Typhon [1]

[2424] [2424] TYPHON, ónis, Gr. Τυφὼν, ῶνος.

1 §. Namen. Dieser ist wohl ursprünglich ägyptisch, und kann nach solcher Sprache aus Theu, der Wind oder Geist, und ph-hou, böse oder schädlich, zusammen gesetzet seyn; da denn Theu-ph-hou einen bösen oder schädlichen Wind bedeutet. Hiervon haben denn die Griechen leicht ihren Typhoeus machen können. Iablonski Panth. ægypt. l. V. c. 2. §. 14 & 18. Da aber auch im Aegyptischen phon umkehren, umstürzen, und pheh oder phoh verderben heißt, so könnte er leicht Theu-phon, ein umkehrender Wind, umstürzender Geist, oder Theu-phoh, ein verderbender Geist, heissen. Id. ib. §. 21. p. 97.

2 §. Aeltern. Sein Vater soll Saturn, seine Mutter aber Rhea gewesen seyn Diod. Sic. l. I. c. 13. p. 9. Sie war aber zugleich auch vom Sol und dem Mercurius schwanger, und gebar ihn nebst noch vier andern Kindern auf eine wunderbare Art, an einem der fünf Schalttage der Aegypter. Plutar. de Is. & Osir. c. 14. p. 355. Sieh Isis 2. §. Er kam aber nicht zu ordentlicher Entbindungszeit, noch auf gewöhnliche Weise zur Welt, sondern durchriß mit Gewalt die Seite seiner Mutter. Id. ib.

3 §. Eigenschaft und Thaten. Er war ein gewaltsamer und böser Mensch. Diod. Sic. l. I. c. 21. p. 12. Ungeachtet er selbst gern die Regierung gehabt hätte, so veranstaltete sein Bruder, Osiris, ehe er seinen Zug durch die Welt unternahm, doch alles so weislich, daß Typhon in seiner Abwesenheit ruhig blieb. Plutar. l. c. p. 356. Man hat daraus gemuthmaßet, daß ihm dessen Gemahlinn, Isis, nicht so gar ungeneigt gewesen. Iul. Firm. de err. prof. rel. p. 406. Ban. Erl. der Götterl. II B. 123 S. Nach des Osiris Zurückkunft aber trachtete er ihm auf alle Art nach dem Reiche und Leben. Er machte sich daher einen Anhang von zwey und siebenzig seines Gleichen, worunter auch Aso, eine äthiopische Königinn, war, die sich damals am Hofe befand. Nachdem er nun, nach des Osiris Zurückkunft [2425] von seinen Feldzügen, dessen Größe heimlich abgemessen und nach derselben einen sehr zierlich ausgearbeiteten Kasten verfertigen lassen: so stellete er ein großes Gastmahl an. Bey demselben ließ er diesen Kasten vor die Tischgesellschaft bringen. Da nun ein jeder dessen Schönheit lobete und bewunderte, so sagete er im Scherze, es sollte ihn derjenige haben, der denselben am besten ausfüllete. Sie versucheten es darauf alle und legeten sich hinein: er schickete sich aber für keinen recht. Endlich that solches auch Osiris. So bald er aber nur darinnen war, liefen sie alle hinzu, legeten den Deckel darüber, befestigten solchen mit Nägeln und vergossen ihn mit Bleye. Darauf warfen sie ihn in den Fluß, und brachten ihn durch die tamtische Mündung ins Meer. Plutarch. de Isid. & Osir. c. 15. p. 356. Isis fand zwar diesen Kasten nachher wieder: er fiel aber dem Typhon von neuem in die Hände, welcher denn des Osiris Körper heraus nahm und zerstücken ließ. Id. ib. c. 19. p. 357. Sieh Osiris. Es scheint, daß er eine Zeitlang regieret habe. Denn man findet, die Götter hätten ihre Kronen abgeleget, als sie solches vernommen. Athen. l. XV. c. 7. p. 680. Indessen war Horus, des Osiris Sohn, heran gewachsen, und unternahm, seines Vaters Tod zu rächen. Er bekriegete also den Typhon und der Streit daurete viele Tage. Endlich überwand er denselben, legete ihn in Ketten und Banden und schickete ihn seiner Mutter zu. Diese aber wollte ihn nicht hinrichten lassen, sondern stellete ihn wieder auf freyen Fuß. Er machte darauf dem Horus seine rechtmäßige Geburt streitig, wurde aber vom Mercur eines bessern überführet. Indessen währete der Krieg zwischen ihm und dem Horus fort, und er wurde noch in zweyen Treffen von demselben geschlagen. Plut. de Is. & Osir. c. 20. p. 358. Als er die letzte Schlacht verloren, soll er sieben Tage lang seine Flucht auf einem Esel fortgesetzet, und nachdem er in Sicherheit gekommen, noch den Hierosolymus und Judäus [2426] gezeuget haben. Id. ib. c. 35. p. 361. Cr soll aber dem Horus dadurch entwischet seyn, daß er sich in einen Krokodill verwandelt hat. Id. ib. p. 371. Desgleichen erzählete man, es hätte ihn Mercur überwunden und der Sehnen beraubet, deren er sich hernach zu Saiten bedienet hätte. Id. ib. p. 373. Jedoch soll er sich auch, nach einigen, in dem See Serbonis verkrochen haben. Herodot. Thalia, III. c. 5. Daher wurde denn solcher von den Aegyptern Typhons Ausdünstungen genannt. Plutar. in M. Anton. p. 917. T. I. Opp. Nach andern soll er selbst von dem Donner bey der Stadt Hero, welche Hämus hieß, seyn erschlagen worden. Steph. Byz. in Ἡρὼ.

