Vierundfünfzigstes Kapitel

Besuche empfangen.

[182] In Frankreich empfängt man seine Besuche an bestimmten Tagen. In Deutschland fängt diese Sitte an, sich einzubürgern. Jedoch muß man jederzeit darauf vorbereitet sein, Besuch zu bekommen, besonders in den Besuchsstunden, die in Deutschland am üblichsten zwischen zwölf und drei sind.

Deshalb muß auch die Häuslichkeit zu solchen Stunden aufgezogen sein, wenn man Besuche empfangen will.

Es ist höchst peinlich für einen Besucher, wenn er im Salon erst eine halbe Stunde allein bleiben muß, weil die Hausfrau infolge seines Besuches erst Toilette machen muß.

Ebensowenig angemessen ist es, wenn die Möbel im Empfangszimmer mit den sogenannten Schutzkappen überzogen sind. Das sieht für einen Besucher höchst ungastlich und ungemütlich aus.[182]

Am besten ist es, wenn Möbel überhaupt nicht mit sogenannten Schutzkappen überzogen werden. Dies ist hingegen ratsam, wenn man verreist.

Es ist sehr unpassend, einen Besuch im Schlafzimmer zu empfangen.

Ist man krank und infolgedessen verhindert, Besuche zu empfangen, so muß man dies durch einen Bediensteten sagen lassen. Man darf in diesem Fall aber auch keinen, selbst einen intimen Freund nicht, bevorzugen, weil dies die andern, die zurückgewiesen wurden, leicht verletzen könnte. Ein Künstler kann Besuche ungeniert in seinem Atelier empfangen.

Betritt eine Dame den Besuchssalon, so hat sich die Herrin des Hauses zu erheben, sie zu begrüßen und ihr mit einer Handbewegung einen Platz anzuweisen.

Sie setzt sich nicht eher, als bis die betreffende Dame Platz genommen hat.

Befindet sich der Herr des Hauses im Salon, wenn ein Dame eintritt, so hat er dieser entgegen zu gehen.

Ist indes ein Besucher eine große Persönlichkeit, ein Greis oder ein Prediger, so darf ihn die Dame des Hauses ganz nach persönlicher Eingebung empfangen.[183]

Betreten mehrere Personen gleichzeitig einen Salon, so hat man den Ältesten oder auch den Hochgestelltesten zuerst zu begrüßen.

Sitzt die Herrin des Hauses auf dem Sofa, wenn Besucher den Salon betreten, so hat sie nur einer Dame den Platz neben sich einzuräumen.

Die Ehrenplätze in einem Besuchsalon sind diejenigen zunächst der Hausfrau.

Erhebt sich eine Dame zum Abschied, so erheben sich der Herr und die Dame des Hauses ebenfalls und begleiten sie bis zum Treppenflur.

Bleiben indes noch andere Besucher im Salon zurück und die Dame des Hauses macht allein die Honneurs, so hat sie einen Gast nur zur Salontür zu begleiten, sich dort von ihm zu verabschieden.

Die Dame des Hauses darf einen Herrn, der einen formellen Besuch bei ihr macht, nie auffordern, seinen Hut aus der Hand zu legen.

Eine Dame des Hauses muß versuchen, eine allgemeine Unterhaltung in Fluß zu erhalten, wenn verschiedene Gäste im Salon weilen.

Auch darf sie selbst nie eine besondere Unterhaltung mit der ihr zunächst Sitzenden anknüpfen.

Ebenso muß die Dame des Hauses dafür Sorge tragen, daß das Thema der Unterhaltung zwischen den Besuchern ihres Salons kein politisches und kein religiöses sei.[184]

Hat sich eine solche Unterhaltung dennoch entsponnen, so muß die Hausfrau versuchen, sie mit seinem Takt wieder auf ein anderes Gebiet überzuleiten.

Erhebt sich ein Gast zum Weggange, so soll man nicht in ihn dringen, seinen Aufenthalt zu verlängern.

Man deutet in diesem Fall nur durch ein kurzes »schon« an, daß einem der Besuch kurz vorkommt.

Erscheint einem ein Besuch etwas zu sehr in die Länge gezogen, so muß man unter allen Umständen, und wenn man auch noch so sehr eine Beendigung wünscht, seine Empfindungen zu verbergen suchen. Auch einem ungelegenen Besuch gegenüber muß man unter allen Umständen eine freundliche Haltung beobachten. Man darf es einen Gast nicht merken lassen, wenn er stört.

Bei solcher Gelegenheit kann man viel Lebensart an den Tag legen und große Selbstbeherrschung üben. Natürlich gibt es auch bei solchen Gelegenheiten Fälle, die Ausnahmen gestatten, z.B. – wenn man ins Theater gehen will und die Billetts bereits gelöst hat, wenn man jemand von der Bahn holen muß, oder wenn man einen Kranken im Hause hat, der unserer Gegenwart bedarf. In solchen dringlichen Fällen[185] kann man einem Besucher ungeniert mitteilen, daß man leider verhindert ist, sich ihm zu widmen.

Ein Gast hat sich dann natürlich diskret zurückzuziehen.

Sieht man bescheiden situierte Leute bei sich, so muß man es möglichst zu verhindern suchen, daß andere Besucher in ihrer Gegenwart zuviel von kostspieligen Vergnügungen und luxuriösen Lebensgewohnheiten im allgemeinen sprechen.

Man muß in diesem Falle versuchen, der Unterhaltung einen möglichst anspruchslosen Anstrich zu geben. Es gehört überhaupt zu den Hauptaufgaben der Besuchempfänger, der Unterhaltung in ihrem Salon einen möglichst allgemeinen, harmlosen Charakter zu geben.

Aufwartungen sind bei Formbesuchen vollständig ausgeschlossen.

Eine Hausfrau muß es durchaus zu vermeiden suchen, daß diejenigen Gäste, die bereits den Salon verließen, von Zurückbleibenden bekrittelt werden.

Ein paar kurze, nicht gerade schroffe, aber doch deutliche Worte genügen in diesem Fall, Gästen ein solches nicht bloß für die Vorausgegangenen, sondern auch für die Hausfrau verletzendes Betragen zu verweisen.[186]

In ihrem Hause muß sich die Hausfrau, der Hausherr irgendwelchen beleidigenden Äußerungen gegenüber möglichst passiv verhalten.

Der gute Ton verbietet eine Verletzung der Gastfreundschaft. Man gleicht derartige Unliebsamkeiten, wenn man sich gedrungen fühlt, sie zu erörtern, auf neutralen Gebieten aus, wo man keinem anderen eine Rücksicht schuldet. Im Salon eines Dritten muß man ebenfalls unliebsame Erörterungen vermeiden.[187]

Quelle:
Kallmann, Emma: Der gute Ton. Berlin 1926, S. 182-188.
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