[30] Das ist die kurze Zeit im Leben, wo der Mensch sich von den Sorgen des Tages nicht bedrückt fühlt, aber oft auch die Zeit, in der herbe Enttäuschungen sich vorbereiten! Denn gibt es etwas schmerzlicheres im Leben, als die Erkenntnis, daß die Neigung des Herzens sich einem unwürdigen Mann oder Weib zugewendet, gibt es eine trübere Erfahrung als die, daß dem Gegenstande innigster Zuneigung statt dieser Verachtung gebühre?
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet;
Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang!
Oft genug aber entstehen unselige Mißverständnisse, die dem kaum geschlossenen Bunde größte Gefahr bringen können, meist durch Nichtbeachtung der üblichen äußerlichen Formen. Wie oft war es eine derartige Unterlassungssünde, nicht gewollt oder geahnt von dem, der sie begangen, die ein junges Glück, Freude und Seligkeit rasch in Leid und Kummer verwandelte. Wie oft war es die Unterlassung einer äußerlichen Form, die, von dem scharfen Auge neidvoller Freunde oder Freundinnen bemerkt, nur geschwätzigen Zungen willkommenen Anlaß bot, alles, was infolge eigener Zurücksetzung an Gift und Galle in deren Herzen[30] sich angesammelt hatte, hämisch auf die eben erblühte Knospe dieses jungen Glückes zu gießen, und dieses schadenfroh zu zerstören? Wie rasch gelingt es doch der Verleumdung, sich gerade Eingang in das Herz derer zu verschaffen, die, im stolzen Bewußtsein, einen reichen Schatz entdeckt zu haben, diesen auch mit Argusaugen überwachen!
So sei denn zunächst dem jungen Manne, der ein junges Mädchen für sich gewinnen will, empfohlen, ihm in der ersten Zeit der Bekanntschaft alle jene Aufmerksamkeiten zu erweisen, die ein Herr einer Dame erzeigen kann, aber in durchaus nicht auffallender Weise. Jedes weibliche Wesen fühlt, wenn auch oft unbewußt, die ihm zuteil werdende Bevorzugung, und es weiß dann auch in zartester Weise seine Zustimmung oder seine Abneigung zu erkennen zu geben. In beiden Fällen wird das junge Mädchen mit ihrer Mutter oder mit einer vertrauten Freundin über die Wahrnehmungen, die sie bezüglich des nahenden Freiers gemacht hat, reden, und sie wird, im Fall sie ihm eine Aufmunterung nicht gewähren will, es vermeiden, mit ihm in Gesellschaften oder irgendwo zusammen zu treffen. Ist dies aber unvermeidlich, so muß es schon ein sehr unerfahrener Mensch sein, der nicht bald herausfühlte, wie es um die Aufnahme seines Herzenswunsches bestellt ist. Jedenfalls ist es gut, sich darüber rechtzeitig volle Gewißheit zu verschaffen, denn einen ›Korb‹ erhalten zu haben, gilt nirgends für eine besondere Ehre. Deshalb sollte jeder es vermeiden, durch unvorsichtiges Zulangen sich eine solche Zurückweisung zuzuziehen, denn das mindeste, das ihm dabei zustößt, ist, daß er sich in den Augen seiner lieben Mitmenschen lächerlich macht. Freilich kommt es vor, daß man unschuldig eine Niederlage erleiden kann, indem man sein angelegte Spielerei für ermunternde Zustimmung annahm; doch bleibt ein derartig verwerfliches Spiel selten ungestraft, und jedes junge Mädchen soll sich davor hüten. Nie und nimmer darf es sich so benehmen, daß falsche Deutungen ihrer Gesinnung daraus entstehen können, und sich danach sehnen, einen Korb austeilen zu können, das wäre ein Beweis verwerflicher, niedriger Gesinnung. Die Menschen werden zwar, kommt so etwas zum ersten Male vor, geneigt sein, dem Manne allein[31] die Schuld an seiner Niederlage zuzuschreiben; beim zweiten Male jedoch wendet sich das Urteil schon sehr zuungunsten des jungen Mädchens. »Sollte es wirklich möglich sein,« so fragt sich dann jeder Unbefangene, »daß zwei, vielleicht ganz verschieden geartete Männer sich derartig geirrt hätten?« Die Welt ist in solchem Falle gar bald mit ihrem Urteil fertig, und das junge Mädchen kommt ins Gerede; – das schlimmste, das ihr zustoßen kann. Ob ihm dann überhaupt je wieder Gelegenheit geboten wird, einen neuen Korb auszuteilen, wird zweifelhaft sein.
Kann aber ein Freier durchaus nicht völlige Sicherheit erlangen, ob sein Antrag angenommen würde, so mag er den schriftlichen Weg wählen. Das ist für beide Teile angenehmer; denn wird der Antrag angenommen, so hat er ja seinen Zweck so wie so erreicht; andernfalls erleichtert die schriftliche Ablehnung dem Vater des Mädchens seine immerhin peinliche Aufgabe wesentlich. Dann aber ist es eher möglich, über die ganze Angelegenheit den Schleier des Geheimnisses zu breiten, und wenn keiner der Beteiligten aus der Schule plaudert, erfährt niemand etwas davon; der Freier hat sich nicht der Lächerlichkeit preisgegeben, und das junge Mädchen kommt nicht ins Gerede.
Wohnen der Freier und seine Erkorene in der gleichen Stadt, so wird gewöhnlich die Verlobung sogleich nach Annahme des Antrags gefeiert, und es werden dazu nur die nächsten Angehörigen der beiden Familien eingeladen. Da die Festlichkeit im Hause der Brauteltern gefeiert wird, so haben auch diese die nötigen Besorgungen zu übernehmen.
Haben die beiden Familien vorher noch nicht in Verkehr gestanden, so ist es gebräuchlich, daß die Eltern des Bräutigams den Eltern der Braut sogleich einen Besuch machen, wobei dann, wenn die Bekanntschaft überhaupt noch nicht vorhanden war, die nötigen Vorstellungen erfolgen.
Wohnen die beiderseitigen Eltern nicht in dem gleichen Orte, so ist es üblich, daß die Mutter des Bräutigams der zukünftigen Schwiegertochter einen Brief schreibt, in dem sie diese herzlich und liebevoll als Tochter willkommen heißt. Die Braut hat diesen Brief zu beantworten und darin dem Ausdruck ihrer kindlichen Liebe und Ehrfurcht Worte zu geben.[32]
Die Verlobung wird durch die Zeitung, sowie durch besondere schriftliche Anzeigen bekanntgemacht. Die Bekanntmachung in der Zeitung muß von den Eltern der Braut ausgehen und im Anschluß daran kann auch der Bräutigam die Verlobung anzeigen. Wenn die Eltern der Braut nicht mehr leben, hat der Vormund oder der nächste Anverwandte die Mitteilung zu machen. Eine von Braut und Bräutigam ausgehende Anzeige ist nur gestattet, wenn die Braut Witwe ist. Junge Mädchen dagegen dürfen nie selbständig vor die Öffentlichkeit treten. Die Anzeige würde also etwa lauten müssen:
Außer der Zeitungsanzeige wählt man auch die Form der gedruckten Briefe, durch die Freunde und Bekannte von dem frohen Ereignis benachrichtigt werden, oder man sendet Karten mit den Namen der Braut und des Bräutigams und dem Zusatz: Verlobte.
Sowohl in den Briefen als auf den Karten und in den Zeitungsanzeigen muß der Name der Braut stets vorangestellt sein. Leben Braut und Bräutigam in verschiedenen Wohnorten, so sind beide Wohnorte der Anzeige hinzuzufügen und auch hier hat der Ort, in dem die Braut lebt, den Vorrang. Die Anschaffungsgebühren für die Karten und Briefe, die an Freunde und Bekannte des Bräutigams versendet werden, deren Bekanntschaft die Eltern der Braut noch nicht gemacht haben, trägt der Bräutigam; diese Anzeigen müssen derartig abgefaßt sein, daß sie als von dem Bräutigam ausgehend erkannt werden.
Die Kosten für die Verlobungsringe trägt der Bräutigam. Man nimmt zu diesem Zweck ganz einfache, aber schwere Goldreifen, in deren Innenseite dann später die[33] Anfangsbuchstaben, sowie der Tag der Hochzeit eingraviert werden. Vielfach wählt man aber auch den Tag der Verlobung und fügt dann den Hochzeitstag hinzu, weil ja doch nur in den seltensten Fällen für Verlobung und Hochzeit besondere Ringe angeschafft werden. Man trägt den Ring, solange man im Brautstande sich befindet, auf dem Ringfinger der linken, nach geschlossener Ehe auf dem der rechten Hand.
Will der Bräutigam seiner Braut am Verlobungstage außer dem Ringe noch ein anderes Geschenk, ein Armband oder ein Medaillon, geben, so wird das stets willkommen sein; keinesfalls darf der Blumenstrauß fehlen.
Entsprechend dem freudigen Tage kleidet die Braut sich zur Verlobungsfeier in helle Farben, möglichst einfach, aber mit Geschmack, und verwendet im Haar als einfachsten und zugleich schönsten Schmuck eine Blume aus dem Strauß des Bräutigams. Der letztere hat selbstredend im Festanzuge zu erscheinen, also in Frack usw.
Die gleiche Einfachheit in der Kleidung hat das Brautpaar auch bei den Besuchen, die es im Kreise von Verwandten und Freunden einige Tage nach der Verlobung machen muß, zu beobachten.
Der Empfänger einer Verlobungsanzeige hat pflichtschuldigst herzlich zu gratulieren; ob dies nun schriftlich oder durch persönlichen Besuch zu geschehen hat, hängt davon ab, wie groß die Bekanntschaft zwischen den Eltern des Verlobten und dem Gratulanten ist. In jedem Falle wird aber ein persönlicher Glückwunsch höher aufgenommen als ein schriftlicher, und wer es also kann, mag immerhin den erstgenannten Weg wählen, denn in der Zustellung der An zeige liegt eine stillschweigende Aufforderung zu persönlichem Besuch. Deshalb mag die Braut einige Tage nach der Verlobung sich zur Besuchszeit immer im Besuchszimmer der Eltern aufhalten.
Sehr zu empfehlen ist, nachdem der Bund geschlossen, ein genaues Beachten der im Verkehr zwischen Brautleuten üblichen Formen, wie bereits an früherer Stelle hervorgehoben wurde.
Dem Bräutigam ist es gestattet, täglich einige Stunden bei seiner Braut zu verleben, doch ist ein Alleinsein[34] der Verlobten tunlichst zu vermeiden. Kann die Mutter nicht bei den Besuchen des Bräutigams anwesend sein, so mag ein anderes Mitglied der Familie ihre Stelle vertreten.
Das gegenseitige Benehmen der Brautleute muß stets achtungsvoll, von zartester Aufmerksamkeit vorgeschrieben sein. Daß der Bräutigam seiner Braut seine Neigung auch durch äußerliche Zeichen, einen Kuß also, bezeigen darf, ist selbstredend; unter keinen Umständen dürfen jedoch Brautleute in Gegenwart von Fremden oder Bekannten, und sind es noch so gute Freunde, miteinander zärtlich tun. Hat der Bräutigam in diesem Punkte weniger Zartgefühl, so ist es Sache der Braut, mit liebevollem Ernst die Schranken enger zu ziehen.
Während der Brautzeit werden Geschenke nur gemacht, wenn Geburtstage oder andere Festlichkeiten gerade in diese Zeit fallen, ausgenommen Blumensträuße, die der Bräutigam seiner Braut nach Belieben senden kann, oder Photographien. Die eigentlichen Geschenke werden in der Regel bis zur Hochzeit aufgespart.
Die Dauer des Brautstandes zu bestimmen, ist Sache der Beteiligten; gut ist es immerhin, wenn die Brautzeit nicht allzulang bemessen wird, denn eine allzulange Sehnsucht nach der eigenen Häuslichkeit könnte mitunter eine Abspannung im Gefolge haben, die gefährlich zu werden vermag. Nur wenn ein Trauerfall in der Familie eintreten sollte, oder im Falle schwerer Erkrankung eines der Familienmitglieder, ist es üblich, die Hochzeit zu verschieben.
Aber auch nicht gar zu kurz darf der Brautstand sein, weil solche Überstürzung leicht zu Gerede Veranlassung geben kann. Werden doch gerade die Verlobten von der Welt am schärfsten beobachtet, und jedes Abweichen von dem üblichen Brauch gibt zu Klatschereien Anlaß. Finden diese aber gar Ursache in dem Zurückgehen einer Verlobung, dann sind beide Teile, die ehemalige Braut wie deren gewesener Bräutigam, zu bedauern. Eine aufgelöste Verlobung wird immer verurteilt, mag auch ihre Lösung gerechtfertigt oder gar geboten gewesen sein. Jedenfalls ist die Welt in solchem Falle geneigt, häßliche Urteile zu fällen und deshalb ist ein solches Ereignis stets zu beklagen.[35]
Wer also von einem solchen Mißgeschick betroffen wurde, mag es mit Ergebung tragen und – schweigen. Je weniger die Beteiligten darüber sprechen, desto rascher legen sich die Wogen der Aufregung bei den Unbeteiligten. Eine Pflicht jeden Ehrenmannes ist es unbedingt, daß er seiner gewesenen Braut nichts übles nachsagt – selbst wenn er Grund dazu haben sollte. Die ehemalige Braut aber wird am besten tun, nach aufgehobener Verlobung auf längere Zeit zu verreisen; irgendwo wird sie ja wohl Verwandte haben, die sie auf einige Zeit aufnehmen und ihr so Gelegenheit geben können, lästigen Fragen auszuweichen.
Noch ist zu bemerken, daß der, der die Verlobung bricht, alle erhaltenen Geschenke zurückzugeben hat. Dem anderen Teile steht zwar das Recht zu, die Gaben zu behalten, indessen wird wohl auch jener die Andenken an die seligste – unselige Zeit gern von sich geben und jedenfalls alles zurücksenden.
Haben wir pflichtgemäß auch der Möglichkeit eines immerhin betrübenden Ereignisses und der dabei üblichen Verhaltungsmaßregeln gedacht, so wollen wir uns jetzt wieder freundlicheren Bildern zuwenden und den Verlauf der Verlobung als glücklich betrachten. Dann schließt sich daran ein fröhlicher Polterabend, eine fröhliche Hochzeit! Ehe wir jedoch der hierbei zu beobachtenden Gesetze guter Lebensart gedenken, sei es uns gestattet, einen wichtigen Punkt kurz zu berühren, nämlich die Aussteuer der Braut.
Dazu gehört alles zur inneren Einrichtung der Wirtschaft nötige: Betten, Wäsche, Garderobe und in den meisten Fällen auch die Einrichtung. Selbstredend sind die Verhältnisse der Eltern bei Anschaffung einer solchen Ausstattung maßgebend; man kann hierbei großen Luxus entfalten, aber auch bei bescheiden gezogenen Grenzen ein behagliches, gemütliches Heim gründen. Allgemein ist die Sitte, daß die Gegenstände, welche die Braut von den Verwandten und zur Hochzeit geladenen Gästen geschenkt erhalten, an dem der Hochzeit vorangehenden Polterabend zur Schau gestellt werden.
Die Karten, die die Spender der Geschenke den letzteren beigefügt hatten, werden bei dieser Gelegenheit ebenfalls hinzugetan. Die Gegenstände aufzuzählen, die eine vollständige Ausstattung in sich fassen, gehört nicht hierher,[36] vielmehr wenden wir uns wieder dem Brautpaare zu. Da hat zunächst der Bräutigam am Polterabend seiner Braut ein Geschenk darzubringen, dessen Wahl natürlich seinem Ermessen anheimgestellt bleibt. Nur darf es nichts sein, was zur Aussteuer gehört, weil dadurch ja der umfassenden Fürsorge der Brauteltern ein übles Zeugnis ausgestellt würde. Schmucksachen dürfen in erster Linie bei derartigen Geschenken in Betracht zu ziehen sein und Sache des Bräutigams ist es, bei rechter Zeit die Wünsche der Braut kennen zu lernen.
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