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[129] In Segeberg kehrte ich zunächst in einer Gastwirtschaft geringerer Güte ein und traf dort meine Vorbereitungen zur Weiterreise nach der Marsch. Von meinen 30 Talern Lohn, die ich im letzten Jahre auf Bunsloh bekam, waren mir bei meinem Abgange noch etwa 20 Taler ausgezahlt worden, das übrige hatte ich bereits während des Jahres aufgenommen. Ich erneuerte jetzt vor allem an Kleidungsstücken was mir fehlte. An barem Gelde verblieben mir dann noch rund 20 Mark. Mit neuen rindledernen Schmierstiefeln an den Füßen, einen schwarzen Kragen mit weißem Einsatz vor den Hals gebunden, ein volles Bündel unter dem Arm, mein Dienstbuch in der Tasche »un de Piep in't Mul«, so schlenderte ich als nunmehr 161/2jähriger wohlgemut nach dem Bahnhof und dampfte bald der »Waterkant« entgegen, über Neumünster, Kellinghusen nach Itzehoe.
Am nächsten Tage durchwanderte ich zu Fuß die Wilstermarsch. Wie außerordentlich stach doch diese Gegend ab vom östlichen Holstein. Soweit das Auge reichte, überall grünes fettes Flachland, keine Erhöhung, kein Sandboden, kein Wall und kein Knick, nur schwere Marsch. Dazwischen behäbige Bauernhöfe und unzählige kleine Windmühlen, die den Wasser stand in den vielen schnurgeraden Gräben regulierten. Auf der Weide gingen schwerfällige Kühe und Ochsen sowie die großschlägigen Wilstermarschschafe, zum Bewundern stattliche Tiere. Hier wollte ich jedoch noch nicht um Arbeit anfragen, sondern mir die Marsch noch erst in einem größeren Teile ansehen.
Ich ging daher über St. Margarethen nach Brunsbüttel zu. Diese Strecke erschien mir ganz besonders interessant. Von links her winkte der mächtige Elbdeich, ein eigenartiger Wassergeruch wehte einem entgegen. Wenn man auf dem Deiche steht, glaubt man sich in eine völlig neue Welt versetzt. Rechts die üppige Marschlandschaft mit ihren vielen Gehöften, den rotbunten Viehherden und fernen Kirchtürmen; links der breite Elbstrom,[130] auf dem majestätisch die großen Segler und Dampfer hin und her ziehen. Jenseits des Stromes grüßt die hannoversche Küste, und direkt nach Westen verliert sich der Blick in verschwommene unendliche Wasserweiten, aus denen vom äußersten Rande der jenseitigen Landspitze Cuxhaven noch undeutlich herüberschimmert. Nun denke man sich über dem Ganzen einen prächtigen sonnigen Herbsthimmel, dann hat man wenigstens einen schwachen Riß des Bildes, wie es vor mir lag und das auf jeden, der es zum ersten Male in seiner Wirklichkeit sieht, einen überwältigenden Eindruck macht.
Ich konnte mich nicht daran sattsehen. Stundenlang saß ich am Deich und genoß das herrliche Panorama, bis mich die nahende Dämmerung mahnte, meinen Weg fortzusetzen. In Brunsbüttel übernachtete ich.
Am andern Morgen ging ich über Marne nach Meldorf zu. Ich war jetzt in Süderdithmarschen, und die kleinen charakteristischen Mühlen der Wilstermarsch gab es hier nicht mehr. Schon überlegte ich, ob ich mich nicht hier irgendwo nach einer Dienststelle umsehen solle, denn die Gegend gefiel mir, und aus jedem Bauernhause sprach Wohlstand und Behäbigkeit. Doch erst wollte ich mir noch mal die Nordsee aus nächster Nähe anschaun; auf einen Tag kam's ja auch nicht an. Dicht vor Meldorf schwenkte ich daher links ab nach dem großen Seedeich, der in einiger Entfernung die Landschaft abgrenzte. Ich hatte erwartet, hinter dem Deich eine wildbewegte See zu finden mit spritzendem Gischt und hohen schäumenden Wogen. Hier aber wurde ich gründlich enttäuscht. Gewiß, der ganze westliche Horizont war Wasser, doch von Schaum und Wellenschlag keine Spur. Vor mir dehnte sich in breiter Weite das Watt, das Vorland der Küste, mit seinem blaugrauen Muschelsand und seinen modrigen Schlicktümpeln. Erst in ziemlicher Ferne sah ich kurze weißköpfige Wellen tanzen: auf dem Mielstrom, wie mir ein einsamer Deicharbeiter erklärte, der mir auch gleichzeitig die Erscheinungen von Ebbe und Flut auseinandersetzte.
Nachdem ich die Nacht in Meldorf verbracht, riet mir der Herbergswirt, nach Wesselburen zu gehen, denn in den »Itzehoer[131] Nachrichten« habe noch kürzlich gestanden, daß in Norderdithmarschen ein Mangel an Gesinde sei. Ich trollte also ab. In der Nacht war's »englisches Wetter« geworden, d.h. ein bleigrauer dichter Nebel senkte sich herab, so daß man keine hundert Schritt weit sehen konnte. Ungewiß lag das Gelände vor mir, es schien mir, als renne ich immer gegen eine Nebelwand an. Als sich der Nebel verzog, fing es an zu regnen, anfangs kleine »Dak«-Tropfen, dann Bindfaden. Jetzt hatte die Marsch ein ganz anderes Aussehen bekommen. Alles lag grau in grau, das Feld, die Höfe, die Bäume. Das Vieh stand krumm wie ein Flitzbogen auf der Weide, und den Knechten klebte beim Pflügen der schwere »Klei«boden in dicken Klumpen an den Stiefeln; sie pflügten mit vier Pferden, für mich eine Neuheit, die mich sehr interessierte.
Des Nachmittags langte ich in Wesselburen an. Zwei Türme kennzeichnen den Ort schon von weitem: der Schornstein der dortigen Zuckerfabrik und der Kirchturm, der in seinem oberen Teile aussieht wie eine umgekehrte Zuckerrübe. Die Fabrik war dieselbe, nach der ich mich einst in meiner Heimat als Ochsenjunge verdungen hatte. In dem Orte wies mich auf meine Frage jemand nach einer kleinen Gastwirtschaft, deren Inhaber auch gleichzeitig Gesindevermieter war. Solcher Wirtschaften gibt es dort eine ganze Anzahl. Mein Wirt bot mir auch sogleich eine Stelle als »Lüttknecht« zum Alleindienen bei einem Bauern in Kassenbüttel an, einem Dörfchen unweit von Wesselburen, durch das ich vorhin schon durchgekommen war. Allerdings sagte er recht bedeutsam zu mir: »De besten Städen sünd awer all weg.« Bezüglich des Lohnes meinte er, könne ich mich mit dem »Bur« ja selbst einig werden, »to väl will he ümmer ni utgäwen.«
Ich erhielt auch gleich meinen Taler »Gottsgeld«, durch den der Dienstvertrag rechtsgültig wurde; d.h. der Wirt zeigte mir den Taler nur, dann steckte er ihn nach ortsüblicher Sitte wieder ein, als Vermietergebühr.
Nun schlief ich mich gehörig aus, und am nächsten Vormittag ging ich nach Kassenbüttel zu meinem künftigen Dienstherrn und Arbeitgeber.[132]
Jan Gnurr, genannt der Rethbur von Kassenbüttel, empfing mich mit der kühlen Gelassenheit, die mehr oder minder allen Marschbauern eigen ist. Er stand gerade in der »Boos«, dem am Vorderhause belegenen Teil der Stallungen, und »kek in't Wedder«. Im Munde hatte er eine halblange Pfeife, an der er sehr intensiv herumsog. Den etwas groß geratenen Kopf zierten altertümliche Polkalocken und unter den kleinen zusammengekniffenen Schweinsaugen hingen auffallend große Tränensäcke. Im übrigen sah er ein bißchen reichlich schmierig aus. Einen ähnlichen Eindruck machte auch die Hofstelle und die Boos, wo Stroh und Dreck und allerhand Gerümpel kunterbunt umherlagen.
Nachdem er mich über mein Woher genauestens ausgefragt hatte, meinte er in einem gewissen väterlichen Biedertone: Hier sei es sonst nur mode, das Gesinde halbjährlich zu mieten; doch ich gefalle ihm, deshalb wolle er bei mir eine Ausnahme machen und mich gleich auf ein ganzes Jahr dingen, wenn es mir recht sei. Da ich die dortigen Verhältnisse nicht kannte, so fühlte ich mich durch die anerkennenden Worte des Bauern förmlich geschmeichelt und willigte sofort ein; ebenso war ich mit einem Jahreslohn von 35 Talern einverstanden, den er mir bot; waren es doch 5 Taler mehr, als wie ich im letzten Jahre bekommen hatte. Überdies, so flocht er nebenbei ein, könne ja auch die Bäuerin für mich waschen.
Also abgemacht. Leider hatte ich in diesem Moment keine Ahnung, wie gröblich ich von dem Bauern hintergangen wurde. Das sollte mir erst nach einigen Wochen klar werden.
Doch da kam aus dem Vorderhause eine Frauengestalt angeschlurrt, die durch die Boos nach der Lohdiele wollte. Der Bauer rief sie an: »Hier is 'n Lüttknecht vör uns; kannst em wat to äten mit torecht maken!« Da drehte sich das Weib halb nach mir um und schielte mich an, nicht von oben bis unten, sondern umgekehrt von unten bis oben. »Sooo?« krächzte sie gedehnt – »Na is guuut.« Damit schlurrte sie weiter. Ich schüttelte mich unwillkürlich. Die Alte erinnerte mich lebhaft an die Hexe aus »Hänsel und Gretel«. »Dat is min Fru«, grunzte der Bauer, indem er durch die Nase schnurchelnd mit der Daumenspitze hinter seiner[133] besseren Hälfte herwies. Ich nickte nur stumm mit dem Kopfe. Dann ging ich auf Geheiß des Bauern nach der »Hochstuw« und zog mir Arbeitszeug an.
Gegen Mittag kam Jörn, der Sohn des Hauses, vom Felde heim. Er hatte Grasland umgepflügt, das im kommenden Frühjahr mit Hafer besät werden sollte. Als er meiner ansichtig wurde, sagte er ohne Gruß: »Na wat büst du vör een!« »Ick sall hier as Lüttknecht deenen«, erwiderte ich. »Na denn bring de Peer man to Stall!« klang es ungeschlacht zurück. Ich besorgte die Pferde, ein paar dunkelbraune Tiere von auffallend schönem Körperbau.
Nicht lange darauf gröhlte Jörn mir zu: »Wat äten!«
Ich aß mit an dem Tisch des Bauern und muß sagen: das Essen war gut. Es blieb auch gut während der ganzen anderthalb Jahre, die ich dort diente. An das ewige Schnurcheln des Alten und die steten Nasentropfen der »Oolsch«, wie Jörn seine Mutter titulierte, gewöhnte ich mich bald.
Etwa 14 Tage war ich bereits auf meiner neuen Stelle; ich hatte mich schon eingearbeitet. Das Vieh stand schon alles auf dem Stalle; es gab mithin zur Hauptsache nur noch Drinnenarbeit. Da schickte mich Jörn eines Abends zu dem »Krugwirt« des Dorfes, der auch gleichzeitig eine Hökerei dabei hatte, um ihm Tabak zu holen.
