Venedig

[259] 1816


Venedig, den 10. Oktober [1816]


Sowenig Venedig im ganzen genommen meinen Erwartungen entsprochen hat, sosehr bin ich doch durch die Schönheit einzelner Gegenden der Stadt überrascht worden. Besonders imponiert der Markusplatz. Die tausendjährige, im orientalischen Stil erbaute Markuskirche mit ihren fünf Kuppeln, ihren unzähligen Statuen und herrlichen im Goldgrunde glänzenden Mosaikgemälden, der kolossale Glockenturm mit seiner Pyramide, der weithin ins Adriatische Meer den Schiffern zum Merkzeichen dient, die drei herrlichen, fast im gleichen Stil erbaueten großen Gebäude, die den Platz auf drei Seiten einschließen, das rege Leben unter den Arkaden, die reichen Kaufgewölbe und die geschmackvoll dekorierten Kaffeehäuser, in und vor denen man von morgens 8 Uhr bis nachts um 4 Uhr die elegante faulenzende Welt beiderlei Geschlechts versammelt sieht; die vielen sich da ewig umhertreibenden Musikanten, Taschenspieler, Improvisatoren, Guckkastenträger; das Heer der Bettler, die in den allerabschreckendsten Gestalten voller Schmutz und Ungeziefer zwischen den reich gekleideten Spaziergängern herumkriechen und diese bis ins Innere der Kaffeehäuser verfolgen; das sich durchkreuzende Geschrei der vielen Verkäufer von Erfrischungen und der Ausrufer, die bald Regierungsdekrete ablesen, bald die in den verschiedenen Theatern am Abend zu gebenden Stücke ankündigen: dies alles zusammengenommen bildet ein so buntes Gemälde, daß der Fremde sich wochenlang daran ergötzen kann.

Geht man auf den zweiten Platz, der bei der Kirche mit dem ersten zusammenhängt, auf der Ostseite vom ehemaligen Dogenpalaste und auf der Westseite von der Fortsetzung eines der drei großen Gebäude eingeschlossen[260] wird, so eröffnet sich ein neues, von dem vorigen ganz verschiedenes Schauspiel. Vor sich hat man den Hafen, der mit Gondeln, Barken und kleineren und größeren Handelsschiffen wie übersäet ist; zur Linken den mit prächtigen Gebäuden und Kirchen eingefaßten Quai, der sich bis zum Giardino Publico hinzieht, gegenüber das auf einer kleinen Insel liegende Kloster, in dessen schöner Kirche der letzte Papst erwählt wurde, und zur Rechten, jenseits des großen Kanals, die mit einer majestätischen Kuppel gezierte Kirche von San Giorgio Maggiore, umgeben von andern prächtigen Gebäuden. Hat das Auge sich an diesen Gegenständen gesättigt, so wird es von den nähern Umgebungen angezogen, von dem bunten Menschengewühl auf den steinernen, hochgewölbten Brücken, die über die vielen Kanäle führen, welche von hier aus die Stadt durchschneiden; von dem Ein-und Ausladen der größeren Schiffe, dem Einsteigen der eleganten und nicht eleganten Welt in Gondeln und Barken zu Spazierfahrten oder Geschäftsreisen; von den sonderbar gestalteten Fischen und Muscheltieren, die hier zum Verkauf aufgeschichtet sind, und von vielen andern auffallenden Dingen, die einer Seestadt eigen sind. Hat man dies alles gesehen, so kehrt man gern auf den Markusplatz zurück und findet da wieder neue Gegenstände zu bewundern. Betrachtet man die Kirche nun genauer, so ziehen zuerst die vier kolossalen Pferde von Bronze über dem Haupteingange den Blick auf sich, weniger ihres Kunstwertes wegen, denn sie sind eben nicht von den schönsten Verhältnissen, sondern um ihres Alters und ihrer Schicksale willen. Von den Venezianern bei der Eroberung von Konstantinopel erbeutet, wurden sie als Siegestrophäen über dem Haupteingange der Markuskirche aufgestellt und behaupteten ruhig diesen Platz, bis sie die Franzosen nach der Eroberung von Italien mit nach Paris nahmen. Von dort kamen sie nebst allen andern aus Italien entführten Kunstschätzen nach der Eroberung von Paris durch die Alliierten wieder hieher zurück und wurden unter dem Jubel von ganz Venedig wieder auf ihren alten Platz gestellt. Außer diesen Pferden befinden sich an der Markuskirche aber noch viele andere Siegesdenkmale der Venezianer: Statuen, Basreliefs, Arabesken, Säulen und Kapitäler aus Griechenland, Ägypten und den Raubstaaten, und es ist an dem Gebäude zu bewundern, daß es, aus so vielen in dem verschiedensten Geschmacke gearbeiteten Einzelheiten zusammengesetzt, doch ein so schönes, harmonisches Ganze ausmacht. Vor der Kirche sind drei hohe, rot angestrichene Mastbäume aufgepflanzt, die an Festtagen mit langen, bis auf die Erde reichenden seidenen Wimpeln prangen;[261] die aus Bronze gegossenen Fußgestelle sind mit schönen Basreliefs verziert.

