XXI.

[173] Am 2. Oktober trat ich mit meiner Frau die Reise nach New-York an.

Den 3. und 4. Oktober blieben wir in Bremen, natürlich bei Freund Hillmann. Es wurde von alten Zeiten geplaudert. Fritz Hillmann machte mich mit dem Kapitän bekannt, der uns über den Ozean bringen sollte, und am 5. Oktober fuhren wir nach Bremerhaven.

Gegen mittag wurden wir auf einem kleinen Dampfer zu unserem Steamer geführt. Die »Trave« lag majestätisch vor Anker; als wir in ihre Nähe kamen intonierte das Orchester fröhliche Weisen, der Kapitän Willigerod empfing uns mit seinen Offizieren an Bord. Die Zwischendeckpassagiere waren schon am frühen Morgen eingeschifft, und bald nach unserer Ankunft setzte sich die »Trave« in Bewegung.

Wir hatten unsere Kajüten in Besitz genommen, uns wohnlich eingerichtet und gingen wieder auf Deck.

Das Orchester spielte immer noch heitere Melodien, die mit meiner Stimmung nicht recht harmonieren wollten. Ein eigentümliches Gefühl durchzieht die Brust, wenn es gilt, das geliebte Deutschland dem Auge entrückt zu sehen und sein Geschick den Wellen des Ozeans anzuvertrauen.

Wir waren gegen tausend Personen an Bord, ca. 300 Kajütpassagiere und 700 Zwischendecker.

Der Tenorist Bötel von Hamburg hatte sich mit uns nach New-York eingeschifft, auch er hatte mit Direktor Amberg für das Thalia-Theater Gastspiel abgeschlossen. Wir kannten[174] uns bis dahin nicht, traten aber sofort mit einander in engeren Verkehr. Auf dem Dampfer schließen sich Menschen leichter aneinander an, als auf dem weiten Festlande. Man mustert sich, nähert sich und es bilden sich bald die intimeren Gesellschaftskreise.

Wir hatten in der I. Kajüte angenehme Reisegefährten. Amerikaner, die aus deutschen Bädern in ihre Heimat zurückkehrten, deutsche Kaufleute, die in Geschäften auf Monate nach Amerika reisten, Auswanderer, die für immer ihr Glück in Amerika suchen wollten, und Deutsche, die in Amerika Reichtümer erworben, in der alten Heimat ihre Verwandten besucht hatten, und nun wieder nach Amerika zurückkehrten. Auch viele Engländer, die die Reise auf den neuen, elegant eingerichteten Steamern des Bremer Lloyd den englischen Dampfern vorzogen, waren an Bord. In Southampton erhielten wir von letzteren noch großen Zuwachs.

Willigerod, der die Trave führt, ist ein so tüchtiger Kapitän, daß man ihm sein Dasein für die Fahrt über den Ozean gern anvertraut. Die Liebe und Verehrung, die er bei seinen Untergebenen genießt, die Freundlichkeit seines Wesens, das mächtige Baßorgan, das er in seinen Kommandos ertönen läßt, die liebenswürdige Art in seinem Verkehr mit den Passagieren, haben ihm dies Vertrauen erworben. Dazu die imposante Körperstärke, daß man meint, er brauche bei einer starken Neigung des Schiffes nach der einen Seite hin bloß auf der Kommandobrücke auf die andere Seite zu treten, um sofort das Gleichgewicht des Schiffes wieder herzustellen.

Sein Schiff ist mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattet und elektrisch beleuchtet; ein prachtvoll luxuriöser Speisesalon, in dem gegen 300 Personen bequem Raum haben, ein ebenso eleganter Damensalon, zwei Rauchsalons im altdeutschen Stile, eine Konditorei, eine Bäckerei, verschiedene Badezimmer, in denen kalte und warme Seebäder zu haben, ein Rasier- und Frisiersalon, alles, was der Mensch braucht, ist auf dem Schiffe.

