§ 144

[359] Bei der Verhörung hätte ich gewünscht, daß von den vier Commissariis einer auf einmal etwan eine Stunde genommen, und ganz alleine mich meiner irrigen Sätze zu überführen gesuchet hätte, es würde solches noch mehr Nutzen geschaffet haben. Denn wo viele wider einen sind, und bald dieser, bald jener etwas opponiret und darwider redet, so wird derjenige, so antworten soll, nur allzuleicht irre gemacht, und hat selten Zeit und Raum auszureden, und sich zu expliciren. In unsern öffentlichen Disputationen, so v.g. im Auditorio Philosophico, und Theologico gehalten werden, laufen manchmal bei den Disputanten nicht wenig Fehler mit unter, obgleich nur ein Opponens auf einmal opponiret: wie würde es nicht hergehen, wenn bald einer von der Magister-Bank, bald einer von der Licentiaten- bald von der Doctor-Bank wider die Sätze des Præsidis etwas einwürfe. So lange die christliche Kirche stehet, und so lange Inquisiten in Religions-Sachen, es haben dieselben nun Ketzer, oder Rechtgläubige sein mögen, in allgemeinen Conciliis, oder Privat-Versammlungen vor Gerichte gestanden, so ist die gemeine Klage der Inquisiten gewesen, daß sie von gar zu vielen auf einmal angefochten worden, und ihnen Red und Antwort geben sollen. Die Kirchen-Historie ist davon voll, und was diesfalls Hussen begegnet, ist auch bekannt. Wenn die Richter aus irrgläubigen Personen bestehen, und Unschuldige vor sich haben,[359] die ohne Ursache der Ketzerei verdächtig sind, ist es nicht Wunder. Denn dergleichen Richtern ist vielmal nichts dran gelegen, daß der Inquisite zur Erkenntnis kommen, und seine Sätze revociren soll. Es haben die meisten schon zum voraus den Schluß gemacht, und den Urteil-Stab über ihn gebrochen: Dieser Mensch nutzt uns nichts, und ist uns sehr schädlich, wir wollen uns seiner entledigen, ihn, wo nicht seines Lebens, doch seines Amtes, Würde und Güter berauben: seiner Bekenntnis und seiner Revocation mögen wir nicht trauen, weil sie nur aus verstelltem Herzen kommen könnte.

Doch was will ich hiervon sagen? Es werden Fehler und Unvollkommenheiten sein, so lange Menschen auf Erden sein werden; und könnte manches besser angegeben, und veranstaltet werden. Und endlich würde es kein großer Haupt-Fehler sein; sintemal bei dergleichen Fällen einem jeden Inquisiten, gleich wie mir es auch selbst gewesen, erlaubt ist, seine fernere Erklärungen, und Antwort auf jeden Punkt schriftlich beizubringen, und den Acten beizuschließen. Und also will ich es den ehemaligen Theologis in Breslau, die Anno 1707 bei ihrem Kirchen-Amte mich wegen Religions-Punkten zur Rede stellten, auch zu gute halten, wenn sie nach meinem Erachten eben diesen Fehler damals begangen, welchen ich denselben oben [S. 233f.] vielleicht zu hoch mag angerechnet haben. Das Lesen guter Bücher nun, wie oben gedacht [S. 357], hatte mich schon, ehe ich noch vorgestellet wurde, so weit gebracht, daß ich nunmehro das Systema Remissionis oder Justificationis [der Rechtfertigung] unserer Kirchen, welches die Renovation und die Erneuerung der Rechtfertigung postponiret [nachfolgen läßt], dem Systemati renovationis der römischen Kirche wiederum vorzog; und siehe, da ich nun bei Verhörung diesen Punkt von der Rechtfertigung zurücke nahm, so fielen beinahe die andern Punkte alle mit einander, deren mehr als anderthalb hundert waren, von sich selbst weg. Es waren auch etliche Sätze, die man mir imputiret, in welchen man mich nicht verstanden, und in welchen ich das gar nicht sagen wollen, was man mir schuld gegeben. Viel derselben liefen auch auf einerlei Verstand und Inhalt hinaus, so daß der Herr Præsident darüber wo nicht unwillig, doch bei nahe hätte mögen müde werden. Der Punkt von der Moralitate Sabbati, den ich revocirte, hätte mir bald, nachdem ich nach Hause kommen, große Plage im Gemüte gemacht, bis ich hernach Schomeri, und anderer verständigen Theologorum unserer Kirchen Lehr-Sätze vom Sabbat, und von der Moralitate, und Sittlichkeit in[360] sehr scharfem und gemeinem, und denn auch in einem etwas weitläuftigern, und gelindern Verstande in Betrachtung zoge; wie ich auch solche Materie in meinem Tractat, Leben des Glaubens genannt, deutlich hernach ausgeführet habe.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 359-361.
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