Auf dem zweiten Platze nahe am Wasser stehen zwei kolossale Säulen aus ägyptischem Granit, jede Säule aus einem einzigen Steine gehauen. Die eine trägt einen aus Erz gegossenen geflügelten Löwen, der auch mit in Paris war, die andere einen geharnischten Ritter auf einem Krokodil. Das Innere der Markuskirche ist nicht weniger prächtig als das Äußere. Wände, Nischen und Kuppeln sind ganz mit Mosaikgemälden bedeckt, unter denen zwar einige von geringem Kunstwerte sind; bei den meisten ist aber Komposition, Zeichnung und Kolorit sehr vorzüglich, und alle haben einen echten Goldgrund, der trotz seines hohen Alters noch wie neu glänzt. Man wird aber auch hier bald von ganzen Rotten von Bettlern umringt, die so kläglich über Hunger schreien und so ekelerregend aussehen, daß man Gott dankt, wenn man sich mit Aufopferung einiger Kupfermünzen ins Freie gerettet hat. Man kann überhaupt keine Minute in irgend einer Gegend der Stadt gehen, ohne von Bettlern angesprochen zu werden, und es sollen deren an 25000 hier Hunger leiden. Denn hungern müssen sie, weil die Venezianer sehr selten einem Armen etwas geben und die Fremden es auch bald überdrüssig werden, immer die Hand in der Tasche zu haben. Jetzt leben die Armen zwar sehr wohlfeil von gekochten oder vielmehr gebratenen Kürbissen, die an allen Straßenecken feilgeboten werden und wovon ein handgroßes Stück einen Centesimo kostet; dies ist aber ein Essen, was man bei uns kaum den Schweinen bieten würde.

Entfernt man sich vom Platze, so findet man wenig Erfreuliches mehr. Denn da man in Venedig weder reitet noch fährt, so sind die Straßen so eng, daß oft nicht zwei Menschen nebeneinander gehen können. In dem lebhaftesten Teile der Stadt, ohnweit vom Ponte Rialto, ist daher das Gedränge auch so groß, daß man sich kaum durcharbeiten kann. Bei der Unreinlichkeit der Italiener, die allen Unrat in die Kanäle schütten, bei dem pestilenzialischen Gestank der halbverfaulten Seefische und Schaltiere und den ekelhaften Ausdünstungen der Werkstätten der meisten Handwerker ist es sehr natürlich, daß man in diesen engen Straßen das ganze Jahr nicht ein einziges Mal reine Luft einatmet.

Statt der Wagen bedient man sich hier der Gondeln, die man zu einem billigen Preise haben kann. Sie haben alle ein Verdeck von schwarzem Tuch, welches ihnen ein trauriges Ansehen gibt. Zur Zeit der Republik herrschte ein solcher Luxus in Verzierung der Gondeln, daß die Regierung es nötig fand, die noch jetzt übliche Dekoration vorzuschreiben.[262] Die Gondoliere sind im Rudern und Lenken sehr geschickt, und wenn auch das Gedränge in den Kanälen noch so groß ist, so fahren sie doch in größester Geschwindigkeit aneinander vorbei, ohne anzustoßen. Nimmt man ihrer zwei, so fährt man so schnell, wie ein Pferd Trab laufen kann. Da die Häuser außer der Haupttür nach dem Wasser hin auch einen Ausgang nach der Straße haben, so kann man zwar auch zu Lande allenthalben hinkommen; doch muß man wegen der Brücken so viele Umwege machen, daß man zu Wasser noch einmal so schnell an Ort und Stelle kommt.


den 12. Oktober [1816]


Heute genossen wir bei hellem Wetter die einzig herrliche Aussicht vom Markusturm, den man auf einem schneckenförmigen Aufgange ohne Treppenstufen sehr bequem ersteigen kann. Der Anblick ist wirklich hinreißend! Auf der einen Seite sieht man über die gewaltige Häusermasse nach dem festen Lande, in der Ferne die Schneegebirge von Friaul, auf der andern Seite den Hafen mit seinem mannigfaltigen Leben, die Inseln bedeckt mit schönen Kirchen und Gebäuden und im Hintergrunde die offene See. Ich erinnere mich nicht, je eine so schöne Turmaussicht gehabt zu haben, es wäre denn die vom Turme der Michaeliskirche in Hamburg.

