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[72] Gleichzeitig mit Schumann war auch Meyerbeer in Wien. Der gesellige Schriftsteller- und Künstlerverein »Konkordia«, damals in seiner Blüte, lud die beiden Komponisten zu einem »gemütlichen« Abend. Es wäre besser gewesen, sie nicht zusammen zu bitten. Wahrscheinlich war dem Komitee das gespannte Verhältnis zwischen den beiden Meistern – durch Schumanns unbarmherzigen Artikel gegen die »Hugenotten« hervorgerufen – nicht gegenwärtig. Zum Glück saßen sie ziemlich entfernt voneinander; so recht behaglich schien sich aber doch keiner von beiden zu fühlen. Unter den Musikproduktionen dieses Abends befand sich auch ein von mir komponiertes Lied, das ein Wiener Tenorist, dem es gut in der Stimme lag, sich ausgewählt hatte. Daß Meyerbeer mein Lied gelobt hat, wäre nicht der Erwähnung wert, da er ja alles lobte, – aber eine allgemeine Bemerkung, die er[72] daran knüpfte, möchte ich nicht der Vergessenheit überantworten. »Junge Komponisten,« meinte er, »sollten nie mit der Herausgabe von Liedern beginnen. In der Flut der jährlich erscheinenden Lieder verschwinden selbst die bessern, wenn sie von einem noch unbekannten Autor herrühren. Komponisten sollten vor die Öffentlichkeit zuerst immer mit etwas Größerem treten: mit Sonaten, Quartetten, Ouvertüren, vollends mit Opern. Wird man durch diese einmal bekannt, dann kann man auch für Liederhefte auf die Teilnahme des Publikums hoffen. Aber nur ein außerordentliches Talent vermag heutzutage durch Lieder sich eine Karriere zu eröffnen.«

Meyerbeer wurde nach der Aufführung der »Vielka«, welche für ihn und Jenny Lind einen großen Triumph bedeutete, noch in einem eigenen Festabend der »Konkordia« – ohne Schumann – gefeiert. Beim Souper hatte man Meyerbeer zwischen Grillparzer und den alten Gyrowetz plaziert; an diese reihten sich die Dichter und Schriftsteller: Friedrich Halm, L.A. Frankl, Castelli, Bauernfeld, Josef Rank, Alexander Baumann. Von bekannten Musikern sah man Flotow, Lortzing, Dessauer, Proch, Hoven (Vesque von Püttlingen), Charles Mayer, Berwald (aus Stockholm), Fischhof, Dr. Becher etc. Vor dem bekränzten Porträt Meyerbeers deklamierte Anschütz einen Prolog von Friedrich Kaiser, mit melodramatischer Begleitung von Proch. Scherzhafte Gedichte von Frankl und Castelli zu Ehren Meyerbeers wurden vorgetragen, Draxler sang dessen »Mönch«, Charles Mayer spielte Klavier u.s.w. Nach Mitternacht gab alles sich ungezwungener Unterhaltung und wachsender Fröhlichkeit hin.

Da bestürmten Bauernfeld und andere Freunde Alexander Baumann, er möchte zu Ehren Meyerbeers eine ungarische Rede halten. Das war eines der köstlichsten Kunststücke dieses liebenswürdigen Virtuosen der Geselligkeit. Er konnte kein Wort Ungarisch, wußte aber den Klang und die eigentümlichen Akzente dieser Sprache in fließender Improvisation so täuschend nachzuahmen, daß jedermann darauf schwören mochte, es sei Ungarisch. Mit dem enthusiastischen Wurf und den gewaltigen Gesten ungarischer Redner, sich immer mehr ins Feuer treibend, donnerte Baumann seine Rede, in welcher man nur hin und wieder etwas wie »Hugenottoknak«, »Robertus Diabolus«, »Meyerbeerházy« u. dgl. verstand. Meyerbeer wollte vor Lachen gar nicht zur Ruhe kommen. Da mußte Baumann noch seine[73] englische Rede halten. Auch von dieser Sprache verstand er kein Wort, aber die Täuschung gelang vollkommen. Das Kunststück war dasselbe, jedoch in ganz anderer Art geistvoll ausgeführt. Während er das angeblich Ungarische mit allen charakteristischen Behelfen magyarischer Mimik und Aktion hervorgesprudelt hatte, versinnlichte nun seine englische Rede vollkommen den Typus des steifen, förmlichen Insulaners.