Der Wirt wunderte sich, daß Jan Gnurr mit einemmal wieder einen Knecht hatte, und verwickelte mich rasch in ein Gespräch. Nun erfuhr ich, daß es dort die Leute immer nicht aushalten konnten, einmal weil ihnen der ganze Betrieb zu schmutzig sei, dann aber auch wegen Jörn, dem »Saehn«. Erst kürzlich sollte sich da eine »schmucke dralle Deern« erhängt haben, und es wurden über die mutmaßlichen Ursachen des Selbstmords Andeutungen gemacht, die sich hier nicht gut wiedergeben lassen. Kurz: Jörn, so hieß es, werde wegen seines ungeschliffenen eingebildeten Wesens gemeinhin der »Gröhler« genannt, und sein Vater führe im ganzen Kirchspiel den Spitznamen »Rethbur«. Übrigens sei er ein ausgesprochener Filz und Geizhals, der keine größere Freude kenne, als jemanden mit abgefeimter Bauernschlauheit[134] recht gründlich übers Ohr zu hauen, besonders wenn es gelte, einen armen Knecht um seinen Lohn zu prellen. Ebenso geizig und raffgierig sei das Weib, »dat olle Gespenst«. Niemand verkehre gerne mit der Gnurrschen Sippe, im Gegenteil man gehe ihr am liebsten aus dem Wege. Das einzige, was den Gnurrs nachgerühmt werde, seien die schönen Pferde, die sie hielten, und – ihr Geld.
Als der Wirt hörte, daß ich nur einen Jahreslohn von 35 Talern bekommen sollte, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen. »Na min Jung«, sagte er, »dar hett de oll Rethbur mal eenen Dummen söcht und funnen!« Und nun setzte er mir auseinander, daß Knechte meines Alters hier allgemein mindestens 18–20 Taler Lohn für das Winterhalbjahr, und 42–50 Taler für das Sommerhalbjahr bekämen; ich hätte also wenigstens 60, wenn nicht gar 70 Taler für das ganze Jahr haben müssen. Er meinte weiter: Nun sei es ihm schon erklärlich, weshalb der alte Fuchs bei mir auf Jahresvermietung gedrungen habe; er habe bald gemerkt, daß ich mit den hiesigen Verhältnissen gänzlich unbekannt sei und freue sich nun im Stillen königlich, mal wieder jemand hineingelegt zu haben; solchen billigen Knecht hätte er sonst sicher in ganz Dithmarschen nicht bekommen. Übrigens fügte er vielsagend hinzu: »Un ick segg garnix, wenn du dar öwerhaupt keenen Lohn kriegst.«
Das klang ja recht ermunternd; und ich dachte bei mir: Na da bist du ja in 'ne nette Gegend hineingeraten. Immerhin stand mein Entschluß fest, das eine Jahr unter allen Umständen auszuhalten. Mir schien es doch unwahrscheinlich, daß es einen Bauern – und dazu noch einen verhältnismäßig begüterten – geben könne, der darauf ausginge, sich an den paar Lohngroschen eines armen Dienstknechtes zu bereichern. Ich arbeitete also unverdrossen weiter.
Der Alte war denn auch leidlich mit mir zufrieden; anders jedoch der grobklotzige Jörn. Der schien sich nicht wenig darauf einzubilden, daß er mal wieder jemand hatte, dem er befehlen konnte. Er befahl auch wirklich den ganzen lieben langen Tag. Entweder glaubte der Bengel, es gehöre sich so, einen Knecht nur deshalb[135] zu kujonieren, weil es ein Knecht war, oder er wollte damit seinen gänzlichen Mangel an Bildung verdecken. Kurz, der 22jährige Mensch, der militärfrei geblieben war, benahm sich in jeder Beziehung herrisch und protzig bis zur Widerwärtigkeit. Und nicht nur das. Vielfach schlug und stieß er mich aus purem Vergnügen. Irgendeine Ursache fand er schon.
Einen Fall besonderer Bosheit will ich hier genauer anführen: Wir schliefen beide in der schon erwähnten »Hochstuw«, jeder in einem Bett für sich. Eines Abends spät ging Jörn nun aus dem Fenster, um ein Mädchen aufzusuchen. Wie ich nachträglich erfuhr, war er dort abgeblitzt. Um 2 Uhr morgens stellte er sich wieder ein und weckte mich unwirsch mit dem Befehl, sofort aufzustehen und mit dem Füttern zu beginnen. Als ich nach der Uhr sah, widersprach ich solcher Unsinnigkeit. Da packte er mich wie ein Wilder an der Kehle, zerrte mich im Hemd nach der Boos und hieb dort mit seinen großen Fäusten auf mich ein, bis er nicht mehr konnte. Dann ließ er mich im Hemde so lange bei dem Vieh stehen, bis der Alte um 4 Uhr zum Wecken kam. Er hatte gedroht, mich niederzuschlagen, wenn ich vorher wieder ans Bett kommen sollte.
Bei der Frühkost klagte ich dem Alten meine Not. Der fand auch mißbilligende Worte gegen seinen Sohn. Doch dieser tat, als bekäme er einen krankhaften Wutanfall, schlug mit der Faust auf den Tisch, daß das Brot herunterflog und brüllte: »Is de din Sähn, oder bin ick dat; ick ward em wiesen, dat he to dohn hett, wat ick em segg!«
Ich überlegte nun zwar hin und her, ob ich mich ferneren Mißhandlungen nicht lieber durch die Flucht entziehen solle, doch ich verwarf den Gedanken wieder. Es widerstrebte mir, mich einer etwaigen polizeilichen Verfolgung wegen Kontraktbruchs auszusetzen. Ebenso erschien mir eine Beschwerde beim Kirchspielvogt nutzlos. Selbst aber fühlte ich mich noch nicht kräftig genug, um mich zu wehren. So bemächtigte sich meiner nach und nach ein Gemütszustand, in dem ich mir apathisch und widerspruchslos jedes Unrecht gefallen ließ.
Jörn quälte mich unterdessen weiter. Einmal hatten wir auf dem[136] Boden Korn eingemessen, Säcke zu 200 Pfund Gewicht. Obwohl er nun wissen mußte, daß ich noch keine zwei Zentner tragen konnte, verlangte er dies dennoch von mir. Auf der schlechten Bodentreppe brach ich denn auch unter der Last zusammen und fiel mit dem Sack herunter bis auf den Flur. Nur der Umstand, daß ich mir ein Knie und das Gesicht blutig geschlagen hatte, bewahrte mich vor einer Tracht Prügel.
Das Unangenehmste für mich war, daß ich auch wieder mit lachen sollte, wenn es dem Bauersohn beliebte, guter Laune zu sein. Er selbst lachte dann bei den unpassendsten Anlässen, daß es dröhnte, und wenn ich dann nicht gleich mitmachte, konnte seine Lustigkeit sofort wieder in einen Zornesausbruch umschlagen.
Am meisten freute er sich, wenn ich mal irgend etwas begangen hatte, was seiner Mutter nicht gefiel. Da bei der Alten keine Deerns aushielten, – die einzige, die sich während meiner Dienstzeit dort hinvermietete, rückte zu meinem Leidwesen schon nach drei Wochen wieder aus – so mußte ich auch gleichzeitig des öfteren Deern spielen. Melken half ich regelmäßig, ebenso buttern, oder wie hier gesagt wurde: »karnen.«
Beim Buttern überraschte mich die Alte einmal, wie ich von dem schönen sauren Rahm trank. Wie eine Furie ging sie da auf mich los, und ich glaube, sie hätte mir das Gesicht zerkratzt, wenn ich nicht schleunigst auf den Heuboden geflüchtet wäre. So begnügte sie sich damit, unten zu keifen: »Töw du Aas, ick will di helpen, wenn du mi hier den Room utsüppst.« Jörn aber lachte aus vollem Halse, weil ich dem geizigen »Wiw« Verdruß bereitet hatte.
Ein andermal verlangte sie von mir, ich solle die Stube scheuern. Flugs nehme ich zwei Börneimer voll Wasser und gieße sie auf den Fußboden hin, und dann habe ich mit dem Besen darin umhergescheuert, daß die Sauce an den Wänden in die Höhe flog. Ich konnte die Flut ja abwaten, denn ich hatte meine Miststiefel an. Aber was dann kam: Ein Schrei, ein Zischen, und die Alte fährt auf Strümpfen in die Überschwemmung, um mir den Scheuerlappen um die Ohren zu hauen. Geschickt entweiche ich[137] wieder auf den Heuboden. Das war abermals etwas für Jörn. Mit einer unbändigen Lache rief er seiner Mutter zu: »Dat hest' davon, du dösiget Wiw, de Jung is vör mir dar, awer ni vör di.«
Der Geiz und die Habsucht der Alten ging so weit, daß sie stets aufpaßte, wenn hinten beim Hühnerstall eine Henne gackerte. Sobald ein Huhn durch freudiges Kakeln anzeigte, daß es ein Ei gelegt hatte, so war auch schon die Alte hinten, um das wertvolle Produkt zu bergen, und das aus purer Besorgnis, Jörn oder ich könnten das Ei entwenden und austrinken.
Einmal war ich hinten auf der Lohdiele, als die Alte die Hühnernester revidieren wollte. Da diese über den Schweineställen angebracht waren, so mußte sie zu ihrem Zweck stets über die Schweinekoben klettern. Diese wurden voneinander durch Bretterwände getrennt, die an rohen Pfosten angenagelt waren. Plötzlich höre ich's bei den Schweinen jämmerlich schreien. Ich gehe hin und – sehe die Alte in einer unaussprechlichen Situation an einem Pfosten hängen. Sie war auf dem Rückwege über einem der schmierigen Koben abgeglitten und mit den Röcken an dem Pfosten hängen geblieben. Durch ihr Gewicht war nun der Körper herab- und die Röcke hoch-, sehr hochgerutscht. Der Anblick war zwar nicht besonders anziehend, aber um so possierlicher, als die Frau vor Schreck auch noch das erbeutete Ei zerdrückt hatte, dessen gelblicher Inhalt ihr nun aus der Hand den Ärmel hinunterlief. Angesichts dieser fatalen Lage meiner verehrten Herrin blieb mir nichts anderes übrig, als herzhaft zuzugreifen, wo ich ankommen konnte, um sie wieder zu befreien. Eine Schinkenschnitte war mein Lohn.
Mit dem Bauer selbst konnte ich mich bis dahin immer ganz gut verständigen. Jedoch einmal wälzte auch er die Schuld für ein Vorkommnis auf mich, an dem ich in Wirklichkeit völlig unschuldig war. Eine trächtige Mutterstute hatte plötzlich schwere Kolik bekommen. Die ganze Nacht hindurch mußte ich das kranke Tier mit Strohwischen reiben und umherführen. Ich tat es gerne, denn ich hatte eine Vorliebe für das schöne Pferd. Aber trotz tierärztlicher Hilfe und aller sonstigen Mühe verendete die Stute am anderen Vormittage. Nun gebärdete sich der Bauer[138] förmlich, als sei er aus dem Häuschen, und in seinem an sich vollkommen begreiflichen Ärger schleuderte er mir den Vorwurf ins Gesicht, ich sei Schuld an dem Tode des Tieres, weil ich beim Futtern irgend etwas versehen habe. Inwiefern mich da eine Schuld treffen sollte, begründete er gar nicht, sondern er rief mir nur immer einmal über das andere zu: »Min schmucke Studt'! Dat kann ick di bloß verdanken, dat ick se losworden bün! Du büst Schuld darto, dat ick min schön Tier verlaren hew!« Schweigend mußte ich mir auch diese Ungerechtigkeit gefallen lassen, auf eine mehr oder weniger kam's ja nicht mehr an.
Es war inzwischen Frühjahr geworden; Jörn und ich mußten das Feld bestellen. Da tat mir eine neue Arbeitshose nötig, denn meine alte war bei dem Hantieren mit den Futterrüben, dem Futtermehl und dem Stallmist unbrauchbar geworden. Ich bat den Bauern daher um einige Mark Lohnvorschuß, um mir in Wesselburen die »Büx« zu kaufen. Er meinte jedoch, es täte nicht nötig, daß ich deshalb eigens nach dem Flecken liefe, denn dort könne ich schließlich noch in schlechte Gesellschaft kommen; er werde mir eine Hose mitbringen. Obwohl ich nun seit meinem Dienstantritt sozusagen noch kaum vom Hofe heruntergewesen war, gab ich mich dennoch zufrieden; mir schien es ja immer, als wolle mich der Bauer absichtlich davor bewahren, daß ich mit anderen Leuten zusammenkäme. Er brachte mir denn auch die Hose mit und sagte, daß sie 8 Mark gekostet habe. Wie mir später der betreffende Kaufmann selbst mitteilte, hatte er in Wirklichkeit nur 4 Mark bezahlt. Mein Bauer hatte mich also regelrecht betrogen. Ebenso ging es einige Wochen später mit einer Joppe, die er mir sogar um 6 Mark teurer anrechnete, als wie ihr wirklicher Preis betrug. Der Bauer erklärte seine Mogelei nachher für einen Scherz, den er sich mit mir habe leisten wollen.
Das Beste aber kam am Ablauf meines Dienstjahres. Als ich da am 1. November bescheiden meinen Lohn forderte, machte Jan Gnurr ein Gesicht, als wenn er sagen wollte, ich sei wohl nicht recht bei Trost. »Min bester Jung«, belehrte er mich, »du hast ja nix mehr to gud!« Und nun fing er an zu rechnen: Rock und Hose hätte ich bekommen, hernach ein Hemde; dann seien mir[139] die Stiefel versohlt worden; das ginge also direkt von meinem Lohne ab. Dann aber habe die Bäuerin das ganze Jahr für mich gewaschen, und teure Einreibungsmedizin hätte ich gebraucht, als ich damals mit dem Kornsack die Treppe hinabgefallen war und mir das Knie verletzte. Das müsse ebenfalls abgezogen werden. Ferner hätte ich bei der Arbeit verschiedenes Geschirr zerbrochen; auch da sei er zum Abzug berechtigt. Und nun die Hauptsache: die krepierte Stute! Für die sei ich eigentlich voll ersatzpflichtig. Da ich jedoch »nichts habe«, so wolle er sich als gutmütiger und kulanter Mann, und weil ich sonst ein guter Junge wäre, in diesem Falle mit dem Rest meines Lohnes begnügen. Wir seien also vollkommen quitt!
Wieder dachte ich da an die Worte, die der Krugwirt des Dorfes vor etwa einem Jahre zu mir gesprochen hatte. Also nicht einen roten Pfennig bekam ich. Das war mein Lohn für die Arbeit eines ganzen Jahres!
Leider hatte ich die fast unverzeihliche Dummheit begangen, mich bei demselben Bauern auf ein weiteres Jahr zu vermieten. Im Sommer war er sowohl wie auch Jörn eine Zeitlang außerordentlich gut zu mir gewesen. Da hieß es nur immer: »Hier min Jung, und dar min Jung.« Wie wohltuend empfindet man in jenem Alter aber eine auch nur zeitweilig gute Behandlung, wenn sonst immer mit einem herumgestoßen wird. Ich glaubte damals allen Ernstes, es würde mit der Behandlung dauernd besser werden, und so willigte ich denn in naiver Gutherzigkeit ein, als der Bauer mich fragte, ob ich für 45 Taler ein weiteres Jahr bei ihm dienen wolle.
Wie bitter leid tat mir nun meine Gutgläubigkeit, als ich sah, wie mich dieser tiefäugige Geizkragen um meinen Lohn prellte. Doch nun war es zu spät. Ich hatte mich wieder weiter vermietet und mußte sehen, wie ich hinlang kam.
Der zweite Winter verstrich ebenso langsam, wie der erste. Wenigstens wurde mir gestattet, den »Dithmarscher Boten« und die »Itzehoer Nachrichten« zu lesen, die der Bauer hielt. Sonst ereignete sich in meinem Dasein weiter nichts, nur daß ich dem jetzt heiratslustig gewordenen Jörn die – Liebesbriefe an seine damalige[140] Braut schreiben mußte. Seine Fäuste konnte er nämlich besser zum Prügeln gebrauchen, wie zum Schreiben.
Dann war es abermals Frühling geworden, und wir arbeiteten mit den beiden Gespannen rüstig draußen. Früh morgens um 1/24 Uhr mußte ich heraus aus dem Bett, und wenn ich mich dann hinter Egge und Pflug müde gelaufen hatte, dann fielen mir des Abends um 9 Uhr beim Abfüttern tatsächlich mitunter die Augen zu.
Von einem regelrechten Feierabend war bei uns keine Rede, für mich fand sich wenigstens immer nach Feierabend noch etwas zu tun, ebenso des Sonntags.
In den letzten Tagen machte mir Jörn das Leben ganz besonders sauer. Seine Braut hatte ihm nämlich einen Brief geschrieben, den er trotz aller Mühe und schwerstem Kopfzerbrechen nicht entziffern konnte. Wohl oder übel mußte er mich nun wieder zu Rate ziehen. Tatsächlich war es ein origineller Brief. Sein Anfang begann in der Mitte des Papiers, und dann war immer schneckenartig im Kreise weitergeschrieben worden, bis die Schrift die beiden Längsseiten des Briefbogens erreichte. Die noch freigebliebenen Ecken hatte das Mädchen noch extra mit allerhand schönen Ergüssen einer liebenden Seele ausgefüllt, aber auch in drolligster Figurenform, so daß Jörn nicht wußte, wo er anfangen noch wo er aufhören sollte. So ging das auf allen vier Seiten des Briefes, und zwar im Tone des heitersten Übermutes und mit einer Offenherzigkeit im Ausdruck, wie man das eben nur auf dem platten Lande kennt.
Da ich beim ersten flüchtigen Blick auf das Gekritzel schon mehrere Worte sah, die mich ihrer drastischen Deutlichkeit halber gleich von vornherein interessierten, so machte ich Jörn begreiflich, daß ich den ganzen Brief erst still für mich durchlesen müsse, damit ich ihn hernach um so fließender vorlesen könne. Zuerst wollte er davon nichts wissen; ich sollte vielmehr sogleich laut und langsam mit dem Lesen beginnen, und wenn er dann merken würde, daß Stellen kämen, die »Geheimnissen« enthielten, so solle ich aufhören, er könne das denn schon raten; ein Ende weiter dürfe ich wieder fortfahren.[141]
Im Gefühl meiner Überlegenheit bestand ich jedoch auf meinem Vorschlage, weil ich mir doch erst den ganzen Inhalt zusammenreimen müsse. Ich zeigte ihm, daß doch alles »in eins« geschrieben sei, ohne Anfang und ohne Ende; einzelne Worte seien da gar nicht herauszufinden. Schließlich glaubte er mir das auch. »'dammi jo«, sagte er verzweifelt, indem er nochmals den Brief von allen Seiten beguckte, »dat sünd würklich luter Hakens und Stakens; dat kann ok doch keen Schwin läsen; – so'n twatsche Deern!« Und nun willigte er ein. Gemächlich studierte ich darauf den Inhalt und hatte natürlich bald vollständigste Kenntnis von den darin ausgeplauschten Geheimnissen, mit all dem amüsanten Wann, Wo und Wie.
Als ich nun laut las, hörte Jörn zunächst sehr andächtig und inbrünstig zu; dann aber wurde er rot bis hinter die Ohren: die »Geheimnissen« waren doch etwas saftiger Art, besonders wenn man sie auch noch vor einem »Untergebenen« offenbart sieht.
Unter schlecht verhehltem Grienen las ich den Brief zu Ende.
Meine heimliche Freude war Jörn aber keineswegs entgangen. Und je länger er wohl darüber nachdachte, desto ärgerlicher wurde er, teils über seine eigene Dummheit, teils über meine Mitwisserschaft seiner »Geheimnissen«. Überdies konnte ich mich auch nicht enthalten, recht herzhaft zu lachen, als er mich am nächsten Tage im Gefühl seiner Blamage halb lauernd, halb verdrießlich von der Seite anblickte. Dieses Lachen brachte ihn vollends in Wut, und nun prügelte er wieder auf mich los, als hätte ich das größte Verbrechen begangen. Doch damit nicht genug, trietzte er mich noch mit vermehrter Feierabends- und Sonntagsarbeit. Wir hatten gerade Ostern. Am Karfreitag mußte ich den ganzen Tag Rüben aus der Miete karren; am ersten Ostertage mußte ich den Schweinestall ausmisten und Wagen waschen, und am zweiten Ostertage sollte ich die Rinne um den großen Misthaufen reinigen.
Bei dieser Arbeit sah mich nun ein im Dorfe wohnender Kleinbauer, der gerade an der Hofstelle vorbeiging. Gutmütig meinte er zu mir, es sei doch ein Skandal, daß ich eine derartige Dreckarbeit am Festtage tun müsse. Er hätte mich im Stillen schon längst[142] bedauert, fügte er hinzu, und sich nur darüber gewundert, daß ich es hier noch immer aushielt. Auf meine Frage, was ich denn dagegen machen solle, rief er mir zu: »Awerst bester Jung, weß' doch ni so förchterlich dumm; knip doch eenfach ut! Annere Arbeit kriegst jitzt jeden Dag. De olle Rethknacker giwwt di jo doch keenen Lohn, un wenn du ok ewig bi em bliwwst, un sin Gröhlbüdel von Saehn tagelt di gar noch to Schann'n.«
Jetzt begann ich mir die Sache zu überlegen. Ich dachte daran, daß ich doch schon einmal ausgerissen sei, damals in Hamburg aus dem Sachsengängerzuge, und ich hatte keinen Nachteil davon gehabt, obwohl ich damals meine Hände noch längst nicht so rühren konnte wie heute, da ich bereits in einem Alter von 18 Jahren stand. Doch ich traute mir's nicht. Die Einförmigkeit des zweijährigen Gutsdienstes auf Bunsloh und die schlechte Behandlung während der anderthalb Jahre, die ich nun schon bei dem »Kassenbütteler Rethbur« war, schienen meine Energie und Willenskraft völlig gelähmt zu haben. Es lag mir wie Blei in den Knochen. Auch über mich war nach und nach schon jener gewisse Stumpfsinn gekommen, wie ich ihn früher bei den Knechten in meiner Heimat gesehen und wie ihn auch die Tagelöhner auf Bunsloh zur Schau getragen, eine Niedergedrücktheit, die das Aufbäumen gegen Unrecht gar nicht mehr zulassen will.
Dennoch nagte es jetzt fortwährend in mir. Der Gedanke, daß ich mir als 18jähriger Mensch eine derartige Behandlung schon aus Selbstachtung nicht länger gefallen lassen dürfe, gewann immer mehr die Überhand in mir. Vielleicht hätte ich aber trotzdem noch mein zweites Jahr voll abgedient, wenn Jörn die Mißhandlungen nicht auf die Spitze getrieben hätte.
Wir waren beim Eggen, ich voraus und Jörn hinterher. Hierbei mochte ich wohl eine Kleinigkeit vom »graden Streck« abgewichen sein, denn plötzlich brüllte Jörn mir zu: »Verdammtet Aas, du kannst woll ni kieken!« Gleichzeitig rückte er mit seinem Gespann in beschleunigtem Schritt neben mich und gab mir ein paar Hiebe mit der Peitsche.
Jetzt schoß mir's aber mit einem Male siedend heiß durchs Blut. Also wie einen Sklaven wollte mich der Lümmel peitschen?![143]
Schnell drehte ich mich um – ließ die Pferde stehen und: klitsch, klatsch, hieb ich ihm mit meiner Ackerpeitsche um die Ohren. Im ersten Moment schien er ganz verblüfft zu sein, daß ich – der bisher so unendlich Geduldige – jetzt urplötzlich eine Gegenwehr wagte. Dann aber wollte er auf mich losstürzen, doch in diesem Moment setzten meine Pferde zum Lauf an, deren Leine ich vorhin losgelassen hatte. Wollte er die mutigen Tiere nun nicht wild davon rennen lassen, so mußte er die Leine ergreifen und sie festhalten, denn es war totsicher: Befanden sich die Pferde erst im Lauf, dann gab's Malheur. Die scharfzinkige Egge wäre dann auf dem Acker hin- und hergesprungen und hätte die Tiere zweifellos schwer verletzt, vielleicht so schwer, daß sie zugrunde gegangen wären.
