Geselligkeit.

[371] Nicht viele sind in so bevorzugter Vermögenslage, ein großes Haus machen und glänzende Gesellschaften geben zu können – gesellig aber kann jeder leben, da es mit wenig Mitteln zu erreichen. Wieviel genußreicher und anregender unter Umständen das Zusammensein einer kleinen Anzahl nur bescheiden bewirteter Personen zu wirken vermag als der Besuch großer Gesellschaften, haben wir alle sicherlich schon erfahren. Es gilt da in erster Linie nur die weise Regel zu beachten, daß gleich und gleich sich gern gesellt – also Personen zusammenzuladen, die zueinander passen und mannigfache Berührungspunkte haben. So wenig sich ja nun diese Regel mit jener anderen, laut welcher Gegensätze sich anziehen, deckt, sind beide doch sehr wohl unter einen Hut zu bringen. Denn an einer bestimmten Grenze werden sich auch die Gegensätze berühren und gerade der entgegengesetzte Weg zu demselben Ziel wird die mannigfachen Anregungen ergeben, welche eine Gesellschaft unterhält und die geistige Regsamkeit der einzelnen Persönlichkeiten entwickelt. Also möglichst Gleichheit der Bildung und der Interessen, – der allgemeinen, nicht der beruflichen – aber Gegensätze im Charakter und Neigungen der Eingeladenen ist das altbewährte Rezept, welches wirklich gehaltvolle und anregende Geselligkeit ergiebt.

Freilich ist das nur bei kleinerem Kreis zu ermöglichen.[372] In großen Gesellschaften werden stets die verschiedensten Elemente – oft auch verschieden an gesellschaftlicher Stellung – zusammengewürfelt werden, doch steht da jedem Einzelnen frei, sich dort anzuschließen, wohin ihn Sympathie und Gleichheit der Interessen ziehen. Daher wird man bei einem Festmahl, welches die Gäste stundenlang nebeneinander fesselt, viel sorgfältiger die passenden Persönlichkeiten auszuwählen haben als bei Abendgesellschaften, Bällen oder sonst bei Anwesenheit einer großen Zahl sich freier bewegender Gäste.

Der ständige Empfangstag, – uns Deutschen allgemein unter dem französischen Namen »jour fix« bekannt, da wir die Sitte von Frankreich übernommen – ist jedenfalls die bequemste und mit wenigsten Kosten verbundene Art der Geselligkeit. Die Stunden dafür sind beliebig anzusetzen, mittags, nachmittags oder abends. Die Gäste erscheinen dabei in sorgfältigem Straßenanzug, Damen, die nur kurze Zeit zu bleiben gedenken, behalten sogar den Hut auf. Ob nun aber mit oder ohne solchen, galt es bisher als unumstößliche Regel, mit Handschuhen einzutreten und diese erst später abzulegen, wenn es nicht vorgezogen wurde, sie während der ganzen Zeit anzubehalten. Die rebellische Neuzeit hat auch an diesem geheiligten Brauch gerüttelt und halten es manche Weltdamen jetzt für besonders elegant, ohne Handschuhe zu erscheinen oder diese doch in, nicht auf den Händen zu tragen. Auch diese Mode ist uns aus Frankreich gekommen,[373] dürfte sich aber nicht einbürgern. Jedenfalls sind es bisher nur Damen, die alles Auffallende lieben und nebenbei auch sehr schöne Hände haben, welche sie mitmachen.

Die Bewirtung bei solchem Empfang, der oft nur ein Kommen und Gehen der Gäste ist, macht wenig Mühe. Es wird je nach der Tageszeit Thee. Kaffee und leichtes Gebäck, oder belegte Brödchen und Bier, auch wohl Wein, gereicht, aber man nimmt das nicht auf festen Plätzen, sondern wo man eben sitzt oder steht. Zuweilen ist auch kaltes Büffet (Verzeihung!) kalte Küche zu beliebigem Zugreifen aufgestellt, feste Tafel aber nie oder doch nur in seltensten Ausnahmen gedeckt.

Zu dieser Art von Geselligkeit zählt auch der von England übernommene und neuerdings sehr beliebt gewordene fife o'clock tee (Fünf-Uhr-Thee) der sich in allen Formen genau dem oben berührten festen Empfang einfügt und nur durch die Zeit unterscheidet. Und die Engländer thaten gut daran, gerade diese Stunden für Spaziergang, Besuch und Plauderei – das alles vereint sich ja für die Gäste dabei – festzusetzen, denn die meisten Menschen haben dann des Tages Arbeit hinter sich und fühlen sich besonders aufgelegt, nun auszugehen und ein anregendes Plauderstündchen zu genießen. Je größer der Bekanntenkreis des gastlichen Hauses, um so belebter und interessanter werden sich alle derartigen, ständig angesetzten Besuchsstunden gestalten, denn da nicht jeder[374] pünktlich in jeder Woche erscheinen wird, ergiebt sich die verschiedene Zusammensetzung der Gäste und des Unterhaltungsstoffes von selber. Und das ist ein weiteres Geheimnis zur Erziehung angeregter Geselligkeit: Abwechslung hineinbringen, nicht immer dieselben Menschen versammeln! Auch die bedeutendsten und geistvollsten werden uns bei allzu häufigem Zusammensein altgewohnt und darum weniger interessant erscheinen – wie also erst der liebe Durchschnitt, die kleinen Geisteskinder, die doch leider stets in der Mehrzahl sind! Und alles und jedes soll verziehen sein bei Gesellschaften – mangelhafte Bewirtung, enge Räume, schlechte oder allzu grelle Beleuchtung, zu kalte oder überwarme Temperatur, ja selbst etwas gewagte Zusammensetzung der Gäste – alles, nur nicht Langeweile!

Wie schwer es hält, anregende Unterhaltung in Fluß zu bringen, beweisen alle jene Gesellschaften, in welchen sich nach Gewohnheit und Herkommen stets Leute aus denselben Elementen der gleichen Berufssphäre zusammenfinden. Als Beispiel mögen da die sogenannten »officiellen« Offiziersgesellschaften herangezogen werden, welche sich meist nur aus Angehörigen desselben Regiments mit ihren Damen zusammensetzen. Wenn jemand gesellschaftliche Gewandtheit und »Schneid« besitzt, so ist es der deutsche Offizier und da derselbe glänzend bewiesen, daß seine gesellschaftlichen Vorzüge seiner Tapferkeit keinen Abbruch thun, mögen auch diese immer rühmend hervorgehoben[375] werden. Und doch wird es auch für ihn schwer sein, in diesen Gesellschaften belebte und allgemein interessante Unterhaltung im Gange zu erhalten. Für die Herren untereinander bleibt ja noch immer das Thema über Beruf und Dienst unerschöpflich, obgleich es bei geselligen Zusammenkünften streng verpönt sein sollte – aber welch neuer Gesprächsstoff wäre für die Damen zu ersinnen, von denen sich immer dieselben begegnen? Es erscheint jedem Unbefangenen unbegreiflich, weshalb man nicht durch Mischung verschiedener, gesellschaftlich gleichstehender Elemente mehr Abwechslung in dies geistlose und geistig lebhafte Menschen geradezu tötende Einerlei bringt.

In hohen Beamtenkreisen, in denen doch auch die großen, in erster Reihe der Kollegenschaft geltenden Repräsentationsgesellschaften zu geben sind, hat man die Vorteile solcher Mischung längst erkannt und handelt meist danach. Auch die ausgesprochene Fachsimpelei, die von jedem vielseitig Gebildeten stets störend oder langweilig empfunden wird, trifft man hier seltener. Wird ja ein solches Thema erörtert, thun die Beteiligten es untereinander und machen es nicht zum Mittelpunkt der Unterhaltung. Das sollte für alle Kreise gelten und die Unterhaltung sich stets um allgemein interessante Dinge drehen.

Nach dieser Abschweifung kehren wir wieder zur Besprechung der verschiedenen Arten geselligen Zusammenseins zurück

Eine Erweiterung der festen Empfangstage für[376] sogenannte »fliegende« Besucher bilden die viel – berühmten Damenkaffee's oder Thee's. Zu diesen wird besonders eingeladen und an Stelle des Straßenanzugs tritt solcher für kleinere Gesellschaften. Eine beliebte, leider nur selten anzutreffende Abart ist der Damenkaffee mit »Überraschungen,« bei denen die Anwesenheit eines oder mehrerer Herren eben die Überraschung bildet. Für gewöhnlich gilt es als unzulässig, daß der Hausherr oder andere männliche Mitglieder der Familie vor diesem hochnotpeinlichen Tribunal von Damen erscheinen und gar zu gern lassen sich dieselben auch von solcher Pflicht entbinden. Die Aufnahme der Gäste ist hier schon freigebiger als bei dem Fünf-Uhr-Thee. Es wird sehr viel Kaffee getrunken und noch mehr Kuchen verzehrt, später reicht man süße Speise, Torten, Obst und Wein, neuerdings als willkommene Abwechslung nach all dem Süßen auch irgend einen herzhaften Salat, Appetitbrödchen und Bier. Ein echter Damenkaffee beginnt um Fünf und hat kaum vor Zehn sein Ende erreicht. Gewöhnlich fliegen dann allerlei unsichtbare, nur mit seinen Fühlfäden der Seele wahrzunehmende Fetzen in dem Zimmer umher, das die Kaffeeschwestern verlassen – die in Stücke gerissenen guten Namen verschiedener »lieber Nächster.«

Manchmal geht es ja weniger gefährlich, aber um so langweiliger und taktloser her und zwar in allen den Fällen, wo neue Moden und Kleider, Spitzen und Brillanten den ausschließlichen Gesprächsstoff bilden.[377] Nachdem im allgemeinen des Langen und Breiten darüber gesprochen, geht man zu den einzelnen Fällen über, bewundert besonders hervorragende Kleiderwunder der anwesenden Damen, Preis, Ellenzahl, Bezugsfirma wird haargenau erörtert und dann erhebt sich wohl gar die Trägerin des zumeist bewunderten Modeanzugs, tritt aus der Reihe und giebt, sich einigemal um sich selber drehend, allen Gelegenheit, das Wunder von allen Seiten zu betrachten. Auch werden brillantenfunkelnde Schmuckstücke gern gegenseitig gewiesen und verglichen, der Preis genannt – natürlich immer um so und soviel höher, als er in Wahrheit ist – ein besonders schönes oder wertvolles Stück wird auch wohl von Hand zu Hand weitergegeben, um eingehend bewundert zu werden – und nun denke man sich in solchem Kreise einige Damen, die keinen Schmuck und kostbare Kleider besitzen – beides auch vielleicht nur eben nicht anlegten, keinenfalls aber irgend welches Interesse für diese Unterhaltung empfinden – wie werden diese sich dabei vorkommen! Vergeblich sind alle Versuche ihrerseits, ein anderes, gehaltvolleres Gespräch in Fluß zu bringen – man achtet eben nicht darauf oder wirst ihnen gar noch geringschätzig bedauernde Blicke zu, daß sie nicht mithalten können – natürlich bezeichnen die lieben Mitschwestern das Nichtmithalten wollen nur als puren Neid!

Oder aber jenes in Damenkaffee's nicht minder oft die Unterhaltung völlig beherrschende Thema über die Dienstboten! Dasselbe braucht durchaus nicht[378] ganz verbannt zu werden, denn es ist so natürlich, daß auch gebildete Frauen einen so nahe liegenden Gesprächsstoff behandeln, zu dem sie täglich im eigenen Hause Material sammeln. Gerade das gegenseitige Mitteilen böser Erfahrungen oder schwer empfundener Mißstände kann zur Vorsicht mahnen und guten Rat zur Abhilfe ergeben – nur eben nicht ausschließliches Behandeln des Dienstbotenthemas!

Auch nicht das der Kinderstube; in Bezug auf letzteres gilt genau dasselbe. Frauen und Mütter dürfen und werden überall von dem sprechen, was ihnen am meisten am Herzen liegt – von den kleinen oder großen Kindern. Nur nicht zu ausführlich werden und andere damit langweilen, sondern stets bedenken, daß diese dem Thema unmöglich dasselbe Interesse entgegenbringen können, als die Mutter selber. Wenn man überhaupt ein Mittel ersinnen könnte, allen blinden, von Affenliebe und verziehender Zärtlichkeit überströmenden Mütter zur Einsicht ihres ebenso thörichten als lächerlichen Gebarens zu verhelfen! Vorläufig leider ist wenig Aussicht darauf und es wird auch so bleiben, solange bei der Mehrheit der Frauen das Gefühl logisches Denken und Urteilen überwuchert – also voraussichtlich immer!

