Zweiter Brief.

[15] (An denselben.)


Hochzuverehrender!


O wie glücklich, wie unaussprechlich selig bin ich! wie freut sich mein Herz! jeder Pulsschlag in mir ist ein Lob- und Danklied; das kann aber nur ein liebendes, fühlendes Herz, wie das Ihrige, welches den guten Keim in mich gelegt, mich, in Sünden todten, verlornen, und ewig verdammten Menschen erweckt, und mir einen göttlichen, seligen Weg gezeigt hat, mitfühlen und empfinden. O wie kann ich meinen göttlichen, himmlischen, liebevollen Erbarmer, meinen duldenden Erlöser, der so viel für meine Sünden gebüßt, so viel Qual, Marter und Pein ausgestanden, der aus Liebe für mich am Kreuz gestorben und seinen Leib und sein Blut zur Vergebung meiner Sünden, zum Opfer für meine Erlösung gegeben hat, wie kann ich Ihm genug danken, Ihn genug lieben? Ach ich habe nichts, als meine schweren Sünden, und ein Herz voll aufrichtiger Reue, welches ich demuthsvoll zu seinen verwundeten Füßen gelegt habe. Und Er zeigte mir seine durch Dornen und Disteln verwundete Füße, die Er, um meine arme Seele zu retten, sich durchgelaufen, bis Er mich gefunden hat. Er trocknete meine Thränen, nahm mich in seine göttliche himmlisch-sanfte Arme, und drückte mich an sein liebe-und erbarmungsvolles Herz, küßte mich wie sein Kind, stärkte mein schwaches Herz mit festem Glauben an seine ewig grenzenlose Liebe, die Er mir in seinem[15] Fleisch und Blut, zur Vergebung meiner Sünden, zum ewigen Gedächtniß hinterlassen hat.1 So habe ich nun die freudige, feste Versicherung, und den himmlischen Trost von meinem göttlichen, erbarmungsvollen, lieben Erlöser – gehört: Alle deine Sünden sind dir vergeben. Bleibe in mir und ich in dir, so wirst du ewige Ruhe und Trost die Fülle haben, und dein Herz wird sich deines Glaubens freuen. Ach! das war der seligste Augenblick meines Lebens. O! könnte ich dich, mein duldender Heiland, mein göttlicher, allbarmherziger Erlöser, noch einmal in meine Arme nehmen und an mein mit Dank und Liebe gegen Dich erfülltes Herz drücken, so wie Du mich! Aber meine Liebe ist viel zu schwach. Ach sie ist nur Ohnmacht gegen deine grenzenlose, allbarmherzige Liebe, o mein Erlöser! Du, meine Wonne! meine Hoffnung! mein Glaube! mein Glück! meine Liebe! meine Ruhe! meiner Seele selige Zufriedenheit! wie soll ich Dich genug lieben, loben, preisen und dir danken! Ach, Du wohnst ja nun in mir und ich in Dir; nichts kann mich von Dir scheiden; lebend und sterbend bin ich Dein. Diese Seelenruhe hast du mir hinterlassen, Möchte mir nun dein liebevoller Geist zu Hülfe kommen, um zu erforschen, was ich Ohnmächtiger noch Gutes stiften kann! Ach, ich werde nie aufhören, Deinen göttlichen Geist aus der Fülle meines Herzens anzuflehen, daß er mir Staub und Erde Deinen göttlichen Willen zu erkennen gebe. Du, mein blutender Erlöser, kennst meine schwache Hülle, Du legst mir gewiß keine zu schwere Last auf, Du hilfst sie mir auch tragen. Du hast mich durch das finstere Erdenleben bisher hindurch geführt, hast mich nicht in meinen Sünden abgerufen und in die ewige Höllen-Qual gestürzt, welches ich mit[16] allem Recht verdient hätte. Nein, Deine langmüthige, schonende Güte, Dein allbarmherziges, liebendes Herz, welches so flehend alle Sünder zur Bekehrung ruft, hat auch mich Sünder zur Buße und Reue gerufen und würdig gefunden. Diesen Trost hast Du mir in mein Dich kindlich-liebendes Herz gelegt, welches Dir nun mit Leib und Seele im Leben und im Tode ergeben ist. Du wirst mich auch ferner durch das irdische Leben an Deiner liebevollen Hand leiten, so lange ich hier noch seyn muß. Du hast meine Augen aufgethan, und mit Deiner himmlischen, göttlichen Liebe erleuchtet; Du hast mein sündhaftes Herz zur wahren Erkenntniß geführt. Ach Du, mein göttlicher, liebevoller Erlöser, willst ja nur ein reuevolles, auf richtig-liebendes Herz, den festen Glauben an Dich und Deinen Versöhnungs-Tod, daß wir Dich allein als den Einen wahren Gott erkennen und vertrauensvoll zu Dir beten, wie jener reuige Sünder, der, Dir zur Seite am Kreuz, mit festem Vertrauen ausrief: Herr, denke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst!

