[597] 598. Anlässe zu Festen. Man feiert in unsrer Zeit sehr viel. Täglich bringen Zeitungen und Journale Nachrichten über irgend ein Jubiläum, die Feier des so und so langen Bestehens einer Anstalt oder einer Firma, die Erreichung eines gewissen Alters etc. Wenn jemand fünfundzwanzig Jahre lang Arzt oder Rechtsanwalt war, so flicht man ihm gleichfalls Kränze, und der Stiftungsfeste oder Gedenktage, Denkmalsenthüllungen und Feiern zur Erinnerung Verstorbener sind unzählige. So berechtigt auch viele dieser Feste sein mögen – manche kommen wohl auch den nächst Beteiligten recht überflüssig vor, und wie oft hört man nicht, daß sich der arme Jubilar, der den Tag seines siebzigsten Geburtstages gern in beschaulicher Ruhe verbracht hätte, all den zugedachten Ehrungen, den Ansprachen, Ständchen, Gratulationscouren, Ueberreichung kostbarer Geschenke oder kunstvoller Adressen durch eilige Flucht entzieht. Nicht gerade gleich ins Jenseits, aber doch so weit fort, daß die zu hunderten eintreffenden Telegramme und Briefe den Frieden seines Tages nicht zu stören vermögen. Von allen Feiern sind die, die nur dem hohen Alter gelten, fast am unverständlichsten. Zum siebzigsten oder fünfundsiebzigsten Jahr kommt man ganz ohne sein Zuthun, es ist weiter kein Verdienst dabei und an und für sich doch auch nichts Beglückendes, schon so alt zu sein. Daß man es feiert, wenn jemand fünfzig Jahre einem Geschäft angehörte oder ihm so lange vorstand, das ist begreiflich. Daß ein Dienstbote fünfundzwanzig Jahre oder noch länger bei derselben Herrschaft ausharrt, ist sehr selten heutzutage und kommt fast nur noch bei Landfamilien oder in kleineren Städten vor. Solche Anhänglichkeit muß wohl belohnt werden, aber daß solch ein Jubiläum insofern erziehlich wirken soll, als auch andere nun darnach streben, einst so hoch geehrt zu werden, das ist ein Trugschluß wie so viele andere. Und so kann solch ein Fest die Anhänglichkeit zwischen zwei treu Zusammenhaltenden auch kaum erhöhen.
[598] 599. Die Denkmals-Epidemie. Die Sucht, Feste zu feiern, Prunk und Feierlichkeit zu entfalten, Reden zu halten und anzuhören, liegt in unserer Zeit. Sie ist fast krankhaft. Und so ist es auch mit dem Denkmalerrichten. Jede Stadt, jedes Städtchen, jeder Flecken, ja jedes Dorf will ein Denkmal haben und man mag reisen, wohin man will: man findet eingefriedigte Bäume mit Gedenktafeln, pyramidenförmig aufeinander gebaute Kugeln, Obelisken mit und ohne Medaille, bronzene oder marmorne, lächelnde, ernste oder nachdenkende, stehende, sitzende oder reitende Männer; Büsten auf hohen oder niedrigen Sockeln, von Cypressen oder von Taxus umgeben; Häuser mit Inschriften und Votivtafeln, zuweilen auch Grotten mit Bildwerken oder an besonders schönen Punkten die Grabstätte eines Erwählten. »De mortuis nil nisi bene« und »man soll seine Toten ehren«. Gewiß, sobald sie es verdienen. Und deshalb begnügt man sich nicht damit, die in der ganzen Welt oder im Vaterland bekannten Größen zu ehren, man setzt auch den vaterstädtischen Wohlthätern oder klugen Leuten ein Denkmal. Man kommt jetzt vielfach darauf zurück, wie einst Goethe es vorschlug, Erinnerungsmedaillen zu prägen. Sie erfordern lange nicht so viel Kosten, sind in einfacherer Ausführung, z.B. in Bronze, auch den Unbemittelteren erreichbar und die Anhänger des Verstorbenen können sich, sobald sie in der Stimmung sind, an dem Antlitz des Verehrten erfreuen. Auch den Bildhauern würde darum die Arbeit nicht entzogen. Sie könnten als Schmuck einer Stadt oder eines Städtchens ein freies Kunstwerk schaffen und wären nicht gebunden wie jetzt, mit den besonderen Schwierigkeiten durch Figur oder moderne Kleidung des Originals zu rechnen. Denn wie selten sieht man ein Denkmal, das einem als Kunstwerk gefällt –nicht nur, weil man die pädagogischen oder sonstigen Vorzüge des Dargestellten schätzt.