Aber auch Gesprächsstoffe höherer Gattung und allgemein interessanten Inhalts können in der Gesellschaft langweilig oder störend werden, so etwa wenn neunmal Kluge das Wort behalten und ihre persönlichen Ansichten ohne jeden Vorbehalt als maßgebend[379] hinstellen. Es sind dies gewöhnlich Menschen von jener gefährlichen Halbbildung, die alles gehört, gesehen, gelesen haben, und zwar nicht aus Interesse an der Sache, sondern um darüber reden zu können. Und hat so ein Alleswisser – man findet sie unter Männern ebenso häufig wie unter Frauen – das eine oder andere auch nicht gesehen, nicht mitgemacht, nicht erfahren, würde er als Verbrechen gegen sich selber ansehen, dies anderen zuzugeben. Er spricht also auch darüber und zwar ebenso fließend und bestimmt wie über alles andere – welchen Wert aber sein Urteil haben wird, kann sich jeder sagen. Da außerdem in jedem größeren Kreise gewiß einige Personen anwesend, die das besser wissen und urteilsfähiger sind, ohne das große Wort zu führen – wie beschämend für den hohlen Prahlhans müßte es sein, die Gedanken dieser bescheidenen Schweiger über seine Anmaßung zu kennen! Vielleicht auch nicht beschämend – derlei Menschen haben längst alles Feingefühl verloren und sind durch nichts in Verlegenheit zu bringen.

Der wahrhaftig Gebildete aber wird, wenn er sein Urteil abgiebt, nie versäumen hinzuzufügen, daß es eben nur ein subjektives, durch individuellen Geschmack beeinflußtes sein könne. Nur große Geister und sehr bedeutende Menschen, desgleichen gewiegte Fachleute bei Besprechung beruflicher Angelegenheiten dürfen sich erlauben, kategorisch zu behaupten: »Es ist so.« Für alle anderen gilt das »es scheint mir so« oder »das ist meine Meinung.« Sehr lästig wird auch das[380] hochnotpeinliche Ausfrageverfahren, das manche Damen – und namentlich jungen Leuten gegenüber, da erfahrene es entschieden zurückweisen würden – anwenden. Die liebe, oft auch boshafte Neugier erfährt auf solche Weise manches streng behütete Geheimnis und deshalb mag jeder solchen unbequemen Fragern gegenüber vorsichtig, ja, wo es geboten, schroff ablehnend verfahren.

Und noch einmal alles Gesagte kurz zusammengefaßt: Für jede Art gesellschaftlichen Zusammenseins wähle man allgemein interessante Unterhaltungsstoffe; alle Anwesende sind dabei von den Gastgebern gleichmäßig ins Gespräch zu ziehen – sich daran erschöpfend beteiligen zu können, wird ja ohnehin den besser Unterrichteten nur möglich sein, das aber ist eines jeden Sache, hat mit den Anstandspflichten des Wirts und der Gäste untereinander nichts zu thun.

Von den Damenkaffee's zu den Theegesellschaften, welche von Herren und Damen besucht werden, oft aber auch nur den letzteren allein gelten, ist nur ein Schritt oder vielmehr, sie sind fast dasselbe. Vielen erscheint eine Theegesellschaft etwas vornehmerer Gattung als die Kaffee's, doch entscheidet auch hier die Art der Anordnung sowie Zusammensetzung der gesellschaftlichen Elemente. Besonders eingeladen wird auch hierzu und Thee, Wein, Bier, Gebäck und kalte Küche frei gereicht, zuweilen auch, was seltener geschieht, an fester Tafel eingenommen. Jene vielberühmten ästhetischen Thee's der romantischen Periode, da hochberühmte[381] Männer und geistvolle oder schöne Frauen zusammenkamen, bei dünnem Theeaufguß ohne Rum, unbelegten Butterbrödchen und trockenem Zwieback über höchste ästhetische und philosophische Fragen endlose Gespräche zu führen – wir erinnern nur an die berühmten »Salons« von Rahel Varnhagen, Henriette Herz und vielen anderen Frauen des damaligen schöngeistigen Berlins, mit dem andere Städte wetteiferten – sind heutzutage undenkbar. Die Welt ist seitdem eben anspruchsvoller und materieller geworden – ob darum schlechter, wäre schwer zu erweisen.

