Edelmanns Aufenthalt in Berlin.

[445] Pratje berichtet, Edelmann sey nun erst nach Neuwied gegangen, um seine Sachen zu holen, wie er denn auch in dem Evangelium St. Harenbergs Neuwied mehr noch als seinen eigentlichen Sitz und seine Wohnung angiebt. Die Anmerkungen aber behaupten, »Edelmann ist, nachdem er Neuwied einmal verlassen hatte, nie wieder dahin zurückgekommen, viel weniger hat er seine Sachen von da abgeholt, am wenigsten hat er sich zur selbigen Zeit um den Reichsfiscal bekümmert. Dagegen bestätigen die Anmerkungen seinen Aufenthalt in Berlin mit den Worten: »Nach Berlin aber wurde er berufen. Seine Ankunft war wenigen gehörnten Köpfen daselbst gar nicht anständig.« Seine Wohnung hatte er bei seinem Br. Benignus, dem Kaufmann Pinell in der Brüderstraße in Cölln. Von seinem Aufenthalte in Berlin erzählt Pratje: »Da nun dem Probsten Süßmilch bekannt wurde, daß Edelm. gleich in den ersten Tagen nach seiner Ankunft zu Berlin sich geschäftig bewies, seine Lehren zu[445] verbreiten, und wirklich manches Gemüth verwirrt habe, so achtete er es nicht nur für nöthig, seine Gemeine öffentlich vor den Verführungen dieses bösen Menschen zu warnen, welches er denn auch Dom. 21 p. Trinit. (d.i. Ende October) that, sondern er fertigte auch eine kleine Schrift wider ihn aus, darin er zeigte, wie niederträchtig Edelmann von dem obrigkeitlichen Stande gedächte, redete und schriebe, und wie leicht seine Sätze Widerspenstigkeit und Rebellion bey den Unterthanen veranlassen könnten. Diese Schrift hatte den Titel: »Edelmanns Unvernunft und Bosheit aus seiner Vorstellung des obrigkeitlichen Amtes aus seinem Moses dargethan und zu aller Menschen Warnung vor Augen gesetzt. Berlin 1747.« Die Schrift enthält eine Stelle aus dem Moses mit aufgedecktem Angesicht 3. Anblick, wo Edelmann Voltaire angreift wegen seines schmeichlerischen Lobgedichtes auf Friedrich II; also auch dieses Gegners der Bibel und der Geistlichkeit schonte er nicht, weil er selbstsüchtige Absichten bei seiner Schmeichelei zu entdecken glaubte. Der Angriff des Probsten, der nur beabsichtigte, den König gegen ihn einzunehmen, hatte den gewünschten Erfolg nicht, indem die Obrigkeit wie der König ihn in Ruhe ließen, und gab Edelmann Veranlassung sich zu vertheidigen in der Schrift »Joh. Chr. Edelmanns Danksagungsschreiben an den Hrn. Probsten Süßmilch vor dessen ihm unwissend erzeigten Dienst. 1747.« Edelmann tadelt hier selbst seine frühere Heftigkeit und wirft seinem Gegner Falschheit vor, weil er ihn wegen früherer Schriften angreife, von denen er sich in seinen späteren losgesagt habe. Die Anmerkungen berichten über den Erfolg dieser Schrift also: »Außer dem allgemeinen Beifall, den es bei Hohen und Niedrigen fand, hemmte es nicht nur den Lauf mehrgedachter Unvernunft und Boßheit auf einmahl, sondern es brachte auch dem Edelmann mehr Freunde zu wege, als Feinde der Herr Probst demselben durch seine Unvernunft und Boßheit zu erwecken gedacht. Das rühmlichste bei diesem ganzen Handel war, daß er sich auf Gott und seine gerechte Sache verlassend, vor seinen Feinden nicht verkroch, sondern standhaft vor ihren Augen stehen blieb und Berlin nicht eher verließ als biß Er nichts mehr zu besorgen hatte.«

In Beziehung auf den Vorwurf Pratjes, daß Edelmann sich gleich in den ersten Tagen in Berlin geschäftig bewies seine Lehren zu verbreiten, bemerken die Anmerkungen: »Wenn Edelmann ein Apostel gewesen wäre, so hätte es seyn können, daß Er sich gleich in den ersten Tagen nach seiner Ankunft so geschäftig bewiesen hätte, seine Träume auch andern zu erzählen und in diesem Falle würde Ihn kein Vernünftiger bedauert haben, wenn er sich einen[446] Apostolischen Staup-Besen zu Wege gebracht hätte. So aber ist wohl in der gantzen Schrift des Hrn. Pratje keine ungegründetere und unglücklicher erdichtete Nachricht, als das Vorgeben von der Jüngermacherei des E. Denn es ist seinen annoch lebenden Freunden (deren Redlichkeit zum wenigsten nicht nöthig hat, sich hinter den heiligen Geist verstecken zu lassen, wenn sie wollen, daß ihnen geglaubt werden soll) noch gar zu gut erinnerlich, daß Er über 2 Monath, in 2 verschiedenen Quartieren in Berlin in der großten Eingezogenheit und Stille gelebt, ehe ihm sein gutes Glück den Hrn. Probsten S. zum Nachbar bescheret. Und vielleicht würden auf den heutigen Tag noch die wenigsten Leute in Berlin wissen, ob ein Mann in der Welt sey, der E. heißt, wenn sich der Herr Probst nicht zu seinem Herold hätte müssen gebrauchen lassen. Damahls hätte Er erst Gelegenheit gehabt, Jünger zu machen, wenn er jemals hätte welche machen wollen. Denn das Ansehen des Hrn. Probsten brachte ihm (durch die nachdrückliche Recommendation, die er ihm umsonst ertheilete) in und außerhalb Berlin soviel Bekanntschaft und Besuch zu wege, daß er um allein zu seyn, und seiner beliebten Stille zu genießen, sich oft verschließen u. verläugnen lassen mußte. Wenn es der Hr. Probst bey der ersten mündlichen Recommendation hätte können bewenden lassen, so würde sich E. vielleicht auch nur mündlich bey ihm bedankt haben: Er war aber so gütig, und suchte ihn auch schriftlich zu recommendiren, worauf sich E. ohne unhöflich zu seyn, nicht wohl entbrechen konnte, Ihm auch schriftlich zu danken. Diß Danksagungsschreiben ging in ein Paar Tagen reißend ab, ohne im mindesten verboten zu werden. Hingegen des Hrn. Probst bekannte Unvernunft und Boßheit verbot sich in Kurtzen selber und man weiß von guter Hand, daß dem Verleger noch die meisten Exemplare über dem Halse liegen.« – Ob das Verbot an Edelmann, irgend eine Schrift während seines Aufenthalts in Berlin drucken zu lassen, jetzt nach diesem Danksagungsschreiben ergangen, oder erst bey dem 2ten Aufenthalte Edelm. in Berlin als Bedingung gestellt ist, muß wohl unentschieden bleiben. Für jetzt erschienen 2 Gegenschriften gegen ihn, die erste heißt: »Edelmann mit aufgedecktem Angesicht oder Nachricht von Edelmanns Aufenthalt in Berlin.« Die Anmerkungen sagen darüber: »Jedermann verachtete diese ärgerlichen Bemühungen, indem E. sein Angesicht als ein ehrlicher Mann zu allen Zeiten öffentlich sehen ließ, und noch nie im Sinne gehabt hatte, eine heilte Decke vorzunehmen.« Eine andere Schrift in Form eines Briefes führt den Titel »Zuverlässige Nachricht von des Herrn Edelmanns Aufenthalt in Berlin.[447] Frankfurt und Leipzig 1747.« Der Verf. nimmt den Schein eines Vertheidigers an, und erzählt wie Edelm. nach Berlin gekommen um sich von einem Schwindel durch einen dortigen Arzt curiren zu lassen; wie der Arzt ihm eine Arzenei gegeben welche den Parorysmus steigerte und eine Platzung der glandula pinealis bewirkte, worauf Edelm. als Don Quirote, der Arzt als Sancho Pansa mit vielen andern angesteckten Leuten zum Spandauer Thor hinauszogen und gegen einen Eichbaum und einen Haufen Bretter, als sey es ein Geistlicher und die Bibel, kämpften. Der Brief ist Berlin den 8ten November 1747 unterzeichnet und ein Anhang spricht schon von Edelm. Vertheidigung gegen Süßmilch (denn so soll es offenbar statt des dort befindlichen Harenbergs heißen), als sey er etwas wieder zu Verstand gekommen. Ernster ist die Sache gefaßt, wenn auch durchaus populär in der Schrift: »Vernünftige und gründliche Widerlegung der ärgerlichen Schriften des berüchtigten Joh. Chr. Edelmann, verfertigt von Christ. Immanuel Reinwolle, Jetzo Königl. Preußisch. Accise-Beamten und ehemaligen Rabbi unter den Juden. Frankf. und Leipzig 1747.« Der Verf. der Anmerk. zu Pratje nennt ihn Visitator und bemerkt, jedermann in Berlin wisse, daß hinter diesem Namen ein Prediger in Berlin verborgen sey, dessen Dudelsack Reinwolle hätte abgeben müssen. Dagegen erschien von einem Ungenannten: »Prüfung der so betitelten vernünftigen und gründlichen Widerlegung etc. Leipzig 1747« Dieser Verf. vertheidigte die von Edelm. behauptete Ewigkeit der Welt, ferner stimmte er Edelm. bey in seinen Einwendungen gegen die Gottheit Christi, sonst theilte er seine Ansichten nicht überall, besonders nicht über den Ursprung der heiligen Schrift. Bald darauf erschien »2te vernünftige und gründliche Widerlegung von Reinwolle.« In dieser Schrift bestritt Reinwolle Edelmanns Vorstellung von Gott, die aus jüdischen Schriften hergenommenen Gründe gegen das Christenthum und vertheidigte Moses und Christus gegen den Vorwurf des Betruges. Auf diese Streitigkeiten bezieht sich eine Vertheidigung Edelmanns, die ohne Druckort 1747 erschien unter dem Titel: »Freie, doch unmasgebliche Gedanken und Erinnerungen über die bisherigen Streitschriften wieder den Herrn Edelmann, ihm und seinen Gegner zur Ueberlegung und der vernünftigen Welt zur Beurtheilung vorgelegt, von einigen unpartheiischen Liebhabern der reinen Wahrheit.« Obgleich der oder die Verfasser den Schein der Unparteilichkeit annahmen, tadeln oder entschuldigen sie doch an Edelm. nichts andres, als die Heftigkeit, die Unziemlichkeit des Ausdrucks, so wie daß er sich zu sehr in philosophische Speculationen eingelassen habe, sonst besonders[448] in seiner Bekämpfung der heil. Schrift und der orthodoxen Lehren wird ihm völlig beigestimmt.

Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 445-449.
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Ausgewählte Ausgaben von
Selbstbiographie
Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
Selbstbiographie: Geschrieben 1752 (German Edition)

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