Auf Deck lassen sich schöne und lange Spaziergänge machen.[175] Das Orchester, welches in ziemlich vollständiger Besetzung aus den Stewards der II. Kajüte zusammengesetzt ist, spielt morgens von 10–11 Uhr auf Deck, um 6 Uhr zur Table d'hôte und abends im Salon der II. Kajüte, dem sogenannten Tingel-Tangel. Alle diese Dinge bieten die angenehmste Zerstreuung, so lange der Mensch sich der Gunst Neptuns erfreut und nicht von der bösen Seekrankheit befallen ist – hat diese uns armen Landratten aber einmal gepackt, ists aus mit allen Herrlichkeiten, mit jeder Freude am Dasein.

Anfangs ging unsere Fahrt gut von statten, die Sonne lachte herrlich auf uns herunter. Die kurzen Stoßwellen der Nordsee, die das Schiff in weit unangenehmere Bewegung bringen, als die großen Wellen des Ozeans, waren bei dem herrlichen Wetter weniger fühlbar, und ich sah die Flut gar nicht mehr mit dem Mißtrauen an, das sie mir vor Jahresfrist auf der Fahrt nach Helgoland und Wyk eingeflößt hatte. Aber der Kanal sprach schon deutlicher mit uns, er hat sein heimtückisches Renommee nicht umsonst.

Ich fühlte wieder das Ameisengekrabbel im Magen, auch meine Frau sah mich so mißvergnügt an und fragte: »Na, gehts los bei dir?«

»Ih, Gott bewahre,« sagte ich mit geheucheltem Heldenmute, »ich muß mir nur ein bißchen Bewegung machen« – und verschwand.

Um die Bewegung war mirs nicht zu thun, für die sorgte das Schiff von selber, denn es fing bedenklich an zu rollen, so daß ich wie ein Betrunkener über das Deck schwankte und meine Bewegung gar nicht mehr von meinem Willen abhängig machen konnte.

Das Geländer des Decks war von Neugierigen besetzt, die mit bleichen Mienen das Meer anstarrten. So glaubte ich wenigstens, als ich mir aber zwischen ihnen eine Lücke suchte, um Neptun mein erstes Opfer zu bringen, bemerkte ich, daß meine Umgebung mir in der Opferwilligkeit nicht nachstand.

Zu meiner Frau zurückgekehrt, sah ich, daß sie mit Hilfe zweier[176] Stewards sich erhob, wankte und sich der Führung der beiden völlig überließ. Der eine der beiden Stewards drückte mir schnell ein blechernes Geschirr in die Hand, um seine Hände besser der Stütze meiner Frau widmen zu können. Die beiden Stewards brachten sie die Treppe hinunter, die zum Salon und von dort zu den Kajüten führt – ich folgte willenlos den Bewegungen des schaukelnden Schiffes, mit dem ominösen Blechgeschirre bald nach rechts bald nach links schwankend, als wandelnde Leiche hintendrein.

Kurz vorher hatte ich noch die kreidigen Felsen der englischen[177] Küste in Augenschein genommen, aber als ich in der Kajüte angelangt war und mein Auge auf den Spiegel fiel, kam mir mein Gesicht viel kreidiger vor.

Wir suchten unser Lager auf, das ich zwei Tage und Nächte, meine Frau vier Tage und Nächte nicht wieder verließ.

Die Trave schaukelte munter fort. Unsere Handkoffer, Hutschachtel und Reiseeffekten lagen bald in dieser, bald in jener Ecke der Kajüte; was nicht niet- und nagelfest war, tanzte auf dem Boden umher.

