Anno 1706
§ 88

[230] Ich kam von der Leiche [Begräbnis]; und, weil durch große Traurigkeit mein Gemüte sehr beweget und erhöhet worden, so gieng mir die Elaboration und Verfertigung meiner Gast-Predigt, die nunmehr auf den 1. Advent in der Vesper-Predigt war fest gestellet worden, wohl von statten. Obgleich der Bürgermeister nicht gegenwärtig, so war doch alles durch denselben, und durch den Rats-Herrn Hirschekorn, der noch zurücke geblieben, also veranstaltet worden. Es entstunden Motus [Unruhen],[230] da ich ankam. Die Bürgerschaft mochte sein durch die Prediger aufgebracht worden, daß sie sich dem Beginnen des Rats widersetzten. Man deliberirte [überlegte] auf dem Rat-Hause Sonnabends zuvor, ob man mich wollte predigen lassen, weil man wegen des starken Widerspruchs der Bürger, so aufs Rat-Haus kamen, übele Suiten und Folgen besorgte; doch der Herr Hirschekorn drang bei dem Volke durch, und erhielt noch so viel, daß die Predigt vor sich gieng. So wenig Inwohner in der Stadt waren, weil sie immer wegen streitender Parteien in Furcht sein mußten; so war doch die Kirche ziemlich voll. Weil an diesem Sonntage die Prediger neue Lehr-Arten [Predigtzyklen] anfangen, so ermahnte ich aus der Epistel die Zuhörer zu einer neuen Lebens-Art. Es hatte jemand aus List an der Tür der katholischen Kirche daselbst angeschlagen: Wo die Stadt ein verdächtig Subjectum wählen würde, so würden die Papisten die lutherische Kirche wegnehmen. Ich war kaum Montags frühe aus der Stadt wiederum weg, so holten sie noch denselben Tag einen Catecheten; ich weiß nicht mehr, ob aus Juliusburg oder aus Bernstadt, der ehedessen auf dem Gymnasio mit mir frequentirte [zur Schule ging], aber weit unter mir saß, und wegen seiner Stupidität und Faulheit ein recht Ludibrium [Witzfigur] der andern Mit-Schüler war, welcher auch die Vocation [Berufung] anzunehmen, kein Bedenken trug, absonderlich aus dieser Haupt-Ursache, weil ihre Kirche in Gefahr wäre, wie er in der Annehmungs-Rede sich verlauten lassen.

Wer war froher als ich, da ich in Breslau wieder ankam, und vernahm, was nach meiner Abreise vorgegangen wäre? Ich kunte die Kirche nicht ausfüllen; und, so ich sie ja ziemlich mit meiner Stimme ausgefüllet hatte; so hatte ich mich doch auf das höchste angreifen müssen, so daß ich darüber heischer worden, und von der Kanzel ganz entkräftet kam. Ich bat Gott, daß er meiner Feinde und Widersacher Anschläge möchte lassen von statten gehen, und dankte ihm, da ich hörte, daß es geschehen wäre. Nun wartete ich auf nichts weiter, und mit mehrerm Verlangen, als daß der Herr Bürgermeister bald wieder ranzioniret [losgekauft] würde, damit er mir die Reise-Unkosten, wie er mir versprochen, restituiren und ich meiner Wege wieder gehen möchte. So viel Geschenke ich auch in Breslau bekam, indem meine wenige Taler, so ich von Leipzig nach Breslau mit auf den Weg genommen, in kurzem sich ziemlich vermehret hatten: so sehnte ich mich doch nach Leipzig, mein Geld vor die Collegia, so ich ausstehen hatte, einzucassiren; indem die Studiosi, so bei[231] mir Collegia vor der Schweden Ankunft gehalten [besucht], sich alle wieder eingefunden, und nur auf meine Retour warteten. Es geschah auch in kurzem, daß der Bürgermeister los gelassen wurde; und, wie er mir gesaget, so war es bei seiner Ranzionirung ergangen. Es hatte die Stadt noch einmal so viel gekostet, als sonsten, wenn er nicht gegenwärtig gewesen. Er kam kurz darauf, und nach den Weihnachts-Feiertagen nach Breslau, und als ich ihm aufwartete, und mich vor die Predigt bedankte, so war er so genereux, und zahlte mir von seinem Eigenen, 15 harte Taler aus, damit ich wieder nach Leipzig ziehen könnte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 230-232.
Lizenz: