III.

[22] Es war im Jahre 1854, als ich in Trier zum erstenmale als bezahlter Schauspieler die Bühne betrat und zwar in der Rolle des »Manasse van der Straaten« in Gutzkows »Uriel Acosta«. Zum erstenmale wurde mir der Unterschied zwischen Dilettant und Künstler klar. Wo waren meine braven Artilleristen mit den ausgiebigen Händen zum Beifallklatschen? Mein Publikum in Wesel und Münster, das mich so überschüttet mit Beifall – wo war es? Wie habe ich es herbeigesehnt! Wenn der Dilettant in einem Liebhabertheater vor sein Publikum tritt, in den Kreis seiner Bekannten und Freunde, wie jubelt ihm da alles zu, wie täuscht sich das Publikum selbst, wenn es bereit ist, das Prädikat »ausgezeichnet« sofort in Anwendung zu bringen, wo doch meistenteils der göttlichen Kunst nichts als eine Verhöhnung zuteil wird. Du lieber Gott, wie hilflos stand ich vor dem Trierer Publikum, unter dem mich niemand kannte, niemand mir Wohlwollen entgegenbrachte. – Ich sehe mich heute noch, wie ich bald den einen, bald den andern Arm wie einen Windmühlflügel hob, bald einen Schritt vor, bald einen rückwärts, aber niemals seitwärts machte, um mich nicht, wenn ich die Fassung ganz verlor, zu weit von dem rettenden Souffleurkasten zu entfernen. Meine Sinne vergingen mir, die Liebhabertheaterroutine nützte mir gar nichts mehr – es ist ein himmelhoher Unterschied zwischen Liebhaberei und Broterwerb – ich konnte absolut die Würde des alten Van der Straaten nicht herausbringen. Erst vernahm ich ein Kichern, später ein herzliches, um nicht zu sagen[23] höhnisches Lachen im Auditorium – ich ging ab, und jenes ominöse Zischen, das den Schauspieler empfindlicher berührt, als den Reisenden das Zischen einer Lokomotive, wenn er den Zug verpaßt, begleitete mich bis in die Garderobe.

Im Zwischenakt kam der Direktor Werdermann auf die Bühne. Der Mann war bisher so freundlich, sein Benehmen das eines Kavaliers, er war preußischer Lieutenant gewesen und aus guter Familie, aber den Blick, den der Mann mir zuwarf, vergesse ich nicht – er war zu schrecklich; so voller[24] Vorwürfe, so voll Verzweiflung hatte mich mein Hauptmann in Münster nicht angesehen, als ich Komödie gespielt hatte. Ich kam mir vor, als hätte ich durch mein entsetzliches Debüt die Direktion des Stadttheaters in Trier ruiniert. So weit ich dieses Theater kennen gelernt, sind zum Glück geringfügige Anlässe genügend, um seinen Ruin herbeizuführen. Das Publikum in Trier interessiert sich nicht sehr für Theater und mancher Direktor ist dort zu Grunde gegangen, auch der meinige verfiel später diesem Schicksal; ob ich die Ursache war, ist mir nie recht klar geworden.

Die Kritik in der Trierer Zeitung feierte mein erstes Debut mit folgenden Worten:

»Herr Junkermann, unzweifelhaft noch ein junger Anfänger, spielte den Manasse van der Straaten – wir hoffen, diesen biedern Mimen zum ersten und letztenmale auf unserer Bühne gesehen zu haben.«

Am andern Morgen erhielt ich natürlich meine Kündigung, denn ich war dem Direktor die 18 Thaler Monatsgage, die ich beziehen sollte, offenbar nicht wert.

Trübe Stimmungen und harte Zeiten kamen über mich.

Gleichwohl trat bald nachher ein Umstand ein, der mir zu statten kam, weil er mich auf die Bahn führte, auf welcher mir dankbarere Aufgaben erwachsen sollten. Es erkrankte der Komiker der Trierer Bühne, Weirauch (ein Bruder des weiland berliner Possendichter und Komiker Weirauch); der Zettel von dem Feldmannschen Lustspiel »Der Sohn auf Reisen«, in welchem Stücke Weirauch abends den Peter spielen sollte, war bereits ausgetragen, als Weirauch plötzlich starb.

Ich hatte die Rolle auf meinem Repertoire stehen – hatte sie nicht gelogen, sondern wirklich gespielt auf dem Artillerie-Liebhabertheater zu Wesel, der alte Major v. Derschau und der Oberstabsarzt Deetz hatten ihre helle Freude daran gehabt. Der Direktor Werdermann schrieb mir also in seiner Not um die Abendvorstelluug, ob ich die Rolle nicht übernehmen wolle. Er wolle mir auch einen Thaler dafür als[25] Honorar geben, ich möge ihm nur die Vorstellung retten, es könne mir ja egal sein, ob ich nochmals verhöhnt würde, ich hätte dann doch einen Thaler und könnte damit bis zum nächsten Theaterorte reisen, um dort mir durch Kollekte weiter zu helfen.

Ich machte seine Logik auch zu meiner eigenen. Meine vierzehntägige Kündigungszeit war vorüber, ich saß schon einige Tage ohne Verdienst in Trier, meine Ersparnisse waren aufgezehrt – Hunger thut weh – ich griff zu und acceptierte den Vorschlag, machte schnell Probe, die Rolle konnte ich gut auswendig, und wagte mich damit abermals auf die weltbedeutenden Bretter mit einem Thaler Honorar in Aussicht. Ich wollte mir auf den Thaler einen kleinen Vorschuß geben lassen – der Direktor lehnte aber ab, er traute mir wohl nicht und befürchtete, ich würde vor der Vorstellung damit durchgehen.