Um vier Uhr besuchten wir die zum Findelhause gehörige Kirche, wo von den weiblichen Findlingen eine Messe gegeben wurde. Das Orchester und der Chor waren ausschließlich von jungen Mädchen besetzt; eine alte Musiklehrerin schlug den Takt, eine andre akkompagnierte auf der Orgel. Es gab da mehr zu sehen als zu hören, denn Komposition und Ausführung waren gleich schlecht. Die Mädchen hinter den Geigen, Flöten und Hörnern nahmen sich sonderbar genug aus; die Kontrabassistin konnte man leider nicht sehen, weil sie hinter einem Gitter versteckt war. Unter den Stimmen gab es einige gute und eine besonders merkwürdige, die bis zum g"' sang; der Vortrag war aber von allen abscheulich.

Wir haben die Bekanntschaft mehrerer Musikfreunde gemacht, der beiden Grafen Tomasini und der Herren Contin, Filigran und mehrerer anderer, deren Namen ich nicht weiß. Die beiden ersteren sind mir im Arrangement meines Konzertes sehr behilflich, und wenn ich bei der für meine Geschäfte so schlechten Jahreszeit, wo sich alle Personen von Bedeutung auf dem Lande befinden, ein erträgliches Konzert mache, so habe ich es ihnen zu danken.[263]

Heute besuchte uns auch ein deutscher Künstler, Herr Aiblinger, ein Münchener und Schüler von Winter, der aber schon seit sechzehn Jahren in Venedig wohnt. Er ist Klavierspieler und Komponist und scheint viel wahren Sinn für seine Kunst zu haben. Wenigstens klagte er uns fast mit tränenden Augen, daß ihm in diesem Lande alle Möglichkeit genommen sei, mit seinen deutschen Kunstverwandten gleichen Schritt in der Kunst zu halten, weil ihm fast nie das Glück werde, ein bedeutendes deutsches Werk zu hören, und daß ihm bei seinem Enthusiasmus für Musik fast das Herz zerspringe, durch seine Verhältnisse an eine Stadt gebunden zu sein, wo man seit sechzehn Jahren immer dasselbe Wasser wiederkaue, während die Deutschen inzwischen so manches klassische Werk hätten entstehen sehen. Er kennt unsre neuere gute Musik nur höchst unvollkommen aus Klavierauszügen, die er sich mit vieler Mühe und großem Kostenaufwande zu verschaffen gewußt hat. Ich habe später von seinen Arbeiten gesehen, die es sehr bedauern lassen, daß er in dieses Sibirien der Kunst verschlagen worden ist. Um mir einen Begriff zu geben, wie wenig hier Kunst und Künstler, selbst bei Herren, die sich gern das Ansehen von Mäzenen geben möchten, gewürdigt werden, erzählte er mir eine Anekdote, die Bärmann aus München, der mit der Harlaß vorigen Winter hier war, mit einem derselben passiert ist.

