Dritter Theil.1

§ 1. Je näher ich an die Zeiten der wichtigen und merckwürdigen Veränderungen komme, die ich, nach meinem Abzuge aus Berlenburg, auf den großen Schauplatze dieser Welt, unter mancherley Abwechselungen des Vergnügens und Mißvergnügens habe erfahren und grösten Theils selber darzu Anlaß geben müßen; je mehr werde ich zum Lobe deßen ermuntert, durch dessen Beystand ich, Trotz der grimmigen Wuth meiner unzehlbahren Feinde, doch biß diesen Tag mitten unter Ihnen, noch unverlezet stehe.

§ 2. Wem die Geschichten vorieger Zeiten nur ein wenig bekannt sind, der wird gestehen müßen, daß fast kein Exempel vorhanden, daß ein einzelner, armer und mit gar keinen mächtigen äußerlichen Beystande versehener Mann, ohne ein Brandopfer der Christlichen Liebe zu werden, nur den zehenden Theil so viel habe wagen dürfen, als ich unwürdiger, unter dem Beystand meines Schöpfers, vor den Augen der ganzen Welt, und im Angesichte meiner grimmigsten Feinde habe wagen müßen.

§ 3. Wie Lutherus anfing zu reformieren, so sagten seine besten Freunde, in Betrachtung der Gefahr, welcher er sich aussetzte: Abi, frater, in cellam, et dic: Miserere mei. Und man wird gestehen müßen, daß sein Gebein nicht davon gekommen seyn würde, wenn Ihm Gott nicht einen so mächtigen Schutz-Engel an den Churfürsten von Sachsen angewiesen gehabt hätte.

Wen hatte aber ich, wie ich meine Unschuldigen Wahrheiten zu schreiben anfing? Wer nahm sich meiner an, wie mein Moses in Teutschland zum Vorschein kam, und öffentlich in Straßburg verbrandt wurde? Wer beschützte mich, wie mein Glaubens-Bekenntniß ans Licht trat und dem Teufel und seiner Groß-Mutter öffentlich Hohn sprach? Wäre der Herr nicht mein Schutz gewesen, wo[391] hätte ich armer, fast von jedermann vor ein Monstrum gehaltener Mann, vor meinen allenthalben wider mich aufgebrachten und äuserst erbitterten Verfolgern, ohne von Ihnen zerrißen worden zu seyn, bleiben wollen.

§ 4. War ist es, daß mir Gott, nach alle diesen glücklich überstandenen Stürmen, endlich einen Ort der Sicherheit unter den Flügeln des Preußischen Adlers angewiesen: Allein ich habe mich doch bis diese Stunde noch keines besonderen und eigentlich meiner Persohn wegen angestellten Schuzes zu erfreuen. Ihro Königl. Mayst. erlauben mir, wie allen andern Menschen, die sich als gute Bürger und Unterthanen in Dero Landen aufführen, ungestöhrt und ohne Bekränckung in Dero Residenz zu leben, und ich werde nie so unempfindlich seyn, daß ich nicht auch diese bloße Erlaubniß vor eine große Gnade erkennen solte: Allein ich (kann) doch nicht sagen, daß ich eine Versicherung hätte, gegen den Kayser und das Reich in Schuz genommen zu werden, fals es Gott verhängen sollte, daß man mit der Reichs-Acht eben so hinter mir, wie hinter Lutherum her seyn sollte.

Diesem nach kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich allein unmittelbahr unter den Schuz meines Schöpfers stehe, und daß er es sey, der meinen Feinden gewehret, daß sie die Regenten, unter denen ich bishero gelebet, nicht zu meinen Verderben haben mißbrauchen dürfen. Denn die meisten würden zu schwach gewesen seyn, mich gegen ihre Wuth in Schuz zu nehmen, und selbst Ihre Königl. Majest. von Preußen, dero geheiligsten Person die Vorsicht noch des Nestors Jahre erreichen laßen wolle, würden Mühe haben, mich zu retten, wenn der Schwarm meiner Widersacher daß äußerste versuchen wollte.

