Anrede und Titel im gesellschaftlichen Verkehr.

[286] Deutschland ist bekanntlich das Land der Titulaturen. Nicht nur dem Manne wird gewissenhaft unzählige Mal jeden Tages die errungene Würde oder der ererbte Rang von allen, die mit ihm in Berührung kommen, mit vollklingender Bezeichnung in Erinnerung gebracht – er könnte sonst am Ende vergessen, was und wer er ist! – sondern auch der Frau wird der Titel des Gatten gleichsam als Huldigung dargeboten. So unbequem es nun für Dritte ist, all diese Titel, die oft keinerlei Rang oder Würde bedeuten, im Kopf zu haben und herzubeten, hat doch gerade das letztere eine gewisse Berechtigung. Denn wenn nun schon einmal der Titel des Gatten genannt werden muß, hat die Frau, auf die sich zugleich mit seinem Namen auch Ehre und Würde gleichsam übertragen, wohl auch Anspruch[286] auf diese Auszeichnung – wie sie ja auch ihr Teil daran zu tragen hat, wenn dem Gatten das Gegenteil von Ehre und Ansehen beschieden. Freilich kommen die Gattinnen titelloser Männer dabei schlecht fort; die Frau eines bedeutenden Industriellen, eines hochangesehenen Gutsbesitzers oder berühmten Künstlers käme in der Rangordnung – namentlich der kleinen Städte – nach der Frau Katasterkontroleur-Assistent und müßte sich von dieser »von oben herab« behandeln lassen. Da hat man denn als Ausgleich ersonnen, allen Damen der guten und besseren Gesellschaft die Anrede »gnädige Frau«, »gnädiges Fräulein« zu geben, auch wenn dieselben bürgerlich sind und nicht das ererbte Anrecht auf das »Gnädigsein« besitzen. Der Unbefangene wird ja auch dafür nur ein Achselzucken haben und sich neidisch der französischen Sitte, welche alle Damen bis in die höchsten Stände hinauf einfach mit »Madame« anredet – oder der amerikanischen, die auch den einflußreichsten Millionärinnen nur den Namen des Gatten oder Vaters giebt – erinnern. Da aber uns der Zopf des Titelwesens nun einmal noch anhängt, lassen wir die »gnädige Frau« gern als Ausgleich gelten, nur sollte man dann keine weiteren Unterschiede mehr machen und sie allen titellosen Damen der besseren Kreise zuerkennen. Wie arg da aber oft – und von gebildeten Leuten – gesündigt wird, ist unglaublich und um so tadelnswerter, als es meist aus Gedankenlosigkeit geschieht. Wir möchten auch da nur ein Beispiel anführen. Bekanntlich erreicht jeder bürgerliche[287] Offizier zugleich mit dem Lieutenantspatent auch das Prädikat »Hochwohlgeboren«, wie auch seiner Gattin niemand den Titel der »gnädigen Frau« vorenthalten wird. Sollte das Gesinde etwa diesen Verstoß begehen, erhält es sofort Weisung, diese Anrede zu wählen. Ost kann man da jedoch hören, daß – wird der Diener (Offiziersbursche) zu der Gattin eines Kameraden mit einer Bestellung geschickt – es heißt: »Sagen sie der gnädigen Frau« u.s.w. Gilt diese Bestellung aber einer Dame, die nicht das Glück hat, Lieutenantsgattin zu sein und auch sonst titellos ist – sie mag im übrigen die erstere an Ansehen und Bedeutung weit überragen – wird der Auftrag einfach an Frau So und So erteilt. Natürlich sieht der Diener sofort die letztere als um so und soviel Grade geringer an und richtet sein Benehmen danach ein; so kann es auch geschehen, daß in einer Gesellschaft bei demselben Herrn Lieutenant oder auch höher im Range stehenden Militär der Diener in einem Atem von der Gnädigen – womit die jüngste und harmloseste der anwesenden Regimentsdamen gemeint – und von der Frau X, vielleicht einer sehr bedeutenden Frau spricht, ebenso beim Bedienen diese Unterschiede kennzeichnet. Wir haben dies Beispiel aus Militärkreisen gewählt weil es gerade nahelag, möchten aber doch betonen, daß es die Ausnahme ist, welche wir kennzeichneten. Es ist bekannt, daß im allgemeinen gerade in diesen Kreisen ein besonders guter Ton herrscht. Derartige Verstöße, oft nur aus Gedankenlosigkeit[288] begangen, werden sich natürlich auch in anderen Gesellschaftssphären finden.

Wieviel Rücksichtslosigkeit und fehlendes Taktgefühl – also Mangel an Herzensbildung – darin liegt, machen sich die Betreffenden gewöhnlich nicht klar, sonst könnte derlei in guter Gesellschaft nicht geschehen. Wo es aber möglich, wird man sich gefallen lassen müssen, daß daraus nicht sehr schmeichelhafte Schlüsse auf Bildung und Taktgefühl der Betreffenden gezogen werden.

Also allen Damen, denen eine förmliche Anrede zukommt, gelte die »gnädige Frau« – sie genügt selbst dann, wenn irgend welche Ansprüche auf Titulatur des Gatten vorhanden. Hohen Adligen gegenüber mag immerhin eine Steigerung eintreten und »gnädigste Frau« oder »meine Allergnädigste« an deren Stelle gesetzt werden. Doch wird letzteres nur von Herren gebraucht, während das einfache »gnädige Frau« auch zwischen Damen gilt, falls sie nicht eben näher befreundet. Auch »verehrte Frau« wird oft bei der Anrede gebraucht, ist aber nicht so allgemein zutreffend wie das »gnädige Frau«. Jedenfalls wirkt es fast komisch wenn eine Dame von völlig Fremden so angeredet wird – mit welchem Recht wird da von »Verehrung« gesprochen, wodurch wurde solche erworben?

Erwähnt man im Gespräch der Familienangehörigen des anderen, ist es üblich, der Bezeichnung des verwandtschaftlichen Grades die Anredeform vorzusetzen, also »Herr Gemahl«, »Fräulein Tochter«[289] u.s.w. Vor allem aber vermeide man dem Gesinde gegenüber lässige Bezeichnung unserer Freunde und Bekannten; alle, die mit uns verkehren, können mit Fug und Recht verlangen, in den Augen unserer Dienstboten nicht herabgesetzt zu werden.

Uberall, wo der Geburtsrang den amtlichen Titel überragt, wird der erstere in Anwendung kommen. Wenn z.B. ein Graf den Titel Excellenz führt, redet man ihn im gesellschaftlichen Verkehr jedenfalls Herr Graf an – es kann eben auch bürgerliche Excellenzen geben, nie aber einen bürgerlichen Grafen. Im amtlichen Verkehr betont man allerdings mehr den amtlichen Titel. Zuweilen haben diese Unterscheidungen ja etwas Verletzendes – etwa, wenn man einen bürgerlichen Offizier ostentiös mit Herr Lieutenant und seinen in gleichem Range stehenden, aber zufällig adligen Kameraden mit Herr von So und So anredete. Klingt da doch der »Herr Lieutenant« wie ein schonendes Verdecken des gut bürgerlichen Namens, dessen sich doch wahrlich niemand zu schämen hat!

Das »Frau Gräfin«, »Frau Baronin« und ähnliche Anreden adliger Damen ersetzt man bei näherer Bekanntschaft durch »Gräfin« – (folgt Name), oder auch durch »liebe oder beste Gräfin«. Dasselbe gilt von den unverheirateten Damen dieser Rangklassen, also Komtessen und Baronessen – angemessene deutsche Übertragung dieser Worte besitzen wir noch nicht: man wird da je nach dem Grad der Bekanntschaft »gnädigste Gräfin«, »Komteß ....« oder »liebste[290] Baroneß« sagen. Gleichstehende werden ja keinen Augenblick im Zweifel sein, welche Anredeform sie zu wählen haben und gelten diese Winke nur denen, die vielleicht selten Gelegenheit haben, in Adelskreisen zu verkehren. Allgemein bekannt ist auch, daß die Majestäten mit »Kaiserliche« und »Königliche Majestät«, Prinzen und Prinzessinnen des Herrscherhauses mit »Kaiserliche und Königliche Hoheit«, Großherzöge mit »Königliche Hoheit«, Herzöge »Hoheit«, Prinzen und Fürsten mit »Durchlaucht« angeredet werden. Die männlichen Mitglieder bevorzugter Grafengeschlechter führen den Titel »Erlaucht«.

Geistlichen giebt man im schriftlichen Verkehr die Anrede »Hochehrwürden«, im persönlichen einfach »Herr Pastor« oder »Herr Pfarrer«. Stehen sie in höherem Range, kennzeichnet man diesen in der Anrede, also »Herr Superintendent«, »Herr Oberprediger« u.s.w., Schriftlich gilt für diese Rangstufen und weitere wie Domherren, Äbte u.a. das »Hochwürden«. Generalsuperintendenten und Universitätsrektoren erhalten im schriftlichen und mündlichen Verkehr den Titel »Magnifizenz«. Bischöfe »Bischöfliche Gnaden«, Erzbischöfe »Erzbischöfliche Gnaden«. Haben letztere fürstlichen Rang, ist »Hochfürstliche Durchlaucht« hinzuzufügen. Kardinäle führen den Titel »Eminenz« und endlich das Oberhaupt der katholischen Christenheit, der Papst, die mithin nur einem einzigen Sterblichen zukommende Anrede »Ew. Heiligkeit«.

Bei allen letztgenannten, sowie überhaupt im Range[291] höherstehenden Persönlichkeiten fällt die direkte Anrede fort und wird durch Titel und Rangbezeichnung ersetzt. Ebenso umschreibt man die einfache Form, also dann etwa: »Majestät befehlen?« oder: »Excellenz haben gewünscht?« Herren pflegen im formellen Verkehr mit Damen diese Form stets anzuwenden – »Gnädige Frau meinten« – oder »Gnädiges Fräulein sprachen den Wunsch aus.« Etwas weitschweifig und unbequem ist ja diese Umschreibung, doch macht Gewohnheit sie bald geläufig. Damen werden Herren ja den ihnen zukömmlichen Titel geben, jedoch vermeiden, ihn allzuoft zu wiederholen. Bei näherer Bekanntschaft nennen sie den einfachen Namen, da alle Titelei geschraubt und unnatürlich klingen würde. Unter guten Freunden fällt das ja von selber fort, auch Freundinnen werden die angemessene Anrede finden, bliebe also nur noch die rechte Form für den Freund und die Freundin festzustellen. Man hört da oft voll Verwunderung, wie Menschen, die ein halbes Leben lang miteinander befreundet, sich genau so formell anreden, wie es Fremden gegenüber geschieht und begreift nicht, wie sich das mit dem wahren Wesen der Freundschaft verträgt, die doch zwischen Männern und Frauen genau so ehrlich und herzlich sein kann als unter Geschlechtsgenossen. Nur bei uns in Norddeutschland ist man übrigens darin so steif und prüde und nur selten wird es geschehen, das sich auch hier Freund und Freundin das so natürliche Du geben, wie es in anderen Ländern einfach selbstverständlich.[292] Dort genügt schon längere Bekanntschaft, sich wenigstens beim Vornamen zu nennen, wenn man sich eben noch zu fern steht, zum traulichen Du überzugehen – eine Sitte, schön und nachahmenswert, weil sie dem natürlichen Empfinden entspricht. Feinfühlige Menschen dürften leicht unterscheiden, wo formelle Anredeform geboten oder solche als Zwang empfunden werden würde.

Wir möchten bei dieser Gelegenheit auch noch ein paar Worte über


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 286-293.
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