Dies wußte auch Jörn. Deshalb griff er instinktiv nach den am Boden liegenden Zügeln und brachte die Pferde noch rechtzeitig zum Stehen. Er hatte nun an der einen Hand mein Gespann und an der anderen das seinige, mithin konnte er seinen Grimm über die von mir empfangenen Peitschenhiebe nicht auslassen. Schäumend rief er mir zu, ich solle meine Pferde wieder anfassen. Ich aber in der Gewißheit, daß meines Bleibens hier nun doch nicht länger sein könne, erwiderte dem in ohnmächtiger Wut Dastehenden: »Holl' du die Bück' man alleen fast; du Hund hest mi jitzt lang 'naug quält!« Und damit ließ ich Jörn mit seinen Pferden stehen und ging nach dem Hofe, wo ich von dem Alten meinen Lohn forderte. Der machte anfangs große Augen als er hörte, was los war. Dann wollte er mir »befehlen«, sofort wieder nach dem Felde zu gehen. Ich erwiderte ihm, die Zeit sei jetzt vorbei, wo ich mir hier noch etwas befehlen ließe. Als er nun einen Knüppel nahm und auf mich losging, hielt ich ihm eine Mistforke entgegen, entschlossen, mich energisch damit zu verteidigen. Da ging er zur Tür hinaus und rief, indem er sich nach mir umwandte: »Lohn kriegst du Aas keenen Schilling von mi; awer töw man, ick war' Jörn irst von't Feld halen, denn war' ick di wat anners vertellen!«
Ich ließ ihn laufen; nahm dann von meinem bißchen Zeug, was mir das Wertvollste schien und schritt an der keifenden Alten[144] vorbei dem Hoftore zu, durch das ich vor anderthalb Jahren hereingekommen war.
Draußen wurde mir's ordentlich leicht ums Herz. Ich fühlte mich plötzlich frei wie ein Vogel. Nun mochte kommen was da wollte; war mir's doch, als hätte ich ein Sklavenjoch abgeschüttelt.
Freilich, jetzt war ich so arm wie 'ne Kirchenmaus. Keinen Pfennig Geld in der Tasche, und an Zeug kaum mehr, als wie ich auf dem Leibe trug: so mußte ich von dem Hofe dieses Bauern gehen, für den ich fast anderthalb Jahre hindurch redlich gearbeitet hatte!
Eiligen Schrittes ging ich nach Wesselburen, um mir neue Arbeit zu suchen; jetzt in der Saatzeit wurden ja überall Arbeitskräfte gebraucht. Ich wandte mich wieder nach demselben Gasthause, dessen Inhaber mich einst nach Kassenbüttel hinvermietet hatte. Dieser besorgte mir auch sogleich frische Arbeit bei dem Hofbesitzer Klaus Meier in Süderdeich, ebenfalls einem Dorfe unweit des Fleckens.
Noch am selben Tage stellte ich mich meinem neuen Arbeitgeber vor, und mit dem wurde ich einig, die Zeit bis zum 1. Mai in Tagelohn zu arbeiten, gegen einen täglichen Verdienst von 1,50 Mark und Kost. Denn in der Frühjahrssaatzeit gab es dort für junge Tagelöhner allgemein einen Tagelohn von 1,50–2,00 Mark. Für das Sommerhalbjahr vom 1. Mai bis 1. November vermietete ich mich dann daselbst als Knecht zu einem Lohn von 50 Talern. Somit hatte ich Aussicht, in den paar Wochen bis zum 1. Mai noch einige Mark Kleingeld zu verdienen, das mir um so nötiger tat, als ich eben gänzlich mittellos war; und für den Sommer erhielt ich einen höheren Lohn, als wie ich ihn bei dem Rethbur im ganzen Jahr bekommen sollte.
Eine Woche war ich ungefähr auf meiner neuen Stelle, da kam des Vormittags der Besitzer zu mir aufs Feld und eröffnete mir mit »plietschem« Augenzwinkern, daß der Amtsdiener gekommen sei, um mich wieder nach dem Kassenbütteler Rethbur zurückzubringen.
Das war nun allerdings nicht besonders erfreulich für mich.[145]
Schon hatte ich mich in dem Gedanken gewiegt, daß der olle ehrliche Jan Gnurr mitsamt seinem Jörn sich überhaupt nicht mehr um mich bekümmern würden, zumal die beiden – was meinen Kontraktbruch anbelangte – doch eigentlich ein schlechteres Gewissen haben mußten, wie ich. Und nun sollte ich wieder in das alte Joch zurückgeschleppt werden, sollte wie ein Verbrecher unter Bewachung des Polizisten den Zwangsmarsch nach Kassenbüttel antreten! Hei, wie sich der alte Geizknüppel freuen würde, wenn mich der Mann mit den blanken Knöpfen bei ihm ablieferte! Sollte ich, oder sollte ich nicht? Zum Teufel, ich war kein Verbrecher. Nur als Mensch wollte ich behandelt sein, und nicht wie ein Stück Vieh, und Lohn wollte ich haben für meine Arbeit und nicht umsonst mich schinden. War es wirklich möglich, daß man mich durch Polizeigewalt zwingen wollte, das Hundeleben bei jenen Bauern fortzusetzen?
Schon blickte ich nach dem Dorfe Reinsbüttel hinüber, unentschlossen, ob ich von unserer Feldmark nicht lieber nach dorthin das Weite suchen, oder ob ich mich dem Polizisten stellen solle. Mein jetziger Bauer mochte meine Gedanken erraten. Schnell sprach er zu mir: »Jung, mak keen Dummheeten! Gah' ruhig mit. Kannst nasten ja gliks wedder utknipen, un denn kummst wedder hier her!«
Ei, der Vorschlag ließ sich hören. Wenn's so war, dann würde ich mich wahrhaftig nicht lange besinnen. Ich ging also nach dem Hofe, wo mich der Amtsdiener in Empfang nahm. Wahrscheinlich hatte Klaus Meier schon vorher ein vernünftiges Wort mit ihm gesprochen, denn der »Hüter des Gesetzes« war nicht schroff zu mir. Er erlaubte mir auch, etwa 10–20 Schritt vor ihm an der andern Seite der Dorfstraße zu gehen, damit der Transport nicht so auffalle, und so wanderte ich dann nach der Kirchspielvogtei in Wesselburen, wo ich verhört wurde.
Der Kirchspielschreiber, ein älterer jovialer Herr, schien es mir nachzufühlen, daß ich keine übermäßige Lust zur Rückkehr in den verlassenen Dienst verspürte. Er ließ ziemlich unverblümt durchblicken, daß auch er eine anderthalbjährige Dienstzeit »bi den darsten Kirl« unter solchen Umständen für mich als vollkommen[146] ausreichend ansehe. Doch fügte er hinzu, das Gesetz sehe nuneinmal die zwangsweise Zurückführung eines entlaufenen Dienstboten vor, und er könne mir ja schließlich auch nicht den direkten Rat geben, gleich wieder auszukneifen.
Nach beendetem Verhör machte sich der Amtsdiener mit mir auf den Weg nach Kassenbüttel. Unterwegs gab er mir sogar eine Zigarre. Ich erzählte ihm dafür, wie es mir bei dem Rethbur bis dahin ergangen war. Als ich ihn dann fragte, was ich nun wohl am besten tun solle, denn jetzt würden mich Jan Gnurr und sein Sohn erst recht schlecht behandeln – da zuckte er die Achseln und meinte, heutzutage gäbe es schon Knechte genug, die in solchem Falle ganz einfach sagten: »Vör geiht man rin, un achter geiht man wedder rut!« So, jetzt wußte ich Bescheid.
War das ein Gesicht, was der Rethbur machte, als mich der Amtsdiener wieder bei ihm ablieferte! Breitspurig pflanzte er sich vor mir auf und grinste mich so recht hämisch mit den Worten an: »Sühst du, di Vagel heww wi wedder infungen; nu will ick di woll kriegen, du Vetter!«
Hiermit bezahlte er dem Amtsdiener den Taler Transportkosten, der für meine Einlieferung an die Amtskasse zu entrichten war, und sagte unter ausdrücklicher Berufung auf dessen Gegenwart zu mir, den Taler werde er mir zum Herbst ebenso vom Lohne abziehen, wie den Schaden, den er durch mein Ausreißen gehabt habe. Ich aber dachte bei mir, für diesmal solle er das »Abziehen« wohl bleiben lassen; und ähnliche Gedanken schien auch der Amtsdiener zu hegen, wie ich aus seinem vielsagenden Räuspern herauszuhören glaubte.
Mit affektierter Forsche befahl mir der Bauer alsdann, nach der Boos zu gehen und mit dem Futtern zu beginnen. Dort war Jörn bereits am Wühlen. »A ha«, machte dieser, »jitzt heww wi di Unkel ja wedder; na töw man, wi ward' uns nasten wat vertellen!«
Nette Aussichten für mich; zweifellos hatte er es »gut« mit mir im Sinn! Er schnauzte mich dann an, ich solle sofort den Mist aus der Boos schaffen, der nun schon rund acht Tage hinter dem Vieh lag. Den Dung, so höhnte er, habe er eigens für mich liegen lassen, damit ich mich jetzt nach meiner Einlieferung daran[147] »ammiseeren« könne. Damit ging er aus Neugierde nach dem Vorderhause, wo der Alte dem Amtsdiener gerade »Adjüs« sagte. Diesen Moment benutzte ich, um aus der Boostüre über den Misthaufen zu setzen, und – schon stand ich wieder frei auf neutralem Gebiet. Die Kühe aber brüllten mir den Abschiedsgruß nach.
Als der Bauer mich so gemächlich auf dem Dorfwege hinschreiten sah, malte sich gröbliche Enttäuschung in seinen verdutzten Zügen. Also der Polizist ging vorn heraus und ich hinten, und Jan Gnurr hatte seinen Taler umsonst geopfert! Das war zu viel für ihn. Mit voller Lungenkraft rief er dem Amtsdiener zu: »Heh, Deener, heh! Kiek dar löppt he all weder! Fix to, hal em, den verdammten Stromer!« Auch Jörn schnitt ein unglaubliches Gesicht und rief ebenfalls: »Jo warraftig, dar löppt das Aas; gau' to, grip em!«
Doch der Amtsdiener winkte dankend ab und erwiderte gelassen, so gehe das nicht, erst müsse er einen neuen Auftrag vom Kirchspielvogt dazu haben, denn »de Minsch is doch keen Verbreker.« Ich aber verbeugte mich und rief: »Adjüs Rethbur, holl di fuchtig!« Damit zeigte ich dem Ergrimmten meine Hinterfront und – schlug mich seitwärts in die Büsche. Ein Stündlein später war ich wieder in Süderdeich.
Etwa acht Tage später erhielt ich aber doch ein amtliches Strafmandat, wonach ich »wegen wiederholten vorzeitigen Verlassens des Dienstes bei dem Landwirt Jan Gnurr in Kassenbüttel« drei Mark an die Kasse der Kirchspielvogtei zu Kesselburen blechen sollte. Diesen Taler bezahlte jedoch mein jetziger Bauer Claus Meier, weil er es eigentlich gewesen, der mich zum abermaligen Auskneifen veranlaßt hatte. Der Rethbur hätte mich zwar erneut durch polizeilichen Zwang in seinen Dienst zurückführen lassen können, doch verzichtete er darauf, weil man ihm auf dem Amt gesagt hatte, daß er andernfalls vielleicht eine Klage meinerseits auf Herausgabe meines vorjährigen Lohnes zu gewärtigen habe. Ich aber war froh, daß ich da weg war.
