Christnachtfeier zu Goldberg.

[28] Die Christnacht wird wol an wenigen Orten so feierlich begangen, als in Goldberg. Das Sonderbarste der Feier soll seinen Grund in der im Jahre 1553 hier gewütheten Pest haben. Nach einem alten steinernen und fast unleserlich gewordenen Monumente in der Mauer der großen Pfarrkirche, ist Goldberg 1553 durch eine tödtende Pestilenz verturben und über 2500 Menschen umbkommen. Nach der mündlichen Tradition sind nur 25 Wirthe übrig geblieben und alle Häuser verschlossen gewesen, so daß die Uebriggebliebenen nichts von einander gewußt haben. M. Martinus Tabornus in seinen sogenannten Cladibus Goldbergensibus schreibt von dieser Pest, sie sey so giftig gewesen, daß, wenn man durch eine Gasse gegangen sey, man wenige Häuser offen gesehen habe; alles sey ausgestorben gewesen, ja auf dem Platze hin und wieder Gras gewachsen, und die Anzahl der Verstorbnen habe drittehalb Tausend betragen. Einer dieser von der Pest übrig gebliebenen Einwohner nun [29] ging (nach der Tradition) die Christnacht um 2 Uhr auf den sogenannten Niederring, und stimmte daselbst ein Weihnachtslied an, um diejenigen, welche von der Pest, die der Kälte wegen nachgelassen hatte, noch übrig seyn möchten, aufzumuntern, sich zur Feier dieser für die Menschheit so glücklichen Nacht mit ihm zu vereinigen. Es fanden sich wirklich einige zu ihm, und nachdem sie noch ein Lied gesungen hatten, verfügten sie sich auch auf den Oberring, um die da herum noch lebenden gleichfalls aufzumuntern, in ihren Lobgesang einzustimmen. Dem Andenken dieses rührenden Auftrittes nun, soll die jetzige Christnachtfeier allhier ihre Entstehung zu verdanken haben. Gegen 2 Uhr in der Nacht finden sich oft ein paar Tausend Menschen aus der Stadt den Vorstädten und den zur Stadt gehörenden Dörfern auf dem Niederringe ein, welche zuvor größtentheils der Christnacht in dem hiesigen Franciscanerkloster, die um 12 Uhr ihren Anfang nimmt, beigewohnt haben. Um diese Zeit holt der Stadtwachtmeister die sämmtlichen Nachtwächter, nebst dem sogenannten Ringkantor, [30] welches ein Bürger ist, der eine gute Stimme hat, aus der Zirkelley, führt diese in Procession auf den Niederring, und bildet daselbst einen Kreis. So wie die Glocke 2 schlägt, ruft der Nachtwächter die Stunde aus, und der Ringkantor stimmt das Lied an: Uns ist ein Kindlein heut geborn; worein denn nicht allein die ganze auf dem Ringe befindliche Menge, sondern auch zugleich alle auf beiden Ringen, bei erleuchteten und eröffneten Fenstern darauf Wartenden mit einstimmen. Nachdem noch das Lied: Heut lobt die werthe Christenheit etc. abgesungen worden ist, geht es in Procession auf den Oberring, woselbst wiederum ein Kreis gemacht, die Stunde ausgerufen, und vom Ringkantor die Lieder: Wir Christenleut etc. und: Für Freuden laßt uns springen etc. angestimmt und in der Stadt weit und breit mitgesungen werden. Dieses alles geschieht mit vieler Ordnung, und wird durch das Sonderbare, den majestätisch heiligen Sang, unter freiem Himmel in einer finstern Winternacht bei rundum erleuchteten Fenstern, sehr feierlich und rührend.

[31] Nach Beendigung dieser Handlung macht der Stadtmusikus um 3 Uhr auf dem Stadtthurme mit Pauken und Trompeten einige Intraden, und der Cantor der lateinischen Schule, welcher sich ebenfalls mit seinen Chorsängern dahin begeben hat, singt unter Pauken- und Trompetenschall mit demselben zuförderst das Lied: Allein Gott in der Höh sey Ehr etc. (worein die auf dem Ringe Versammelten wieder einstimmen) und führt hiernächst eine dazu gesetzte Vocal- und Instrumentalmusik auf, nach welcher um 4 Uhr in der evangelischen Pfarrkirche die Christnacht eröffnet, das bekannte Lied: Quem pastores etc. von 4 vertheilten Chören der sämmtlichen Schulknaben unter Begleitung der Orgel, abgesungen, und hiernächst eine vollständige Vocal – und Instrumentalmusik ausgeführt wird, während welcher Zeit denn, so wie nachher noch, die ganze Kirche von großen und kleinen Kindern mit Sternen von mit Oel getränktem Papier, sogenannten Wachsbäumen und dergl., die mit unzähligen Wachslichtern bespickt sind, erleuchtet wird. Dann wird eine Predigt gehalten, und endlich mit dem Te [32] Deum unter Trompeten – und Paukenschall um 6 Uhr des Morgens diese nächtliche Feier geschlossen.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 28-33.
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