4 §. Gemahlinn und Buhlschaft. Jene war seine Schwester, Nephthys. Plutar. de Isid & Osir. c. 14. p. 356. Sie soll anfänglich unfruchtbar gewesen seyn. Id. ib. c. 42. p. 366. Man findet auch nicht, daß sie nachher Kinder von ihm gehabt hat. Außer ihr giebt man ihm noch ein Kebsweib, Thueris, welches ihn aber verließ und zum Horus übergieng. Id. ib. p. 358. Diesen könnte man die äthiopische Königinn Aso beygesellen, wenn sie nicht mit der letztern einerley wäre. Sieh Thueris.

5 §. Verehrung Man giebt ihn als den letzten der ägyptischen Götter an. Marsham. Can. Chron. Sæc. VIII. p. 108. Gleichwohl hielt man ihn nur für einen bösen Geist. Plutarch. de Is. & Osir. p. 380. Man schrieb ihm alles das zu, was in der Natur schädliches und verderbliches war. Id. ib. p. 369. Daher waren ihm denn auch alle unreine und verhaßte Thiere gewiedmet, und zwar unter den zahmen das dümmste, der Esel, und unter den wilden die grausamsten, das Seepferd und der Krokodil. Id. ib. p. 371. Seine Macht war zwar gedämpfet und gebrochen; gleichwohl suchete man ihn zuweilen durch Opfer zu besänftigen: zu anderer Zeit aber schimpfete und schmähete man an gewissen Festtagen auf ihn. Id. ib. p. 362. Wenn etwan eine sehr große und übermäßige Hitze einfiel, oder wohl [2427] gar tödtliche Krankheiten und andere ungewöhnliche Zufälle mit sich brachte, so führeten die Priester einige von denen Thieren, die sie verehreten, an einen ganz dunkeln und stillen Ort und erschrecketen sie mit allerhand fürchterlichen Drohungen. Dauerte das Uebel fort, so schlachteten sie solche als Opfer ab, welches gleichsam eine Züchtigung dieses Geistes oder eine Versohnung desselben seyn sollte. Ja, sie sollen auch wohl ehemals in der Stadt Ilithya Menschen lebendig verbrannt und sie dem Typhon heilig genannt haben, deren Asche denn umher zerstreuet wurde. Id. ib. p. 380. Es befanden sich aber in denen Tempeln, welche den Typhonsdienst zuließen, gewisse abgesonderte dazu gewiedmete Oerter, welche Typhonia hießen. Strabo l. XVII. p. 815. Vermuthlich ist er auch der Gott, den die Aegypter schlugen; Herodot. Eut. II. 132. und einer von denen Giganten, welchen die Priester des Osiris geißelten. Diod. Sic. l. I. p. 16. Cf. Iablonski Panth. ægypt. P. III. p. 72. Sonst meyneten sie auch, das Sistrum könne denselben durch sein Geräusch abtreiben und verjagen. Plutarch. l. c. p. 376.

6 §. Gestalt und Bildung. Ungeachtet er seiner Natur nach ein Mensch wie andere Menschen gewesen; Plutar. l. c. p. 359. nur daß er eine rothe Farbe gehabt und fuchs- und eselfarbicht oder fast bleich ausgesehen: Id. ib. p. 362. & 364. so findet man doch keine menschliche Abbildung von ihm. Dagegen stellete man ihn oft unter einem Esel vor, weil ihm der an Farbe gleich kam; und zu gewissen Jahreszeiten bildete man denselben gebunden auf den Kuchen ab. Id. ib. p. 362. Zu andern Zeiten aber stellete man ein gefesseltes Wasserpferd darauf vor; denn auch unter dem wurde er abgebildet, und man wies dergleichen in Hermopolis, worauf ein Habicht saß, der mit einer Schlange stritt. Id. ib. p. 371. Es wurde auch zu Apollinopolis ein solch hieroglyphisches Bild gesehen, welches den Horus mit einem Habichtsgesichte vorstellete, welcher auf den Typhon unter [2428] der Gestalt eines Wasserpferdes mit Pfeilen schoß. Euseb. Pr. Ev. l. III. c. 13. Man hat noch ein altes Denkmaal, auf welchem Anubis mit einem Hundesgesichte abgebildet ist, der mit den Füßen auf einen Krokodil tritt. Montf. Ant. expl. T. II. P. II. pl. 128.