Ein Pantoffel meiner Frau näherte sich beständig dem Stiefelknechte, der unter meinem Bette lag, schurrte, wenn das Schiff sich auf die andere Seite legte, wieder auf seinen alten Platz zurück, um bei der entgegengesetzten Bewegung des Schiffes wieder eine neue Attaque gegen meinen Stiefelknecht auszuführen. Eine Weile ging das so fort; als die Schwankungen des Schiffes aber den Streit zwischen Pantoffel und Stiefelknecht bedenklicher gestalteten, fielen mein Stock und Regenschirm, die ich an die Wand gelehnt hatte, um und rollten bald nach links, bald nach rechts herüber, die beiden Streitenden zu beruhigen. Aber es half nichts, der Pantoffel war in zu krakehlsüchtiger Stimmung, ich war zu ohnmächtig und willenlos um aufzustehen und diesen Streit zu schlichten; da legte sich meine Hutschachtel bald auf die linke, bald auf die rechte Seite und machte Miene, sich drein zu mischen. Sie hatte in ihrer guten Absicht sich wohl zu weit herüber gebeugt, fiel um und begleitete die andern auf ihren Kajütenwanderungen. Endlich wurde auch meinem Handkoffer, den ich in der Hast, ins Bett zu kommen, nur auf die eine Hälfte des Stuhles gelegt hatte, die Sache zu toll, mit einem entsetzlichen Lärm warf er sich zwischen die Streitenden und deckte mit seinem schweren Kaliber den Pantoffel gänzlich zu, daß dieser verschwand.

»Siehst du«, dachte ich mir, »das geschieht dir Pantoffel recht, warum mußt du Karnikel immer Krakehl anfangen?« Die Stewardeß kam bald darauf in die Kajüte und räumte gründlich auf.

Zeichen des Tamtams, wodurch die Passagiere zum Frühstück,[178] Lunch und Dinner gerufen werden, ließen uns gleichgiltig, wir beachteten sie nicht.

Die »Trave« war des Rollens nach links und rechts überdrüssig geworden und fing nun eine andere Bewegung auszuführen an, das sogenannte »Pietschen,« wobei sich bald der Bugspriet, bald der Kiel des Schiffes hebt und senkt, ein reizendes Spiel, das man wider Willen mitzumachen genötigt ist, und wobei einem die rapide Schiffsbewegung von der Höhe nach der Tiefe unbarmherzig die letzten Reste des Mageninhalts entzieht. Der Mensch wird, obwohl er liegt, gezwungen, einmal auf den Füßen und im nächsten Augenblick auf dem Kopfe zu stehen. Wer in der Mitte des Schiffes wohnt, bei dem gehts noch an, aber wehe denen, die dem Ende des Schiffes zu kampieren müssen. Wir gehörten zu diesen. Bei einem solchen Benehmen der »Trave« kam mir die Galle, und ich geriet in eine Stimmung, daß mirs ganz gleichgiltig wurde, ob mich die »Trave« nach New-York oder auf den Boden des Meeres gebracht hätte. »Ozean, du Ungeheuer,« dachte ich mit Rezia – wenn die aufgeregten Wogen ihren Gischt an unser Kajütenfenster spritzten und nachts die Wellen mit donnerndem Getöse an unsere Schiffswand schlugen.

Der freundliche Schiffsarzt, Dr. Hänel, veranlaßte mich am dritten Tage zum Aufstehen. Unter seiner kräftigen Führung wankte ich auf Deck.

Das Meer hatte seine Wellen, soweit das Auge ringsum sah, mit weißen Schaumspitzen verziert, die Möwen umkreisten das Schiff, das unbekümmert um Wind und haushohe Wogen, der Kraft seiner Maschine folgend, die Wellen wie ein Pfeil durchschnitt.

Dr. Hänel setzte mich auf meinen Schiffsstuhl und ließ mir einen Cocktail kommen. Mir wurde besser.

Mein eigentlicher Retter war aber andern Tags der Vertreter der P.A. Mummschen Champagnerweine und des Huniady-Janos, Herr de Barry. Er hatte sich von Southampton, wo er eingestiegen, ein Faß herrlicher Austern mit[179] aufs Schiff genommen. Als er mich so in meinem Jammer liegen sah, veranstaltete er im Zimmer des Kapitäns, das er bei der Ueberfüllung des Schiffes für sich gemietet hatte, ein Austernfrühstück mit Champagner, wozu er den Kapitän Willigerod, Dr. Hänel, meine Frau und mich einlud. Es half kein Widerspruch, ich mußte meine bessere Hälfte veranlassen, aufzustehen, und wir wankten zum Austernfrühstück. Das ganze Faß Austern wurde geleert, wir tranken viel Sekt dazu und hatten damit ein Mittel gegen die Seekrankheit gefunden. Uns wurde wieder wohl. Dr. Hänel ist Zeuge, und er muß bekennen, daß es ein Remedium gibt gegen diese impertinente seasickness – allerdings ein etwas kostspieliges!

Das Meer wurde ruhiger. Wir sahen vom Promenadendeck der I. Kajüte aus das Treiben der Zwischendeckspassagiere an, die sich mittlerweile recht wohnlich eingerichtet hatten, und den Schmerz des Abschiedes von Deutschland vergessen zu haben schienen. Harmonikaspieler holten, als die Wellen sich immer mehr beruhigten, ihre Instrumente hervor und spielten zum Tanze auf. Ein fröhliches, munteres Treiben herrschte, namentlich wenn vom Promenadendeck der I. Kajüte das Orchester eine Tanzweise ertönen ließ, zu der die Zwischendecker sich im Kreise drehten, während die Harmonikaspieler verstummten.

Auch die sogenannten »Schweinfische« (eine Art Delphine) führten ihren wohlbekannten Tanz im Meere aus. Sektionsweise springen diese Tiere bei unruhigem Wasser aus einer Woge in die andere durch den Luftraum – oft hundertweise sieht man sie wie Kavallerie-Abteilungen ihre Manöver ausführen; ihr Uebersetzen von einer Woge zur andern gewährt einen ungemein komischen Anblick und wird stets vom schallenden Gelächter der Zwischendecker begleitet.

Wir gingen wieder zum Dinner. Die table d'hôte war in den letzten Tagen spärlich besucht, heute war sie fast ganz besetzt, und fröhliche Gesichter gabs wieder.

Das Menü ist auf den Bremer Lloyddampfern vorzüglich, und wenn man der Seekrankheit seinen Tribut gezollt,[180] ist man ungemein geneigt zu gastronomischen Genüssen. Herrliche Mittage, gewürzt durch gute Weine und Biere, angeregt durch recht gute Tafelmusik, verlebt man auf den Bremer Lloydschiffen. Das Dinner wird dann auch auf unendlich viele Gänge ausgedehnt und währt stundenlang. Zeit hat man ja auf dem Schiffe in Ueberfluß zum dinieren, aber die perfide Seekrankheit gestattet's nicht immer. Es gibt Tage, wo nur der Kapitän und einige Offiziere an der Tafel zu sehen sind; ist aber alles wohl an Bord, dann gestaltet sich das Schiffsleben fröhlich und behaglich.

Abends besucht man noch den Saal der II. Kajüte, wo das Orchester wieder musiziert. Klavierkonzerte und Gesangsvortäge stattfinden, gutes Pilsener und Bayerisch vom Faß gezapft wird, setzt sich bei schönem Wetter auf Deck, promeniert oder sucht seine Kreise auf.

Trotz Sturm und Ungemach fahren die neuen Bremer Dampfer sozusagen nach der Uhr. Wir legten regelmäßig alle 24 Stunden zwischen 410 und 420 Meilen zurück. Jeden Mittag 12 Uhr wurde die zurückgelegte Meilenzahl mittelst des Sextanten berechnet. Ist die Sonne verdunkelt, so werden Messungen mit dem Senklot, an das ein Klumpen Talg befestigt und so ins Meer gelassen wird, vorgenommen. An dem Talg haften beim Heraufziehen Kies, Muscheln, Steinchen etc. vom Meeresgrunde, und der Seemann weiß danach ziemlich genau, wo er ist, auch wenn er bei verdunkelter Sonne keine Messungen mit dem optischen Instrumente vornehmen kann. Kapitän Willigerod gab mir immer diesen Meeresgrund, der am Talgklumpen saß – ich habe ihn mir als Andenken aufbewahrt.

