[105] Zwei flogen hin zur Blumenwiese,
Herr Schmetterling und Fräulein Biene,
Sie brachten ihr gar hübsche Grüße
Mit hellem Blick und heitrer Miene,
Und jubelfroh ziehn sie hinein
Im warmen Frühlingssonnenschein.
»Wer kann wie ich so glücklich sein,
Das ganze Blütenreich ist mein«,
So jauchzt der lustige Geselle
Und eilt dahin mit Windesschnelle
Vom elfenzarten blauen Glöckchen
Zur Purpurrose wie der Wind,
Dann streichelt er die blonden Löckchen
Dem Schlüsselblümchen ganz geschwind,
Und's lustige Aurikelbäschen,
Das zupft er nur an seinem Näschen.
Schnell dreht sich das, doch sieht's ihn kaum,
Weil er schon auf dem nächsten Baum,
Wo er dem Apfelblütenkränzchen
Aufspielet zum Mazurkatänzchen.
So fliegt er her, so fliegt er hin',
Herr Flattergeist mit leichtem Sinn
So fliegt er hin, so fliegt er her,
Als ob es immer Festtag wär'.
Und's Bienlein hat er ganz vergessen
Das aber hat sich unterdessen[105]
Ein stilles Plätzchen ausgewählt –
Gelangweilt? o nein, weit gefehlt, –
Ein herzig-liebes Blumenblütchen
Mit vollgefülltem Honigdütchen
Und rosenroten Rosenblättchen,
So zart und weich wie Federbettchen.
Ein wenig durfte hier es ruhn,
Dann aber gab es viel zu thun;
Zuerst aus Wachs macht es Gefäßchen,
Schneeweiß und klein wie Puppentäßchen;
Dann kriecht's ins grüne Kelchlein 'rein,
Weil dort der süße Blütenwein.
Den trägt es flugs ins Bienenhaus,
Füllt ihn ins leere Fäßchen aus
Und – kaum gethan – kehrt es zurück
Zum Rosenblümlein, welches Glück!
Da fliegt Herr Schmetterling herbei
Und ruft: »So, Base Biene, ei!
Noch immer in dem gleichen Nest,
Als ob du hier gekettet fest?
Ich hab' die Blümlein all gegrüßt
Und jede Stunde mir versüßt,
Im ganzen Land kam ich herum;
Für solches bist du wohl zu dumm.«
»Wer dumm, du, Vetter, oder ich,
Das wird sich zeigen sicherlich,
Im Herbst da bist du bettelarm;[106]
Ja, armer Vetter, bettelarm,
Ich aber hab' mein Stübchen warm,
Die Töpfchen bis zum Rande voll,
Daß mich kein Hunger plagen soll.
Und weil ich nicht umhergegafft,
Kann ich mit meinem goldnen Saft
Viel gute Kinder auch beschenken,
Die sollen lieben mich und denken:
Gar vieles ließ sie ruhig stahn,
Eins aber hat sie recht gethan«
(Aus »Fürs kleine Volk«, Beiklage zu »Fürs Haus«.)
Buchempfehlung
In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.
38 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro