Wärme

[372] Wärme, deren höhern Grad man Hitze nennt, ist eine blos von dem Sinne des Gefühls bemerkbare Erscheinung von einem eignen Stoffe verursacht, welcher den Namen Wärmestoff (Materia caloris, Caloricum) führt. Dieser, eine besondre, unsichtbare, feine, unwägbarleichte Flüssigkeit durchdringt mit abweichender Geschwindigkeit alle Körper, und löset in gehöriger Menge in ihnen angehäuft, dieselben auf, das ist, sie werden ausgedehnt, weich, sie schmelzen, sie kommen in tropfbaren, endlich in gasartigen Zustand.

Der Wärmestoff ist eins der wirksamsten Auflösungs- und Aneignungsmittel bei pharmazevtischen Operationen; wir erzeugen es durch das Feuer unsrer Oefen, und entziehen es den Körpern durch Abkühlung.[372]

Die von dem Wärmestoff nur wenig ausdehnbaren, und erweichbaren Körper werden feuerbeständige, feuerfeste (Corpora fixa, refractaria), die völlig erweichbaren schmelzliche (Corpora fusibilia), m.s. Schmelzen, die leicht verdunstbaren flüchtige (Corpora volatilia) genannt. Die übrigen Eigenschaften des Wärmestoffs, sein ruhender, sein gebundner Zustand, seine Abscheidung aus der inflammabeln und der Lebensluft beim Verbrennen, aus lebendigem Kalk und Mineralsäuren durch Wasserzusatz u.s.w. lehrt den Pharmazevtiker die Physik.

Indem die Wärme die Körper ausdehnt, giebt sie uns zugleich Gelegenheit, ihre Stärke zu messen, mittelst der Thermometer, worin sie das Quecksilber ausdehnt und seinen Umfang um ein Achtzigstel vermehrt von dem Gefrierpunkte an bis zur Hitze des siedenden Wassers. Dieser Zwischenraum wird auf den verschiednen Skalen verschiedentlich in Grade eingetheilt, so daß, z.B. der natürliche Frostpunkt auf dem Fahrenheitischen Wärmemesser 32, bei den übrigen hingegen mit 0 bezeichnet wird, der Siedepunkt des Wassers aber am Fahrenheitischen mit 212, am Reaumürischen mit 80, am Celsiussischen mit 100, u.s.w. Das leztere wird in Schweden, das zweite in Frankreich, das erste in England, Italien und Deutschland am häufigsten gebraucht. Am wenigsten gebräuchlich ist das petersburger Thermometer des De l'Isle, an welchem, umgekehrt, der Siedepunkt des Wassers mit 0 bezeichnet ist, der natürliche Gefrierpunkt aber mit 150.

Höhere Hitzgrade, die über den Siedepunkt des Quecksilbers (etwa 600° bis 709° Fahr.) steigen, werden durch die Beobachtung der in der Hitze erfolgenden Verlängerung metallener Stangen (Pyrometer) erforscht, der Apotheker bedarf aber dergleichen Zurüstungen selten oder nie.

Dagegen ist ihm die Wahrnehmung der niedrigern Hitzgrade bei seinen Arbeiten desto unentbehrlicher, und kein vorzüglicher Apotheker behilft sich bei seinen Operationen mit dem blosen empirischen Gefühle der Hand; er nimmt, wo es sich nur thun läßt, einen gut bereiteten Wärmemesser zu Hülfe.

Die Wärmegrade, bei denen einzelne Körper sich zu verdichten, wieder aufzulösen, zu schmelzen, zu kochen, und zu verflüchtigen pflegen, sind bei jeder einzelnen Substanz, wo möglich, angegeben; der Schmelzgrad der Metalle aber unter Schmelzen.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 2. Teil, Leipzig 1799, S. 372-373.
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