XX.

[162] Die Ferien begannen. Ich brauchte zur Herstellung meiner Gesundheit – ich war von einem Halsleiden befallen – und zur Beruhigung meiner aufgeregten Nerven einen Aufenthalt am Meere! –

An einem wunderschönen Junitage des Jahres 1887 begab ich mich in Hamburg an Bord des Salondampfers »Freya«, welcher dreimal wöchentlich die Reise von Hamburg nach Wyk macht, um mich in Wyk von den Nachwehen meiner Krankheit und den Strapazen des Winters zu erholen. Stolz durchfurchte das prächtige Schiff die Wellen. Die Sonne lachte so freundlich herunter – mir ging das Herz auf. Alles Leid und aller Gram trat vor der Schönheit des Morgens zurück. Die Elbe sah so ruhig und harmlos aus, kein Lüftchen regte sich, ich glaubte auf eine gute Ueberfahrt schließen zu dürfen. Aber schon vor Cuxhafen wurde es anders, das Schiff fing sehr bemerklich an zu schwanken, und kaum waren wir auf der Höhe von Neuwerk, als auch schon ein Teil der Passagiere in den unteren Räumen des Schiffes verschwand. Ich hatte mir auf der Strecke zwischen Hamburg und Cuxhafen die Zeit mit Essen und Trinken vertrieben, die angenehmste Beschäftigung auf diesem langweiligeren Teile der Reise. Vorsicht ist zu allen Dingen gut, da man auf einer Seereise nie wissen kann, wie es kommt. War es nun der kompakte Grund, den ich gelegt hatte, oder neigte ich überhaupt nicht zur Seekrankheit, kurz ich fühlte mich außerordentlich wohl, stand am Bugspriet und freute mich über jede Spritzwelle, die der ehrwürdige Neptun zum Gruß über Bord und in mein Gesicht sandte. Sonne und Seewasser hatten mich, als Helgoland in Sicht[163] war, schon so schön kaffeebraun gefärbt, daß mich jeder Kameruner ohne Zögern für seinen Landsmann erklärt hätte. Der einzige Unterschied war meine civilisierte Toilette und meine sokratische Frisur.

Wir hatten uns der interessanten Insel soweit genähert, daß die wie aus einer Spielschachtel genommenen Häuser Helgolands schon zu erkennen waren, selbst einige Hammel konnte ich durch mein Glas unterscheiden, die melancholisch auf der Klippe das magere Gras abweideten. Böllerschüsse und Musik begrüßten unser Schiff, ganz Helgoland hatte zu Ehren des Regierungs-Jubiläums der Königin Viktoria von England geflaggt, ebenso sämtliche Schiffe, die um Helgoland herum lagen. Es war ein schöner farbenprächtiger Anblick.

Leider wurde ich in dem Genuß des Schauens durch ein ganz eigentümliches Gefühl gestört. Anfangs schien mir, als krabbelten Ameisen mir im Magen herum, und dann ging es mir so wie dem »Schiffer im kleinen Schiffe«, »mich ergriff es mit wildem Weh«, und plötzlich hatte ich den heißesten Wunsch, festen Boden unter meinen Füßen zu haben. Es war ein greulicher Zustand, mein ganzer innerer Mensch war in Bewegung. O, dieser Neptun! Eine Rose fiel aus meinem Knopfloch über Bord. Ich wußte ja, daß die heidnischen Götter durch Opfer verwöhnt sind, und glaubte durch diese duftige Rosenspende mir die Gunst Poseidons errungen zu haben. Welche Täuschung! Selbst die Götter sind mit der Neuzeit vorgeschritten und gehen aufs Reelle. Unter diesen Umständen zog ich es vor, mich schleunigst in die Kajüte zu begeben, um im verborgensten Winkel meinen bewegten Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Das Meer war sehr stürmisch geworden, ich sah es zwar nicht, hörte und fühlte es aber um so mehr. Das Schiff ächzte und stöhnte, wie die seekranken Passagiere. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde herumgeschleudert – also auch ich! Bald kollerte ich vom Sofa herunter, bald stand ich auf dem Kopfe, als ich kaum festen Fuß gefaßt zu haben glaubte. Zu allem Elend kam auch noch das Menu in verkehrter Reihenfolge wieder[164] zum Vorschein, und wenn ich jetzt wie ein Täuberich ohne Galle herumlaufe, ist nur die ausgiebige Seekrankheit daran schuld. Wenn »am Ende die Wellen Schiffer und Kahn verschlungen hätten« – ich hätte mir nichts dar aus gemacht, so erbärmlich war mir zu Mute.

Aber alles nimmt ein Ende, auch mein Leiden milderte sich, als die »Halligen« in Sicht waren und unser Schiff im seichten Wattenmeer zu rollen aufhörte. Ich wurde so peu à peu wieder normal, bis auf einige Kopfschmerzen, und erschien wieder auf dem Verdeck, von malitiös lächelnden Gesichtern begrüßt. Das war nun aber die reine Verstellung von meinen Reisegefährten, denn an diesem Tage hat fast jeder seinen Tribut geopfert, und von nichts sahen die betreffenden Visagen nicht so grüngelb aus. Ich glaubte auf dem »Fliegenden Holländer« zu sein, was die Couleur anbelangt. Natürlich lächelte ich noch nichtswürdiger und bewunderte mit geheuchelter Unbefangenheit das Meer und die immer näher rückende Küste. Eine Insel nach der andern tauchte auf. Columbus, als er Amerika entdeckte, konnte keine größere Freude gehabt haben, als ich.

Wie schön ist doch das Meer – vom Lande aus betrachtet!

Kurz vor Amrum liegt eine flache Düne, welche sich ziemlich weit ins Meer hinausstreckt und den Namen Seesand führt, auf dieser tummelten sich eine Unmasse Seehunde, nach Schätzung des Kapitäns 80–100 Stück.

Endlich war Föhr in Sicht, und bald kam auch der Zolldampfer, um die Passagiere abzuholen und sie der Insel ein Stück näher zu führen, wo sie dann endlich in kleinen Booten aus Land gesetzt werden. Bei Flut ist freilich die Landung bequemer, der Dampfer fährt dann direkt an die Brücke.

Welch ein Hochgenuß war es, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, denn:


»Ein Vergnügen eig'ner Art

Ist so eine Wasserfahrt!«
[165]

Wyk ist ein reizend, idyllisch gelegenes Seebad, hat milde Luft und vorzügliche Verpflegung, und eignet sich wie kein zweites zur Erholung angegriffener Nerven. Ich habe es an mir erfahren.

Zwar in den ersten Tagen nach meiner Ankunft brauchte man nur »Wasserfahrt« zu sagen, und alles schwankte wieder unter meinen Füßen, selbst mein Bett hatte in der ersten Zeit merkwürdige Neigung dazu, aber glücklicherweise verging dieser Zustand bald, und ich wurde Neptun bis auf meine spätere Wasserfahrt über den Ozean »über«.

Am Meeresstrande auf der freundlichen Insel Wyk begann ich meine Memoiren zu schreiben. Bis zum Sonnenuntergange lag ich oft im Sande am Meere, ein Zelt hatte ich dort aufgeschlagen, in dessen Schatten ich über mein Schicksal nachdachte. Ich war so ziemlich der einzige Badegast, denn im Juni pflegt das Seebad noch leer zu sein, und als Wyk anfing sich zu füllen, war es Zeit für mich, aufzubrechen um meinen kontraktlichen Gastspielverpflichtungen in Köln und Ems nachzukommen.

Nachdem ich ein 14tägiges Gastspiel in Köln absolviert bei welcher Gelegenheit ich das Jubiläum der 500sten Darstellung meines »Onkel Bräsig« gefeiert, reiste ich nach Ems, aber als ich dort zweimal aufgetreten, erkrankte ich und war genötigt, Ems als Kur zu gebrauchen.

In dieser Zeit verhandelte ich mit Direktor Amberg aus New-York wegen Gastspiel für Oktober, November und Dezember 1887. Da ich aber für diese Zeit noch nicht frei war, schrieb ich folgenden Brief an Herrn v. Tscherning in Stuttgart:


»Hochverehrter Herr Präsident!


Bis heute warte ich vergebens auf die in Ew. Hochwohlgeboren Schreiben vom 18. Juni mir in Aussicht gestellten Vorschläge wegen der Zeit meines Austritts aus dem Dienste des Hoftheaters, sowie auf eine geneigte Antwort auf mein ergebenes Schreiben vom 17. Juni.

Dürfte ich Ew. Hochwohlgeboren um geneigte Antwort hierauf[166] abermals ersuchen? Ich habe mein Berliner Engagement rückgängig gemacht und bleibe in Stuttgart wohnen, und es kann mir daher nicht gleichgültig sein, wie Se. Majestät der König, das Publikum und die Presse die Ursache meines Abganges vom Hoftheater beurteilen. Auf dieser Welt ist alles wandelbar, und es ist ja nicht unmöglich, daß wieder einmal eine andere Hoftheaterver waltung eintritt, die meine Verdienste um das Stuttgarter Hoftheater anerkennt und meine bescheidenen Wünsche erfüllt, worauf ich mit Freuden an die Stätte meines langjährigen Wirkens zurückkehre. Ich möchte mir daher vor allem die Gunst des Königs nicht durch Entstellung der Thatsachen verscherzt haben. Wird Se. Majestät der König durch Ew. Hochwohlgeboren nicht die wahren Beweggründe meiner Vertragskündigung erfahren, so bin ich gezwungen, andere Wege einzuschlagen, um das Ohr des Königs zu erreichen. Meine erste Bitte ging daher an Ew. Hockwohlgeboren, dem Könige zu sagen, was mich forttrieb. Ich bitte nochmals darum und um geneigte Antwort.

Mit vorzüglicher Hochachtung

A. Junkermann.«

Ems, den 14. August 1887.


Hierauf kam folgende Antwort an mich nach Ems:


»Euer Wohlgeboren


beehre ich mich auf Ihr Schreiben vom 15. d.M. nachstehendes ergebenst zu erwidern:

Ich habe seiner Zeit nicht ermangelt, Seiner Königlichen Majestät über die Gründe Ihrer Dienstkündigung – unter Vorlegung Ihres Briefes vom 13. Juni d.J., worin Sie selbst sich darüber eingehend äußerten, was Sie zu Ihrem Schritte veranlasse, – Vortrag zu erstatten und habe darauf in meinem Schreiben vom 18. desselben Monats mit Allerhöchster Ermächtigung Ihnen die Annahme Ihrer Kündigung pro 18. Dezember d.J. mitgeteilt. Inzwi schen Ihnen eine weitere Nachricht zu geben, hatte ich keine Veranlassung, weil Ihrem Gesuche, die wahren Gründe für Ihre Kündigung zur Kenntnis seiner Königlichen Majestät zu bringen, schon vorher entsprochen worden war, und weil die eingeleiteten Unterhandlungen zur Gewinnung eines gleichbaldigen Ersatzes keinen Erfolg hatten, wonach es eben bei dem genannten Termin[167] (18. Dezember d.J.) für Ihren Austritt aus dem hiesigen Engagement sein Verbleiben behält.

Ihr Krankheits-Attest habe ich sofort an die Intendanz abgegeben und wünsche ich Ihnen eine recht baldige, vollständige Genesung.

Hochachtungsvoll etc.

Stuttgart, den 16. August 1887.

Der Hofkammer-Präsident,

Tscherning.«


Meine Frau, die auch in Stuttgart mit definitivem Kontrakte seit 15 Jahren angestellt war, schrieb mir nach Ems, Herr Werther habe ihr mitgeteilt, sie möge sich auch nach einem andern Engagement umsehen, und so einer Kündigung zuvorkommen, die für sie nicht ausbleiben würde! Ein neuer schlagender Beweis, wie leicht und aus welchen Gründen definitive Kontrakte in Stuttgart gelöst werden. Meine Frau hatte selbständig (nicht in Gemeinschaft mit mir) einen definitiven Kontrakt mit der königl. Hofbühne abgeschlossen. Der Kontrakt meiner Frau wurde also durch meine Kündigung gar nicht alteriert, als aber das Gerücht sich weiterverbreitete, der Kontrakt meiner Frau werde von der Hofkammer gekündigt, ging sie zu Herrn v. Tscherning, welcher ihr bestätigte, daß allerdings ihre Kündigung in Erwägung gezogen worden sei. Als meine Frau entgegnete, daß man uns ja so oft versichert hätte, definitive Kontrakte würden nicht gekündigt, sagte Herr v. Tscherning: »ja die Frau müsse mit dem Manne leiden!«

Nun zweifle ich heute noch, daß diese Handlungsweise in den Intenionen Sr. Majestät lag, ich bin vielmehr überzeugt, daß weder der Fall mit Albert Jäger und Link, noch mit meiner Frau unter Herrn v. Gunzert möglich gewesen wäre!!!

Werther hatte meiner Frau erklärt, er würde sie halten, so lange er könne, da er ihr Talent schätze. Bei treuer Pflichterfüllung[168] und Brauchbarkeit lag gar nichts gegen meine Frau vor, nicht einmal der Ruf der Unzufriedenheit. Weder sie noch ich glaubten im Entferntesten an ihre Kündigung – da sie aber in den Absichten des Herrn v. Tscherning lag, hielt ich es für ehrenvoller ihm zuvorzukommen und auch meine Frau von dieser Bühne abtreten zu lassen, worauf Herr v. Tscherning wohl gerechnet hatte, als er Werther mit seiner Mission an meine Frau betraute. Diesmal wenigstens täuschte er sich nicht, denn sofort bat ich auch um die Entlassung meiner Frau und erhielt umgehend folgendes Schreiben darauf:


»Euer Wohlgeboren


beehre ich mich auf Ihr Schreiben vom. 28. d.M. ergebenst zu erwidern, daß ich gestern noch in einem Anbringen an Se. Königl. Majestät um die Ermächtigung gebeten habe, Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin nachgesuchte Entlassung entweder sofort oder auf 1. Oktober d.J. erteilen zu dürfen. An der Genehmigung dieses Antrags ist nicht zu zweifeln. Meine und des Herrn Intendanten Ansicht geht nun dahin, daß, um Ihr Ausscheiden aus dem hiesigen Theaterverbande etwas friedlicher zu gestalten, Sie beide noch während des ganzen Monats September hier aktiv bleiben sollten, und daß dann der Austritt auf 1. Oktober realisiert werden sollte. Ich glaube, daß dies in wohlverstandenem beiderseitigen Interesse gelegen ist, und bitte daher, gefälligst umgehend der Intendanz anzuzeigen, von welchem Tage an Sie sich für den Dienst zur Verfügung stellen.

Die zugehende Höchste Entschließung werde ich Ihnen seinerzeit gleichbald mitteilen, ohne daß Sie jedoch solche in Ems abzuwarten brauchen.

Hochachtungsvoll

Stuttgart, den 30. August 1887.

Der Hofkammer-Präsident

Tscherning.«


Nach wenigen Tagen erhielt ich auch noch folgende Bekräftigung:


[169] »Euer Wohlgeboren


beehre ich mich ergebenst mitzuteilen, daß die K. Genehmigung zu Ihrem und Ihrer Frau Gemahlin Dienstaustritt nunmehr erfolgt ist, wonach Ihrem amerikanischen Kontrakt nichts mehr im Wege steht. Es freut mich, daß Sie demnächst hier wieder eintreffen und den laufenden Monat noch unserer Bühne nützlich sein werden.

Hochachtungsvoll

Stuttgart, den 2. September 1887.

Hofkammer-Präsident Tscherning.«


Ich reiste nach Stuttgart zurück. Man hatte mir zum 30. September noch den »Onkel Bräsig« als Abschiedsrolle angesetzt – – ich vermochte nicht zu spielen, die Wehmut hätte mir die Stimme abgedrückt, ich ließ absagen. Herr v. Werther schickte mir einen sehr schönen Lorbeerkranz ins Haus als Lohn für meine 17jährige Thätigkeit. Derselbe war begleitet mit folgender Karte:


Geheimer Hofrat Dr. Julius von Werther,

Königl. Hoftheater-Intendant,


spricht persönlich nochmals sein lebhaftes Bedauern über den Abgang eines so bedeutenden und hochverdienten Künstlers wie August Junkermann aus, und wünscht ihm und seiner Gattin, welche Jahre hindurch dem Repertoire in gewissenhaftester Weise genützt hat, alles Heil auf der ferneren Lebensbahn!

Stuttgart, den 29. September 1887.


Sang- und klanglos verschwand ich ohne Pension von einer Bühne, der ich meine beste Zeit und meine beste Kraft gewidmet und die mir nach fast 17 Jahren noch kein Heimatsrecht einräumen wollte!!

Von dem Könige verabschiedete ich mich durch folgendes Schreiben:


»Eurer Königl. Majestät


wage ich in aller Ehrfurcht vor meinem bevorstehenden Abgange nach mehr als 16jähriger ununterbrochener Thätigkeit an der Kgl.[170] Hofbühne meinen unterthänigsten Dank zu Füßen zu legen für das Allerhöchste Vertrauen, sowie für die Königliche Nachsicht, wie es mir von Allerhöchstdemselben bisher gnädigst zu teil geworden ist. Ich glaube hieraus schließen zu dürfen, daß ich das Glück hatte, Ew. Königlichen Majestät bisweilen einige heitere Augenblicke bereitet zu haben. Wenn ich demungeachtet aus eigenem Antrieb aus dem Verbande der Königlichen Bühne scheide, um zunächst den eingegangenen Verpflichtungen im Auslande nackzukommen, so glaube ich doch, es Ew. Königl. Majestät nicht verschweigen zu dürfen, daß es nur die eigentümlichsten Umstände waren, welchen mich zu meinem Schritte veranlaßten.