§ 5. Es dürften nur alle, wie der Herr von Loen2 gegen mich gesinnet seyn, so würde ich mit lauter Höflichkeit des Landes verwiesen und stillschweigend fast vor vogelfrey erkläret werden, so sehr haben diesem von lauter Toleranz und Verträglichkeit schwazende Herren meine freymüthigen Gedancken in meinem Glaubens-Bekentniße geärgert. Ich weiß aber dem guten Manne, außer dem, was ich[392] Ihnen bereits ausführlich auf sein Bedencken über mein Glaubens- Bekenntniß geantwortet (welche Antwort auch schon längst gedruckt seyn würde, wenn ich mich in andern Umstände befände3 nichts kürzers und nachdrücklichers entgegen zu setzen, als den 114. Brief des Herrn Holbergs, der sich im 3ten Theile seiner vermischten Briefe p. 551. befindet.

§ 6. Weil nicht ein jeder meiner Leser die Briefe bey Handen haben mögte, will ich denen, die sie nicht haben, den Gefallen thun, denselben ganz einzurücken.

Er lautet von Wort zu Wort wie folget:


Mein Herr,


»Wie sie glauben, so haben sich an meiner letzten Schrift Personen von allerley Stande und Secten geärgert, und nach ihrer Meinung habe ich unbedachtsam und thöricht gehandelt, daß ich es mit der gantzen Welt aufgenommen, indem ein vernünftiger Scribent doch allemahl dahin sehen müße, wenigstens die eine Parthey zu gewinnen, damit solche seine Schrift wieder die andere Parthey vertheidigen möge, nach dem bekannten Ausspruche Divide et impera.

Ob diese Sache an sich so gefährlich sey; wie sie glauben, kann ich nicht sagen. Ist sie aber ja gefährlich, so ist sie doch anständig, und zeuget von dem redlichen Character, eines Scribenten, der nichts anders schreibet, als was er für wahr hält, und sich nicht durch so viele Vorgänger irre machen läßet, gewisse herrschende Meinungen, zu vertheidigen, und mehr einen Sachwalter, als einen Lehrer abzugeben.

Wenn eine Schrift sollchergestallt abgefasset ist, daß die darinnen vorgetragenen Lehren durch Gründe, jedoch auf eine[393] solche Art unterstüzet sind, daß alles nicht nach eines jeden Geschmack ist, so kann man nichts größers zum Ruhm eines Scribenten sagen. Je seltener Schriften von dieser Art zum Vorschein kommen, desto höher müssen dieselben billig geschätzet werden.

Die Erfahrung aber zeiget, daß die meisten Scribenten insgemein darauf bedacht sind, die Lehren und Meinungen derjenigen Partey, welcher sie einmahl beigepflichtet zu vertheidigen, wodurch sie sich aber selbst hinderlich sind, daß sie die Wahrheit nicht einsehen können, welche sie, ihren Vorgeben nach, suchen, oder, nach welcher sie auch würcklich streben.

Das Urtheil also, welches man, wie ich höre, über meine Schrift gefället, kann mir nicht anders als sehr angenehm seyn. Denn so oft man einen Scribenten tadelt, daß er sich nicht in allen Stücken nach dem herrschenden Geschmacke richtet, so oft rühmt man, obgleich wieder Willen, seine Schrift, und legt dem Scribenten einen Character bey, womit Er Ursache hat, zufrieden zu feyn.

Ich habe an gewißen Orten in meinem Schreiben gezeiget, daß alle alte Philosophen durch ihre Lehren, nicht sowohl andere zu unterrichten, als vielmehr gewisse von Ihnen angenommene Lehrsätze zu vertheidigen gesucht bis endlich die so genannte Eclectische Philosopbie aufkam, deren Freunde sich nicht an eine gewisse Partei binden, sondern den Vorsatz faßten, ohne Vorurtheil, bloß der Wahrheit nach zu streben, dadurch aber es keine Parthey zu Danke machen konnten, da ich einen gleichen Endzweck gehabt, so darf ich mich nicht wundern, daß ich auch ein gleiches Schicksahl erfahren müssen. Ich bin etc. etc.«


§ 7. Ich wende mich aber nunmehro ohne ferner Weitläuftigkeit zu dem, was mein Lebens-Beschreiber p. 16. No. 15. weiter von mir saget. Der Text lautet in seiner Grundsprache, wie folget:

Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 391-394.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Selbstbiographie
Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
Selbstbiographie: Geschrieben 1752 (German Edition)

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