Mit diesem Glauben und festem Vertrauen, voll ewig seliger Gewißheit, mit brünstigem Herzen habe ich denn heute noch den 19ten Juni zu seinem Liebes-Tisch mich genahet, und den wahren Leib und das Blut meines göttlichen Erlösers empfangen. Ach, wie liebevoll und freundlich hat Er mich eingeladen! Wie sanft und milde hat mich sein mitleidsvolles Auge angeblickt! O, ihr seligen, glücklichen Stunden meines Lebens, die ich jetzt so himmlisch, selig und glücklich in deiner liebevollen seligen Nähe durchlebe. O wie schauderhaft, wie schrecklich, wenn ich in den fürchterlichen Abgrund einen Rückblick thue, aus welchem Du, mein Erlöser, mich so himmlisch-milde und mit schonender Langmuth an Deiner liebevollen Hand herausgezogen und vom Sündenleben befreit hast.

O, so nehmen auch Sie, gute Seele, meinen innigsten Dank! Ihr liebes, gutes, menschenfreundliches Herz, welches so liebevoll bereit ist, jeden Sünder vom Wege des Lasters, vom Abgrund des Verderbens zur Reue und Besserung zu führen, erkennt gewiß meine aufrichtige Reue, mein dankbar-liebendes Herz. O,[17] Ihr liebendes, christliches Herz empfindet gewiß meine unaussprechlich himmlische Wonne, meine Ruhe, mein Glück, meine göttlich-selige Seligkeit. Ach kommen Sie, mein guter Engel, den mir mein göttlicher Heiland in den Osterfeiertagen vor vier Jahren sandte, kommen Sie nicht wieder persönlich zu mir, so gern ich Sie auch nur sehe, denn erstens haben Sie zu viele und große Geschäfte, und zweitens möchte ich nicht vergessen und Ihnen um den Hals fallen und Sie küssen. Aber so innig bitte ich Sie um ein Paar Zeilen aus Ihrem liebenden Herzen, welches Sie mir nicht versagen werden. Darum bittet ganz liebevoll

Ew. Wohlgeboren

ganz unterthäniger Diener

H. A. Busch

Charité,

den 20ten Juni 1828.


Sie entschuldigen mich gewiß, mein Guter! daß ich so eng habe schreiben müssen; es fehlte mir an Papier, und ich will keinem gerne zur Last fallen. Ich habe jetzt eben noch einen Viertelbogen gekriegt, darum habe ich auch gleich diese leere Stelle benutzt.


Du sah'st mein kindlich Sehnen,

Mein Heiland, Jesu Christ,

Du stilltest meine Thränen,

Weil Du die Liebe bist.

Du, Retter meiner Seele,

Du sah'st mein weinend Herz,

Wie ich mich ängstlich quäle,

Da brach Dein liebend Herz.


* * *


Man sieht aus diesem Briefe, daß er seinen Heiland am Kreuze erblickt, in seine verdienstlichen, heilsamen Wunden tief hinein geschaut hat, daß ihm der heilige Geist, der Tröster, Jesum, den Gekreuzigten, in seinem zerknirschten Herzen verklärt hat, und da ist sein ganzes Herz wie Wachs von der Feuergluth geschmolzen und in lauter Liebe und Dankgefühl gegen Jesum und die Menschen aufgelöst worden. Er kann nicht Worte genug finden, seine Freude, seine Wonne und Seligkeit zu beschreiben, die er in der lebendigen Erkenntniß Jesu Christi, seines Heilandes, gefunden[18] hat. Mögen sich kalte, herzlose Menschen, die sich nie so sündhaft, nie so zerknirscht und darum auch nie so begnadigt fühlen, mögen sich solche immer an seinem Gefühl der Begnadigung ärgern, so thun sie nur, was jener Pharisäer auch that, der sich an der vielliebenden, gefühl- und dankvollen Sünderinn bei den Füßen Jesu ärgerte. Der Abstand seine jetzigen von seinem vorigen Leben, die Veränderung seines Sinnes und Herzens, aus seinem so rohen, gottlosen Verbrecher in einen so innigen, Christus-vollen Jünger Jesu, war zu groß, zu auffallend, zu beseligend, als daß er hätte kalt bleiben können. O möchten alle Sünder so umkehren, so sich verändern, so würde die Erde ein Paradies werden und die Menschen keine Zucht- und Strafhäuser mehr bedürfen. Mag immer sein Gefühl zu stark gewesen seyn, so hat ihn doch der gute Geist geleitet, und bis zu seines Lebens Ende im rechten Geleise erhalten, daß er nicht irrte, sondern auf ebener Bahn fortwandelte bis zum Ziel.

Fußnoten

1 Da mag ihm wohl wiederfahren seyn, was die Alten in ihren Liedern so sehnlichst wünschten, und sich erbaten und auch wohl erhalten haben, wenn sie sangen:


»Erscheine mir zum Schilde,

Zum Trost in meinem Tod,

Und laß mich sehn dein Bilde,

In deiner Kreuzes-Noth!«


Quelle:
Busch, Heinrich Adolph: Selbstbekenntnisse eines begnadigten Verbrechers. Berlin 1830, S. 19.
Lizenz:

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