Auf der Kommandobrücke beim Kapitän und den wachthabenden Offizieren war mein liebster Aufenthalt. Es war mir gestattet, obschon der Zutritt sonst daselbst nicht erlaubt ist. Mit guten Ferngläsern die herannahenden Schiffe zu beobachten ist außerordentlich unterhaltend, obwohl das Begegnen von Schiffen, trotzdem tausende auf dem weiten Ozean nach allen Richtungen hin kreuzen, auf der unendlich großen Wasserfläche selten ist.[181]

Uns begegnete einmal abends, es war schon dunkel, auf vielleicht halbe Meilenweite ein englischer Dampfer. Wir sahen die Lichter immer näher kommen, erkannten allmählich Menschen und Gegenstände, und als wir einander vorüberfuhren, erglänzten als Zeichen des Grußes mächtige bengalische Feuer auf beiden Schiffen und erleuchteten das Meer weit hinaus – ein herrlicher Anblick, ein stummer schöner Gruß auf weitem, einsamen Meer! –

Unsere Fahrt ging bei herrlichem Wetter weiter, die Tage vergingen in Heiterkeit und Wohlleben.

Abends saßen wir auf Deck, um den unvergleichlich schönen, majestätischen Sonnenuntergang zu genießen. Wer's je gesehen, vergißt dies imposante Schauspiel nicht. »Thalatta, Thalatta! du göttliches Meer!«

Bötel ließ mitunter seine hohen C's über das Meer hallen, und die Passagiere lauschten andächtig seinen Gesängen.

Bötel und ich hatten auf Ersuchen des Kapitän Willigerod zugesagt, eine musikalisch-deklamatorische Abendunterhaltung auf dem Schiffe zum Besten des Witwenfonds der Seeleute zu geben. Mittelst Hektographen wurden Zettel verfertigt, sowie Programme gedruckt.

Bötel sollte Lieder singen, ich »Fritz Reuter« lesen; eine hübsche junge Amerikanerin, die ganz niedlich sang und Klavier spielte, war auf dem Schiffe; ein Cellist, der nach Milwaukee auswanderte, wurde im Zwischendeck aufgetrieben, und somit konnte das Konzert mit genügender Abwechslung stattfinden. Aber am Tage der Aufführung legte das Schiff wieder durch bedenkliches Schaukeln sein Veto ein, der Wind hatte sich wieder aufgemacht, so daß meine Mitwirkung in Frage gestellt war. Ich raffte mich aber zusammen, ließ mir meinen Stuhl auf dem primitiv hergerichteten Podium festbinden, um nicht plötzlich im Affekt beim Agieren mit den Händen samt dem Stuhl von der Rednerbühne heruntergeschleudert zu werden, und so ging die Sache denn ziemlich gut von statten.

Wir erzielten 600 Mark Einnahme, und da wir keine[182] Kosten hatten, konnten wir den ganzen Betrag dem Seemanns-Witwenfond übergeben.

Am 7. Tage kamen wir in die Nähe Newfoundlands. Einzelne Fischerboote, die von der Küste sich weit ins Meer gewagt hatten, erfreuten unser Auge schon wieder und wir bekamen so allmählich wieder einen Vorgeschmack von Land.

Am 8. Tage arrangierte der Kapitän Willigerod noch einen Abschiedsball. Segeltücher wurden über das Deck gespannt und so der Tanzsalon hergerichtet. Das Orchester spielte deutsche Tänze, und munter drehten sich die Paare im elektrischen Lichte bis zum hellen Morgen.

Am 6. Oktober 6 Uhr 30 abends fuhr die »Trave« von Needles ab, am 14. Oktober morgens 3 Uhr 5 Min. kam sie in Sandy Hook an, hatte also von der englischen bis zur amerikanischen Küste nur 7 Tage, 13 Stunden und 35 Min. gebraucht – eine schnelle, glückliche Fahrt!

Wir legten, an der Quarantäne angelangt, vor Anker, und als der Tag graute, gingen wir auf Deck.

Da lag in der Ferne New-York und sein Hafen in prachtvoller Morgenbeleuchtung.

Berufenere Federn haben die Eindrücke geschildert, welche die Menschenbrust bei diesem Anblicke voll Wonne emporheben. Kommt es nun daher, daß man 9 Tage fast nur Himmel und Wasser gesehen – der Anblick ist überwältigend!

Ein wunderbar schöner Herbstmorgen erhöhte die Pracht, die unser Auge erschaute.