Vor dem Theater in Trier lag damals eine Wirtschaft, in der man guten Apfelwein trank. Hammer hieß der damalige Wirt. Der gute Mann borgte mir bis nach dem Theater, wo ich mein Honorar erhielt, das Getränk, dessen ich zur Stärkung und zur Erlangung des nötigen Mutes zu meinem Vorhaben bedurfte. Der Apfelwein, zu viel genossen, giebt eine rabiate Stimmung, ich trank mir Mut, weil ich glaubte, ich könne ohne diesen meine Aufgabe des Abends nicht erfüllen – ich trank beinahe zu viel – allein ich war nun erst in der richtigen Stimmung, in die mich der Direktor durch seinen Brief versetzen wollte, und ich phantasierte auf dem Wege vom Wirtshause bis zur Garderobe von nichts anderem als von den Erfolgen des Peter auf dem Weseler Liebhabertheater, dachte mir, warum sollen in Trier die Menschen so ganz anders als in Wesel sein, laß sie doch lachen, 's ist ja eine komische Rolle, und mit einer Frechheit trat ich vor die Rampen, um die ich mich in späteren Jahren oft beneidet habe. Jugend, Verzweiflung und Apfelwein – sie vermögen viel!

Ich spielte, man lachte, ich wurde dreister, man rief mich nach dem ersten Akte heraus – ich gefiel, man rief mich zum[26] Schlusse des Stückes nochmals, die guten Trierer hatten einen vergnügten Abend verlebt – und ich auch.

Am andern Tage schrieb die Kritik: »Wir müssen unser hartes Urteil über Herrn Junkermann zurücknehmen und alles auf die Direktion wälzen, die es nicht verstand, den jungen Mann in dem ihm zusagenden Fache zu verwenden.« –

Donnerwetter, war ich stolz! Ich ging spazieren, um mich sehen zu lassen, da begegnet mir der Theaterdiener mit einem Briefe der Direktion an mich in der Hand, er gibt ihn mir, ich öffne und lese: »Geehrter Herr! Wenn Sie für 12 Thaler monatlicher Gage im Engagement verbleiben wollen, nehme ich meine Kündigung zurück. Werdermann, Direktor.«

Ich blieb, bekam komische Rollen und gefiel auch noch mit 12 Thaler Gage.

So unglaublich es heute klingt, man konnte damals in Trier mit 12 Thaler monatlich leben, ja ich habe mir noch ein paar Pfennige dabei gespart! Allein Trier ist nun einmal eine Stadt, die nicht die ganze Saison Theater liebt, der Direktor Werdermann mußte wie so viele seiner Vorgänger und Nachfolger die Trierer Bühne mitten in der Saisen wegen Mangels an Besuch schließen. Das Personal zerstob in alle Winde. Wer sich retten konnte, that es. Der eine zog ins Vaterhaus, der andere in ein neues Engagement, und wer beides nicht hatte, suchte sich durch Vorstellungen auf eigene Faust arrangiert, das Leben zu fristen.

So ging mir's. Zu meinem Vater wollte ich nicht zurück, ich hatte ohne seinen Willen meine Laufbahn gewechselt – ich wollte ihm nicht mehr zur Last fallen.

Ein in früherer Zeit und in seiner Art berühmter Schauspieler namens Dotter vereinigte sich mit mir und einer Sängerin, Riefenstahl, zu einer Konzert-Tournee. Herr Dotter hatte als »Essighändler« und »Viehhändler von Oberösterreich« eine gewisse Berühmtheit in der Theaterwelt erlangt, als Deklamator mangelte ihm jedoch jeglicher Ruf. Er meinte, ohne Subskription zögen wir das Publikum der Kleinstädter nicht[27] in den Konzertsaal; ich besaß noch einen braunen, halbrund weggeschnittenen Frack mit goldenen Knöpfen, und mit diesem Kleidungsstück angethan hielt mich Herr Dotter für außerordentlich geeignet, von Haus zu Haus mit dem Subskriptionsbogen zu laufen, um die Leute zu uns ins Konzert zu locken.

Ich hatte damals den »Rummel« nicht los, unsere Ware anzupreisen, und meistens wurde ich mit den lakonischen Bemerkungen: »Bettelei, hier wird nichts gegeben« – »Das geht den ganzen Tag hier so« – abgewiesen. Wenn ich dann abends mit dem mageren Subskriptionsbogen ins Hotel kam, empfing mich Herr Dotter mit saurer Miene und meinte: »Damit können wir ja nicht einmal unsere Hotelrechnung bezahlen.«

Ich muß hier bemerken, daß Herr Dotter die reine Falstaffnatur war – er war so dick, wie ich später nie durch unmenschlich starke Wattierungen die Fallstaffmaske fertig gebracht,[28] und als Schlemmer war er Fallstaff auch »über!« Während ich im Schweiße meines Angesichts die wenigen Groschen zusammenbrachte, hatte Dotter das zehnfache verzecht, die Verzehrungskosten wurden gemeinschaftlich getragen und zuerst von der Totaleinnahme in Abzug gebracht. Du lieber Gott, es ist nie zu einem Ueberschuß gekommen! Das Unternehmen verkrachte, und ich flüchtete mich zu einer mitleidigen Tante in Aachen, die mich zu meinem Vater nach Bielefeld spedierte.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 22-29.
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