[7] Ein bewährtes Sprichwort lautet: »Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.« Mit gutem Recht kann dieses Sprichwort verändert werden, ohne seine Richtigkeit zu verlieren, und der Ausspruch: »Zeige mir deine Häuslichkeit, und ich sage dir, wes Geistes Kind du bist«, dürfte wohl kaum anzuzweifeln sein. Innerhalb seiner vier Wände gibt sich der Mensch in seiner wahren Gestalt; dort treten seine Neigungen und Vorzüge, aber auch seine Fehler und Nachteile dem Fremden unvermittelt entgegen, und wohl dem, über den gleich beim Betreten seiner Schwelle jeder Besucher sich von vornherein ein günstiges Urteil bilden muß. Die toten Gegenstände, auf denen das Auge des Eintretenden zum ersten Male haften bleibt, reden eine unhörbare und dennoch so verständliche Sprache; sie vermögen ebenso sehr eine hohe Achtung für ihren Besitzer bei dem Fremden zu erzwingen, als auch eine geringschätzige Meinung bei letzterem hervorzurufen.


Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 7.
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