3.

[218] Unaufhörlich folgte Sieg auf Sieg, und diesem wieder Siegeslieder und Spiele im Kgl. Opernhause. Am 17. August, dem Eröffnungsabend der Saison, sangen sämtliche Mitglieder der Kgl. Theater – zu denen ich nun auch zählte – feierlich von der Bühne herab die Volkshymne und den »Borussiachor«. Die Damen[218] in weißen Kleidern mit schwarzen Schärpen, die Herren im Frack mit weißer Halsbinde. Wir sangen begeistert im Vollgefühl des geretteten Vaterlandes zur Ehre unserer braven Krieger. Diese Veranstaltungen wiederholten sich nur gar zu oft, um dauerndes Interesse einflößen zu können.

Am Morgen dieses meines ersten Auftretens hatte ich auch die erste und letzte Probe vom »Feldlager«, das am nächsten Abend schon in Szene ging und zu meinem größten Leide während der Kriegszeit und später auch bei jeder patriotischen Gelegenheit viel gegeben wurde. Die nichtssagende Partie der Vielka, die durch schlechte Nebenbesetzung nicht interessanter wurde, verlor bald ganz meine Sympathie und wurde mir auf die Dauer unerträglich. Wenige Tage später sagte in einer patriotischen Vorstellung Frau von Voggenhuber ab, welche ein eigens zu diesem Zwecke komponiertes Lied singen sollte. Es war 1/27 Uhr abends, als Kapellmeister Radecke, der Komponist des Liedes, zu mir kam, um mich im Auftrage der Intendanz um die Gefälligkeit zu bitten, das Lied zu singen. Wenn ich mich auch lange weigerte, fuhr ich doch schließlich mit ihm ins Theater, wurde schnell angekleidet und sang es prima vista ohne Fehler von den Noten herunter. Tags darauf sagte sie auch die Agathe im Freischütz ab, und ohne die Rolle je gesungen zu haben, sprang ich abermals ein. Von der Zeit an sprang ich gar oft bald für sie, Frau Mallinger oder Frau Lucca ein, die beide miteinander im Hader lagen. Auf diese Art war ich in Berlin sehr bald eine utilité ersten Ranges; für meine autoritative Stellung war dies aber nicht vorteilhaft, und bald empfand ich – die Zurücksetzung. Man hatte sich daran gewöhnt, jederzeit auf mich bauen zu können, und verfuhr demgemäß oft sehr rücksichtslos gegen mich, indem man alle diejenigen berücksichtigte, die rücksichtslos gegen die Intendanz verfuhren. Doch muß ich Herrn von Hülsen die Gerechtigkeit widerfahren lassen und sagen, daß er meine Gefälligkeit extra honorierte und mir bereitwilligst alle erbetenen Urlaube gewährte, deren ich sehr viele beanspruchte, da ich außerhalb in vielen Konzerten sang, viel unterwegs war. Auch gegen Minderhochgestellte war er voller Fürsorge und half, so oft er nur konnte. Man durfte ihn allenthalben als väterlichen Freund betrachten.[219]

An Beschäftigung fehlte es mir wahrlich nicht, denn zu den oft gesungenen alten Rollen kamen in den ersten zehn Monaten meines Engagements noch folgende neue hinzu: Vielka–Feldlager, Josepha–Zietenhusaren, Elvira–Stumme, Amazilli–Jessonda, Fridjof–Sigurd, Friede–Heimkehr.

Quelle:
Lehmann, Lilli: Mein Weg. Leipzig 1913, S. 218-220.
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