Anno 1736
§ 160

[388] Ich dachte gegen Michael, da die Donner-Wetter im Himmel aufzuhören pflegen, es würden auch die Wetter der Trübsal nunmehro ein Ende haben; aber nein. Um selbe Zeit kommt ein armer, elender Mensch zu mir, der mich um ein Almosen anspricht. Ich war geneigt, demselben eine Gabe mitzuteilen; aber siehe, da überfällt mich ein Skrupel, den bis diese Stunde nicht ganz heben, und auflösen kann. Die Obrigkeit verbietet den Bettlern herumzugehen, und strafet sie so gar, und steckt sie ein, wenn sie ihren Befehl übertreten. Es ist unmöglich, dachte ich, daß die Obrigkeit verbieten kann, den Bettlern herum zu gehen, daß sie nicht zugleich eo ipso, implicite und eben damit den Leuten[388] und mir verbieten sollte, den Bettlern zu geben. Denn gebe ich ihnen, so bin ich mit Ursache, daß sie den Befehl der Obrigkeit übertreten, und mache mich ihrer Sünden mit teilhaftig. Denn wenn ihnen kein Mensch was gäbe, so würden sie der Obrigkeit gehorsam sein, und das Herumlaufen einstellen. So dachte ich, und doch plagte mich auf der andern Seite Gottes sein Wort, welches befiehlet, den Armen mitzuteilen, so daß ich etliche mal unsägliche Angst und Unruhe gehabt, sowohl wenn ich gegeben, als wenn ich nicht gegeben, weil ich das Gebot Gottes mit dem Verbot der Obrigkeit nicht vereinigen können. Der soll mir einen großen Gefallen erzeigen, der diese Sache untersuchen, und mir seine Gedanken eröffnen wird. Meines Erachtens wäre es gut, wenn die Obrigkeiten bei den Bettler-Mandaten eine Exception machten, und den Reichen darinnen erlaubten, so oft diesem und jenem Armen mitzuteilen, so oft sie durch starke Gründe befinden würden, daß der Arme, den sie vor sich haben, höchst elend sei, und unter diejenigen Ruchlosen und Bösen nicht gehöre, um welcher willen das Gebot gestellet worden. Weil ich vermutet, daß das der Sinn des obrigkeitlichen Verbots sei, obgleich nicht alles so mit Worten ausgedrücket, so habe ich mich nach der Zeit nach solchem geachtet, und diesen Unterscheid in acht genommen, und Gotte zu geben getrachtet, was Gottes ist, und der Obrigkeit zu geben, was der Obrigkeit ist [vgl. Mark. 12,17].

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 388-389.
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