Ich habe nie wieder einen Menschen von so hinreißend natürlichem geselligen Talent kennengelernt. Was Baumann an Dichtungen veröffentlicht hat, ist nicht entfernt so originell und köstlich, als es seine Improvisationen im Freundeskreise waren. Die liebenswürdigsten Einfälle seines Witzes und Gemüts gab er im geselligen Verkehr aus; er gehörte zu den Menschen, die ihr Bestes nicht niedergeschrieben, sondern gesprochen haben. Das »Versprechen hinterm Herd« wird aber Baumanns Andenken gewiß noch späteren Generationen lebendig erhalten, welchen die Erinnerung an seine sprudelnde Persönlichkeit nicht mehr zustatten kommt. Dieses Singspiel ist bei all seiner bescheidenen Einfachheit ein kleines Meisterstück. Der Gegensatz zwischen dem naturwüchsigen Steierer und dem gezierten Berliner Touristen, der in die Alpen reist, um Gletscher und Wildschützjagden als Delikatessen zu naschen, ist mit der Überzeugungskraft einer ewigen Wahrheit getroffen. So plastisch die Figuren im »Versprechen«, so lieblich sind die Gesänge. Welch köstliche Melodien hat Baumann, der nicht eine Note kannte, erfunden! Er pflegte sie dem Komponisten Randhartinger vorzusingen, der sie zu Papier brachte. Die reizende Mathilde Wildauer, die berühmte Darstellerin der »Nandl«, war auch bei der Hand, die Lieder gleich zu probieren. Viele von diesen Liedern, die Baumann zu einer Sammlung »Gebirgsblümeln« zusammengestellt hat, werden jetzt für echt national gehalten, weil sie es geworden sind. Das Volk hat sich schnell assimiliert, was so ganz in seinem Geist gedichtet und komponiert war. Wie es ein Merkmal des wahren Volksliedes ist, daß man seinen Autor nicht kennt, so kennt auch das österreichische Gebirgsvolk den Namen des Mannes nicht, dem es so viele poetische Verklärung dankt. Baumanns Bild wird nie in einer der vielen Sennhütten hängen, aus denen seine Lieder uns so munter entgegenschallen. In Baumann personifiziert sich uns sehr anschaulich der Prozeß, wie das Volkslied entsteht. In einem talentvollen Menschen konzentriert sich die Anschauungs- und[74] Gefühlsweise seines Volks zu schöpferischer Kraft; er singt heraus – nicht so unbewußt, als man gerne glaubt, aber naiv im Vergleich zum Künstler –, was die Nation im engen Kreise ländlichen Lebens freudvoll und leidvoll bewegt. Poesie und Musik werden hier nur nebenbei als das Verdienst des individuellen Autors, eigentlich und hauptsächlich aber wie ein Gewinn gemeinsamen Kapitals angesehen, das sich auch sogleich wieder durch den Zuschuß solcher Prozente vermehrt. Selten erhält sich der Name der Erfinder, dieser bevorzugten Missionäre der »allgemeinen Phantasie«. Die vollkommenste Verkörperung österreichischen Temperaments und Talents, war Baumann auch äußerlich ein sehr hübscher Bursch mit treuherzigen, lebhaften braunen Augen, dunklem Haar und Schnurrbärtchen. Er ist früh gestorben.

Von den musikalischen Notabilitäten, deren Bekanntschaft ich an diesem Konkordia-Abend gemacht, sei hier nur als eine der interessantesten, der Staatsrat (später Sektionschef) im Ministerium des Auswärtigen Johann Vesque von Püttlingen genannt, der unter dem Pseudonym J. Hoven mehrere Opern und zahlreiche Lieder komponiert hat. Das Beste seines Wesens erschöpfte aber weder der eine noch der andere Name, sondern erst der harmonische Einklang beider. Der Künstler und der Diplomat, der Poet und der Weltmann flossen in Vesque zu einer der interessantesten und anmutigsten Persönlichkeiten zusammen. Von jedem der beiden Pole seiner Tätigkeit fiel ein vergoldender Schimmer auf den anderen. Der Opern- und Liederkomponist erschien der Wiener Gesellschaft verherrlicht durch seine hohe bürokratische Stellung: der Staatsmann durch seinen künstlerischen Nimbus erhoben über das prosaische Niveau seiner Amtsbrüder. Heute bedarf es freilich eines fast angestrengten Erinnerns, um uns in die politischen und geselligen Zustände des vormärzlichen Wien und damit in die eigenartige Stellung Vesques zu versetzen. Es war unerhört, daß unter Metternichs Augen ein beliebter Komponist einen der wichtigsten Posten nicht nur bekleidete, sondern durch seine eminente Fähigkeit und Arbeitskraft zierte; ebenso unerhört, daß ein Hof- und Staatsrat Opern von seiner Komposition am Kärntnertor-Theater aufführen ließ und mit allen Künstlern Wiens den regsten kameradschaftlichen Verkehr unterhielt. Letzteres obendrein in der als liberal übel angeschriebenen »Konkordia«, zu deren rührigsten Mitgliedern Vesque gehörte. In[75] dem Metternichschen Österreich hatte Vesques offenes Auftreten als Künstler geradezu eine revolutionäre Bedeutung. Entbehren konnte man ihn nicht im Staatsrate, für dessen juristisches Orakel er galt, und um das Nasenrümpfen in hohen und höchsten Kreisen scherte er sich wenig. Die Liebe zu seiner Kunst arbeitete stärker in ihm als die Sorge um sein Avancement, die er anderen überließ. Vesque, damals im kräftigsten Mannesalter, war ein auffallend hübscher Charakterkopf mit krausgelocktem dunklen Haare, kohlschwarzen blitzenden Augen, immer voll Beweglichkeit, dabei doch von ungezwungen vornehmer Haltung. Es lag in seinem Aussehen und seinem Gebaren etwas Südländisches, als rege sich in dem Wiener Kinde noch die wallonische Abkunft. Seine Unterhaltung überströmte von heiterer Anmut, von Witz und treffenden Aperçus. Er fühle sich, meinte Vesque, von meiner Doppelstellung als Jurist und Musiker verwandtschaftlich berührt und säumte nicht, mich in sein Haus einzuladen. Dort, in dem Vesqueschen Familienhause in der Jakobergasse, zur Sommerzeit in seiner Penzinger Villa, habe ich durch eine Reihe von Jahren die genußreichsten Abende verlebt, Stunden geistiger und gemütlicher Anregung und fröhlichsten Musizierens.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 72-76.
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