Graf Erizzo nämlich, ein sehr reicher Kavalier, der im Winter wöchentlich einmal Akademien bei sich gibt und dazu oft zweihundert Zuhörer einladet, ließ Bärmann durch einen dritten ersuchen, in einer derselben zu spielen. Da dieser bereits selbst eine öffentliche Akademie angekündigt hatte, lehnte er in der Voraussicht, daß es ihm schaden würde, wenn er sich an einem andern Orte zuvor hören ließe, die Einladung ab, versprach aber, nach seiner Akademie dort zu blasen. Am Tage derselben gab aber Graf Erizzo eins seiner gewöhnlichen großen Konzerte, in welchem »die Schöpfung«, ich glaube zum ersten Male, aufgeführt wurde, und Bärmann hatte so wenig Zuhörer, daß er zu den Konzertunkosten noch vierzig Francs zulegen mußte. Acht Tage später wiederholte Graf Erizzo demohnerachtet seine Einladung an Bärmann, wofür dieser jetzt aber ein Honorar von zwölf Louisdor verlangte. Nach manchen Debatten wurde dieses zwar zugestanden, Bärmann erfuhr jedoch zugleich, daß man sich vorgenommen habe, ihm einen Possen zu spielen. Um dem auszuweichen, sagte er von neuem schriftlich ab und machte mit der Harlaß eine Lustreise auf das feste Land. Nach seiner Zurückkunft kam ein Freund des Grafen Erizzo, fragte nach der Ursache, warum er nicht habe blasen wollen, und versicherte, als er[264] sie erfahren, auf Ehre, daß dem nicht so sei und Bärmann nicht das geringste zu befürchten habe, worauf dieser also seine Zusage für das nächste Konzert gab. Er wurde mit viel Artigkeit vom Grafen Erizzo empfangen und die Musik begann. Nach einer Stunde, als schon sechs Musikstücke gemacht waren, wurde Bärmann begierig zu erfahren, wann denn die Reihe an ihn kommen würde; er bat sich daher von seinem Nachbar ein Programm aus und fand ganz am Ende sämtlicher Musikstücke, die wenigstens noch zwei Stunden dauern mußten, folgende Worte: »Wenn es die Zeit erlaubt, wird auch Herr Bärmann ein Konzert blasen.« Man denke sich seine Wut! Graf Erizzo würde ihm am Ende des Konzertes laut gesagt haben: »Heute haben wir keine Zeit, Sie zu hören, vielleicht ein andermal!«, und so wäre er auch um das Honorar geprellt gewesen. Bärmann schlich sich nun sogleich fort, hatte aber dabei noch das Unglück, die beiden Ausgänge zu verwechseln und statt auf die Straße gerade in den Kanal zu laufen. Glücklicherweise kamen ihm die dort haltenden Gondoliere zu Hilfe und zogen ihn sogleich heraus. Halb tot vor Ärger und Erkältung kam er nach Hause. Am andern Morgen wurde er vom Grafen Erizzo vor die Polizei gefordert. Der Polizeidirektor hatte indessen, nachdem ihm von Bärmann die Sache auseinander gesetzt war, Mut genug, diesem Recht zu geben und dem Grafen Erizzo seine Unart zu verweisen. Bärmann hielt es unter solchen Umständen jedoch für geraten, seine Abreise zu beschleunigen, weil einige verdächtige Kerle sich nach seinen nächtlichen Ausgängen erkundigt hatten. Auch der Harlaß ging es übel. In der ersten Oper gefiel sie zwar ziemlich, und nur ihre schlechte Aussprache tadelte man; bei der ersten Vorstellung der zweiten Oper wurde sie aber gleich bei ihrer ersten Szene durch Lautreden, Räuspern und Lachen der Zuschauer so dekontenanciert, daß sie mitten in ihrer Arie davonlief und wie tot hinter den Kulissen niederfiel. Sie bekam einen geschwollenen Hals und konnte während des Winters nie wieder etwas anderes als die parlanten Rezitative singen. Alle Ensemblestücke und beide Finale wurden ohne sie gesungen, und doch mußte sie sich, da sie kein Supplement hatte, jeden Abend dem Publikum zur Schau stellen. Zu loben ist es, daß die Impresarien ihr keine Schikanen machten und sie kontraktmäßig bezahlten.


den 15. Oktober [1816]


Es existieren hier zwei Dilettantenkonzerte. Das eine unter der Direktion des Grafen Tomasini findet alle vierzehn Tage im Saale des Theaters Fenice statt. In dem, welchem ich beigewohnt habe, sang[265] Therese Sessi, die ehemals in Wien engagiert war, zwei Arien, ein Duett und ein Quartett mit vielem Beifall in ihrer alten Manier, die sich weder gebessert noch verschlimmert hat. Außer ihr erregte noch ein Dilettant, der mehrere Buffosachen in der echt italienischen, etwas karikierten Manier sang, die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Alles übrige, besonders Komposition und Ausführung der Ouvertüre, war, wie gewöhnlich in Italien, höchst erbärmlich. Das andre ist bloßes Übungskonzert und findet alle acht Tage unter der Direktion von Herrn Contin statt. Das Orchester mit Ausnahme einiger Blasinstrumente und der Bassisten besteht aus lauter Dilettanten, und man exekutiert größtenteils Symphonien und Ouvertüren von deutschen Meistern. An ein eigentliches Studium dieser Werke ist aber nicht zu denken; man ist froh, wenn man sie, ohne stecken geblieben zu sein, heruntergerissen hat. An dem Tage, wo ich gegenwärtig war, wurde erst eine uralte Symphonie von Krommer gemacht, worauf die aus Es-dur von Andreas Romberg folgte. Zum Beschluß ersuchte man mich, die zweite von Beethoven zu dirigieren, was ich nicht ablehnen konnte. Ich hatte aber meine liebe Not; denn man war ganz andere tempi gewohnt, als ich nahm, und schien gar nicht zu wissen, daß es Nuancen von Stärke und Schwäche in der Musik gibt, denn alles arbeitete, strich und blies beständig aus Leibeskräften, so daß mir die Ohren noch die ganze Nacht von dem höllischen Lärm weh taten. Das Gute hat indessen das Übungskonzert, daß die venezianischen Musikfreunde mehrere unsrer klassischen Instrumentalkompositionen, wie die Ouvertüre aus »Don Juan« und der »Zauberflöte«, die sie bis jetzt noch nicht kannten, zu hören Gelegenheit haben, und daß sie, wenn auch nur dunkel, fühlen lernen, daß die Deutschen in dieser Gattung von Komposition ihnen ungeheuer überlegen sind. Sie sagen dies zwar selbst, glauben es aber nicht recht und gestehen es nur ein, um nachher desto ungenierter ihre Überlegenheit im Gesange und der Gesangkomposition (!!) herausstreichen zu können. Die Selbstzufriedenheit der Italiener bei ihrer Geistesarmut ist überhaupt unerträglich; habe ich ihnen etwas von meinen Sachen vorgespielt, so glauben sie mich nicht glücklicher machen zu können, als wenn sie mir versichern, es sei im echt italienischen Geschmack.


den 16. Oktober [1816]


Heute vormittag sah ich in Gesellschaft von drei Schlesiern den ehemaligen Palast des Dogen. Zuerst erregte die sogenannte goldene Stiege unsere Aufmerksamkeit. Bis zum ersten Stocke führt sie außerhalb des[266] Gebäudes, ist von herrlichem Marmor und mit zwei kolossalen Statuen von schönen Verhältnissen geziert; bis zu dem zweiten und dritten Stocke führt sie im Innern, ist da an den Seiten mit Basreliefs in Marmor, an der Decke mit vergoldeter Stukkatur und kleinen Freskogemälden und in den Nischen mit schönen Statuen reich verziert. Dann sahen wir eine ganze Reihe von Sälen und Zimmern, die wahrhaft grandios verziert waren, die Wände in Öl und die Decken von den besten ältern Meistern gemalt, und dazwischen die reichsten und schönsten Stukkaturverzierungen, die ich je gesehen. Die Gegenstände dieser Gemälde sind fast ausschließlich Momente aus der venezianischen Geschichte, Danksagungen der Dogen an die hl. Jungfrau für erhaltene Siege oder Überreichung der Schlüssel einer von den Venezianern belagerten Festung u.m.d. So geschmacklos bei den meisten dieser Gemälde die Zusammenstellung der himmlischen und der irdischen Personen auch ist, so vortrefflich ist doch die Ausführung und Gruppierung im einzelnen, besonders bei denen von Paul Veronese. Überhaupt gibt es meiner Ansicht nach keine passendere und würdevollere Verzierung eines fürstlichen Palastes als diese, wo mit den Taten der Nation zugleich der Name des geschickten vaterländischen Künstlers verewigt wird. Wie wenig Sinn hat man in unsrer Zeit für diese Art von Patriotismus! Wo ist auf Veranstaltung eines Fürsten bis jetzt etwas von den neuesten Heldentaten der Deutschen gemalt worden? Und wie sehr bedürften doch die jetzigen Künstler einer solchen Aufmunterung und Unterstützung! Und doch rede ich hier nur von den Malern und Bildhauern; Dichter und Musiker hätte man ebenfalls auffordern sollen, die Taten der deutschen Nation zu verewigen.

Zuletzt sahen wir den großen Bibliotheksaal, der einen wahren Schatz von Gemälden und antiken Statuen enthält. Von der Galerie dieses Saales hat man eine entzückende Aussicht über den Hafen. – Um einen Vergleich zwischen der ehemaligen Art, Paläste zu verzieren, und der neuesten machen zu können, ließen wir uns die Zimmer im Gouvernementsgebäude zeigen, die sich der frühere Vizekönig hatte einrichten lassen. Wir fanden sie zwar niedlich und bequem, aber welch ein Unterschied zwischen der ernsten Pracht jenes alten Palastes und der faden Zierlichkeit von diesem neuen! Anstatt der Basreliefs von Marmor und der reich vergoldeten Stukkaturverzierungen in jenem fanden wir hier gemalte, statt der Gemälde von berühmten Meistern Arabesken und Schmierereien hingesudelt oder Tapeten von Papier oder Seide. Spiegel und Möbel allein waren hier geschmackvoll.
[267]

den 17. Oktober [1816]