Den Kaffee's und Thee's folgen die größeren Abendgesellschaften, zu denen Herren je nach Größe derselben im Frack oder Überrock – daß dies bei Offizieren auf der Einladung angedeutet wird, erwähnten wir bereits – die Damen in entsprechender festlicher Kleidung zu erscheinen haben. Für letztere gilt der Brauch, bei diesen Gelegenheiten kleinere Toilette zu machen als bei Mittagsessen und anderen festlichen Mahlzeiten, doch wird auch hier die Art der Abendgesellschaften entscheiden. Sind dieselben besonders glänzend, werden Weltdamen kaum einen Unterschied vom Ballanzug machen, wie dies bei Herren ja auch nicht geschieht. Jedenfalls ist auch das ausgeschnittene Kleid wie solches mit Schleppe gestattet. Möglichst zu vermeiden bei allen größeren Festlichkeiten ist der schwarze Anzug für Damen – es seien denn solche in reisen Jahren und auch diese sollten lieber jede andere dunkle Farbe wählen als gerade[382] schwarz. So ein schwarzes Spitzen-, Sammet- oder Seidenkleid ist gewiß sehr elegant und durchaus gesellschaftsfähig, aber es macht einen zu ernsten Eindruck bei heiteren Festlichkeiten. Gerade in Deutschland ist diese Unsitte – wir können es nicht anders bezeichnen – sehr eingerissen und oft weiß man beim Eintritt in eine Gesellschaft nicht, ob diese zu zwei Drittel aus Trauernden besteht oder man etwa aus Versehen in eine Trauerversammlung geraten. Die Kleidung unsrer Civilherren ist wahrlich düster genug, ohne daß die Damen diesen Eindruck durch Bevorzugen schwarzer Kleidung noch zu verschärfen brauchen. Und es giebt deren, welche den schwarzseidenen Bratenrock bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit hervorholen, um immer wieder darin zu glänzen – oft in des Worts verwegenster Bedeutung. Für die Straße, Anstandsbesuche, Kirchgang, Besichtigung von Kunstsammlungen und allen ähnlichen Gelegenheiten nichts passender und mehr »chic« als ein gutes schwarzes Kleid, aber nur nicht bei heiter festlichen Anlässen! Wie sehr da leuchtende Farben und helle Gewänder nicht nur das Auge erfreuen, sondern thatsächlich zur Belebung der Stimmung beitragen, hat wohl jeder oft erfahren. Schon den Gastgebern sollte man diese Rücksicht schuldig sein, denn es ehrt dieselben, wenn die Gäste in sorglich gewähltem Anzug erscheinen. Lässig in dieser Beziehung wird man nur sein, wo einem weder an Wirten noch Gästen etwas gelegen. Und darum hier vor allem passende Kleidung –[383] so sehr dies ja für jede Gelegenheit in erster Reihe gilt!

Es mag hier die Frage eingeschaltet werden, ob es verheirateten Damen gestattet, ohne Gemahl größeren Festlichkeiten beizuwohnen. Die Beantwortung derselben wird von allen, die in der Welt und Gesellschaft leben, ein unbedingtes Ja sein. Ost erfordert es schon die Repräsentationspflicht, für den verhinderten Gatten mit einzutreten, aber selbst, wo nur der Wunsch nach geselligen Freuden bestimmend wirkt, darf sich die Frau solche gestatten, falls dieser – wie so häufig der Fall – entgegengesetzte Neigungen in Bezug auf Geselligkeit hat. Soll eine Frau ihr Leben einsam verbringen, nur weil es dem Gatten, vielleicht aus Laune oder sonstigen Gründen, nicht behagt, unter Menschen zu gehen? Verheiratetsein bedingt doch nicht unablässiges Zusammensein!

Die Bewirtung einer größeren Abendgesellschaft geschieht je nachdem durch mehrere Gänge warmen Essens, das natürlich an fester Tafel eingenommen wird oder auch durch Aufstellung eines reichbesetzten sogenannten kalten Büffetts, das allerdings auch warme Speisen aufweisen kann. Für die Gastgeber ist diese Art der Bewirtung außerordentlich bequem, auch viele Gäste dürften sie der festen Tafel vorziehen. Ist man doch nicht gezwungen, oft viele Stunden auf demselben Platz zu verharren neben Nachbarn welche nicht eigne Wahl erkor, sondern kann sich behaglich an kleinen Tischen in selbstgewählter Gesellschaft niederlassen[384] und nach Belieben auch diesen Platz mit einem anderen vertauschen. Die Bewirtung mit kalter Küche braucht deshalb nicht weniger reichlich und gut zu sein – billiger für die Gastgeber und nur aus Sparsamkeitsrücksichten bevorzugt ist sie gewiß nicht.

Zur Bedienung bei großen Abendgesellschaften werden, wo ständige Diener im Haushalt nicht vorhanden, gewöhnlich Lohndiener angenommen. Bei fliegender Tafel übernehmen es die Herren, ihre Tischdamen mit allem Nötigen oder Gewünschten zu versorgen. Getränke verschiedenster Art, Wein, Bier, auch Selterwasser müssen reichlich vorhanden sein, ebenso Kognak und seine Liköre angeboten werden. Bald nach Eintritt der Gäste läßt man Thee und leichtes Gebäck reichen, wie auch jede Gesellschaft, die nach Mitternacht endet, durch Einnehmen des Kaffees ihren Abschluß finden sollte. Für viele Großstädter erscheint es ja unentbehrlich, nach Verlassen des gastlichen Hauses noch ein öffentliches Café aufzusuchen, manche halten das sogar für äußerst »weltstädtisch.« Geschmack und Neigung des Einzelnen werden hier entscheiden, was zu thun oder zu lassen. Es gehört weder noch verstößt gegen den guten Ton, wenn selbst Damen im Ballanzug und beim Morgengrauen ein Café besuchen – natürlich stets in größerer Gesellschaft oder doch in sicherem männlichen Schutz. Aber soviel Taktgefühl darf man voraussetzen, daß sich dieselben nicht mit blumengeschmücktem Haar oder gar entblößtem Hals den Blicken Fremder aussetzen und stets muß irgend[385] eine Hülle alles Auffällige der Kleidung bedecken. Auch hat man, wenn Damen nachts ein Café besuchen, äußerst vorsichtig in der Wahl desselben zu sein.

Aber wir sind noch in der Abendgesellschaft oder möchten doch noch einige Worte über die Unterhaltung der Gäste hinzufügen, welche Ausführungen selbstverständlich auch für jede andere Art geselligen Zusammenseins, Festessen ausgenommen, Geltung haben. Wie und was man etwa in einer Gesellschaft zu sprechen hat, ist bereits früher angedeutet, ebenso das Verhalten im allgemeinen. Es soll hier daher nur jener Unterhaltung gedacht werden, welche der Einzelne im Interesse der Anwesenden veranstaltet oder selber darbringt. Reiche Leute werden ja nun bei besonders glänzenden Gesellschaften namhafte Künstler gewinnen, welche die Gäste durch ihre Darbietungen erfreuen; daß diese Künstler, auch in vornehmen und vornehmsten Kreisen, als Gäste anzusehen und danach zu behandeln sind, bedarf kaum eines Hinweises. Ebenso wird es der gebildete Gastgeber verstehen, das etwa vereinbarte Honorar in zartester Weise zu überreichen; wo solches fortfällt, muß ein angemessenes Geschenk an seine Stelle treten und nur bei Freunden des Hauses erscheint es überflüssig, eine derartige Freundlichkeit durch materielle Gegenleistung auszugleichen.

Befinden sich nun unter den geladenen Gästen solche Künstler, die zur Unterhaltung der Gäste bei zutragen im stande sind – nicht alle, z.B. bildende Künstler, werden es können – wäre es wenig liebenswürdig,[386] wenn sie sich von Wirten und Gästen erst lange bitten ließen, bevor sie ihr Können dem gastlichen Hause darbieten. Kein großer Künstler wird sich in solchem Falle weigern und zieren, aber auch kein wirklich gebildeter Mensch. Zur Belebung einer Gesellschaft soll jeder Anwesende je nach Maß seiner Begabung nach Kräften beitragen, die Gastgeber haben das einfach zu beanspruchen und es als eine Art Gegenleistung für die Einladung anzusehen. Letzteres gilt indessen mehr den Nichtkünstlern, da gewöhnlich sie es sind, die sich am meisten bitten lassen.

Den größten Raum bei solchen Darbietungen nehmen bekanntlich die musikalischen Vorträge ein und zwar mit Unrecht. Weshalb nicht auch die Schwesterkunst Poesie in ihre Rechte treten soll, ist nicht einzusehen. Ein schönes, gut vorgetragenes Gedicht wird jedenfalls die Hörer ebenso fesseln und vielleicht mehr anregen als ein flüchtig vorüber gerauschtes Musikstück oder der Vortrag eines Liedes, das man schon ungezählte Male gehört. Für kleinere Gesellschaften möchten wir sogar empfehlen, sich nicht mit deklamatorischen Darbietungen allein zu begnügen, sondern den Vortrag irgend eines geistvollen Essay allgemein interessanten Inhalts, an den sich später vielleicht anregende Erörterungen schließen oder vielleicht die Vorlesung einer ganz kurzen heiteren Erzählung einzufügen. Bei letzterer kommt allerdings viel auf die Art des Lesens an, denn noch immer gilt das Dichterwort, laut welchem der Vortrag eben des Meisters[387] Glück mache. Der entgegengesetzte Ausspruch desselben Geistesgewaltigen, daß Verstand und tiefer Sinn mit wenig Kunst sich selber vortrage, gilt gleicherweise als zutreffend und bezieht sich auf inhaltlich hochbedeutende Vorträge.

Natürlich muß sich die Art, in welcher die Gäste zu unterhalten sind, ganz nach der Zusammensetzung und Geistesstufe der einzelnen Elemente richten und hier überall das Passende herauszufinden, wird Sache der Gastgeber sein. Da aber Musik vorläufig wohl noch lange den Vorrang behaupten dürfte, möchten wir nur mahnen, es nicht allzuviel des Guten und noch weniger des – Nichtguten werden zu lassen. Denn nach beiden Richtungen hin wird viel gesündigt; es stört und belästigt selbst Musikfreunde ebenso, vielleicht stundenlang gute Musik, als einen oder einige schlechte Musikvorträge anhören zu müssen. Nicht jeder kann Künstler sein und es ist gewiß anerkennenswert, wenn jemand zur Unterhaltung der Gäste beizutragen wünscht; aber soviel Selbsterkenntnis sollte jedermann besitzen, sich nur dann hören zu lassen, wenn er Erträgliches leistet. Nichts peinigender z.B. als etwa eine Sängerin anhören zu müssen, die gar keine oder eine schrille, unangenehme Stimme hat und bitter sagt man sich da manchmal, daß uns diese Pein erspart worden wäre, wenn die Angehörigen und Freunde der betreffenden Dame oder des Herrn den Mut besessen hätten, die Wahrheit zu sagen und den Sänger über die Beschaffenheit seiner Stimme oder sonstigen[388] musikalischen Leistung nicht im Unklaren zu lassen. In allen solchen Fällen können konventionelle Lügen nicht ernst genug verdammt werden, da sie thatsächlich Unheil stiften.

Auch bei der Wahl musikalischer Vorträge hat man in erster Linie die Hörer zu berücksichtigen. Es wäre ebenso unpassend, einem unmusikalischen Publikum streng klassische Musikstücke, als einem musikverständigen etwa Tänze vorzuspielen.

Ist der Vortrag beendet, werden Wirt und Wirtin nicht unterlassen, dem Vortragenden ihren Dank auszusprechen, was mehr oder minder auch von seiten der Gäste zu geschehen hat. Wird etwa – wie es bei genügendem Raum häufig geschieht – ein Tänzchen improvisiert und findet sich eine Dame bereit, dazu aufzuspielen, dürfen die tanzenden Herren nicht versäumen, nach Beendigung des Tanzes durch eine Verneigung und auch wohl einige verbindliche Worte der Spielerin zu danken. Dasselbe wird in allen Fällen geschehen müssen, wo Damen durch einen Vortrag erfreut haben, auch wenn dieser nur gutgemeint, nicht gut war. Man sollte sich dann aber mit der Verbeugung begnügen und nicht gleißnerische Lobhudeleien hinzufügen. Das Gesetz der Höflichkeit ist ja das erste und höchste im geselligen Verkehr, aber auch hier nicht übertreiben und die Ehrlichkeit ganz vergessen.

Die Gesellschaftsspiele zur Unterhaltung einer größeren Gesellschaft kommen jetzt nur noch selten in[389] Anwendung und namentlich gelten die Pfänderspiele, welche zu unserer Großeltern Zeiten eine so große Rolle spielten, nicht mehr als sein in guten und besseren Gesellschaftskreisen. Wo solche aber doch ab und zu aus verdienter Vergessenheit gezogen werden, dürften sie ihre Auferstehung in veränderter Gestalt feiern. Das Küssen wenigstens, das sonst bei Auslösung der Pfänder so angelegentlich und vielleicht ebenso harmlos geübt wurde – wahrscheinlich stammt auch aus jener Zeit das bekannte Sprichwort: »Ein Küßchen in Ehren kann niemand wehren« – ist in unserer Zeit streng verpönt und tritt der Handkuß an seine Stelle.

Außer den Pfändern aber giebt es noch eine Unzahl anderer Gesellschaftsspiele, welche nicht einmal alle geisttötend oder langweilig sind; so z.B. das Reimen auf gegebene Anfangsstrophen oder das Erraten irgend eines, vorher von den Anwesenden vereinbarten Wortes nur durch geschickt gestellte Fragen, zu denen oft viel Scharfsinn und logische Schlußfolgerung erforderlich ist. Auch Rätselraten kann unter Umständen recht unterhaltend werden, falls die Rätsel nicht allzu leicht und kindlich gehalten. Die Zahl der verschiedenartigen Gesellschaftsspiele aber ist so groß, daß ein Aufzählen und auch nur halbwegs ausführliches Beschreiben derselben einen stattlichen Band für sich füllen würde und mithin an dieser Stelle nicht Platz finden kann. Es muß daher allen, welche ein gastliches Haus führen und dieser Aushilfe zur Unterhaltung ihrer Gäste nicht entbehren zu können[390] glauben, geraten werden, ein einschlägiges Buch anzuschaffen, das in jeder besseren Buchhandlung zu haben sein wird.

Nicht veraltet aber und überall, selbst in allerhöchsten Kreisen salonfähig ist das Kartenspiel in seinen verschiedenen Formen, zu welchem allerdings nur ältere Herrschaften greifen werden. Von verwerflichen Hazardspielen, die leider nur allzusehr auch die Jugend – natürlich vorwiegend oder fast ausschließlich die männliche – in ihren Bann ziehen, ist hier selbstverständlich nicht die Rede, sondern vom Whist, Skat, Lhombre, Piquetspiel und wie sie alle heißen.

Kartenspiele wollen gelernt – und nicht nur aus Büchern – vor allem aber geübt sein, Beschreibung und Anleitung für dieselben ist also hier nicht zu geben. Im übrigen gelten bei ihrer Ausübung alle Höflichkeitsregeln, die der gute Ton für den Verkehr im allgemeinen vorschreibt und nur an eins möchten wir da noch besonders erinnern – an die stets gebotene Rücksichtnahme auf andere. Da beim Spiel mehr oder weniger die Leidenschaften entfacht und Charaktereigentümlichkeiten schärfer als bei anderen Gelegenheiten hervortreten werden, sollte jeder da um so mehr auf sich achten und sich zu zügeln suchen. Ebenso sollte dabei die alte kaufmännische Regel: »Leben und Lebenlassen« vollste Geltung behalten und keiner dem anderen bessere Karten oder dadurch erzielten Gewinn mißgönnen. Noch weniger darf erlaubt sein, das Glück durch allerlei unerlaubte – und seien es noch so[391] harmlose – Kunststückchen auf die eigene Seite ziehen zu wollen. »Er spielt anständig« ist das höchste Lob, das ein Spieler dem andern zu geben vermag und gilt noch höher, als wenn vollendete Kunstfertigkeit darin zugestanden wird.

Alles aber, Kartenspiele sowohl als auch andere, ebenso die verschiedensten, auch musikalische Vorträge – falls es nicht hervorragende Kunstleistungen sind – werden doch stets nur Lückenbüßer für gesellige Unterhaltung bleiben. Die Gesellschaft, welche ihrer entraten kann oder sie gar als Störung heiterer Stimmung oder angeregten Gesprächs empfinden würde, stellt sich selbst damit ein ehrendes Zeugnis aus, das zugleich die geistige Regsamkeit und Gediegenheit sowohl der Gastgeber als der Gäste bekundet.

Eine besondere Art der Abendgesellschaften sind solche, bei denen größere Aufführungen wie das Darstellen lebender Bilder oder eines Theaterstückes geboten werden. Da sie sich im übrigen in nichts von den näher beschriebenen unterscheiden, wären nur noch einige Andeutungen über die Vorbereitungen zu solchen Aufführungen zu geben. Bei Übernahme irgend einer Rolle gilt es da vor allem, das eigene, persönliche Interesse dem Gelingen des Ganzen unterzuordnen und keinerlei Empfindlichkeit zu zeigen, falls man nicht mit hervorragenden Rollen betraut wird. Die Anordner solcher Darstellungen müssen nur auf die Befähigung sehen und können andere persönliche Rücksichten oder Vorzüge nicht gelten lassen. Wo es[392] dennoch – was leider häufig genug – geschieht, wird es sicher zum Schaden des Ganzen sein. Herren sowohl als Damen haben sich bei den Proben, in denen ja der gegenseitige Verkehr naturgemäß ein zwangloserer als sonst bei geselligen Zusammenkünften sein wird – um so vorsichtiger und taktvoller zu benehmen; nie sollen auch junge Mädchen allein dazu erscheinen, sondern für passende Begleitung sorgen, falls die Mutter verhindert oder nicht mehr am Leben. Daß alles An- und Umkleiden, auch wenn es nur eine äußere leicht überzuwerfende Vermummung betrifft in streng gesonderten Räumen auszuführen, ist selbstverständlich; nicht ganz so zweifellos dürften alle Teilnehmer wissen, daß Umarmung und Kuß, wo solche die Rolle vorschreibt, eben nur anzudeuten sind. In allem Übrigen gelten auch hier alle ausführlich beschriebenen Anstandsregeln und Höflichkeitspflichten.


Quelle:
York, B. von: Lebenskunst. Leipzig [1893], S. 371-393.
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