Bei verschiedenen Gelegenheiten wurde mir zun öfte ren eine Erleichterung und Verbesserung meiner kontraktlichen Verbindlichkeiten in baldigste Aussicht gestellt. Ich hatte nach 16 Jahren immer nur um die Vergünstigung nachgesucht, die andern Mitgliedern auch zu teil geworden: eine lebenslängliche Anstellung und Erweiterung meines Urlaubs um 14 Tage, allein es wurde mir immer nur in Aussicht gestellt.

So nehme ich denn von Ew. K. Majestät Huld und Gnade ehrerbietigsten Abschied mit dem aufrichtigen Wunsche, Gott möge Ew. K. Majestät dem Lande noch lange gesund erhalten.

In tiefster Ehrfurcht

Ew. K. Majestät

zeitlebens treugehorsamster Diener

A. Junkermann.«


Ueber die Gründe und Ursachen der Nichterfüllung meiner Bitte um lebenslängliche Anstellung blieb ich im Dunkeln! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es ist mir nicht an der Wiege gesungen, daß ich Schauspieler werden würde. Es ist eine dornenvolle Bahn. Intriguen aller Art, das Sichvordrängen der Mittelmäßigkeit und oft deren Sieg durch unlautere Mittel, das ewige Stoßen und Drängen, um nicht verdrängt zu werden, und zum Schluß, wenn man seine schönsten Jahre, seine besten Kräfte eingesetzt, muß man »zum Städtle 'naus«, sich ein neues Heim schaffen.[171] Aber dann wieder die schönen, hinreißenden Seiten des Berufes, das berauschende Gefühl, ein ganzes Publikum gerührt, erheitert, oft als begeisterter Apostel eines wahren Dichters mit sich fortgerissen zu haben – ja, diese Momente lassen alles Weh verstummen, und mit Ueberzeugung spreche ich es aus: »Wenn ich nochmals zu wählen hätte, ich würde zu keiner anderen Fahne, zu keinem anderen Lebensberufe schwören.«

Dank dir, mein alter guter Fritz Reuter und deinem erquickenden, verjüngenden Humor, ich fühle mich noch frisch genug, den Wanderstab aufs neue in die Hand zu nehmen, aber meine Gedanken werden gewiß noch oft und gern nach der lieben paradiesischen Schwabenstadt zurückwandern; – ich will sie nicht daran hindern, denn zwei so schöne Abende wie der meines Jubiläums und der meines Wiederauftretens nach dem Unglücksfall werden mir unvergeßlich bleiben, und die mir früher bewiesene Gnade des Königs, die ich mir auch nicht bewußt bin, später verscherzt zu haben, wird in meiner dankbaren Erinnerung stets fortleben!!!

Und nun, mein liebes Stuttgarter Publikum, hab Dank, tausendfachen Dank für die so vielfachen seligen Momente, die du mir geschaffen – ich sage dir herzlich: Lebewohl!

Zu dem bittern Weh, welches mich bei meinem Scheiden von der lang gewohnten Kunststätte erfüllte, gesellte sich eine große Freude, welche mir noch am Schlusse meiner Thätigkeit am Stuttgarter Hoftheater vom Großherzog von Mecklenburg-Schwerin durch folgendes Schreiben zu teil wurde:


Es ist Mir berichtet worden, daß Sie sich um die Verbreitung der Werke Fritz Reuters, eines Dichters, den Mecklenburg mit Stolz den Seinen nennen durfte, ein hervorragendes Verdienst erworben haben, Ich nehme hieraus gern Veranlassung, Ihnen Meine Anerkennung für Ihre einem vaterländischen Autor gewidmeten Leistungen auszusprechen,[172] und als Beweis Meine Dankes die beikommende Verdienst-Medaille in Gold und mit dem Bande zu verleihen.

Jagdhaus Gelbsande, den 30. September 1887.

Friedrich Franz.

An

den Hofschauspieler.

August Junkermann

in Stuttgart.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 162-173.
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