Anno 1708
§ 96

[243] Noch näher kam ich dem Ministerio [Predigeramt] in folgendem 1708ten Jahre, und noch dazu in Leipzig. Die Stelle im Lazaret war vacant, weil D. Schütze war Mittags-Prediger worden. Ich hatte mich durch die Vesper-Predigt am Kar-Freitage in der Thomas-Kirchen bei Herrn Appellation-Rat Plazen, und andern Hohen des Rats, so recommendiret, daß alles vor mich disponiret und eingerichtet war, und niemand mehr an meiner Vocation zweifelte. Herr Lic. Teller gab mir davon beizeiten Nachricht, und mußte ich mich auf sein Einraten schon auf die Rede, und Compliment geschickt machen, mit welchem ich die Vocation auf dem Rat-Hause acceptiren sollte, indem der Tag zur Wahl schon bestimmet war. Aber siehe, was geschicht? Da es zur Wahl kam, und Herr Plaz, der damals Consul regens [regierender Bürgermeister] war, sich nicht den geringsten Widerspruch eingebildet hatte, so brachte ein ander Herr Bürgermeister, welcher dem Herr M. Ketner sein Votum gab, die Händel auf das Tapet, die ich in Breslau mit Herr Inspector Neumannen gehabt hatte, und wußte dieselben mit solchen Umständen vorzutragen, daß deren zwei ihr Votum, so sie mir gegeben, zurückgezogen, und also die Wahl vor Herr H. Ketnern ausfiel. Herr Plaz wußte von dieser ganzen Affaire mit Neumannen nichts, und also mußte er sich es gefallen lassen, daß er überstimmet wurde. Ich mußte ihm die ganze Sache nach der Zeit erzählen, und mir den Herrn Inspector in Breslau ein Testimonium geben lassen, damit er sich ein andermal damit schützen, und solches im Fall der Not produciren [vorlesen] könnte; welches ich auch vom Herrn Inspector, obwohl mit großer Mühe in solchen Formalien [Formulierungen] erhielt, daß ich damit zufrieden sein kunte.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 243.
Lizenz: