Schluss

[285] In vorstehenden Schilderungen spiegelt sich ein gutes Stück der kulturwidrigen und menschenunwürdigen Zustände wieder, unter denen die deutschen Landarbeiter in der Jetztzeit noch zu leben gezwungen sind. Und dabei handelt es sich hier nur um die Erfahrungen eines einzelnen, dem es als ländlicher Dienstbote und Arbeiter noch durchaus nicht am schlechtesten ergangen ist. Doch wenn auch Tausende von Landarbeitern der verschiedensten Gegenden Deutschlands die Erlebnisse aus ihrem Dienst- und Arbeitsverhältnis aufzeichnen wollten, es würde sich trotz aller Unterschiede im einzelnen im wesentlichen stets dasselbe Bild zeigen: Übermäßig lange Arbeitszeit, völlig unzureichende Entlohnung, elende Wohnungszustände, vielfach schlechte Kost und noch schlechtere Behandlung, und demzufolge auch ein nicht fortzuleugnender geistiger Tiefstand in der großen Masse des ländlichen Proletariats. Als lähmende Rechtsfesseln umschließen das Ganze: hundertjährige Gesindeordnungen, einseitig im Interesse der Großlandwirte abgefaßte Kontrakte und längst veraltete Koalitionsbeschränkungen. Es liegt auf der Hand, daß diese Zustände eines Kulturvolkes unwürdig sind, daß sie sich überlebt haben, in die heutige Zeit überhaupt nicht mehr hineinpassen.

Trotzdem aber schreien die agrarischen Interessenvereinigungen fortgesetzt nach einer vermehrten Knebelung der Landarbeiter. Ganz ungeniert fordern sie: die Beschränkung der Freizügigkeit; die kriminelle Bestrafung des Kontraktbruchs; die vermehrte Beurlaubung von Soldaten und Heranziehung von Korrigenden und Gefangenen zu landwirtschaftlichen Arbeiten; Verschickung tunlichst aller Waisenkinder aus dem Arbeiterstande aufs Land, damit sie dort als Dienstboten verwendet werden; zwangsweise Zurücksendung der vom Lande stammenden Reservisten nach beendeter Militärzeit in ihre Heimatsdörfer; unbegrenzte Zulassung ausländischer Arbeiter zur Beschäftigung in[286] der Landwirtschaft und sofortige Ausweisung dieser Arbeiter, falls sie aus irgendeinem Grunde die Arbeit in der Landwirtschaft aufgeben; Einführung lebenslänglicher Kontrakte zwischen Gutsherrn und Arbeitern; Nichtbeschäftigung von Landarbeitern bei Kanal-, Chaussee- oder Eisenbahnbauten; noch größere Beschränkung der Schulzeit für die Kinder der Landarbeiter; gesetzliche Einführung der Prügelstrafe.

Es genügt, an dieser Stelle auf die Ungeheuerlichkeit solcher Forderungen nur beiläufig hinzuweisen. Würden sie durchgeführt, so wäre das gleichbedeutend mit offener Wiedereinführung der Leibeigenschaft für die Landarbeiter. Der allgemeine Kulturstand drängt aber nach Fortschritt und nicht nach Rückschritt; und von ihm getragen wird auch die mächtig aufwärtsstrebende Arbeiterbewegung Mittel und Wege finden, um das millionenstarke Herr der deutschen Landarbeiter aus einem fast noch mittelalterlichen Abhängigkeitsverhältnis einer besseren, menschenwürdigen Zukunft entgegenzuführen.[287]

Quelle:
Rehbein, Franz: Das Leben eines Landarbeiters. Hamburg 1985, S. 285-288.
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