7 §. Beynamen. Unter dieselben rechnet man Apopis, Apophis, Aphobis oder Aphophis. Sieh Aphophis. Ferner Bebon oder Bebäon, welchen zwar einige nur für den Namen eines seiner Freunde halten, den er aber selbst, nach andern, geführet hat. Er soll ein Hemmen und Verhindern bedeuten, als wenn gleichsam Typhons Gewaltsamkeit dazwischen stünde, daß die Sachen nicht recht fort gehen und ihren bestimmten Zweck erreichen könnten. Plutarch. de Is. & Osir. p. 371. Man nennet ihn auch wohl Babys. Hellanic. ap. Athen. l. XV. c. 7. p. 680. Beyde Namen aber sollen einerley seyn, und im Aegyptischen eine Kluft oder Höhle anzeigen, worinnen etwas enthalten wird. Es soll ein unterirdischer Wind darunter verstanden werden, der aus solchen Höhlen hervorbricht. Iabl. Panth. ægypt. l. V. c. 2. §. 23. Außerdem wird ihm auch der Namen Seth gegeben, welcher der sich bemächtigende oder der sich unterwerfende heißt; Plutarch. l. c. oder einen, der bezwingt und überwältiget, andeuten soll. Ib. p. 367. Allein, er soll vielmehr einen jungen Esel oder ein Eselsfüllen bedeuten. Iablonski l. c. §. 24. p. 109. P. III. So soll auch die Stadt Pelusium nach ihm Sethron im Aegyptischen seyn benannt worden. Marsh. Can. chron. Sæc. VIII. p. 108. Ueber dieses nannten die Aegypter den Typhon zuweilen noch Smy, welcher Namen eine gewaltsame aufhaltende Hinderniß, Widerstrebung und Verkehrung anzeigen soll. Plutar. l. c. p. 376. Man muthmaßet aber vielmehr, da nach dem Aegyptischen Som, oder Smo, Smu, etwas seines, zartes, heißt, daß der heiße brennende Wind dadurch bezeichnet werde; welcher einen solchen zarten Staub mit sich führet, daß er alles durchdringt, was auch noch so dicht eingewickelt ist. Iablonski l. c. §. 25. p. 110.

[2429] 8 §. Eigentliche Historie. Einige halten ihn wirklich für einen alten König in Aegypten, welcher von dem Horus endlich aus dem Wege geräumet worden. Herodot. Eut. II. 144. & 156. Andere machen den Phul aus ihm. Voss. de Theol. gent. l. I. c. 27. Verschiedene haben den Moses unter ihm versteckt gefunden. Bochart. Hieroz. P. I. l. 2. c. 34. Huet. D. E. Prop. IV. c. 4. §. 1. Roth de Osir. Is. & c. p. 88. Es wurde auch schon in alten Zeiten seine Geschichte vielfältig mit der typhonischen vermenget; Plutarch. l. c. p. 363. wie denn seine beyden vorgegebenen Söhne, Hierosolymus und Judäus, die Kinder Israel sollen angeführet haben, da sie aus Aegypten gegangen. Tacit. Hist. V. 2. Ja, da die Aegypter die Israeliten aus Verachtung Seht, Aussätzige, hießen, und Typhon fast eben dergleichen Beynamen führete, so konnte eine solche Vermischung desto leichter Statt finden. Iablonski l. c. §. 13. p. 74.

9 §. Anderweitige Deutung. Viele halten ihn für weiter nichts, als die warme und austrocknende Luft im Sommer; Plutarch. l. c. p. 364. & 366. oder für das Meer, worein der Nil fällt; daher denn die Aegypter das Meersalz Typhons Schaum nenneten. Id. ib. p. 363. Cf. Voss. de Theol. gent. l. II. c. 75. Man sieht ihn auch wohl für alles dasjenige an, was bey der Seele von den Leidenschaften herkömmt, und grausam, unvernünftig und gewaltsam ist, bey den Körpern aber fremd, ungesund und schädlich ist. Plutarch. l. c. p. 371. In den ältesten Zeiten bedeutete er ohne Zweifel das böse Grundwesen, welches dem guten entgegen gesetzet war. Iablonski l. c. §. 14. p. 75. Nach der Zeit aber, da man ihn auch auf sinnliche und materialische Dinge zog, so wurde er von einigen für ein Sinnbild des Winters gehalten. Id. ib. §. 15. p. 77. Jedoch scheint es, daß man eigentlich den heißen, austrocknenden und schädlichen Wind, besonders den Südwind, der für Aegypten so schrecklich ist, dadurch bezeichnen wollen. Id. ib. §. 18 & 20. p. 84. & 91.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 2424-2430.
Lizenz:
Faksimiles:
2424 | 2425 | 2426 | 2427 | 2428 | 2429 | 2430

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon