§ 67

[164] Nun folgt ein großer wichtiger Umstand, der bei dieser Sache wohl muß angemerket und erwogen werden. Nämlich: wie die äußerlichen Objecta, insonderheit die Übel, durch die sinnlichen Werkzeuge im Gehirne großen Eindruck, und durch das Urteil des Verstandes in dem Willen allerhand Affecten, Furcht, Zorn, Schrecken, Sorge, Angst, verursachen, und durch diese Affecten im Leibe und in den Gefäßen desselben große Bewegungen und Veränderungen machen: so kann es auch geschehen, und geschiehet nur allzu oft, daß durch Krankheit eben diese Veränderungen, Bewegungen, und Beschaffenheiten des Leibes, welche zuvor von Affecten waren verursachet worden, können hervor gebracht, und die Gefäße des Leibes just in eben solchen Zustand können gesetzt werden, als sie waren, da sie von Affecten, und von äußerlichen gegenwärtigen, oder imaginirten Übeln erreget und verändert wurden. Wenn dieses geschiehet, und der Mensch eine solche Leibes-Beschaffenheit von Krankheit bekommt, oder sich eine solche übele Beschaffenheit des Leibes bei [seit] vielen Jahren her feste gesetzet, und gleichsam zur Natur, und natürlichen Constitution geworden, so entstehen bei ihm wegen der genauen Connexion, so das Gehirne und die Gedanken in den Leib, und der Leib zurücke in das Gehirne und in die Seele hat, allerhand Affecten, wenn gleich keine Übel, und keine Objecta, noch Urteile des Verstandes von solchen Übeln vorhanden, so die Affecten sonst erregen. Das heißt, mich deutlicher zu erklären, der menschliche Leib, und dessen Gefäße, Galle, Magen, Milz haben alsdenn eine solche kränkliche Beschaffenheit, so daß bei dem Menschen Zorn, Furcht, Angst, Auffahren, Zittern, Beben, Traurigkeit, Ängstlichkeit und Sorgfältigkeit [Sorge] entstehen, wenn gleich kein Objectum noch Übel vorhanden, das ihn zum Zorn reizet, und die Furcht erwecket; ja wenn er auch gleich sich mit den Gedanken kein abwesend Übel, als zukünftig oder gegenwärtig vorstellet, noch dasselbe vor das seinige erkennet.[164]

Diejenigen Weltweisen erschöpfen die Sache nicht, welche von dem Ursprunge der Affecten sagen, daß sie aus den unterschiedenen Urteilen des Verstandes, die der Mensch de bono vel malo ad se pertinente [über Gut oder Bös, soweit es ihn betrifft] fället, herkommen. Denn ich will nicht gedenken, daß die Affecten auch ex sensione, und aus der Fühlung und Empfindung des Übels und des Guten, wie bei den Tieren wahrzunehmen, entstehen können; So weiset das, was ich jetzt gesaget, und noch weiter sagen und dartun werde, daß die Affecten auch aus einer gewissen Beschaffenheit des Leibes und der Gefäße [Organe] desselben herrühren können, wenn dieselben Kraft einer Krankheit just in den Zustand gesetzet werden, in welchem sie sind, wenn sie von Affecten beweget werden. Siehe, du weißt, wie dir im Leibe ist, wenn dich jemand von außen zum Zorne reizet: wie du im Gesichte blaß wirst: wie dir übel und seltsam im Leibe und im Magen wird, so daß du wohl gar denkest, du werdest das böse Wesen [Epilepsie] bekommen. Nun merke wohl, wie dir jetzund ist, da dich jemand von außen zum Zorn durch Schmähung, oder auf eine andere Weise gereizet: so kann zu anderer Zeit bei dir eben eine solche übele Leibes-Beschaffenheit durch Krankheit, und durch unordentliche Diæt gezeuget werden, wie diejenige war, da man dich zum Zorne würklich reizete. Und wenn dieses geschiehet, so entstehet der Affect des Zornes daraus natürlicher und gezwungener Weise, wenn gleich niemand vorhanden, der den Menschen zum Zorne reizet, er auch an nichts gedenket, was ihn zum Zorne reizen könnte. Er fühlt alsdenn das im Leibe, was die fühlen, welche sich erbosen und zornig sind; und folgentlich ist auch wahrhaftig der Unwille, und der Affect des Zornes vorhanden, ob er gleich noch kein Objectum hat, worauf er gerichtet.

Es ist aber leicht zu erachten, weil die Würkungen aus dem Gehirne durch die Lebens-Geister in den Leib, und die Bewegungen des Leibes in das Gehirne so genau verknüpft sind, daß solche känkliche Leute alsdenn um ein leichtes an Dinge gedenken, welche den entstandenen Zorn unterhalten, oder noch mehr erregen können, und daß sie auch jedes geringes Ding zu solcher Zeit des Zornes würdig schätzen, was sie sonst gar nicht des Zornes wert geachtet, noch sich darüber im geringsten erzürnet, und also leicht zu einem größern Maße des Zornes, und zu desselben Ausbrüchen zu bringen sind. Die Menschen fühlen zuweilen diese Plage des Leibes, und klagen auch darüber. Ich weiß nicht, wie mir ist, sagen sie, ich will mit allen Leuten Händel anfangen: alles[165] ist mir zuwider, mit einem jeden fange ich mich in Gedanken an zu zanken; mit einem Worte, ich fühle im Leibe, was ich sonst fühle, wenn ich mich in höchstem Maße erbose. Ja einige fühlen diesen Zorn nämlich ohne an einen einzigen Feind zu gedenken, so heftig, daß ihnen übel wird, und sie sich den Leib binden müssen, und wissen doch nicht warum; welches man nicht selten bei denen anmerket, welche Dispositionem epilepticam haben. Man urteilet gemeiniglich bei solchen Fällen, daß zu viel gallichter Schleim in dem Magen, oder daß die Galle in den Magen getreten sei, und daß eine Purganz [Abführmittel] vonnöten sei. Es ist mir mehr als einmal im Leben begegnet, daß ich wegen solches verschleimten Magens, und verschleimten Geäders nicht viel in Büchern lesen können; indem ich alle Augenblicke beim Lesen aufgefahren, gezittert, gebetet, und mir im Haupte gewesen, als ob mir die Gedanken vergehen, oder, als ob ich ohnmächtig werden wollte. Es ist leicht zu erachten, woher es gekommen. Wenn man lieset, so brauchet man die Lebens-Geister im Gehirne, und folgentlich schwächet man diejenigen, welche im Magen und Unter-Leibe die Säfte herum treiben sollen, als die alsdenn in Kopf hinauf gezogen werden. Sind im Unter-Leibe und im kleinen Geäder der Lebens-Geister zu wenig, so entstehen wegen vorhandenen Schleimes, weil die Säfte nicht können recht circuliren, Spasmuli [Zuckungen] und kleine Convulsiones [Krämpfe], welche Furcht, Zittern, und dieses Auffahren verursachen. Ich erzählte dieses einstens dem Herrn Hof-Rat Steger; und, siehe, dieser, weil er, gleich wie in andern, also auch in solchen Sachen ein verständiger Mann ist, sagte mir gleich, daß ich zu viel Schleim im Leibe hätte, und müßte ich purgiren [Abführmittel nehmen], wenn ich des Übels wollte los werden. Ich tat es, und siehe, was geschah? Da ich des Morgens kaum 6 bis 7 mal zu Stuhle gegangen, je öfterer ich gieng, je besser und ohne Anstoß kunte ich im Buche fortlesen, so daß ich darzu stark genug wurde. Wenn man das Wort Zorn nur höret, so kann man schon an alle Dinge gedenken, so mit dem Zorne verknüpft sind, und wie einem alsdenn im Leibe wird, wenn man zornig ist. Ich habe in einem andern Tractate bereits geschrieben, und erzählet, daß ich einst wegen solches gallichten Schleimes im Leibe so schwach gewesen, so daß ich mich auf der Kanzel hüten müssen, ohne Not das Wort Zorn, Zank, Teufel, und andere schreckliche Wörter in den Mund zu nehmen, weil wegen Schwäche der Nerven und des Toni [Spannungen] mir im Leibe gleich übel, und wegen der gewürkten kleinen Convulsionen[166] und Spasmulorum so seltsam wurde, daß ich meinte, ich müßte umfallen, daß ich auch auf der Kanzel mich zu setzen genötiget wurde. Ich war froh, daß mir einst mein Nachbar, wie man mir sagte, meinen Hund, der seine Frau incommodirte [belästigte], hatte wegfangen lassen; denn ich hätte ihn ohnedem nicht länger behalten können. Denn wenn ich ihn auch ohne Zorn, und nur mit einem starken simplici Noluntate und Unwillen von der Seite bei Tische weg scheuchen, und abhalten wollte, so wurde mir schon übel; so daß ich ihn ja nicht schnelle, sondern ganz sachte, und säuberlich mit der Hand von mir tun mußte. Und wenn ich in Schulen, die ich zu besuchen hatte, mich gegen einen Knaben, den ich mit Worten bestrafen mußte, im Gesichte nur böse anstellen, und tun wollte, als ob ich böse wäre; siehe, so machte mein Magen, oder mein Schleim im Leibe, Ernst, und wurde mir so übel, daß ich mich setzen mußte, und kaum auf der Gassen gehen kunte, und kaum wußte, wie ich wegen Alteration [Übelbefinden] nach Hause kommen sollte. Das viele warme Wasser-Gesäufe schwächt auch sehr die Nerven und Fibren [Fasern] im Leibe, und derselben Tonum [Spannung]; dannenhero einst der Herr Geheime Rat Gundling geurteilet, die Menschen wären recht töricht, daß sie so viel heiß Wasser hineinsöffen, es müsse sie solches notwendig mehr schwächen, als stärken. Denn wenn man einem Schweine viele heiße Brühe zu saufen gäbe, so wäre es eine bekannte Sache, daß die Gedärme hernach nicht hielten, sondern zerrissen, wenn der Fleischer Würste machen wollte. Dem sei, wie ihm wolle, es kömmt auf die Zeit, und das Maß solcher Getränke, und andere Umstände mehr an; denn andere Leute sprechen hingegen, daß, wenn sie zornig sind, sie mit einigen Köpfgen [Täßchen] Thée den Zorn vertreiben können. Zum wenigsten bin ich vor meine Person gewiß, daß, wenn ich zu der Zeit, von welcher ich jetzt geredet, da ich Kinder in Schulen schelten mußte, eine Kanne Merseburger Bier, oder ein halb Nösel [ca. 1/4 l] Wein im Leibe gehabt hätte, ich mich leicht würde haben zornig anstellen können, ohne den Affect eines wahrhaftigen Zornes zu spüren.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 164-167.
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