Man sieht die amerikanische Küste erst kurze Zeit vor der Ankunft in New-York. Uns war das allmähliche Erscheinen des amerikanischen Festlandes durch das Dunkel der Nacht vorher entzogen. Wir lagen nun auf dem ruhigen Wasser, New-York und seinen majestätischen Hafen in Sicht. Unzählige Schiffe mit fahnengeschmückten Masten zogen an uns vorüber, aus der Ferne ragte die Riesenfigur der »Liberty« hervor, ein Denkmal, das die Franzosen den Amerikanern geschenkt, und wohl der größte Koloß der Welt in Erz.Den rechten Arm gehoben, bei Nacht elektrisch erleuchtet, bietet die Liberty vom Meere aus gesehen einen imposanten Anblick; sie ist meist umkreist von einem wandelnden Mastenwald, über den die Figur hoch emporragt.

Nachdem die Zwischendecks-Passagiere behufs Untersuchung vor dem amerikanischen Arzte Revue passiert, setzte sich die »Trave« wieder in Bewegung, um von der Quarantäne nach Hoboken zu fahren.

Kapitän Willigerod rief mich auf die Kommandobrücke. »Junkermann, Sie werden empfangen, sehen Sie dort,« sagte er, und in kurzer Zeit erkannte er den Dampfer Luckenbach, der uns von New-York entgegenfuhr.

Der »Luckenbach« kam näher; das Schiff strahlte im herrlichsten Flaggenschmuck, der an allen Tauen bis in die Wimpel hinauf angebracht war. Vorne am Mast wehte die Hamburger, hinten am Kiel die Württembergische Fahne, und oben im Wimpel flatterte in den Winden das mächtige Zeichen des Deutschen Reiches. Vom »Luckenbach« herüber ertönten deutsche Weisen. Kapitän Willigerod placierte unser Orchester auf Deck und befahl, die »Wacht am Rhein« zu intonieren.

Herrliches deutsches Lied, wie erklangst du so majestätisch, fern von der Heimat in den amerikanischen Gewässern!

Kapitän Willigerod ließ halten, und unter schmetternder Musik dampfte der »Luckenbach« an uns heran. Das war ein Hurrahrufen und Tücherschwenken! Die Kapelle auf dem »Luckenbach« spielte »Hamburgs Wohlergehen«. Bald lag der »Luckenbach« an der Breitseite der »Trave«, und nun stiegen die Passagiere aus dem kleinen Boot auf unser großes.

Herzliche Ansprachen bewillkommneten uns. Unter den uns Begrüßenden waren die Repräsentanten der New-Yorker Presse, als Vertreter des Plattdeutschtums in New-York der Bankier Henry Bischoff jr., Robert Behnne, der bekannte Führer der Grocer-Expedition nach Europa, Aug. Gutheil, der frühere Vizepräsident des Eichenkranz, Landsleute von Bötel und mir, F.W. Schultze, der Held von Ave, A. Theodor Brandenburg,[185] der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Vereins, und allen voran die Direktoren Amberg und Conried mit einer Anzahl Plattdeutscher, die uns in ihrer Muttersprache mit allerhand Ovationen und Ehrenbezeugungen bewillkommneten.

Direktor Amberg erkannte ich sofort nach dem Bilde, das ich von ihm besaß – wir schlossen uns in die Arme.

Nachdem wir für den freundlichen Empfang gedankt und uns näher bekannt gemacht hatten, fuhr die »Trave« weiter dem Hafen von Hoboken zu.

Auf dem Dock in Hoboken hatte das Orchester des Thalia-Theaters[186] Stellung genommen, um uns deutschen Ankömmlinge mit an die alte Heimat gemahnenden Klängen zu erfreuen. Während unsere Koffer von den Zollbeamten revidiert wurden, musizierte das Theater-Orchester in der Zollhalle.

Wir bestiegen bald eine Droschke, Bötel fuhr mit Direktor Conried ab, ich mit Direktor Amberg nach New-York ins Theater.

Das Thalia-Theater prangte zur Feier des Tages im Flaggenschmuck.

Amberg stellte mich seinem Schauspielpersonale vor, und nachdem ich mein Logis bezogen und mich umgekleidet, fuhr ich zum Theater zurück, sofort zur Probe von »Onkel Bräsig.«

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 173-187.
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