Vorwort.

»Wer in der Welt ist frei von allen Banden?

Wir sind gebunden alle, wie wir sind:

Im Hause binden uns der Liebe Pflichten,

In der Gesellschaft bindet uns die Sitte.«


Die Gesetze der verfeinerten Sitte sind ein wohlthätiger Zwang für die menschliche Natur, die sich nur gar zu gern »gehen läßt«. Nur der betrachtet sie als lästige Fessel, der sie bloß oberflächlich kennt; wer sie jedoch beherrscht, der weiß sie auch zu schätzen, sieht ihre Notwendigkeit ein und erkennt, daß sie im Grunde nur aus Geboten der Sittlichkeit, aus der Rücksicht auf andere, der Teilnahme an andern entspringen.

Vorliegendes Buch soll dir, lieber Leser, diese Formenlehre der Gesellschaft nahe bringen. Wir sind deshalb vor allem bestrebt gewesen, dir Augenblicksbilder aus dem Leben vorzuführen, dir durch eingestreute Dialoge die verschiedensten Situationen dramatisch zu schildern und dir an Beispielen zu zeigen, wie du dich hier und dort benehmen sollst. Unser Buch soll gleichsam ein photographisches Abbild des gesamten gesellschaftlichen Lebens und Treibens darstellen. In diesem Bilde kannst du, lieber Leser, nun sehen, wieviel gesellschaftliche Routine du bereits besitzest, und was dir auf diesem oder jenem Gebiete noch fehlt.

Der Fehler der meisten Bücher über den guten Ton besteht darin, daß sie wohl allgemein gehaltene Lehren bringen, aber niemals im Einzelfall wirkliche Hilfe und Auskunft gewähren. Unser Buch aber will dir ein zuverlässiger Ratgeber aus dem Leben – für das Leben sein. Es spricht zu dir mit der Sprache eines, der im Leben steht, es rät dir aus der Fülle lange gesammelter Erfahrungen.

Nimm seine Lehren freundlich an. Sie dürfen nicht zur Maske werden, hinter der sich das eigene Sein verbirgt, nein, sie sollen ein Teil deines Wesens werden, sollen es veredeln, verklären und befähigter und liebenswürdiger für den Verkehr und Umgang mit der Welt machen.


J. v. Wedell.

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.].
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