[25] Die Wohlanständigkeit und das richtige Taktgefühl in derselben.
»Häuslichkeit sei deine Zierde,
Reinlichkeit sei deine Pracht,
Stille Tugend deine Würde,
Sanfte Liebe deine Macht!«
Engel.
Nach der Konfirmation nimmt die erwachsene Jungfrau in der Häuslichkeit, im Hause ihrer Eltern oder der sie an Stelle derselben erziehenden Verwandten, einen andern Platz[25] ein. So lange, wie sie die Schule oder besondere Unterrichtsstunden besuchte, war sie einen großen Teil des Tages hindurch vom Hause getrennt, und es nahmen die Arbeiten für die Lehrstunden sie in Anspruch. Nun hören diese Beschäftigungen auf, neue Pflichten sollen deren Stelle vertreten, Sie kann, falls nicht eine besondere, durch Umstände notwendig gewordene Thätigkeit sie vom Hause abruft, etwa die Stellung als Lehrerin, Gesellschafterin, die Thätigkeit in einem Geschäft, nun ihre ganze Sorgfalt und Pflichterfüllung dem Häuslichen widmen.
»Das Leben der Jungfrau im Elternhause soll ebenso wie die Jugendfreundschaft eine Morgenandacht sein für den späteren Werktag des Lebens und hat wie diese eine segensreiche Verheißung, die ihre Erfüllung in sich selber trägt. Auch selbst herangereift zur Selbständigkeit, bleibt den ergrauten Eltern die kindliche Ehrfurcht treu bewahrt, denn sie ist der Stern, der das Herz in kindlichem Sehnen und Suchen zu der Herrlichkeit Gottes führt.«
Karsten.
Das Verhältnis zu den Eltern also ist des Hauses erste Pflicht, ihnen gehorcht nicht mehr das Kind im blinden, willenlosen Gehorsam, sondern die Jungfrau, herangereift zu einer selbständigen Lebensstellung, hat sich mit wohlanständigem Takt ihrer niemals aufhörenden Autorität zu fügen; nicht in knechtischem Gehorsam geschehe dies, sondern im Gefühl eigener Würde finde sich das würdige Verhalten zu denen, die ihr die nächsten sind.
Den Eltern bleibt sie, wie sich auch ihre eigenen Verhältnisse ändern, das Kind, welches ihnen Dankbarkeit und Achtung schuldet und diese pietätvoll nie vor ihnen vergessen darf.
Wenn Vater oder Mutter sie für würdig halten, in ein freundschaftliches Verhältnis mit ihnen zu treten, wenn sie sie, da sie nun erwachsen ist, zur Teilnehmerin ihrer Familienangelegenheiten machen, so hat sie dies als eine Auszeichnung zu betrachten, für die ihr Herz dankbar und demütig sich zeigen soll.
Freundliches Entgegenkommen steht ihr wohl an. Eine Tochter, welche dem von seinem Beruf ermattet das Haus[26] betretenden Vater das Zimmer wohl geordnet hat, die sich bemüht, ihm kleine Bequemlichkeiten selbst zu schaffen, ohne erst die Hilfe der Dienstboten dazu anzurufen, ist eine gar liebliche Erscheinung. Wie wenig taktvoll dahingegen die Tochter, welche der Mutter stets in das Wort fällt, weil sie selbst alles besser zu wissen und zu erzählen glaubt. Es ist ja möglich, daß sie mit frischem Sinn diese oder jene Erinnerung klarer behielt und mitteilen kann, aber selbst dann hat die Mutter das erste Wort, und erst, nachdem sie nicht mehr spricht, wage die Tochter den bescheidenen Einwand: »Liebe Mutter, entschuldige, aber ich glaube, die Sache verhielt sich etwas anders.« –
Wie unfein ist es, in tadelndem Ton die Mutter zurechtweisen zu wollen oder gar in rauhen Worten sie anzufahren.
Es wird gesagt, wie ein junges Mädchen sich gegen die Eltern benimmt, so ist auch einst ihre Art und Weise dem künftigen Gatten gegenüber.
Mangelnder Respekt gegen die Eltern wird sie auch einst den Gatten respektlos behandeln lassen, und welcher Mann läßt sich das gern gefallen? Ja, ich kann ein Beispiel anführen, indem ein junger Mann, angezogen von der lieblichen Gestalt einer jungen Dame, doch seine Neigung plötzlich unterdrückte und sich von ihr abwandte, weil er mangelnde Ehrfurcht vor der Mutter in ihr entdeckte, weil ihr Benehmen gegen den Vater ein respektwidriges war. Großeltern haben dasselbe Anrecht auf die ehrerbietige Haltung der erwachsenen Enkelin. Nicht bloß taktlos ist es, es verrät auch kein gutes Herz, wenn die an ihnen unvermeidlichen Schwächen, die traurig sich einstellenden Gebrechen des Alters von ihr bemerkt, lieblos besprochen und wohl gar belacht werden. Sie kränkt und schädigt sich selbst dadurch am meisten, und wo ihr gegen eine Verwandte, eine unverheiratete Tante etwa, welche gern tadelt oder sich etwas neugierig gern in ihre Angelegenheiten mischt, einmal ein Wort entfahren ist, das eine wenig freundliche Gesinnung gegen sie verrät, da steht es ihr wohl an, alsbald ihr Unrecht einzusehen, da darf sie nicht glauben, daß das Abbitten nur den Kindern gebührt. Es ist ihre Pflicht, eine Bitte um Entschuldigung an die Gekränkte zu[27] richten und durch verdoppelte Freundlichkeit gegen sie ihr Unrecht wieder gutzumachen.
Ja, diese älteren, allein dastehenden Tanten, wie werden sie so oft von den jungen Nichten respektlos behandelt und bitter betrübt. Eine Tochter, die ihre Eltern liebt und ehrt, glaubt doch der Tante so wenig zarte Aufmerksamkeit schukdig zu sein, und rechtfertigt sich durch die lieblose Bemerkung: »sie ist ja eine alte Jungfer,« darüber. Eine alte Jungfer! – gerade sie ist oft das unentbehrlichste, hilfebereiteste Mitglied des Hauses; sie ist auch einmal jung gewesen und hat ihre goldenen Zukunssträume gehabt, dann sind sie zerronen, Zeit und Verhältnisse haben sie zerstört, wohl ihr, wenn sie nun im hilfreichen Bestreben anderen Glücklicheren dienstbar ist. – Verachte sie ja nicht, du junges Herz, weil du noch reich bist an Hoffnungen, weil das Leben dir noch frische Rosen beut; sie können auch einst welken und entblättern. Wende dich liebevoll zu der Einsamen, und selbst wenn sie bitter und reizbar geworden, wenn der Schmerz der Enttäuschung sie hart und unliebenswürdig gemacht, habe Geduld und Nachsicht mit ihren Schwächer, das steht dir wohl an.