14. Brief.

[88] Dein Anstand, lieber Neffe, hängt ferner vorzüglich von der Art und Weise ab, wie Du Dich kleidest. Er verlangt, daß Du Dich Deinem Alter, Deinem Stande, der Modegemäß, einfach, nett und mit Geschmack kleidest.

Uebereinstimmung in allen Theilen ist schön und gefällt. Es ist daher Uebelstand, wenn junge Leute sich so ernsthaft, so bequem und gemächlich kleiden und sich in Pelze und Mäntel hüllen, wie alte Personen, und häßlich ist es, wenn diese sich so leicht, so keck, so lustig, als junge Leute, kleiden, und ihren abgelebten Körpern, ihrem [88] bleichen Gesichte noch rosenfarbene, leichte Gewänder der Jugend umhängen und so einen lächerlichen, widerlichen Contrast zwischen Alter und Jugend, zwischen Winter und Frühling an sich aufstellen. Dieß ist so oft der Fall bey eiteln, geschmacklosen Frauenzimmern, die in die dreyßig und vierzig gekommen sind, und sich fälschlich einbilden, mit jener jugendlichen Mädchenkleidung ihr Alter zu verstecken, da sie gerade das Gegentheil bewirken, indem diese Kleidung, wie das Licht den Schatten, ihre bleiche Farbe, ihre eingefallenen Wangen, matten Augen und Runzeln noch stärker hervorhebt und so ihnen mehr nachtheilig, als vortheilhaft ist.

Jene Uebereinstimmung erfordert ferner eine dem Stande angemessene Kleidung. Obgleich die Verschiedenheit der Stände durch nichts weniger als durch die Kleidung angekündiget und bemerkbar wird, indem die niedern Stände immer den höhern, die Aermern den Reichern nachahmen und sich ihnen gleich machen: so ist es doch immer gegen den Anstand, wenn, zum Beyspiel, ein Subalternbeamter sich so kostbar kleiden will, als sein reicherer Vorgesetzte, die Frau eines Kaufmanns, [89] dessen Vermögen immer unsicher bleibt, so reich, so prachtvoll, als eine Prinzessin, oder im Gegentheil, wenn ein reicher Güterbesitzer in so grober, plumper Kleidung einhergehen will, als seine Bauern. Beides ist unschicklich und zeugt entweder von Eitelkeit oder von Geiz.

Endlich beobachte in Deiner Kleidung die Mode. Diese gründet sich auf eine herrschend gewordene Meinung über etwas Vorzügliches in unserer Lebensweise, wodurch eine gewisse Art und Gewohnheit in dieser hervorgebracht worden ist. Wer der Mode in unschuldigen, gleichgültigen Dingen nicht folgt, gibt Stolz und Verachtung gegen Andere, oder eine Affectation zu erkennen, erklärt im erstern Falle, daß alle andere Menschen Thoren sind, im zweyten aber, daß er ein eitler Sonderling ist, stößt jedesmal bey Andern an und macht sich lächerlich.

Indem Du aber der Mode folgst, so vergiß nie, folgende Regeln hierbey zubeobachten. Erstlich folge ihr nicht zu schnell und nicht zu langsam; jenes verräth eine kleine, thörichte Eitelkeit und dieses Nachlässigkeit oder Geiz. Zweytens beobachte [90] sie nicht ängstlich, nicht in Kleinigkeiten, und übertreibe sie nicht, wie die Modepuppen, alles Merkmale eines kleinen frivolen Geistes. Unterscheide drittens die vorübergehenden, unschicklichen, unauständigen Moden von der allgemeinen guten und längerdauernden. Erstere mache nie mit. Passe Dir viertens die Mode an und suche Geschmack und Einfachheit hineinzubringen. Manche Moden passen mehr für junge, manche mehr für ältere, andere für große, andere für kleine Personen. Hier fehlen besonders viele unserer Frauenzimmer. Alle Moden erhalten sie aus Frankreich. Die französischen Damen erfinden ihre Moden selbst und nehmen dabey auf ihre Physionomie, Gesichtsfarbe und Figur Rücksicht. Daher kommt es, daß sie alle sehr gut und geschmackvoll gekleidet sind. Unsere Damen ahmen ihre Moden nach, ohne zu untersuchen, ob diese oder jene, oder jedwede ihrem Wuchse, Figur oder Gestalt paßt, und mit ihrer Person übereinstimmt. Die wenigsten haben einen Begrif von dieser nöthigen Uebereinstimmung; daher so viele bey allem Putze schlecht gekleidet sind, denen nichts stehet, sie mögen sich noch so sehr schmücken.

[91] In Deinen ganzen Anzug aber bringe jene einfache, anspruchlose Eleganz, die allein schön und anständig ist, und sich vom Nachlässigen und Unordentlichen eben so weit als vom Gesuchten und Gezierten entfernt, und vermeide allen Putz, besonders jene kleinen, lächerlichen Zierathen, die keinen Werth haben, als daß sie glänzen, und womit sich nur Theaterprinzen und Theaterprinzessinnen schmücken. Von eines Menschen Kleidung kann man immer auf seinen Verstand, seine Gesinnungen und seinen Geschmack schließen. Der Vernünftige kleidet sich gut und einfach, wie Andere seines Gleichen an dem Orte, wo er lebt, ohne sich nur das geringste auf seine Kleidung einzubilden; der Geck hingegen putzt sich, sucht sich vor Andern auszuzeichnen, und legt lauf seinen Anzug einen Werth, den er nicht hat. –


[92] ** den 31. Aug. 1802.


Quelle:
[Anonym]: Briefe über die Höflichkeit und den Anstand oder die feine Lebensart. Leipzig 1804, S. 88-93.
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