Gesellige Unterhaltungen.

[81] Daß man in kleiner Gesellschaft der allgemein geführten Unterhaltung Anteil schenke, nicht mit seiner einen Nachbarin fortwährend leise flüstere und die andere darüber vernachlässigt, erfordert der gute Ton.

Begegnet man am dritten Ort Personen, mit denen man früher bekannt war, aber durch besondere Veranlassung sich von ihnen getrennt hat, darf man sie nicht gänzlich übersehen oder eine etwaige Verstimmung gegen sie allzu deutlich hervortreten lassen. Es wäre dies eine Unart gegen den Gastgeber, der davon nichts weiß, und es kommt leicht durch solch ein Benehmen eine Mißstimmung in die ganze Gesellschaft.

Tritt jemand in die Gesellschaft, der ein körperliches Gebrechen oder nur eine lächerliche Angewohnheit hat, so würde es große Unbildung verraten, darüber zu lachen, diese Mängel gegen seine Nachbarn zu erwähnen oder nur fortwährend diejenigen anzusehen, an dem man sie bemerkt.

Ebenso unfein ist es, sobald eine Person den Kreis der Gesellschaft verlassen hat, mit den Zurückgebliebenen über dieselbe zu urteilen und vielleicht sogar Uebles von ihr zu erzählen. Man nennt dies lästern, und derjenige, der es thut, schädigt sich selbst damit in den Augen anderer viel mehr, als derjenige geschädigt wird, welchen man zur Zielscheibe seiner Schmähsucht macht.

Wird in der Gesellschaft ein Thema der Unterhaltung erörtert, welches die junge Dame nicht teilen kann, z.B. ein politisches, werden Krankheitsfälle erzählt odere andere Gegenstände, welche sie nicht interessieren, höre sie stillschweigend zu, ohne dabei ihre Langeweile zu verraten, dies wäre unhöflich oder anspruchsvoll, denn sie kann nicht verlangen, daß man ein Gesprächsthema, welches die Aelteren unterhält, ihretwegen abbricht. Noch viel weniger lasse sie sich aus Furcht, man könnte sie für beschränkt halten, dazu verleiten, mitzusprechen, ohne ein Verständnis des Gegenstandes zu haben. Junge Mädchen erscheinen viel angenehmer,[81] wenn sie sich schweigsam verhalten, als wenn sie es versuchen mitzureden und ihnen dies auf eine oft lächerliche Weise mißlingt.

Auch die letzten Worte des anderen, der gesprochen hat, zu wiederholen, ehe man antwortet, ist eine Angewohnheit, welche recht wenig angenehm ist.

Quelle:
Ernst, Clara: Der Jungfrau feines und taktvolles Benehmen im häuslichen, gesellschaftlichen und öffentlichen Leben. Mülheim 3[o.J.]., S. 81-82.
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