[599] 600. Silberne und goldene Hochzeiten werden wohl mehr im engeren Familienkreise gefeiert. Allerdings werden sich auch Fernerstehende an dem frohen Feste durch Glückwünsche oder Blumensendungen beteiligen, und wer in näherer Beziehung zu dem Ehepaar steht, kann um das Geschenk nicht herumkommen. Aber »was schenke ich?« heißt es auch hier. Bei älteren Leuten ist das schon schwieriger, sie haben ihre festen Gewohnheiten und trennen sich ungern von liebgewonnenen Gegenständen. Für einfachere Familien aber findet sich doch allerlei, was abgebraucht oder defekt ist und durch Neues ersetzt werden könnte. Auch hier ist es weise, sich nach Wünschen und Bedürfnissen zu erkundigen. Reichen Leuten wird man irgend einen Luxus- oder Kunstgegenstand schenken können. Nur sage man nicht bei den Einkäufen: »Nein, für die reichen, verwöhnten Leute ist das nicht fein genug, für die müssen wir mehr anlegen!« Und bei der Wahl für die einfachere Familie: »Ach, für die ist das zu kostspielig; da thut's auch etwas Simpleres!« Der Widersinn, der darin liegt, Eulen nach Athen zu tragen oder »coals to Newcastle«, wie der Engländer sagt, d.h. da, wo schon Reichtum und Ueppigkeit herrscht, noch mehr hinzuzufügen und die Aermeren dürftig zu bedenken, sollte doch nicht unsere Handlungen beeinflussen, ebensowenig die Vorstellung: »Wie du mir – so ich dir!« d.h. von wem ich keine großen Geschenke erwarten kann, dem mache ich auch keine! Daß man nicht etwas Taktloses begehen und ein Geschenk überreichen wird, das protzig und unzart ist, dafür wird schon die gute Erziehung, die wir allen Menschen wünschen, sorgen!
Silbernen und goldenen Hochzeiten pflegt, wie den grünen, ein Polterabend voranzugehen, an dem Kinder und Enkel, Freunde und Verwandte, Proben ihrer schöpferischen und darstellerischen Kunst geben und das Ehepaar ansingen, anreden und ihm in sinniger Form Glückwünsche und Geschenke darbringen. Auch wird meistens der silberne oder goldene Kranz und der kleine Strauß für den Ehemann am Polterabend überreicht.
An silbernen Hochzeiten teilzunehmen wird man vielleicht häufiger Gelegenheit haben, an goldenen gewiß selten. Fünfzig Jahre sind eine lange Spanne Zeit und wenig Ehepaaren nur wird es beschieden, die fünfzigste Wiederkehr des Hochzeitstages miteinander zu feiern. Aber wie wenige von denen, die einst der Hochzeit beiwohnten, werden dann noch leben! Ein ganz anderes Geschlecht mit neuen Anschauungen umgiebt die alten Leute und nicht immer werden diese der Gegenwart gerecht sein können, sondern werden mit Wehmut und Trauer an die vergangene »goldene Zeit« zurückdenken. Sie war wohl hauptsächlich so golden, weil sie selbst jung und widerstandsfähig waren, Sorgen und Kummer leichter nahmen und noch das Leben mit so vielen Erwartungen und Hoffnungen vor sich sahen. Von diesen mögen sich manche, gewiß nicht alle erfüllt haben und so wird sich in die durch die herzliche Teilnahme der Verwandten und Freunde verschönte Gedenkfeier doch ein bißchen Wehmut mischen, daß nun nichts mehr zu ändern ist und man den Rest der Tage geduldig abwarten muß. Für alle aber, die Jubiläen der Ehe, ihres Wirkens oder ihres Alters feiern, bleibt die Gewißheit bestehen: »Und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.«