[70] Zwei denkwürdige musikalische Besuche bezeichneten den Ausgang des Jahres 1846. Robert Schumann und Meyerbeer kamen nach Wien. Schumann wohnte mit seiner Frau bei dem Professor des Konservatoriums Josef Fischhof, den er von seinem ersten Wiener Aufenthalt her (1838) kannte. Fischhof war eine der bekanntesten und beliebtesten Persönlichkeiten des Wiener Musiklebens. Er gehörte zu den damals noch seltenen Musikern, die über eine allgemeine Bildung, über Sprachkenntnisse und gesellige Talente verfügen. Mit Sicherheit und Eleganz im Salon auftretend, verstand er es, über musikalische Dinge leicht anregend zu sprechen. Gegen fremde Künstler war er von entgegenkommender[70] Liebenswürdigkeit und unterhielt ausgebreitete, schätzbare Beziehungen zu den musikalischen Notabilitäten des Auslandes. In Wien hat er viel für den Kultus Mendelssohns getan, auch für jene Zeit nicht Unbeträchtliches für die Kenntnis Bachs. Seine ansehnliche Bibliothek von Büchern und Musikalien machte er jungen Tonkünstlern gerne zugänglich. Wie glücklich war ich, als eines Morgens Robert Schumann, sein Töchterlein an der Hand führend, mich in meinem bescheidenen Heim überraschte und zu einer musikalischen Matinée bei Fischhof einlud. Das ganze musikalische Wien drängte sich da zusammen in Schumanns Zimmer, vier Treppen hoch im alten (jetzt demolierten) »Gundelhof«. Inmitten der einheimischen Halb- und Viertelzelebritäten auch ein erlauchter Fremder: der Dichter Josef von Eichendorff! Ein unvergleichlicher Genuß ward uns zuteil. Zum erstenmale hörte ich das Klavierquintett in Es-dur und die Variationen für zwei Klaviere, von Clara Schumann und Rubinstein aus dem Manuskript gespielt.
Bald sollte noch Schöneres, Größeres folgen. Clara gab drei Konzerte im Musikvereinssaal; Robert Schumann dirigierte in dem dritten (am 1. Januar 1847) seine B-dur-Symphonie und das von Clara gespielte A-moll-Konzert. Es wurde nur eine Orchesterprobe gemacht, und diese erregte nicht die besten Erwartungen. Nicht alle großen Tondichter sind auch gute Dirigenten. Beethoven war es nicht und auch Schumann nicht. Er taktierte bei der Probe mit leisen, unbestimmten Schlägen, das Auge fest auf die Partitur geheftet. Nur zweimal, da das Orchester außer Rand und Band geriet, klopfte er ab und ließ, ohne weitere Erklärungen, die Stelle wiederholen. Kleinere Ungenauigkeiten schien er nicht zu bemerken; offenbar hörte er die Musik mehr, wie sie in der Partitur und in seinem Innern klang, als wie das Orchester sie wirklich ausführte. Mit freudiger Erregung, zugleich mit etwas ängstlichem Herzklopfen betrat ich am Konzertabend den Saal. Der Besuch war sehr mäßig, der Applaus kühl und augenscheinlich nur für Clara gespendet. Das Klavierkonzert und die Symphonie, zwei der herrlichsten Tonschöpfungen, die wir besitzen, und beide neu für Wien, fanden wenig Anklang. Nach dem Konzert begleitete ich das Ehepaar Schumann aus dem Konzertsaal nach Hause, zwei brave, verständnisvolle Schumannverehrer, Nottebohm und Jüllig, gingen mit. Die ersten Minuten verflossen in einem unbehaglichen Stillschweigen, da jeder[71] von uns bedrückt war von der lauen Aufnahme dieses so herrlichen Musikabends. Clara brach zuerst das Schweigen, indem sie über die Kälte und Undankbarkeit des Publikums bitter klagte. Was wir anderen auch Besänftigendes zu sagen versuchten, es steigerte nur ihren lauten Mißmut. Da sprach Schumann die uns unvergeßlichen Worte: »Beruhige Dich, liebe Clara; in zehn Jahren ist das alles anders!« Und er hat Recht behalten. Zehn Jahre später gab es kaum mehr einen Klaviervirtuosen, der nicht Schumann auf seinem Programm hatte, und kein Konzertinstitut, das nicht Schumanns Orchesterstücke spielte.
Clara gab noch ein viertes und letztes Konzert, und dieses war überfüllt –, weil Jenny Lind zwei Lieder darin sang. Ein Beweis, daß man zehn Jahre früher doch eigentlich nur der jugendlichen Virtuosin zu Füßen gelegen war. Für die geistigere Kunst, die uns Clara jetzt bot, besaß Wien noch kein Verständnis. Man hatte noch viel weniger Verständnis für das Genie ihres Gatten, der sie begleitete. »Sind Sie auch musikalisch?« fragte ihn der König von Holland, als Schumann ihm in einem Hofkonzert vorgestellt wurde. Ich habe im Laufe der folgenden dreißig Jahre noch oft das Glück gehabt, Clara zu hören und zu sprechen. Schumann selbst, der mir seit seinem Wiener Besuch immer mehr ans Herz gewachsen war, als Mensch wie als Künstler, – ihn sollte ich nie wiedersehen.