischen ihren beyden Häusern. Sie sprachen dadurch mit einander, und beredeten sich endlich, des Nachts vor der Stadt, bey des Ninus Grabe zusammen zu kommen. Thisbe fand sich zuerst ein: eine Löwinn aber verursachete, daß sie sich eiligst die Höhle verkroch, und [2364] dabey ihren Schleyer verlor, welchen die Löwinn vollends zerriß. Als darauf Pyramus dahin kam, und das Tuch sah, so meynete er, die Löwinn hätte Thisben selbst zerrissen und gefressen. Er fiel daher in sein Schwert, und erstach sich. Nach einiger Zeit kam Thisbe wieder aus der Höhle hervor, und fand ihren Geliebten in seinem Blute liegen. Sie zog dessen Degen aus seinem Leichname, und erstach sich gleichfalls; da sie denn nicht allein beyde in ein Grab zusammen geleget wurden; sondern der Maulbeerbaum, unter welchem sie sich umgebracht hatten, fieng von der Zeit an, statt der weißen Beeren rothe zu tragen. Ovid. Metam. IV. Fab. 4.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 2364-2365.
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