Gestern ist Paganini von Triest wieder hieher zurückgekommen und hat also, wie es scheint, sein Projekt, nach Wien zu gehen, vor der Hand aufgegeben. Heute früh kam er zu mir, und so lernte ich denn endlich diesen Wundermann persönlich kennen, von dem mir, seit ich in Italien bin, fast jeden Tag vorerzählt wurde. So wie er hat noch nie ein Instrumentalist die Italiener entzückt, und ob sie gleich die Instrumentalakademien nicht sehr lieben, so hat er doch deren in Mailand mehr als ein Dutzend und hier ebenfalls fünfe gegeben. Erkundigt man sich nun näher, womit er denn eigentlich sein Publikum bezaubere, so hört man von den Nichtmusikalischen die übertriebensten Lobsprüche, daß er ein wahrer Hexenmeister sei und Töne auf der Violine hervorbringe, die man früher auf diesem Instrument nie gehört habe. Die Kenner hingegen meinen, daß ihm zwar eine große Gewandtheit in der linken Hand, in Doppelgriffen und allen Arten von Passagen nicht abzusprechen sei, daß ihn aber gerade das, was den großen Haufen entzücke, zum Charlatan erniedrige und für seine Mängel, – einen großen Ton, einen langen Bogenstrich und einen geschmackvollen Vortrag des Gesanges, – nicht zu entschädigen vermöge. Das aber, womit er das italienische Volk hinreißt und wodurch er sich den Namen des »Unerreichbaren«, den man sogar unter sein Portrait gesetzt hat, erworben hat, besteht nach genauer Erkundigung in einer Reihe von Herrlichkeiten, welche in den finstern Zeiten des guten Geschmackes der weiland so berühmte Scheller in kleinen Städten (auch wohl Residenzen!) Deutschlands zum Besten gab, und die damals ebensosehr von unsern Landsleuten bewundert wurden, nämlich in Flageolettönen, in Variationen auf einer Saite, wobei er, um noch mehr zu imponieren, die drei übrigen Saiten von der Geige herabzieht, in einer gewissen Art pizzikato von der linken Hand ohne Hilfe der rechten oder des Bogens hervorgebracht, und in manchen der Geige unnatürlichen Tönen, als Fagotton, Stimme eines alten Weibes u. dgl. m. Da ich den Wundermann Scheller, dessen Wahlspruch war: »Ein Gott! Ein Scheller!«, nie gehört habe, so möchte ich wohl Gelegenheit haben, Paganini in seiner eigentümlichen Manier zu hören, um so mehr, da ich voraussetze, daß ein so sehr bewunderter Künstler auch reellere Verdienste besitzen müsse als die, von denen die Rede war. Die Veranlassung zu seiner jetzigen Virtuosität soll eine vierjährige Gefangenschaft gewesen sein, zu der er verdammt wurde, weil er seine Frau im Jähzorn erdrosselte. So erzählt man wenigstens ganz laut in Mailand und auch hier. Da er sich bei seiner vernachlässigten Erziehung weder mit Schreiben noch mit Lektüre zu unterhalten[268] wußte, so lehrte ihn die Langeweile alle die Kunststückchen ausdenken und einüben, womit er jetzt Italien in Erstaunen setzt und sich den Namen des Unerreichbaren erworben hat. Da er sich durch sein ungefälliges und unartiges Betragen mehrere der hiesigen Musikfreunde zu Gegnern gemacht hat, so erheben mich diese, nachdem ich ihnen bei mir etwas vorgespielt habe, bei jeder Gelegenheit auf Kosten Paganinis, um ihm weh zu tun, was nicht allein sehr ungerecht ist, indem man zwei Künstler von so verschiedener Manier nie in Parallele setzen soll, sondern auch nachteilig für mich, weil es alle Anhänger und Bewunderer Paganinis gegen mich aufbringt. Sie haben einen Brief in die Zeitungen einrücken lassen, in welchem sie sagen, daß ich ihnen durch mein Spiel die Manier ihrer Veteranen im Violinspiel, Pugnani und Tartini, zurückgerufen habe, deren große und würdevolle Art, die Violine zu behandeln, in Italien ganz verloren gegangen sei und der kleinlichen und kindischen Art der neuesten ihrer Virtuosen habe Platz machen müssen, während die Deutschen und Franzosen diese edle, einfache Manier dem Geschmacke der neuesten Zeit anzupassen gewußt hätten. Dieser Brief, der ohne mein Wissen in die heutige Zeitung eingerückt ist, wird sicher eher nachteilig als vorteilhaft für mich beim Publikum wirken, denn die Venezianer sind nun einmal der festen Überzeugung, daß Paganini nicht einmal zu erreichen, viel weniger zu übertreffen sei.