Auf meiner neuen Dienststelle lebte ich nun förmlich auf. Ich hatte es ungleich besser getroffen wie vorher, und diente nun auf[148] einem vollwertigen Marschhofe. Der Bauer selbst arbeitete nicht mit, sein Hof gestattete es ihm, sich lediglich mit der Aufsicht zu begnügen.
Hierbei möchte ich doch einmal einschalten, daß man sich die heutigen Großbauern der fruchtbaren Distrikte Nordwestdeutschlands, und besonders der Marschen, durchaus nicht etwa als die dummen tranigen Tölpel von anno Tobak vorstellen darf, mit langem großknöpfigen Schlangengreiferrock und ewigen Miststiefeln. Ach nein, die haben sich dort verdammt modernisiert. In Kleidung und Auftreten messen sie sich heutzutage mit jedem honetten Bürgersmann, und ihre Söhne und Töchter wissen die Moden der Neuzeit genau so gut zu würdigen, wie die Sprößlinge eines Fabrikbesitzers oder Kommerzienrats. Dementsprechend sind auch Wohnungseinrichtungen, besonders die »Beststuw«, vielfach »hochmodern«. Teure Tapeten und elegante Polstermöbel gehören da zu dem ganz selbstverständlichen Hausbedarf. Leute wie mein Rethbur waren nur noch Ausnahmeerscheinungen in der Marsch, galten auch nicht für vollwertig. Ältere Kleinbauern kleideten sich wohl noch so »zugeknöpft« wie etwa mein früherer Torfbauer Jochen Voß »ut Kaspel Kunkargen«, die jüngeren unter ihnen indessen auch nicht mehr.
Man braucht sich gar nicht zu wundern, wenn sich uns irgendein hochgewachsener, würdig aussehender Herr in tadellosem Anzug und mit schwer goldenem Kneifer auf der Nase als Marschbauer vorstellt. An der Bezeichnung »Bur« hält er in seiner heimatlichen Gegend allerdings noch mit altem Stolze fest; auswärts nennt er sich dagegen mit Vorliebe Landwirt oder Hofbesitzer. Das neuzeitlich allerorts gesteigerte Bildungsbedürfnis hat auch die meisten Marschbauern bewogen, ihre Söhne wenigstens eine Zeitlang auf bessere Schulen zu schicken und sie einige Kurse auf landwirtschaftlichen Lehranstalten absolvieren zu lassen. Ebenso erhalten die Töchter vielfach Klavierunterricht. Überdies fehlt es auf keinem Hofe an einer oder mehreren Zeitungen und landwirtschaftlichen Fachzeitschriften. Freilich vermag nicht jeder dieser modernisierten Bauern den alten Adam zu verleugnen. Die ererbten Eigenschaften persönlicher Grobkörnigkeit[149] und der Mangel an natürlichem Schliff werden in solchen Fällen durch einen äußerlich zur Schau getragenen Bildungsfirnis nicht allemal glücklich verdeckt, und das Benehmen artet dann gar zu leicht in dickwanstige Aufgeblasenheit und massive Protzigkeit aus. Besonders unter den jüngeren Hofbesitzern findet sich manch einer, der die Allüren und Passionen ostelbischer Großagrarier wenigstens teilweise nachzuahmen sucht, wodurch dann das an sich recht sympathische bäuerliche Selbstbewußtsein unfehlbar einen Stich ins Lächerliche erhält. Alles in allem aber läßt sich sagen: Der heutige Marschbauer – und nicht nur dieser allein – ist mit dem dummrobusten, zipfelmützigen Bauerntypus von anno dazumal gar nicht mehr zu vergleichen.
Die Bauernsöhne arbeiten meistens mit; allerdings suchen sie sich in der Regel die leichtesten und angenehmsten Arbeiten aus.
Was die Arbeitszeit anbetrifft – ich darf auch hier verallgemeinern –, so konnte diese als eine verhältnismäßig geregelte bezeichnet werden. Des Morgens um 4 Uhr – stellenweise mitunter auch um 1/25 Uhr – war Aufstehenszeit für die Leute. Im Winter, wie auch in der Saat- und Erntezeit gab es keine Mittagspause; in der übrigen Zeit des Sommers vom 1. Mai bis 1. November erhielten wir außer der Essenspause des Mittags noch eine Stunde Schlaf. Während des Sommers gab es auch eine Vesperpause von zwanzig Minuten, die im Winter fortfiel. Zweites Frühstück gab es nicht. Im Sommer war regelmäßig um 7 Uhr Feierabend – ausgenommen die Erntezeit, wo nach Bedarf auch länger gearbeitet werden mußte –, und im Winter konnte um 6, zeitweise auch um 1/26 Uhr Feierabend gemacht werden. In der Frühjahrssaatzeit hatte der Knecht nach Feierabend noch bis 9 Uhr Pferde zu füttern.
Über die Verköstigung aber ließe sich folgendes sagen: Des Morgens erhielten wir zunächst »Upbradelsch« (zerschnittene Klöße mit Kartoffeln, die in Fett gebraten waren), hierzu »Melk un Bry« und Brot nach Belieben mit dem dazu gehörigen »Stoß« Butter oder Schmalz. Die Butter war reine Naturbutter, nicht mit Margarine »destilliert«. Im Sommer wurde die Milch (abgerahmte[150] Milch) kalt genossen, im Winter warm. Der Brei bestand aus dickgekochten Graupen, von dem gleich ein Vorrat auf mehrere Tage hergestellt wurde. Es ist fast unglaublich, welch' ein Quantum dieser gewiß nicht leichten Kost man schon des Morgens in aller Frühe zu sich nehmen kann. Der Städter, der zum Frühstück seine paar Schrippen zum Kaffee ißt, würde staunen, wenn er die Portionen sähe, die ein Knecht oder Tagelöhner hier gleichsam »auf den nüchternen Magen« ohne Anstrengung verschwinden läßt.
Doch das starke Essen hat seine natürlichen Ursachen: in der schweren physischen Arbeit in frischer Luft; hinzu kommt, daß man bis zum Mittag aushalten muß, ohne daß es zweites Frühstück gibt. Wenn man so zum Beispiel im Frühjahr in der rauhen Luft vom Morgen bis zum Mittag hinter Egge und Pflug herläuft, dann mag man sich des Morgens so voll gestopft haben wie man will; man spürt zwar des Vormittags keinen besonders großen Hunger, denn die Morgenkost hält ziemlich vor – kommt man aber des Mittags an den Tisch, so schaufelt man wieder mit einer Emsigkeit ein, als solle der Magen bersten.
Des Mittags gibt es auch hier vorwiegend Mehlspeisen, jedoch nicht von Buchweizenmehl wie im östlichen Holstein, sondern von Weizenmehl, weil in der Marsch hauptsächlich Weizen gebaut wird. Die Klöße nennt man hier »Baahl«; sie erreichen mitunter die Größe einer guten Jungensfaust. Ein eigenartiges Nationalgericht ist der Dithmarscher »Mehlbüdel«, auch der »grote Claas« genannt. In Kopfesgröße marschiert dieser dicke unförmliche Mehlpudding auf den Tisch, und jeder haut sich mit seinem Taschenmesser davon ab, soviel er verdauen kann. Speck gibt es fast zu jeder Mittagsmahlzeit – ausgenommen zu den »Pannkoken« – und zwar bei den meisten Bauern so reichlich, daß man sich in der Regel noch ein Stück zum Abendessen zurücksetzen kann. Zuweilen kommt auch frisches Fleisch auf den Tisch.
Des Abends gibt es dann wieder Milch und Brei mit Brot und »Stoß«, jedoch ohne »Upbradelsch«. Am Sonntagmorgen erhielten wir Kaffee und »Stuten«, das ist feineres Weizenbrot.
Wie überall, so liegt die Güte der Kost auch hier in ihrer Zubereitung.[151] Wo eine Bauernfrau auf genügende Abwechslung und Verschiedenartigkeit der Zubereitung achtet, da klagt auch niemand über schlechte Kost. Denkt die Bäuerin aber: für die Leute ist's gut genug – nun, da darf sie sich auch nicht wundern, wenn der Hof bald wegen mangelhafter Kost verschrien ist. Leider ist die Zahl der Bauern gar nicht so gering, bei denen für eine abwechslungsreichere Verköstigung der Leute nur herzlich schlecht gesorgt wird. Die gute »Dithmarscher Kost« essen sie selber, ihre Leute aber können sich an dem Geruch erfreuen und müssen mit fadem Mehlpamp vorliebnehmen.
Hier bei Claus Meier konnten wir mit der Kost zufrieden sein; das Essen war nicht nur reichlich und kräftig, sondern auch schmackhaft, so daß uns der dreizehnmalige Genuß von »Melk un Bry« in der Woche gar nicht weiter auffiel. Im östlichen Holstein hatte ich mich ja auch an die wöchentliche vierzehnmalige Vertilgung von »Melk un Grütt« gewöhnt. Natürlich bekamen wir hier, dem allgemeinen Brauche entsprechend, Löffel und Gabel zum Essen, und als Tischmesser benutzte jeder sein Taschenknif; ebenso wurden nur des Mittags ordinäre Teller geliefert, morgens und abends aßen wir gemeinsam aus einem Napf. Die Sitte, daß die Leute mit am Tisch des Bauern aßen, war hier überall längst abgekommen, nur ganz vereinzelt fand sie sich noch vor, das heißt, dann handelte es sich um kleinere Bauern, die höchstens einen Dienstboten hielten. Sonst verzehrten Knechte und Tagelöhner ihr Essen in der Leutekammer, teils in Gemeinschaft mit den Deerns, teils ohne diese, wenn die Deerns es vorzogen, in der Küche zu bleiben.
Was mir auf dieser Stelle ganz besonders gefiel, war, daß ich hier einen ziemlich weitgehenden Einblick in die neuere landwirtschaftliche Betriebsweise erhielt. Gewöhnlichhin ist es in der Landwirtschaft so, daß die Knechte tagtäglich weiter nichts tun, wie arbeiten. Sie füttern das Vieh, wühlen im Mist umher, eggen und pflügen, mähen und fahren, kurz: sie leisten alle wirtschaftlichen Arbeiten, wie sie ihnen gelehrt und aufgetragen werden, aber Einsicht in den ökonomischen Zusammenhang, in die Rentabilität eines Betriebes, in die Zweckmäßigkeit einer sorgfältig[152] gewählten Fruchtfolge, in den Wert oder Unwert künstlicher Dung- und Futterstoffe wird ihnen meistens nicht. »Wat schöllt wi uns veel darüm kümmern, wie ward ja doch keen Bur!« bekam ich in der Regel zur Antwort, wenn ich die Dorfknechte danach fragte. Mich aber interessierten gerade diese Dinge in hohem Maße, und so sprach ich denn häufig mit den beiden Söhnen meines Bauern darüber.
Bereitwilligst bekam ich auch stets gewünschte Auskunft, so wie sie es teils aus der väterlichen Praxis, teils auf der landwirtschaftlichen Schule in Meldorf gelernt hatten. Mein Interesse an der zweckmäßigen rationellen Bewirtschaftung eines Hofes war ihnen sichtlich sympathisch. So vertieften wir uns denn des Abends in allerhand theoretische Studien; stellten Wahrscheinlichkeitsberechnungen über den Ertrag dieser oder jener Fruchtart, der und der Bodengüte auf, berechneten die Fütterungskosten des gesamten Viehstandes und anderes, so daß ich bald manches auf diesem Gebiete lernte, von dem ich bis dahin keine blasse Ahnung gehabt hatte.
Ich wußte nun, wie stark ein Acker gedüngt werden mußte, wieviel Aussaat der verschiedensten Getreidearten auf einen Morgen Land kam, auf wieviel Ertrag an Heu, Stroh und Korn unter normalen Witterungsverhältnissen gerechnet werden konnte, wußte ferner, wie lange Zeit erforderlich war, um unter Anwendung bestimmter Futterstoffe Vieh zu mästen; kurz: es war mir möglich, die gesamten Ausgaben und Einnahmen eines Hofes in Wahrscheinlichkeitsrechnung zusammenzustellen, wodurch ich sehr wesentlich an richtiger Beurteilung der landwirtschaftlichen Verhältnisse gewann. Zudem las ich eifrig in der landwirtschaftlichen Fachpresse, die mir bereitwillig zur Verfügung gestellt wurde. Auf diese Art wurde es mir bald klar, daß ein »dummer Bauer« – wenn er mit der Neuzeit vorwärts will – eigentlich doch recht viel mehr wissen muß, als wie man gemeinhin annimmt.
Eigenartig erschien es mir immer, welch' regen Anteil man als bloßer Knecht an dem Gedeihen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse eines Hofes nimmt. So ging es nicht nur mir, der ich tiefere Einblicke in den Betrieb zu gewinnen strebte, sondern[153] allen Knechten, die ich kennen lernte. Dieses Interesse erstreckte sich auf das Vieh wie auf das Korn. Obwohl man doch nur ein für Lohn und Brot gemietetes, untergeordnetes Stück Gesinde ist, dem kein Schwanz und kein Halm von all dem gehört, was es um sich sieht, so behandelt und betrachtet man doch alles mit einer Sorgsamkeit, als sei einem jedes Stück direkt ans Herz gewachsen. Man hat mit gesät und gepflanzt, man sah, wie junges Vieh zur Welt kam und freut sich, wenn alles gedeiht und sich weiter entwickelt. Wurden Kälber oder Füllen geboren, so opferte man gerne einige Stunden Schlaf, wenn nicht gar die Ruhe einer ganzen Nacht, um hilfsbereit zur Stelle zu sein, damit das Junge wie auch das Muttertier keinen Schaden nehmen solle. Ebenso ging es, wenn ein Stück Vieh erkrankt war. Hatte Unwetter oder Hagelschlag die sprießenden Halme geknickt, so empfand man die Schädigung mit, die den Landwirt, den sie in erster Linie anging, betroffen hatte. Es ist eben doch ein Unterschied, ob man es mit toten oder lebenden Produkten eines Berufszweiges zu tun hat. Man lebt und fühlt mit der Natur, in der man schafft und arbeitet, ganz gleich, ob einem selbst etwas davon gehört oder nicht. Deshalb entwickelt sich auch bei dem ungebildetsten Knecht ein natürlicher Verantwortungstrieb, und selbst rohe Naturen zeigen sich bestrebt, das, was sie mit säten, pflanzten und pflegten, auch zu hegen und zu fördern, bis daß es seiner zweckdienlichen Bestimmung entgegengeführt ist. An allem klebt ja mit ihr Schweiß, an allem haftet ihre Arbeitskraft, und alles spiegelt in seinem Wachstum und Gedeihen einen Teil ihrer Schaffenskraft wieder. Wenn die Landwirte dieses natürliche Empfinden ihrer Leute allemal richtig zu würdigen wüßten, dann könnten sie durch gute Behandlung und anständige Entlohnung deren Arbeitseifer und Verantwortungsgefühl derart steigern, daß die Leute selbst das geringste und scheinbar wertloseste Stück Eigentum ihres Arbeitgebers mit der Sorgfalt in acht nehmen, als wäre es ihr eigenes. Sie würden eben arbeiten, als arbeiteten sie für sich, mit Lust und mit Freude. Hier bei Claus Meier war es tatsächlich so der Fall.
Bald war ich auch mit den übrigen Knechten im Dorfe bekannt,[154] und nicht lange dauerte es, so kannte ich auch die – Deerns. Dralle Dinger diese Deerns; kräftig, rotbackig, lebenslustig, wie Milch und Blut.
Die Dienststellung der Mägde in Dithmarschen unterscheidet sich sehr vorteilhaft von derjenigen ihrer Mitschwestern in anderen ländlichen Gegenden. In Dithmarschen werden die Mägde nämlich schon längst nicht mehr zur Feldarbeit herangezogen. Sie tun lediglich Hausarbeit, eingerechnet natürlich das Melken der Kühe; höchstens daß sie in der Erntezeit hin und wieder beim »Zuschmeißen« der Garben mit helfen. Diese Arbeit wird dann jedoch stets als eine rein freiwillige Leistung betrachtet und in der Regel auch extra entschädigt. Ein Bauer, der von seinen Deerns verlangen wollte, daß sie auf dem Felde mit »herumruntschen« sollten, würde dort bald überhaupt keine Mägde bekommen. Selbst aus Ostpreußen importierte Mägde nehmen an der Feldarbeit nicht mehr teil, oder doch nur ganz vereinzelt. Im östlichen Holstein und auf der Geest war es dagegen noch allgemein Sitte, daß die Deerns mit beim Dungstreuen, Garbenbinden, sowie beim Einfahren mit Heu- und Kornladen beschäftigt wurden.
Wenn somit den Mägden bei der Arbeit im großen und ganzen keine Überlast geschah, so hatten sie doch mitunter Schlafstellen, die geradezu als menschenunwürdig bezeichnet werden mußten. Schliefen sie in einer separaten Kammer oder in einem Bettkasten dicht neben der Küche, so mochte es noch gehen. Nicht selten aber war ihre Bettstatt in einem finsteren Winkel unter der Bodentreppe aufgeschlagen, zu kurz, um sich drin ausstrecken zu können und im Winter so kalt wie ein Hundestall. Da konnten sich solche Mädchen dann frierend und zitternd vor Kälte auf den Steinfliesen der Vordiele ausziehen und mußten froh sein, wenn sie erst glücklich in das Verließ hineingekrochen waren, ohne sich Kopf und Glieder zu stoßen; ganz abgesehen davon, daß sie schutzlos allerhand Zudringlichkeiten preisgegeben waren. Es gehörte zuweilen wirklich schon eine Kunst dazu, unbeschädigt in solch Schlafloch hineinzuklettern. Hier spreche ich aus ureigenster Erfahrung, denn ich habe es selbst oft genug probiert.
Wo die Mädchen derartig untergebracht waren, hieß es dann[155] allgemein: »De Deerns schlapt in de Höll'.« Den Ausdruck »Hölle« fand ich übrigens gar nicht so unpassend. War es da ein Wunder, wenn die Deerns sich besonders im kalten Winter darnach sehnten, daß diese »Hölle« auch zeitweilig mal ein »Himmel« sein möchte?
Selbstverständlich fand ich bald auch an den dörfischen Tanzlustbarkeiten mein Vergnügen, und diese wurden dort nicht zu knapp veranstaltet. Die Dörfer liegen alle ziemlich dicht beieinander, zum Beispiel Süderdeich, Norddeich, Reinsbüttel, Hellschen, Deichhausen. In jedem Dorfe gab es aber mindestens einen, wohl auch zwei oder drei Krugwirte, die jährlich mehrmals Tanzvergnügen abhielten, sei es in einem kleinen Saal oder in einem Tanzzelt. Dazu kamen noch die Wirte des Fleckens Wesselburen, die gleichfalls auf »Zuzug« von den Dörfern reflektierten. Mithin war an Tanzgelegenheit kein Mangel. Wenn selbst das aber noch nicht ausreichte, so arrangierten wir Knechte unter uns des Sonnabends in einem der Dorfkrüge einen kleinen »Jott« mit Harmonikamusik. Unsere Deerns wurden dazu eingeladen, und dann wurde gewalzt, daß die Röcke flogen und die Dielen krachten. Ja wenn die Bauern sich gegenseitig Besuche abstatteten, zur »Visite« gingen oder fuhren, so fanden sich auch im Handumdrehen die Nachbarsknechte mit ihren Mädchen auf dem »leeren« Hofe ein; eine Harmonika war bald zur Stelle, und dann ging's auf der Vordiele – hast du nicht gesehen! Immer nach dem Grundsatz: Wenn die Katze nicht im Hause, dann tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Kam dann der Bauer um Mitternacht oder auch später von seiner Visite zurück, so verschwanden die Pärchen mit unterdrücktem Kichern unter dem Schutze der Nacht, und – »wi harn keen Küken pedt't.«
Zu den interessantesten Dorflustbarkeiten gehört ohne Zweifel das »Ringreiten«. Die Knechte erbitten sich von ihren Bauern dazu die nötigen Pferde. Roß und Zaumzeug werden nun hübsch geschmückt, wobei die Deerns schon ihr bestes tun, um ihren Schatz und dessen Rosinante möglichst schmuck auszustaffieren. An dem Festsonntag veranstalten die Teilnehmer zunächst unter Vorauffahrt einer zünftigen Musikkapelle einen[156] Umzug zu Pferde, und dann beginnt das Ringstechen. An einem eingerammten Pfahl wird mittels einer Feder der kleine Ring befestigt, der nun von dem Reiter mit einem kurzen florettartigen Stecher im Galopp herabgeholt werden soll. Wer den Ring dreimal herabsticht, ist »König« und erhält als Belohnung eine Pfeife und zudem vor versammelter Mannschaft einen herzhaften Kuß von seiner Tanzbraut, die für diesen Tag nun den Titel »Königin« führt.
Bei diesem Fest geht es gewöhnlich ohne einige komische Vorfälle nicht ab. Die Reiter sind nämlich nicht allemal besonders sattelfest. In Ermangelung von Reithosen schieben sich ihre Sonntagsbüxen mitunter bis zum Knie in die Höhe, die Füße gleiten bis zum Absatz in den Bügel hinein, so daß die ausgeputzten Gestalten nun mit hochgezogenen Beinen auf dem Gaul sitzen und öfters einen gar drolligen Anblick gewähren. Solange der Gaul gemütlich bleibt, mag's dann immer noch gehen. Wird er aber widerhaarig, was schon einige überquietsche Klarinettentöne bewirken können, dann gibt's gar zu leicht Sandreiter. Ebenso amüsant ist es, wenn der Reiter trotz aller Bemühungen ein gar zu frommes Tier nicht in Galopp zu setzen vermag. Mancher spielt dann eine komische Figur, ohne daß er es will. Doch der Festesfreude wird damit kein Abbruch getan, wenigstens solange nicht, wie die Köpfe noch klar sind. Späterhin ist es allerdings nicht ausgeschlossen, daß die ganze Lustbarkeit in einer solennen Keilerei endet; das gehört bei einigen so mit zum Vergnügen.
Die Perle aller Feste bildete aber auch in dieser Pflege der Markt, der »Wesselburner Markt«, der im Frühjahr und Herbst abgehalten wird. Wer nicht zu Markte war, kann nicht mitreden. Jemanden vom Marktbesuch zurückhalten wollen, gilt als grober Verstoß gegen Brauch und Sitte. Dort macht der jüngste Knecht seine ungelenken Tanzversuche, dort debütiert auch die vierzehnjährige »Lüttdeern« als »Brut« mit einem »Frier«.
Selbstredend war auch ich dabei. Ich war jetzt aufgelebt und wollte mich nun entschädigen für alles, was ich bisher auf diesem Gebiet hatte versäumen müssen, und da hatte ich manches nachzuholen.[157] Von meinem Lohne ließ ich mir einen namhaften Vorschuß geben, kleidete mich adrett ein und machte nun mit, soviel sich mir bot. Hier in Dithmarschen pflegten sich Knechte und Deerns des Sonntags durchaus nach städtischem Muster zu kleiden. Von irgendeiner altmodischen Landestracht war schon längst keine Rede mehr. Nur ganz vereinzelt sah man noch eine Deern im »linnwullnen Rock«, obschon gerade er mit dem dazu gehörigen kurzärmeligen Samtmieder recht kleidsam war. Des Sonntags, und erst recht bei festlichen Anlässen wurde er jedoch sicher an den Nagel gehängt, und das Mädchen erschien in Hut, Kleid und Haartour so, wie man es in den Städten gewohnt war. Genau so der Knecht, der etwas auf sich hielt. Mochte er sich auch sonst nicht gerne von seiner »Piep« trennen, – des Sonntags ließ er sie daheim. Im guten Konfektionsanzuge mit Schlips und weißer Wäsche und sauber gewichsten Stiefeln – »de Zigarr vör dwars int Mul« – ging er dann einher, wie heutzutage jeder städtische Arbeiter geht. Für den Markttag wurde auf die Kleidung noch ganz besondere Sorgfalt verwandt.
Nicht ganz im Einklang damit stand allerdings zuweilen die »Benehmigung«. In dieser Hinsicht kam das Ländliche häufig noch recht drastisch zum Durchbruch. Ein Beispiel: An dem gedachten Markttage hatte auch ein Mann mit »Moritaten« seine schaurig-schönen Kunstgemälde aufgestellt. Gleichzeitig verkaufte er »neue Hamburger Volkslieder«, drei Stück zu 10 Pfennige. Seine Frau sang die neuen Melodien zu einem unsäglich verstimmten Nuttnutt-Kasten. Dabei kam auch das rührende Lied von der »schönen Bertha« an die Reihe. »Bring min Sack vull Tüdelüdelüd, morgen kummt min Tante – –«, so schrillte es aus der Kehle der Alten über den Marktplatz und der Leierkasten grunzte seine Begleitung dazu. 'Dammi, das mußte ganz was Neues sein; solch schönes Lied hatte man lange nicht gehört. Also hin zu den Leuten mit den Moritaten. Bald stand ein Kreis von »Knechts un Deerns« um ihn; gern wurden die Nickel geopfert, und alles hielt bald erwartungsvoll »dat nige Leed« in der Hand, um die Melodie zu erlernen. Der Marktmann setzte sich alsbald stolz in Dirigentenpositur und legte los, als wolle er Tote erwecken[158] mit seinem Kümmelbaß. Die Alte krähte tapfer mit, der schwindsüchtige Leierkasten hustete, piepste und knurrte. Leise fielen einige Deerns mit ein, die Knechte brummten zunächst nur vor sich hin. Denn es war nicht leicht, Text und Melodie in Einklang zu bringen! Man sollte lesen und auch gleichzeitig die Töne erfassen – da kam man zuerst immer daneben. Doch bald war's kapiert, und nun sang der ganze Chor mit einer Andacht, als gelte es, den feierlichsten Choral zu intonieren: »Und du hascht scha – die schöne Bertha ...« Es war einfach zum Trudeln; dem Kaufmann auf der Ecke kollerten vor lauter Rührung die dicken Tränen über die Backen. Und in der Tat: andächtiger konnte selbst die frömmste Gemeinde in der Kirche nicht singen, als wie hier die Stimmen der Dorfjugend um den Leierkasten erschollen. Der Ernst und die spannende Aufmerksamkeit, die bei der Erlernung des blödsinnigen Singsangs entwickelt wurden, gaben dem Bilde etwas unbeschreiblich Komisches.
Eine halbe Stunde später erklang das neue Lied im Tanzsaal, auf der Straße, auf dem Karussell – und am nächsten Tage summte es der Knecht hinter dem Pfluge und die Deern beim Melken. Vier Wochen hörte man im Dorf an allen Ecken und Enden nichts anderes, als wie die »schöne Bertha« mit dem Sack voll Tüdelüdelüd ... Ja, was sollte auch weiter anderes gesungen werden? Man wußte ja doch nichts Gescheiteres.
Ein Jahr hatte ich allmählich bei Claus Meier gedient. Ich war noch ein halbes Jahr länger dort geblieben, als wie ich mich anfänglich vermietet hatte. In den landwirtschaftlichen Arbeiten war ich jetzt ziemlich firm, und so glaubte ich denn auch schon einen höheren Lohn verdienen zu können, als wie ihn mein Bauer für seinen Hof auszugeben pflegte. Im Alter von 19 Jahren stehend, vermietete ich mich deshalb zu einem Lohn von 55 Talern für das nächste Sommerhalbjahr als zweiter Knecht nach einem größeren Hofe in Reinsbüttel. Hier blieb ich ebenfalls ein Jahr. Während des Winters betrug mein Lohn 25 Taler. Wir waren dort unserer drei Knechte, zwei Jungens, zwei Tagelöhner, zwei Deerns und eine Lüttdeern. Im Sommer wurde das Arbeitspersonal je nach der Zeit um eine Anzahl Wochenlöhner[159] verstärkt. Auf diesem Hofe lernte ich zum ersten Male den Zuckerrübenbau aus eigener Tätigkeit kennen, denn der Besitzer hatte sich auf eine Reihe von Jahren zum Anbau einer bestimmten Fläche mit Rüben für die Wesselburner Zuckerfabrik vertraglich verpflichtet.
Etwas besonders Bemerkenswertes ereignete sich während dieses Jahres für mich nicht. Ich arbeitete, wie die übrigen auch arbeiteten, einen Tag nach dem anderen, so wie es die Jahreszeit mit sich brachte. Doch fand ich hier nicht die geistige Anregung, wie auf meiner vorigen Stelle. Der Bauer war wortkarg und sprach mit seinen Leuten nicht mehr als wie er mußte; in seine Wohnräume bin ich nur ein einziges Mal hineingekommen. Er hielt darauf, zwischen sich und seinen Leuten stets den »gebührenden« Abstand zu wahren, und seine Frau unterstützte ihn in diesem Bestreben so, wie es Einbildung und Geldstolz geboten; kaum daß sie »Guten Morgen« zu uns sagte. Sonst aber hatten wir nichts zu klagen; es war – wie man so sagt – nicht gut und auch nicht schlecht auf dieser Stelle. Nach Feierabend ging ich fleißig »to Dörp« und knüpfte zarte Bekanntschaften an. Das ist nämlich in solcher Lage das beste, was man tun kann.
Einmal hatte ich allerdings ein ernstes Zerwürfnis mit dem Bauern. Er ordnete an, daß wir am zweiten Ostertage Gerstenland eggen sollten. Es war ein etwas spätes Frühjahr damals, und nun das Wetter gut wurde, sollte die Saat gewissermaßen mit Gewalt in die Erde. Das sahen wir Knechte ja auch ein, deshalb hatten wir auch schon den ganzen Palmsonntag und den halben Karfreitag auf dem Felde geackert. Als wir jetzt aber auch noch den zweiten Ostertag arbeiten sollten, wurde uns die Geschichte denn doch zu bunt, um so mehr als der Bauer selbst weiter nichts tat, wie mit der Pfeife im Maul umherzulaufen und zu kommandieren.
Widerwillig hatte ich mit dem dritten Knecht und den beiden Dienstjungen schon die Pferde aus dem Stall gezogen; da kam der Großknecht zu uns und sagte, daß er heute die Feldarbeit verweigern werde; der Hof werde wohl nicht gleich aus dem Leim gehen, wenn die Gerste auch einen Tag später weggesät würde. Das[160] war ganz in meinem Sinn gedacht, deshalb brachte ich die Pferde kurzerhand wieder in den Stall, und auch der dritte Knecht mit den beiden Jungen schirrten wieder ab.
»Wat is nu los!« kam da der Bauer im Sturmschritt angepoltert. Der Großknecht antwortete ihm, er habe heute keine Lust, auf dem Felde zu wühlen. Da tat der Bauer, als rühre ihn der Schlag. Das wäre ihm ja eine schöne Wirtschaft, schrie er uns an, wer hier denn eigentlich zu befehlen hätte, er oder der Knecht. Gelassen erwiderte der Großknecht, darauf komme es hier gar nicht an, wir hätten nun schon mehrere Sonntage auf dem Felde herumgeruntscht, und das sei einstweilen genug, das ganze Fest wolle er sich denn doch nicht ausschinden lassen. »Un du?« schnob der Bauer mich da an. »Ick will ok ni«, entgegnete ich kurz. »Un ick befehl di dat«, schallte es darauf zurück, »sofort spannst du wedder an!«
Diese Art, mich anzufahren, konnte ich nun gerade besonders gut verdauen; sie war mir noch vom »Rethbur« her in angenehmster Erinnerung. Ich antwortete daher: »Gah' du doch hen un befehl de Höhner; arbeid' doch sölben, wenn di dat soveel Spaß makt!«
Nun tanzte der Bauer wie wild umher. »Wat«, schrie er, »un du seggst du to mi?« »Ja, du seggst ja ok du to mi«, muckte ich jetzt kühn, allen Respekt vergessend, auf; bisher hatte ich ihn nämlich immer mit »Sie« angeredet, weil ich mich an das landläufige »He« oder das noch altertümlichere »Uns Weerth« als gebräuchliche Anrede nicht gewöhnen mochte. Soviel Widerstand auf einmal schien unserm guten »Bur« aber über die Hutschnur zu gehen. Als zudem auch noch der dritte Knecht die Arbeit verweigerte und der Großknecht mit aller Entschiedenheit dafür eintrat, daß auch den beiden Dienstjungen der Festtag nicht verkümmert werde, da ließ er in ohnmächtigem Zorn die Arme hängen. So was sei ihm noch nicht vorgekommen, stöhnte er. »Töwt man, ick verklag' jem alltosam bi'm Kaspelvagt!« rief er. Damit spuckte er mehrmals in weitem Bogen aus und wandte uns den Rücken. An der Ecke des Vorderhauses hörten wir ihn noch schelten: »Dat is ja dat reine Uppsetten, dat reinste Kumplott!«[161]
Wir kümmerten uns weiter nicht drum, wie der Bauer in der Stube seinen Grimm ausspie. Der Großknecht aber sagte zu uns, wenn uns der Bauer verklagen würde, so täte er ihm soviel »Tort« an, daß jener zum zweiten Male keinen Knecht wieder verklagen werde. Mir setzte er darauf näher auseinander, wie man einen Landwirt, der sich bei jeder Gelegenheit mit Vorliebe auf das Gesetz und die Obrigkeit versteife, in ganz legaler Weise derartig ärgern könne, daß solchem Manne die Lust zu gesetzlichen Schikanen schließlich schon von selbst vergehe. Das Mittel war übrigens herzlich einfach: Man braucht nur immer wortwörtlich zu tun, was einem gesagt wird, dann hat auch der rabiateste Landwirt bald genug. Also – passive Resistenz. Dazu markiert man ein bißchen den Eulenspiegel und das kuriert den klobigsten Bauern. Allerdings muß man sich dabei auch ein wenig auf seine Knochen verlassen können. Ich habe das Mittel nach meiner Militärzeit einmal mit überraschend gutem Erfolge angewandt.
In dem vorliegenden Falle aber brauchten wir zur »passiven Resistenz« nicht zu schreiten, denn am nächsten Tage war der Zorn unseres Bauern verraucht. Er brummte zwar noch vor sich hin, doch schien er eingesehen zu haben, daß er uns in seinem Übereifer am vorigen Morgen etwas zuviel zugemutet hatte. An eine Anzeige auf Grund der Gesindeordnung dachte er nicht mehr. Es ging also auch so. In mein Dienstbuch aber schrieb er mir am Abgangstage: »Fleiß gut, Betragen zeitweilig mangelhaft.«
Nach Ablauf dieses Jahres kam ich zu einem Großbauern nach Hedewigenkoog, ebenfalls als zweiter Knecht, für einen Lohn von 58 Talern im Sommer. Ich stand nun schon im 20. Lebensjahre, war somit militärpflichtig geworden. Man hatte mich auch wirklich bei der Frühjahrsaushebung zur Kavallerie angesetzt.
Der Hof, auf dem ich jetzt diente, galt in landwirtschaftlicher Beziehung als Musterhof. Ihn zierte ein Viehstand von hervorragender Güte, und ein Korn wurde dort gebaut, wie man es in Qualität und Quantität nur selten zu sehen bekam. Dabei legte der Bauer den Hauptwert darauf, daß die verschiedenen Fruchtarten im Halm nicht gar zu stark wurden, damit sie sich vor Schwere nicht umlegten, sondern glatt mit der Maschine gemäht[162] werden konnten. Beim Weizen gelang dies nicht durchgehends; ein Teil mußte ebenfalls »gehauen« werden, weil er wegen seiner Schwere in verschiedenen Richtungen – in »Küseln« – lag, so daß von der Maschine nur die Ähren allein abgenommen, oder die Halme mehrfach durchschnitten worden wären. Um diesem Übelstande abzuhelfen und die Mähmaschine voll ausnutzen zu können, legte der Bauer jedes Jahr Versuchsfelder an, auf denen er unter sorgfältiger Auswahl des Saatkornes und sachgemäßer Mischung von natürlichem und künstlichem Dünger nun ständig ausprobierte, welche Fruchtsorten den weitgehendsten Anforderungen am besten genügten. Und mit dieser Methode hatte er es außerordentlich weit gebracht. Sein selbstgezogenes Saatgut wurde gesucht und teuer bezahlt, und seine Versuchsfelder bildeten einen Anziehungspunkt für viele Landwirte der Umgegend. Außerdem war der ganze Acker vorzüglich drainiert, und an landwirtschaftlichen Maschinen fand sich alles vor, was irgendwie zweckentsprechend verwendet werden konnte. Für den Innenbetrieb die zweischneidige Häckselmaschine, Schrotmühle, Ölkuchenquetscher, Rübenschneider, alles vor dem Göpelwerk gehend; auch die Wasserpumpe und die Buttermaschine gehörten dazu. Für den Außenbetrieb die Mähmaschine, Drill-(Säe-)maschine, der Heuwender, Düngerstreumaschine, sowie die verschiedensten Arten von Tief-, Saat-, Schäl- und Hackpflügen nebst verstellbaren Eggen und Reißern. Auf dem Boden kamen die neuesten Systeme von Kornreinigungs- und Sortiermaschinen zur Verwendung. Gedroschen wurde, wie allgemein üblich, mit der Dampfdreschmaschine, die einem selbständigen Unternehmer gehörte. Kurz, der Hof war »in Schwung«.
So tüchtig aber der Besitzer in der Ökonomie war, – gegen seine Leute war er ein ausgesprochener Protz. Sie galten ihm lediglich als menschliche Maschinen, als ein notwendiges Übel, ohne das er leider nicht fertig werden konnte. Er sah in ihnen einzig und allein Arbeitskräfte, Hände, die nur dazu bestimmt waren, für ihn zu arbeiten, so viel oder so wenig er ihrer gebrauchen konnte. Sein Umgangston war stets herrisch, und seine Anordnungen von lakonischer Kürze. In bezug auf sein Personal kannte er nur[163] einen Grundsatz: »Ick de Herr – du de Knecht!« Widerspruch konnte er nicht vertragen, selbst nicht von seinen Familienangehörigen. Er lebte nur seinem Betriebe, seinem Vieh und seinem Felde; alles andere schien er einfach als Mittel zum Zweck zu betrachten. Die höchste Genugtuung gewährte ihm die Anerkennung für seine fachökonomischen Neuerungen seitens des landwirtschaftlichen Vereins, in dem er eine autoritäre Rolle spielte. Wurde sein Hof von anderen Landwirten besichtigt und gelobt, so strahlte sein Gesicht im Vollgefühl stolzen Selbstbewußtseins, und er hielt den Besuchern dann förmliche Vorträge über den praktischen Wert dieser oder jener Maschine, über die guten oder schlechten Wirkungen der verschiedenen künstlichen Dünger- und Futtermittel. Vor allem suchte er dabei seine chemischen Kenntnisse ins rechte Licht zu rücken.
Dies waren aber die einzigen Gelegenheiten, bei denen der Mann ein freundliches Gesicht zeigte, sonst ging er stets in gleichmäßiger Nichtachtung kalt und »suermul'sch« an uns vorüber, nur hier und da kurze Anweisungen gebend. Er sprach mit uns in demselben Tone wie mit seinem Jagdhund. Seine Frau paßte in allen Stücken genau zu ihm. Das Essen war dementsprechend auch nur mittelmäßig.
Trotzdem ging es mir nicht direkt schlecht auf dieser Stelle; man mußte nur pünktlich die verlangten Arbeiten verrichten und nicht widersprechen, falls der Herr Hofbesitzer sich gelegentlich mal in einer Behauptung oder Anordnung geirrt hatte. Wenn man sich an diese Wesenseigentümlichkeiten seines Dienstherrn gewöhnt hatte, konnte man es dort schließlich sogar jahrelang aushalten, ohne daß einem eine besondere Überlast geschah. Freilich, ein geistig regsamer Mensch mußte auch hier auf die Dauer verkümmern. Denn für geistige Bedürfnisse der Leute hatte der Bauer absolut kein Verständnis, soviel er sonst auch für eigene Bildungszwecke aufwandte. Hierfür ein Beispiel: Auf meine Bitte brachte mir der Sohn des Gestrengen ein paar Zeitungsblätter heraus, die ich nach Feierabend unter der Wand durchlas. Dies sah der Bauer. Langen Schrittes stelzte er da auf mich zu und kollerte: Dafür halte er keine Blätter, daß ich darin[164] lesen solle; übrigens sei es besser für uns, das Lesen überhaupt zu unterlassen; er verlange nur, daß wir bei der Arbeit unsere Knochen »drödig« gebrauchten, eine Anstrengung des Kopfes könnten wir uns getrost ersparen, die verlange er gar nicht.
Das letztere sollte wohl offenbar noch eine Art Witz vorstellen; ich faßte die dumm-protzige Bemerkung jedoch als das auf, was sie war; wortlos sah ich dem Bauern nur einige Sekunden ins Auge, dann faltete ich die Blätter zusammen und gab sie seinem Sohn wieder zurück. Hoffentlich hatte der »lange Herrgott« – dies war der Spottname des Koogsgewaltigen – doch aus meinem Blick gelesen, was ich in diesem Moment über ihn dachte.
Seit jenem Abend stimmte es nicht mehr zwischen uns. Ich ging jetzt häufiger »aus«, als wie ich es sonst getan hatte, da der Koog von den nächsten Ortschaften ziemlich weit entfernt lag. Nun war es bei den meisten Bauern Sitte, daß ihre Dienstboten um Erlaubnis »fragen« sollten, wenn sie ausgehen wollten, und besonders unser »Herrgott« achtete sehr darauf, daß diese schon etwas veraltete Gewohnheitsregel strikte innegehalten wurde. Ich vermochte nun nicht einzusehen, weshalb ein Knecht nach getaner Arbeit noch erst untertänig »fragen« solle, ob er mal ausgehen dürfe, um so weniger als mich der Bauer ja auch nicht »fragte«, wenn er ausging oder ausfuhr. Meiner Meinung nach genügte es vollkommen, wenn ich »Bescheid sagte«. Also sagte ich eines Sonntags kurz und bündig, daß ich nach Süderdeich gehe. Das gab dem Bauern jedoch einen förmlichen Schrecken. Ob ich nicht mehr wisse, wie ich mich zu benehmen habe, hauchte er mich an. Ich erwiderte, genau so wie er auf Würde halte, halte auch ich darauf; es werde wohl genügen, daß ich an meinem Sonntage Bescheid sage, wohin ich gehe; »fragen« werde ich von jetzt an überhaupt nicht mehr, das sei höchstens etwas für Jungens, aber nicht für Leute im Alter von 20 Jahren. Sprach's und drehte mich um. Der Bauer brauchte mehrere Augenblicke, um sich von seinem Erstaunen zu erholen; dann aber rief er mir mit Stentorstimme nach: »Un ick befehl di, dat du jetzt sofort hierbliwwst!« »Na, dar hest' lang' wat an«, antwortete ich achselzuckend, und ging.[165]
Am andern Morgen stellte er mich mit den Worten zur Rede: »Hör' mal, wer is hier Herr, ick oder du?« »Wat schall so'n Klöhnkram«, entgegnete ich, »dat Se de Hof tohört, weet ick; darmit sünd Se awer noch lingst ni min ›Herr‹; ick heww Se ja seggt, wat los is.« »Ja, un du hast gistern ok Du to mi seggt, as du weggungst«, klang es erregt aus seinem Mundwerk zurück. Kühl antwortete ich darauf, daß es mir schon längst nicht passe, wenn sich ein Bauer anmaßt, seine Leute ohne weiteres mit Du anzureden, während er auf der anderen Seite verlangt, daß die Leute ihn höflich mit Sie anreden sollen. Hierauf wurde mir die wahrhaft klassiche Antwort: »Davör büst du Knecht; wenn di dat ni paßt, denn mußt du Bur warden, denn hest du dat ni nödig; wegen di ward' ick up minen Hof keen annere Mod' inföhren!«
Er teilte mir dann halb drohend, halb ermahnend mit, daß er mich dem Koogsinspektor (der Amtsperson an Stelle des Kirchspielvogts) zur Bestrafung melden werde, denn so 'ne »Insupordinatschon« dulde er nicht. Nach einigen Wochen meinte er jedoch, er habe von der Meldung Abstand genommen, einmal weil er so etwas überhaupt nicht gern tue – das sähe dann so aus, als wenn er mit seinen Leuten nicht mehr alleine fertig werden könne, und diesen Anschein wolle er gar nicht erst erwecken – dann aber auch, weil ich in der Arbeit sonst ein tüchtiger Kerl sei. Er erwarte jedoch, daß ich meine verschrobenen Ideen von der Gleichwertung des Knechts mit dem Herrn hübsch beiseite lasse.
Vergessen konnte er mir den Vorfall jedoch nicht, das merkte ich auf Schritt und Tritt; aber er mäßigte sich mir gegenüber doch sichtlich in seinem Benehmen, wenn er dieser Mäßigung auch zuweilen einen halb spöttischen Anstrich zu geben suchte. Der Großknecht meinte sogar mehrmals zu mir, er fange auch bald an, aufzumucken, denn der Bauer sei gegen mich ja »lidsamer«, wie gegen ihn.
So ging der Sommer zu Ende, und im Herbste mußte ich zum Kommiß. Wir wurden schon anfangs Oktober zu unserem Truppenteil einberufen, infolgedessen mußte ich meinen bäuerlichen Dienst fast einen Monat früher aufgeben, als wie er eigentlich[166] beendet gewesen wäre, denn vermietet hatte ich mich, wie üblich, bis zum 1. November.
Als aber der Tag meiner Einziehung gekommen war, hatte ich noch einen Zwischenfall mit dem Bauern, der sein Wesen ebenso charakterisierte, wie die vorher geschilderten. Es wurde Zeit zur Abfahrt; denn bis zum Bahnhof waren es noch fast anderthalb Stunden Wegs; auch gab's für mich noch sonst einige Kleinigkeiten zu regeln. Ich wartete also, daß mir der Bauer meinen verdienten Lohn herausbringen solle. Er kam und kam nicht. Da ging ich schließlich zu ihm in die Stube, wo er gemächlich mit der Pfeife im Munde bei einer Tasse Kaffee saß. Ich fragte, ob ich denn nicht meinen Lohn bekäme, da ich fort müsse. »Dat paßt mi noch ni!« war die patzige Antwort. Gut, erwiderte ich, dann würde ich mich bei der Behörde als mittellos melden und auch gleichzeitig anzeigen, daß mir mein Lohn widerrechtlich einbehalten sei; ich hätte keine Lust, seiner Bequemlichkeit wegen den Gestellungstermin zu versäumen; er werde dann wohl veranlaßt werden, mir den Lohn nach dem Truppenteil nachzuschicken. »Dat is min Sak!« protzte er zurück. Könne sie auch bleiben, sagte ich, doch eine so nichtswürdige Schikane sähe ihm gerade ähnlich. Damit schlug ich die Tür zu und ging ohne Gruß von der Hofstelle. Erst jetzt bequemte er sich zur Zahlung. Mürrisch rief er mich wieder zurück und händigte mir meinen Lohn aus. Ein kurzes Adjüs – und die erste Periode meiner ländlichen Dienstfron war für immer erledigt.
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