Besuche empfangen.

[42] In meiner Wohnung ist durch eine an passendem Orte angebrachte Glocke Sorge zu tragen, daß derjenige, der mich besuchen will, nicht genöthigt ist, an alle Thüren zu klopfen, wohl gar laut: »Guten Tag« – zu rufen, um sich bemerklich zu machen. Bei Wohnungen mit verschlossenem Corridor fällt ja diese Regel fort und muß ich dann nur beachten, wenn die Glocke gezogen wird, um nicht den Außenstehenden zu lange warten zu lassen. Für Menschen, die ohne eigene Bedienung leben, empfiehlt es sich, einen Briefkasten und eine Tafel an ihrer Thür aufzuhängen.

Meine Bedienung ist angewiesen, auf die an sie gerichteten Fragen, ob die Herrschaft zu Hause sei, zu antworten: »sie wolle nachsehen.« Damit spricht sie keine Unwahrheit aus und ich bin frei, den Besuch nicht anzunehmen, ohne ihn zu verletzen, wenn es mir nicht paßt. Hat das Mädchen aber die Unvorsichtigkeit begangen, meine Anwesenheit zu verrathen und es ist mir unmöglich, den Besuch zu empfangen, so ist es besser um Entschuldigung bitten zu lassen, da man verhindert sei, als irgend eine Ausrede zu gebrauchen, deren Unwahrheit der Besuchende sofort durchschaut.

Bin ich bei der Toilette, so entschuldigt mich auch dieses vollständig. Habe ich Gesellschaft bei mir oder befinde mich bei Tisch, so hat die Dienerin dieses dem Besuchenden, ohne ihn weiter zu melden, mitzutheilen.

Hat nun also das Mädchen die Antwort, daß sie nachsehen wolle, ob die Herrschaft zu Hause sei, gegeben, so hat sie zu fragen: »Wen darf ich melden?« oder: »Darf ich um Ihren Namen bitten?« – Sie ist anzuweisen, dabei genau Obacht zu geben, lieber noch einmal um Wiederholung des genannten Namens zu ersuchen, als uns etwas Unverständliches zu bestellen.

Ist mir der Besuch willkommen, so hat das Mädchen mit den Worten: »Es ist Frau N. sehr angenehm«, oder:[42] »Frau N. läßt bitten«, die Thür meines Zimmers zu öffnen, den Besuch eintreten zu lassen und hinter ihm die Thür wieder zu schließen.

Die Frau des Hauses geht ihrem Besuch entgegen, nöthigt die ältere Dame rechts von sich auf den Sophaplatz, während das begleitende Töchterchen oder der Herr Gemahl auf einen Stuhl am Sopha sich niederläßt.

Erhält eine Dame Herrenbesuch, wird sie sich im Sopha niedersetzen und dem Herrn einen Stuhl anweisen. Nur ganz alte, ihr genau bekannte Herren können auf Wunsch der Hausfrau den Sophaplatz neben ihr einnehmen. Verweigert eine besuchende ältere Dame aus irgend einem Grunde den Sophaplatz, wird die Frau des Hauses ebenfalls sich auf einem Stuhle niederlassen.

In welcher Weise man sich zu unterhalten hat, ist in einem anderen Capitel gesagt.

Erhebt sich der Besuchende, um fort zu gehen, begleite ich ihn bis an die Thür, Vornehme und Gebrechliche bis an die Treppe resp. Hausthür. Jüngere Herren werden von Damen nicht hinaus begleitet. Ist irgend eine Thür zu öffnen, so ist es höflich, doch nicht durchaus erforderlich, durch Klingeln mein Mädchen zu verständigen, daß sie dem sich Entfernenden behilflich ist, ebenso bei Anlegen von Mänteln, Paletots, Ueberschuhen. – Lebe ich ohne Bedienung, so habe ich den Damen gegenüber, der Herr dem Herrn, diese kleinen Dienste bis auf die Ueberschuhe, selbst zu übernehmen.

Besuche in nachlässigem Anzuge zu empfangen, ist nicht erlaubt; sich vor dem Besuch aber gar in Schlafrock und Pantoffeln zu zeigen, durch den Anstand verboten.

Quelle:
Kistner, A.: Schicklichkeitsregeln für das bürgerliche Leben. Guben 1886, S. 42-43.
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