den 19. Oktober [1816]


Gestern fand unser Konzert statt und war noch besuchter, als ich gehofft hatte, da alles, was nur die Kosten eines Landaufenthaltes aufbringen kann oder nicht durch sehr dringende Geschäfte an die Stadt gebunden ist, sich nicht hier befindet und ich von allen meinen vielen Adreßbriefen nur den einzigen an den Gouverneur, Grafen Goëß, bis jetzt habe abgeben können. Es lohnt übrigens nicht der Mühe, Empfehlungsbriefe an Italiener zu überbringen, denn sie nützen zu gar nichts. Ein frostiges Erbieten zu Diensten, die sie nicht leisten wollen, ist alles, was man davon hat. In Deutschland wird man doch wenigstens einmal zu Tisch gebeten; in Italien ist aber diese Art von Gastfreundschaft völlig unbekannt, und es haben mir Reisende versichert, daß sie trotz ihrer vielen Empfehlungsbriefe in ganz Italien auch nicht ein einziges Mal zu Tisch eingeladen worden seien. Wenn Reichardt aus Italien vertraute Briefe hätte schreiben wollen, würde es ihm bald an Stoff gefehlt haben. – Doch wieder zum Konzert. Es war im Theater S. Luca, nach Fenice dem größten und schönsten in Venedig. Der Besitzer, Herr von Vendramin, hat es mir unter der Bedingung überlassen,[269] daß ich ihm von dem Verkauf der Logen, die nicht Eigentümern gehören, zwei Drittel geben solle. Es existiert nämlich fast in ganz Italien der sonderbare Gebrauch, daß die Logen auf immer, solange das Haus steht, an Partikuliers verkauft werden, wo dann der Eigentümer des Hauses sich aller Rechte auf die Logen begibt. Doch müssen diese Logenbesitzer ihren Eintrittspreis am Eingange ebensogut bezahlen wie jeder andere. Dieser ist für das ganze Haus derselbe und immer geringe; mit den Logen, die dem Besitzer des Theaters bleiben, wird dann Wucher getrieben, und sie werden bei sehr besuchten Vorstellungen oft mit mehreren Carolin bezahlt. Gestern waren von den Logen nur wenige genommen und nur das Parterre besetzt, so daß Herr von Vendramin nicht viel gewonnen hat. An der Kälte des Publikums beim Anfang meines Spieles merkte ich sogleich, daß man gegen mich eingenommen sein müsse; nach und nach taueten sie aber doch auf, und am Ende des Konzertes war der Beifall allgemein und ich wurde hervorgerufen. Alles folgende, was ich spielte, fand nun weit leichter Eingang und wurde ebenso rauschend wie in Mailand beklatscht.

Heute ist denn auch ein sehr günstiger Bericht über das gestrige Konzert in der Zeitung erschienen, in welchem zwar in Beziehung auf jenen Brief gesagt wird, daß es ungerecht und einseitig sei, eine Manier über alle andern erheben zu wollen, und daß in der Kunst keine Monopole für irgend ein Genre existieren dürften, in welchem man aber auch von mir unter anderem sagt, daß ich die italienische Lieblichkeit mit aller Tiefe des Studiums, welche unsrer Nation eigen sei, verbinde, und daß man mir den ersten Rang unter den jetzt lebenden Geigern einräumen müsse, also Lobsprüche, mit welchen der eitelste Künstler zufrieden sein könnte.


den 20. Oktober [1816]


Heute früh war Paganini bei mir, um mir viel Schönes über das Konzert zu sagen. Ich bat ihn sehr dringend, mir doch nun auch etwas von sich zu hören zu geben, und mehrere Musikfreunde, die eben bei mir waren, vereinigten ihre Bitten mit der meinigen. Er schlug es aber geradezu ab und entschuldigte sich mit einem Sturze, dessen Folgen er noch in den Armen spüre. Nachher, als wir allein waren und ich nochmals in ihn drang, sagte er mir, seine Spielart sei für das große Publikum berechnet und verfehle bei diesem nie seine Wirkung; wenn er mir aber etwas spielen solle, so müsse er auf eine andere Art spielen, und dazu sei er jetzt viel zuwenig im Zuge. Wir würden uns aber wahrscheinlich in Rom oder Neapel treffen, dann wolle er sich nicht länger[270] weigern. Ich werde also wahrscheinlich von hier abreisen müssen, ohne den Wundermann gehört zu haben.

Man mißrät mir übrigens, jetzt in einem so ungünstigen Zeitpunkt ein zweites Konzert zu geben, und rät mir, lieber wieder hieher zurückzukehren. Wir werden daher in einigen Tagen über Bologna nach Florenz gehen.

Heute früh hatten wir bei einem Ausgange ganz unvermutet die Freude, Meyerbeer und seine ganze Familie anzutreffen. Er ist jetzt von einer Reise durch Sizilien zurückgekommen, um seinen Eltern, die ihn in fünf Jahren nicht gesehen hatten, ein Rendezvous zu geben, und wird auch von hier über Florenz und Rom nach Neapel zurückkehren, um bei der Eröffnung des neuen S. Carlo-Theaters gegenwärtig zu sein. Es war mir ein wahrer Genuß, mich wieder einmal mit einem gebildeten deutschen Künstler über Gegenstände der Kunst unterhalten zu können. Seine Brüder gaben mir die erfreuliche Nachricht, daß meine Oper »Faust« in Prag gegeben worden sei. Sie hatten auf ihrer Durchreise einer Probe beigewohnt. Ich sehe nun mit Sehnsucht nähern Nachrichten über die Aufführung entgegen.

Im Theater S. Moise wohnten wir der ersten Aufführung der alten Oper »Don Papirio« bei, die vom Sängerpersonal und Orchester mit vieler Genauigkeit gegeben wurde. Die erste Sängerin, Madame Marchesini, schon etwas passiert, zeichnete sich an diesem Abend durch guten Vortrag und gewandtes Spiel zu ihrem Vorteil aus. Auch der Buffo, dessen Namen ich nicht weiß, war sehr ergötzlich.


Bologna, den 25. Oktober [1816]


Am Montag abends spät reisten wir mit dem Kurier von Venedig ab. Da der Wind sehr günstig war, so machten wir die erste Hälfte der Wasserreise sehr schnell bis dahin, wo man aus den Lagunen in den Kanal einfährt. Zweimal mußten wir eine kleine Strecke der offenbaren See passieren, nämlich den großen und den kleinen Hafen von Chioggia, wo denn bei der heftig tobenden See unsre Barke solche gewaltigen Bewegungen machte, daß Dorette förmlich seekrank wurde. Ich entging dem nur dadurch, daß ich mich auf das Verdeck an die freie Luft setzte. Wie wir dann in den Kanal und später in den Po eingetreten waren, wo die Barke von Pferden gezogen wurde, ging es langsam und ruhig genug, so daß sich auch Dorette bald erholte. Am Mittwoch vormittag landeten wir unweit Ferrara, wo wir die Barke gegen einen Wagen vertauschten. Ohne uns in Ferrara aufzuhalten, eilten wir[271] gleich weiter hieher. Die Nacht überraschte uns aber, und wir mußten auf der Hälfte des Weges übernachten. Man hatte uns die Straße als unsicher beschrieben, so daß wir es nicht wagen wollten, sie bei der Nacht zu befahren. Donnerstag gegen Mittag kamen wir wohlbehalten hier an. Da man mir hier sagt, daß die Reichen der Stadt noch auf dem Lande sind, daß aber selbst in der vorteilhaftesten Jahreszeit kaum die Konzertunkosten zu gewinnen sind, so werden wir darauf Verzicht leisten, hier Konzert zu geben, und morgen früh mit dem Vetturino unsre Reise nach Florenz fortsetzen. Wir haben den heutigen Nachmittag angewandt, die Stadt zu besehen, und in einigen Hauptkirchen schöne Kunstwerke gefunden als Gemälde, Statuen und Basreliefs in Marmor und Bronze von den besten alten Meistern. In einer der Kirchen fanden wir eine Kapelle ganz aus ägyptischem Marmor, der in Schönheit der Farben und in Feinheit alle übrigen Marmorarten übertrifft. Die Lage von Bologna am Fuße eines schön bewachsenen und mit Landhäuschen ganz bedeckten Berges ist sehr reizend.

Quelle:
Spohr, Louis: Lebenserinnerungen. Tutzing 1968, S. 259-272.
Lizenz:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon